Die Geschichte lehrt uns, dass sich mit der Bibel ohne weiteres die konträrsten Dinge begründen lassen. In ihr findet man sowohl Passagen, die die Gleichheit aller Menschen bekräftigen, als auch zutiefst antifeministische und rassistische:
Gleichheit: „Denn vor Gott sind alle Menschen gleich.“ Römer 2,11 (Hoffnung für alle)
Antifeminismus: „Die Frau soll lernen, sich in der Gemeinde unterzuordnen und still zuzuhören. Einer Frau erlaube ich nicht, öffentlich zu lehren oder sich über den Mann zu erheben. Sie soll vielmehr still und zurückhaltend sein. Denn Gott hat zuerst Adam geschaffen, den Mann, und dann Eva, die Frau. Außerdem ließ sich nicht Adam von der Schlange verführen, sondern Eva.“ 1. Timotheus 3, 11-14 (Hoffnung für alle)
Rassismus: „Euer Land wird vom Roten Meer bis zum Mittelmeer reichen und von der Wüste im Süden bis zum Euphrat. Die Menschen, die jetzt dort wohnen, gebe ich in eure Hand. Ihr werdet sie vertreiben, während ihr immer weiter vordringt. Schließt keinen Bund mit ihnen und ihren Göttern! Sie dürfen nicht in eurem Land bleiben, sonst verführen sie euch noch zum Götzendienst. Denn wenn ihr ihre Götter verehrt, geratet ihr in eine tödliche Falle.“ 2. Mose 23, 31-32 (Hoffnung für alle)
Der letzte Passus ist für viele Israelis im Israel/Palästinakonflikt von großer Bedeutung. Er und die Vorstellung zum außerwählten Volk zu zugehören. Auch wenn es in öffentlichen Medien oft beschwichtigt oder gleich unter dem Tisch gekehrt wird, die Religion spielt im Nahostkonflikt eine größere tragische Rolle, auf beiden Seiten. Wie groß diese Rolle ist, darüber herrscht in der Politikwissenschaft jedoch kein Konsens.
Dass sich mit der Bibel die unterschiedlichsten Dinge begründen lassen ist für den unvoreingenommenen Blick jedoch relativ klar und klar ersichtlich: Die Bibel ist ein Sammelwerk aus unterschiedlichen Schriften, die von unterschiedlichen Leuten zu unterschiedlichen Zeiten verfasst und oft lange Zeit nur über Mundpropaganda weitererzählt wurden. Früher war die Bibel mehr ein Machtinstrument, weswegen im Christentum vor allem der alttestamentarische strafende Gott gezeichnet wurde. Heute ist Bibel mehr ein Trostspender, weshalb man vor allem den neutestamentlichen rettenden Gott hervorhebt. Begründen mit der Bibel kann man beides und sowieso so gut wie alles, was man möchte.
Und ja ich habe die Bibel ganz durchgelesen. Im Gegensatz zu den meisten Christen wohlgemerkt. Eine „einheitliche Botschaft der Bibel“ habe ich in ihr nicht gefunden. Denn wenn sich alles irgendwie begründen lässt, lässt sich auch alles irgendwie widerlegen. Wünschenswert wäre eigentlich ein Gott, er ist ja allgütig und allmächtig, der sich direkt und unmissverständlich seinen Geschöpfen offenbart und ihnen somit jedwede Zweifel oder Versuchung durch andere Religionen erspart. Aber zur Sache:
Einige Leute, darunter auch Wissenschaftler, glauben nun, dass neben den offensichtlich (widersprüchlichen) auch versteckte Botschaften in der Bibel stecken. Ein Bibel-Code um genau zu sein, den es zu entschlüsseln gilt, gestellt je nach Gustos auch von Gott höchstpersönlich.
Wie entschlüsselt man den Bibelcode? Nun, man nimmt den gesamten Bibeltext oder nur einen Auszug daraus (bei einigen bekannten israelischen Mathematikern war es die Thora) und stellt ihn sich als fortlaufenden Strang (ohne Satzzeichen oder Leerstellen) vor. Aus diesem Buchstabenstrang lassen sich jetzt ein- (ein langer Strahl) zwei- (auf Papier geschrieben) oder dreidimensional (Papier auf Zylinder aufgeklebt) Wörter herauslesen. Die versteckten Botschaften sind jetzt stenografisch codiert, d.h. man sucht im fortlaufenden Buchstabenstrang jeden 6, 15, 227, 18.420.8549, x.ten Buchstaben heraus (oder überlässt die mühselige Arbeit einem Computer). Und sucht dann in dem neuen, kürzeren Buchstabenstrang nach sinnvollen, „versteckten“ Wörtern bzw. Botschaften.
