„In einer Welt, die überflutet wird von belanglosen Informationen, ist Klarheit Macht.“ 

- Yuval Noah Harari

eine sehr verkürzte Geschichte der Wissenschaftstheorie

Der Induktivismus entspricht unserem intuitiven Verständnis vom wissenschaftlichen Arbeiten. Wir machen eine endliche Menge von Einzelbeobachtungen, etwa 1000 weiße Schwäne, und folgern daraus ein Gesetz, etwa, dass alle Schwäne weiß sind. Leicht ersichtlich jedoch ist ein solcher Schluss logisch unzulässig. Denn nichts spricht dagegen, dass bereits der nächste Schwan, der mir vor die Augen läuft schwarz ist und die These von den weißen Schwänen damit falsch sein könnte. Der Versuch einer Wissenschaftscharakterisierung als reine Induktionsoperationen scheitert also am Induktionsproblem und weiteren Unzulänglichkeiten.

Auch als den Versuch einer Umgehung dieses Problems konstituierte Karl Popper im 20. Jahrhundert mit dem Falsifikationismus den wohl bekanntesten Beitrag zur wissenschaftstheoretischen Debatte überhaupt. Dass der nächste von mir beobachtete Schwan schwarz sein könnte, zeigt nicht nur, dass Allaussagen nicht empirisch verifiziert, sondern vor allem dass sie empirisch falsifiziert werden können! Ein schwarzer Schwan und die These, dass alle Schwäne weiß sind, sei unmissverständlich falsifiziert. Offenbar, so Popper, könne man Thesen nicht be-, jedoch sehr wohl widerlegen. Daher solle auch die Wissenschaft stets darum bemüht sein, ihre Glaubenssätze zu falsifizieren. Die richtige, oder zumindest am wenigsten falsche, würde diese Selektion überleben. Und so irre sich Wissenschaft quasi nach oben. Doch auch wenn der kritische Empirismus in aller Munde ist, so birgt er – und auch seine verbesserte Form des raffinierten Falsifikationismus - viele logische, theoretische und praktische Probleme in sich.

Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Black-necked_Swan_Cygnus_melancoryphus_Swimming_1965px.jpg
Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Black-necked_Swan_Cygnus_melancoryphus_Swimming_1965px.jpg

So sind beispielsweise reale wissenschaftliche Hypothesen nicht so einfach (im wahrsten Sinne des Wortes) aufgebaut, wie unser Schwan-Beispiel. Wenn das nächste Tier, dass ich als Schwan klassifiziere problemlos über die Häuserdächer fliegt, weiß ich daraufhin noch nicht, welcher Teil meines bisherigen Bildes vom Schwan falsifiziert wurde. Mir steht kein logischer Rückschluss in Aussicht, der mir sagt, meine Definition von Schwan oder von seinen Flugfähigkeiten sei unzureichend oder falsch bzw. gehöre geändert oder verworfen. Einige dieser Kritikpunkte, die sich an den Falsifikationismus richteten, griff Thomas Kuhn auf und entwickelte eine strukturelle Beschreibung der Wissenschaft, die zu der vermutlich zweitbekanntesten nach Poppers avancierte. In einer Phase der Normalwissenschaft agiere man innerhalb gewisser Paradigmen, die durch Krisen erschüttert werden und schließlich im Laufe einer Revolution zu einem Paradigmenwechsel führen.

Weder Popper, noch Kuhn und auch nicht Lakatos, der quasi das Beste von den ersten beiden zusammenmixt, können den wissenschaftlichen Prozess adäquat beschreiben. Dies erkannte auch Paul Feyerabend und schlussfolgerte daraus, dass der wissenschaftliche Betrieb gar nicht aufgrund ganz bestimmter Kriterien vonstattengehen würde („anything goes“). Das war natürlich ein großer Schock für die Wissenschaftstheorie, zeigte Feyerabend doch auf, dass klassische Beispiele wissenschaftlicher Progressivität wie die kopernikanische Wende mit keiner der bisherigen wissenschaftstheoretischen Beschreibungen übereinstimme. So wie ich das sehe, hat sich die Wissenschaftstheorie von dieser Einsicht bis heute nicht vollständig erholt. Aber zugegeben bin ich auch nur ein auf diesem Gebiet recht ungebildeter, frischer Abiturient. Wenn mein Vorstoß in seiner groben Richtung jedoch richtig gewählt sein sollte, so wird die Wissenschaftstheorie ihrem deskriptiven Anspruch nicht gerecht. Und von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen sind keine normativen, für den zukünftigen wissenschaftlichen Betrieb förderlichen Aussagen der Wissenschaftstheorie bei den Einzelwissenschaften angekommen. Mir als Laie stellt sich die Frage, ob da vielleicht ein prinzipielles Problem dahintersteckt. Vielleicht gibt es einfach nichts, was alle Wissenschaft von Pseudowissenschaft, Mystik & Co abhebt? Doch was würde das bedeuten?

