Ich möchte ja nicht viel über Tagesgeschehen schreiben. Und es ist auch ganz normal, dass uns Politiker vor der Wahl gelinde gesagt linken. Aber wenn ich beschissen werde, dann bitte mit Verstand. Ich will nicht das Gefühl haben für einen Idiot gehalten zu werden. Wenn nun selbsterklärte Intellektuelle jedoch verkünden, mit der griechischen Wirtschaft gehe es bergauf, dann fühle ich mich wie wenn mir meine Mutter jetzt vom kinderbringenden Storch erzählen würde. Verarscht. Als wöllte man sich vor der EU-Wahl und für die Aktienmärkte die Welt nach eigenem belieben kunterbunt malen. Die Realität aber sieht dunkelgrau aus. Die Behauptung, die griechische Wirtschaft sei auf dem Weg der Genesung, hört man in letzter Zeit immer öfters. Politikern und Journalisten erzählen uns diesen Unsinn. Doch Unsinn bleibt Unsinn, auch wenn man ihn tausend Mal erzählt. Komischerweise habe ich die Behauptung noch nie von einem Ökonomen gehört. Stets nur aus den Mündern von Personen, die noch nie eine Wirtschaftsvorlesung besucht haben, uns aber erklären wollen wie die Wirtschaft läuft oder gar selbst im BMZ tätig sind. Ihre Argumentation mäandert dabei stets irgendwo zwischen Verdrängung und Verdrehung umher.
Verdrängt wird, dass die griechische Arbeitslosenrate höher ist als je zuvor, dass die griechische Staatsverschuldung immer noch über 150% des Bruttoinlandproduktes beträgt, dass das Bruttoinlandsprodukt noch niedriger als 2010 ist, dass die Anzahl von untergewichtigen Babys, Totgeburten und die Kindersterblichkeitsrate jeweils um einen zweistelligen Prozentbetrag anstieg, dass die Niedrigzinspolitik quasi ins leere schlug, dass die griechische Wettbewerbsfähigkeit weiterhin sinkt und ein allgemeines Geschäftsmodell in Griechenland nach wie vor fehlt, dass griechische Mütter nach wie vor ihre Kinder an SOS Kinderdörfern abgeben, weil sie sie nicht mehr selbst ernähren können, dass der Konsum von harten Drogen noch immer auf einem Allzeithoch ist, dass fast eine Million Griechen fast gänzlich ohne Versicherung dastehen, dass mit der Privatisierung staatlicher Unternehmen zwar einmalige Finanzspritzen eingesetzt wurden, die bisher permanente Infusion jedoch ab sofort ausbleibt, dass es seit über 40 Jahren wieder Malariaübertragungen in Griechenland gibt, dass in den Prognosen ab September 2014 Zwangsprostitution und Drogenhandel ins BIP miteingerechnet werden.
Verdreht wird vor allem die Rolle Griechenlands an den Kapitalmärkten. Es stimmt, Griechenland hat 2014 erstmals seit Jahren wieder Staatsanleihen ausgegeben. Die Griechen haben aber keineswegs auf eigenen Beinen zu Privatinvestoren gefunden. Das dies mit den Staatsanleihen trotzdem ging, liegt an einem diabolischen, aber beliebten Spiel der Politiker. Das Spiel heißt: Gewinne privatisieren, Risiken und Verluste sozialisieren. Mit dem ESM und dem Versprechen der EZB unbeschränkt Staatsanleihen aufzukaufen wird dieses Spiel in perfektionierter Perversion getrieben. Kreditrisiken werden notfalls auf den europäischen Steuerzahler abgewälzt und der Zins, eigentlich ja für das Kreditausfallrisiko gedacht, liegt für die Gläubiger immer noch bei fast 5%. Klar, dass sich Leute finden die Gewinne ohne Risiko wollen. Die Frage muss sein, auf wessen Kosten dieses Zauberspiel, dass die Marktteilnehmer, z.B.: die Banken auf einem komplett freien Markt nicht hätten, geht. Denn die Verluste von ESM und EZB, die für diese Risiken gerade stehen, trägt der Steuerzahler.
Griechische Schuldverschreibungen als rundum-sorglos-Paket für Hedgefonds und Banken. Ein Zeichen für die Revitalisierung der griechischen Wirtschaft sind sie nicht. Und vielleicht ist die Metapher vom Zug als Licht am Ende des Tunnels ein wenig abgedroschen.
Aber sagen ihnen Nahtoderfahrungen was?