Auf Facebook hatte ich jüngst mein Interview mit Gregor Gysi geteilt. Der Bekannter kommentierte, dass Gysi zwar ein brillanter Rhetoriker und kluger Kopf sei, er aber für alles stehe was scheiße läuft in unserem Staat. Als ich ihm bat zu begründen, inwiefern Gysi dies tue, antwortete er mir mit: „Dass es eine Nachfolge-Partei gibt für das Unrechtssystem DDR! Egal ob NAZIS, SED-Schergen oder was auch immer für Gespenster... die dürften nicht unser Steuergeld kosten.“ Die Originalunterhaltung können Sie unter anfangs gesetzten Link nachlesen.
Mir geht es nun gar nicht um die alten Fragen „Darf oder sollte man Links wählen?“, oder „welche Rolle spielte Gysi in der DDR?“. Vielleicht ist dieser Eintrag und mein etwas ausschweifender Kommentar auf den des Bekannten dem Umstand geschuldet, dass ich den Abend zuvor beim durchzappen an einer Talkshow eines öffentlich-rechtlichen Senders hängen geblieben bin. Nur kurz, aber das reichte schon um etliche meiner Vorurteile über Politiker bestätigt zu bekommen. Das Problem, das ich sah und sehe, wird in der Realpolitik so nicht diskutiert. Vielleicht in den Politikwissenschaften, wenn es um demokratische Staatsmodelle geht.
Als ich bei meinem Facebook-Freund nachhakte, warum Gysi in seinen Augen für viel Scheiße steht, sagte er mir sinngemäß, weil seine Partei eine SED-Nachfolgerpartei sei und die SED Schergen seien. Er begründet eine persönliche Wertung mit einer weiteren. Bei vielen Talkshows schmeißen sich zwei politisch aktive Menschen in etwa Folgendes um die Ohren. Die Aussagenbeispiele jeweils auf den Kern heruntergebrochen, diesen jedoch nicht verfälscht. „Wir sollten uns fragen, ob die USA noch unser oder irgendwem Freund ist. Sie stehen für viel Leid auf dieser Welt und das ist schlecht.“ Und: „Ist Russland, China oder der Iran besser? Die sind doch viel dümmer.“
Uwe auf Facebook und die Diskutanten vom Fernsehen argumentieren normativ (wertend), nicht deskriptiv (faktisch). Dass die SED Schergen waren, oder die USA schlecht sei ist ohne Begründung eine pauschal-subjektive Einschätzung, keine sachliche Kritik per se. Darauf kann man nichts erwidern. Eine Behauptung über die objektive Welt lässt sich diskutieren, eine reine Wertung jedoch ist etwas rein Subjektives und kann höchstens hinterfragt werden. Erst, wenn die Vorwürfe begründet und damit konkretisiert werden würden, könnte man über diese diskutieren.
Uwe redet von Unrecht und Steuergeld kosten, daran will ich meinen Gedanken konkretisieren. Ich glaube, es ist wichtig und hilfreich zu realisieren, dass es in der Politik kein richtig oder falsch gibt. Denn hinter jeder politischen Überzeugung oder Handlung steht immer ein Weltbild. Und ein Naturgesetz ist richtig oder falsch, das lässt sich noch objektiv ausmachen. Für ein politisches Gesetz oder Weltbild gilt dies nicht mehr. Bleiben wir beim Thema Steuern. Hier, im Falle der Sozialpolitik, sind es vor allem verschiedene Gerechtigkeitsmodelle, die in einem Bereich jenseits von Gut und Böse hinter einer Forderung stehen. Der eher linke Flügel ist nun dem Leitbild der Verteilungsgerechtigkeit, der politisch tendenziell liberale Flügel dem Motiv der Leistungsgerechtigkeit zu zuordnen. Schlussendlich ist Politik Ideologie, weshalb es Ideologie auch braucht um Politik überhaupt betreiben zu können, wenn sich diese im Einzelfall aber nicht irgendwann versachlicht, lässt sie sich auch nur ideologisch diskutieren. Und allzu ideologisch aufgeladene Politik ist nicht nur nicht hilfreich, sie ist auch schädlich. Das Parteidenken in der US-amerikanischen Politik zeigt dies deutlich. Politiker scheinen mehr Repräsentanten dogmatischer Interessen, als die des Volkes.
# Competition, anstatt cooperation.
Beide Seiten machen Vorschläge bezüglich der Steuerpolitik. Vorschläge aber sind zukunftsbezogen, faktisch aber nur Gegenwart und Vergangenheit. Deshalb könnte man auf die Idee kommen, Politik sollte mehr lernend, entwickelnd und weniger ideologisch wissenschaftlicher werden. Methodisch-wissenschaftlicher ist aber schwierig, da es ja an objektiven Bezugspunkt fehlt. Und ein gewisser parlamentarischer Wettbewerb unabdingbar ist. Sie sorgen für gegenseitige Kontrolle, Pluralismus beziehungsweise ein relativ gesundes Mittelmaß, Leistungsmotivation. Aber Wettbewerb ist in letzter Instanz Kampf. Und Kampf kann viel verschwende Kraft bedeuten. Das Problem ist nun, dass zu viel Ideologie Engstirnigkeit, Engstirnigkeit wiederrum Unverständnis und ein ungesundes Gegeneinander hervorruft.
Schlussendlich denke ich, dass Polarisierung und Ideologien für
grundsätzliche politische Positionierungen zwar wichtig sind, in unserem politischen Betrieb aber zu viel Platz einnehmen. Wer denkt grundsätzlich für das Gute (etwa Gerechtigkeit,
Gleichheit, Freiheit - Begriffe die von links und rechts für sich beansprucht werden) zu kämpfen, verfechtet stur seine Meinung, anstatt offen nach etwas zu
streben. Als
Kind habe ich aber gelernt, dass man bei Meinungsverschiedenheit dem Gegenüber nicht ins Gesicht schreien soll wie Recht man doch hat und wie scheiße er doch ist. Meine Eltern sagten dann immer,
ich solle mich hinsetzen und überlegen, was ich falsch gemacht und womit ich den Anderen eventuell verletzt habe. Sprich, ich sollte versuchen mich in den Anderen hineinzuversetzen, seine
Position zu verstehen. Wenn ich einen AFD´ler und eine Muslima sich wieder in einer Talkshow anschreien – „Ihr seid nicht tolerant“ – „toleriert uns doch“ – „toleriert ihr uns doch“ – höre, so denke ich, dass diese gescheiten Leute doch noch einiges von
meiner Mutter lernen könnten. Würden sich Muslima und AFD´ler gegenseitig zuhören, würden sie vielleicht gute Gründe für die gegenteilige Ansicht und auch gemeinsame Schnittpunkte entdecken. Wir
haben sowohl Probleme mit Islamisten, als auch mit Ausländerfeindlichkeit. Auch wenn einem persönlich vielleicht das eine mehr am Herzen liegt, sollte man sich die Welt nicht einfacher machen,
als sie ist. Denn nach dieser Feststellung hätte man beides sachlich-konstruktiv diskutieren können. Ich glaube von solch einer Debattenkultur würden ausnahmslos alle Parteien
partizipieren (Außer eben diejenigen mit zu einfachen Lösungsvorschlägen, ein gesunder
Wettbewerb eben). Jeder kehre vor seiner Haustür und die Straße ist sauber. Jeder schaue nach den anderen und regiere mit dem neugewonnenen Horizont auch unser Land
weitsichtiger.