Es ist quasi das Gleiche wie in einem Suchworträtsel: Vor sich haben Sie eine Reihe vorgeblich sinnlos aneinandergereihter Buchstaben und ihre Aufgabe besteht darin in diesem Wirrwarr Wörter bzw. Sinnzusammenhänge zu finden.
Michael Doc Ber Weissmandl et. Al fanden so eine ganze Reihe von Wörtern, die gelegentlich in einem sinnvollen Kontext zueinander standen. So fand man beispielsweise die Namen berühmter Israeliten plus deren Todesdatum. Den Verfassern der Bibel konnten diese Menschen aber selbstverständlich nicht bekannt sein, der Staat Israel wurde ja erst am 14. Mai 1948 gegründet. Für viele Menschen kann ein solcher Fund kein Zufall sein, sie glauben fest an versteckte Prophezeiungen im Bibelcode.
Wenn es wirklich so unwahrscheinlich ist, sich bewahrheitete Vorhersagen in der Bibel zu finden, wie es scheint, erhöht sich im Gegenzug die Wahrscheinlichkeit dafür, dass wir es hier wirklich mit Prophezeiungen zu tun haben. Aber wie unwahrscheinlich sind solche Vorhersagen tatsächlich?
Der Name und das Todesdatum eines bestimmten bekannten Israeliten aus dem 20. oder 21. Jahrhundert dicht beieinander zu finden, ist tatsächlich hochunwahrscheinlich. Aber: Wie Sie vielleicht noch aus der Schulmathematik wissen, ist eine Wahrscheinlichkeit p immer ein Bruch mit den „interessierenden“ Fällen q im Zähler durch alle möglichen Fälle n im Teiler. Und interessierende Fälle sind ja nicht nur ein paar bestimmte Israeliten gepaart mit einem bestimmten zugehörigen Datum. Als „Treffer“ wären ja auch die Geburtsdaten bekannter Juden mit ihrem Geburtsort, das Wort Israel zusammen mit dem Gründungsdatum oder „Hinweise auf den Holocaust“ gewertet worden.
Ein anderes Beispiel: Der US-amerikanische Journalist Michael Drosnin griff die Idee des Bibelcodes auf und durchsuchte die Tora mithilfe einer Computersoftware nach weiteren „Treffern“. Unter anderem fand er die Worte „Kennedy“ und „Dallas“, Jacks Todesort. Ein unglaublicher Treffer, oder? Nein, wenn man bedenkt, wie viele Wortpaare man in diesem weiten Rahmen als „Treffer“ werten könnte (mathematisch: wenn k größer wird und n gleichbleibt, dann steigt p). Auch „Caesar“ und „Pompeius“ , Caesars Todesort, würden als Treffer durchgehen, oder „Monroe“ und „Kennedy“, Sie wissen schon. Diese Fälle wurden nicht codiert, dass aber nicht irgendwelche bedeutungsvollen Wörter irgendwie aus einem so langen Text wie dem biblischen zu finden sind, dass wäre unwahrscheinlich.
Anhand des Bibelcodes lernen wir heute eine der Grundfragen des skeptischen Denkens kennen: „War vor dem Erfassen des Faktischen festgelegt, welches Ergebnis als Bestätigung der Theorie angesehen wird und welches nicht? Falls nicht, ist das Ergebnis nahezu unbrauchbar. Denn es ist einfach zu leicht, ein Ergebnis im Nachhinein noch irgendwie als Validierung der Theorie hinzudrehen.
Zurück zum Bibelcode: War vor der Sucherei klar, was genau die Theorie vorhersagt und was nicht? Nein, es wurde einfach ein Buchstabenstrang aus der Bibel gebastelt und dann Wörtersuchen gespielt. Es war völlig egal was man wie findet, alles zählte. Die Trivialität des „Was“ lässt die Trefferquote aus bereits dargelegten Gründen durch die Decken schießen, aber auch die des „Wie“: Wenn man von links nach rechts, von rechts nach links, von oben nach unten, quer, jeden 400.000.000 Buchstaben … lesen kann, geht die Trefferwahrscheinlichkeit zwangsläufig gegen Eins.
