„In einer Welt, die überflutet wird von belanglosen Informationen, ist Klarheit Macht.“ 

- Yuval Noah Harari

Souveränitätsdefizite: Was Zutrifft

Die Bundesrepublik Deutschland ist im juristischen, d.h. rechtlichen Sinnevoll souverän. Was aber nicht bedeutet, dass sie in dem Sinne über volle Souveränität verfügt, wie wir Souveränität gemeinhin verstehen. Deutschland ist in politischen, militärischen, wirtschaftlichen etc. Belangen nämlich nicht vollkommen souverän, weil es immer wieder Selbstbestimmungs-, d.h. Souveränitätsrechte an Dritte abgetreten hat. Wie heutzutage die EU im Zuge der europäischen Einigung waren das in jüngerer Vergangenheit vor allem die Alliierten, denen wir Zugeständnisse auf Kosten unserer staatlichen Autonomie gemacht haben – und die nie aufgehoben wurden. Wenn Souveränitäts-Verschwörungstheorien diese bis heute geltenden Verträge und Abmachungen thematisieren, besitzen sie ihre wahren Kerne.

Eine unvollständige Chronologie bezüglich der geheimen Abkommen und ihrer Folgen für die Gegenwartsituation:

  • 1954 - Aufenthaltsvertrag: Im am 23. Oktober 1954 unterschriebenen Vertrag über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland spricht Deutschland bestimmten NATO-Mitgliedsstaaten das Recht zu, ihre Truppen in Deutschland zu stationieren. Damals basierte der Vertrag auf den Besatzungsrechten der alliierten Truppen nach dem Zweiten Weltkrieg. Die alliierten Truppen wurden inzwischen abgezogen, der Zweite Weltkrieg ist sowieso vorbei, doch der Aufenthaltsvertrag gilt – auch nach Abschluss der 2+4-Verträge – bis heute an. Und so befinden sich nach wie vor US-amerikanische Militärbasen als exterritoriales Gebiet und salopp gesagt auf Besatzungsgrundlage auf deutschem Boden. Zwar ist der Aufenthaltsvertrag mit einer zweijährigen Frist kündbar, doch aus irgendwelchen Gründen macht das keiner. Das führt dazu, dass der auf unbegrenzte Zeit geschlossene Aufenthaltsvertrag fortbesteht.
  • 1955 – Deutschlandvertrag: Der Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten bzw. Bonner Vertrag trat am 5. Mai 1955 endgültig in Kraft. In ihm hieß es formell, dass die Bundesrepublik in inneren und äußeren Angelegenheiten wieder volle Souveränität erhalten solle. Jedoch wurden durch geheime Zusatzvereinbarungen wesentliche Rechte weiterhin den alliierten Westmächten vorbehalten. Unter anderem die Überwachung des Telefon- und Postverkehrs! Dahingehend sind wir natürlich nach wie vor nicht souverän. Wirklich vieles von dem, was wir früher aufgrund des Besatzungsrechts hinnehmen mussten, sichern wir den Siegermächten heute durch geheime Zusatzvereinbarungen zu.

    Anmerkung: Die Aufhebung des Post- und Fernmeldegeheimnisses unter der Adenauer-Regierung war ein Verfassungsbruch, aus dem ein großer deutsch-alliierter nachrichtendienstlicher Komplex entstanden ist. Manch ein
    Historiker meint, dass die NSA demnach völlig ordnungsgemäß in Deutschland spioniert. Nur das kann man dem Volk natürlich nicht so sagen.
  • 1959 – NATO- Vertrag: Das nächste große Ding war das Zusatzankommen zum NATO-Truppenstatut vom 3. August 1959. Zu diesem Vertrag gab es selbstverständlich auch wieder Zusatzverträge, in denen selbstverständlich auch wieder das Alliiertenrecht auf Durchführung von Überwachungsmaßnahmen weiterhin garantiert wurde. Dass die Bundesanwaltschaft momentan die Lauschaktionen gegen Kanzlerin Merkel rechtlich prüfen möchte, ist demnach eine reine Farce: Die gesamte NSA-Überwachungsgeschichte ist durch die Verträge mit den USA gedeckt und da kann erst einmal keiner rechtlich gegen vorgehen.