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Kommentare: 2
  • #2

    sapereaudepls (Donnerstag, 09 Oktober 2014 11:55)

    Auf das Induktionsproblem stoßen wir bei jedweder empirischer Wissenschaft zwangsläufig. Weil wir immer nur einzelne Sachverhalte beobachten und keine allgemeinen Gesetze(!).
    Und die Wissenschaftstheorie, möchte sie rein deskriptiv das Konstitutive aller Wissenschaft ausmachen, muss empirisch operieren.

    Ich denke der Fehler liegt darin, Wissenschaft als ein Forschungsgegenstand aufzufassen. Wissenschaft ist ein kollektiv-mentales Konstrukt, steht und fällt also mit unserer Auffassung von ihr.
    Deshalb sollten wir uns überlegen, wie wir Wissenschaft haben wollen.
    Das sollte das oberste, ambitionierte Ziel sein.
    Auch der analysierende Blick auf Wissenschaft in Vergangenheit und Zukunft sollte dieses Ziel verfolgen. (z.B.: nachsehen, wie Wissenschaft erfolgreicher und wie weniger sie weniger erfolgreich war. Um daraus Forderungen für die zukünftige Wissenschaft abzuleiten.)


    In diesem Homöopathie-Fall wäre es wohl der Placebo-Effekt. Aber gerade sowas versucht man ja auch durch ein Experiment zu unterbinden, indem man alle Variablen bis auf eine isoliert. Man kann den Probanden beispielsweise die Augen verbinden und dann homöopathische- und Zuckerpillen verabreichen. Dann hat man die "Placebo-Variable" isoliert, da kein Mensch mehr allein aufgrund seines Glaubens an die Wirksamkeit eines bestimmten Produktes nur bei diesem auch eine solche verspürt.

  • #1

    Köppnick (Dienstag, 07 Oktober 2014 17:42)

    Warum jeder Versuch, alle Wissenschaft konsistent mit einer Theorie erfassen zu wollen, zum Scheitern verurteilt ist, kann man ironischerweise mit Popper selbst zeigen: Wir können die Theorie nur aus der uns bekannten Wissenschaftsgeschichte ableiten, führen folglich einen induktiven Schluss aus.

    Interessant ist im Zusammenhang mit den Schwierigkeiten der Theoriebildung auch die Duhem-Quine-These (siehe Wikipedia). Wenn wir eine Theorie bilden oder prüfen oder was auch immer, setzen wir explizit die Gültigkeit andere Theorien voraus. Also selbst wenn wir eine Theorie falsifizieren, kann sie immer noch richtig sein - wenn die Theorien, die zu ihrer Falsifikation beigetragen haben, selbst falsch gewesen sind.

    An anderem Ort ;-) habe ich mal die folgenden Beispiele verwendet:

    "Gesetzt den Fall die Astronomen kennen nur die inneren sieben Planeten und wollen anhand dieser die Richtigkeit der Behauptung, dass sich die Planeten auf Ellipsenbahnen bewegen, testen. Da die Planeten unter dem Einfluss weiterer unbekannter Planeten stehen, wird die These durch Beobachtung als falsch erkannt. Was aber ist falsch? Das Newtonsche Gravitationsgesetz? Die Ellipsenhypothese? Dass es nur sieben Planeten gibt? Nur in der Rückschau kann man erkennen, wo hier der Fehler lag, zum Zeitpunkt der Beobachtung und Theoriebildung nicht.

    Umgekehrt schafft die experimentelle Bestätigung einer Behauptung ebenfalls keine Sicherheit. Angenommen, ein homöopathisches Mittel erweist sich als wirksam. Kann damit die Behauptung der Homöopathen, dass ein Mittel umso stärker wirkt, je mehr es verdünnt wird, bewiesen werden? Vermutlich nicht, denn andere Wirkursachen können niemals sicher ausgeschlossen werden."


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