Und dennoch tun Bibelcode´ler so, als wäre jeder Schuss ein fulminant unwahrscheinlicher Treffer. Sie machen es wie der Texanische Scharfschütze, der erst auf das Scheunentor schießt und dann eine Zielscheibe um das Einschussloch herum aufmalt.
Außerdem hilft hier noch die Bestätigungstendenz: Wer sucht, der findet. Auch wenn ein Wissenschaftler die interessierenden Fälle und die legitime Methodik stark einschränkt, wird er, wenn er nur fest von der geheimnisvollen Codierung der Bibel überzeugt ist, bestimmt fündig. Und seien nur Initialen, es wird ihm als Bestätigung seiner Überzeugung genügen.
Übrigens: Inzwischen haben sich Mathematiker auch den Spaß gemacht, Tolstois Krieg und Frieden oder Melvilles Moby Dick nach bedeutungstragenden Wortkonstellationen zu durchforsten. In Krieg und Frieden fanden sie „Nazi“ und „Hitler“ sehr dicht beieinander und in Moby Dick Hinweise auf die Ermordung von Indira Gandhi, Martin Luther King, Abraham Lincoln und auch John F. Kennedy. Die Auffassung, in anderen Werken seien keine solchen „Prophezeiungen“ verschlüsselt, stimmt also auch nicht. Als kleines Sahnehübchen möchte ich dem Leser nicht vorenthalten, dass auch die Kombination „code“ und „bogus“ (falsch) in der Bibel codiert gefunden wurden. Satte sechzig mal.
tsSLAueP (Mittwoch, 15 November 2023 17:29)
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WissensWert (Donnerstag, 15 Dezember 2016 21:06)
http://de.verschwoerungstheorien.wikia.com/wiki/Bibelcode
WissensWert (Samstag, 15 Oktober 2016 00:57)
Zielscheibenfehler
Du hast dir nur die Daten herausgepickt, die dein Argument belegen, oder du hast ein Muster gefunden, das deine Mutmaßung stützt.
Dieser Fehlschluss geht auf einen Scharfschützen aus dem US-Bundesstaat Texas zurück, der wahllos auf Scheunen schoss und anschließend Zielscheiben um die Stellen malte, an denen die meisten Einschusslöcher zu finden waren – so erweckte er den Eindruck, ein ziemlich guter Schütze zu sein. Anhäufungen entstehen in der Regel aber rein zufällig und deuten nicht notwendigerweise auf einen kausalen Zusammenhang hin.
Beispiel: Der Hersteller des Getränks Zuckersüß berief sich auf Forschungsergebnisse, die aufzeigen, dass drei der fünf Länder mit den höchsten Zückersüß-Verkaufszahlen ebenso zu den zehn gesündesten Ländern der Welt zählen. Daraus ergibt sich, dass Zuckersüß gesund sein muss.
WissensWert (Freitag, 01 April 2016 22:20)
http://www.ratioblog.de/entry/fehlschluss-23-texas-sharpshooter-fallacy
WissensWert (Freitag, 25 März 2016 11:33)
https://manglaubtesnicht.wordpress.com/2014/02/02/zum-beweis-der-nichtexistenz-des-bibel-gottes/
sapereaudepls (Mittwoch, 19 November 2014 17:27)
Beim neuen Testament würden es die meisten Christen in einem:
"Christus für unsere Sünden gestorben. Er hat das Christentum begründet und alle, die das annehmen, werden ewig leben. Amen" resümieren.
Doch:
- Jesus hat niemals etwas davon gesagt, dass er für die Sünden der Menschheit ans Kreuz gehen wird oder gegangen ist. Niemals.
- Jesus hat nie etwas von einer Religion gesagt, geschweige denn ein (instituionelles) "Christentum" nach seinem Namen und seiner Lehre ausgerufen. Im Gegenteil.
Beim alten Testament würde ich es mit einem: "Israel wendet sich von Gott ab, Gott bestraft Israel hierfür, Israel wendet sich Gott wieder zu, Gott nimmt sie auf, Israel wendet sich Gott wieder ab..." probieren.
Gruß!
Christoph (Mittwoch, 19 November 2014 16:44)
Hmm, dass mit der Botschaft der Bibel ist wirklich schwer zu finden.