    Anmerkung: Artikel 38 des Zusatzabkommens zum NATO-Vertrag verpflichtet übrigens nicht nur die Exekutive, sondern auch die Judikative, amerikanische Amtsgeheimnisse um jeden Preis zu schützen. Dazu kann auch die systematische Überwachung Deutschlands gezählt werden. Die deutsche Regierung muss zusammenfassend mit zusehen, wie die Bevölkerung systematisch ausspioniert wird, darf ihr aber nicht Bescheid geben.

  • 1968 – Artikel-10-Gesetz: Ab dem 13. August 1968 und mittels des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses war dann endgültig Schluss mit der verfassungswidrigen Überwachung, weil wir die Verfassung so geändert haben, dass die Überwachung nicht mehr verfassungswidrig war. Die Überwachung als solches ging weiter und wurde sogar massiv ausgebaut. Mit dem G-10-Gesetz änderte die große Koalition die Verfassung und erlaubte Eingriffe in das Post- und Fernmeldegeheimnis. Und auch wenn die Überwachungslegitimation von nun an deutsches Gesetz war, kann nicht dagegen geklagt werden! Der Rechtsweg, einer der Grundpfeiler jedes Rechtsstaats ist ausgeschlossen und soll durch die Prüfung von Hilfsorganen ersetzt werden. So steht es in der Verfassung, ein Verfassungsbruch in der Verfassung also. Auch, dass der Betroffene nicht mehr über seine eigene Überwachung informiert werden muss, steht ausdrücklich drin und somit überwacht keiner der Überwacher.

    Anmerkung: Das G-10 Gesetz wurde zwar inzwischen neu gefasst, jedoch nicht abgeschafft und so besteht mit ihm die gesetzliche Grundlage zur flächendeckenden Überwachung und zur Aushebelung der Gewaltenteilung im Prinzip auch noch heute an.
  • 1990 – 2+4-Vertrag: Durch den Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland vom 12. September 1990 wurde dann tatsächlich ein Stück Nachkriegsgeschichte beendet. Damals unterzeichneten die Außenminister der Sowjetunion zusammen mit den USA, Großbritannien, Frankreich und natürlich Deutschland und der DDR ein Dokument, dass die innenpolitischen Belange der deutschen Wiedervereinigung regelt. Deutschland besitzt seither so eine Art Friedensvertrag, auch wenn der 2+4-Vertrag rein formell-juristisch nie einer war und es gilt ebenfalls (nur) formell-juristisch als wieder voll souverän:
    “(1) Die Französische Republik, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und die Vereinigten Staaten von Amerika beenden hiermit ihre Rechte und Verantwortlichkeit in Bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes. Als Ergebnis werden die entsprechenden, damit zusammenhängenden vierseitigen Vereinbarungen, Beschlüsse und Praktiken beendet und alle entsprechenden Einrichtungen der Vier Mächte aufgehört. (2) Das vereinte Deutschland hat demgemäß volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten.” (Artikel 7)

    So wie der 2+4-Vertrag nur in einem abstrakt-juristischen Sinne kein Friedensvertrag war, so bringt er uns auch nur abstrakt-juristisch den Status eines souveränen Staates zurück. Insgeheim und konkret wurden zahlreiche geheime Vorbehalte beibehalten und beigefügt, die die Souveränität der Bundesrepublik in ihren inneren und äußeren Angelegenheiten glasklar einschränkt und für andere souveräne Staaten nicht gelten. Beispielsweise wurde der Deutschlandvertrag durch Noten und den Austausch von Noten beibehalten (logischerweise nur für die alten Bundesländer). Und jetzt mal ehrlich: Ist ein Staat, der sich vertraglich abhören lassen muss, in Ihren Augen wirklich ein souveräner? Aber auch die anderen Verträge und Geheimabkommen liefen und laufen großteils fort. Und das war noch lange nicht alles. Im 2+4-Vertrag versicherte Deutschland zudem, dass es “keine seiner Waffen jemals einsetzen wird, es sei denn in Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen”, eine Truppenhöchstgrenze von 370.000 Mann und in Artikel 3 (1) erklärt es den “Verzicht auf Herstellung und Besitz von und Verfügungsgewalt über atomare, biologische und chemische Waffen”. Das alles mag zur damaligen Zeit gerechtfertigt und vernünftig gewesen sein, wahrhaft „volle Souveränität“ sieht aber definitiv anders aus.
  • 2013 – NSA-Affäre: Die Informationen bisher stammen überwiegend aus den Arbeiten des Historikers Josef Foschepoth. Foschepoth hat Einsicht in die Bundesarchive und jahrelang zu dem Thema geforscht, d.h. er hat Ahnung. Zum NSA-Skandal meint Foschepoth, dass er das Skandalisieren des Überwachungsvorganges nicht verstehe. Deutschland habe gültige Verträge mit den ehemaligen Alliierten geschlossen, die eine Ausspähung des Volkes erlauben und den Regierenden verbieten, darüber zu sprechen.

Warum tut niemand was?

Warum aber wurden diese teils uralten Verträge nie neu verhandelt oder einfach aufgekündigt?

Foschepoth führt zu dieser Frage meist zwei Antworten an: Erstens die devote Haltung deutscher Politiker. Entscheidungsträger wie Helmut Kohl wollten es sich mit den Amis nicht verscherzen und verfolgten oft andere Ziele, wie bei Kohl die Einigung Deutschlands. Da schweigt man am besten zu solch strittigen Themen wie die 2+4-Verträge.

Zweitens ging es für Foschepoth, wenn die alliierten Siegermächte auf das besiegte Deutschland trafen, immer um ein Ober- und Unterverhältnis. Die beiden Seiten begegneten sich nie auf Augenhöhe, nicht nur, weil deutsche Politik unterwürfig war, sondern auch, weil sie es aufgrund der vielen Verträge sein musste. Vordergründig ging es bei der Kleinhaltung Deutschlands um das vernünftige Ziel, von Deutschland dürfe keine Gefahr mehr ausgehen, hinterrücks nutzte und nützt man Deutschland, um von dort aus den Ostblock und heute ganz Europa abzuhören.

Was gehört getan?

So gesehen hat die Bundeskanzlerin sicher recht, wenn sie meint, auf deutschem Boden gelte deutsches Recht. Nur, dass tief in diesem deutschen Recht die Interessen und Vorbehalte der Alliierten verankert liegen. Verankert ja - aber eben nicht in Stein gemeißelt! Gesetze können verändert und Verträge neu verhandelt oder abgesetzt werden, und genau hierfür plädiert Foschepoth. Der Deutschlandvertrag, ein „Relikt aus der Besatzungszeit“ sollte man endlich einmal abschaffen und den Aufenthaltsvertrag neu verhandeln. Denn: „es kann nicht sein, dass die amerikanischen Truppen hier gewissermaßen in einem rechtsfreien Raum in Deutschland weiterhin agieren dürfen. Und erst dann werden wir in der Lage sein, das zu verhindern, was wir verhindern wollen, nämlich eine permanente Ausspähung auch der deutschen Bevölkerung.“

Darüber hinaus fordert Foschepoth eine allgemeine Debatte darüber, welche Konsequenzen sich aus all diesen Verträgen für die Rechtsstaatlichkeit und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland ergeben.

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Kommentare: 1
  • #1

    WissensWert (Dienstag, 23 August 2016 16:04)

    http://www.sueddeutsche.de/politik/deutsch-amerikanische-beziehungen-in-deutschland-gilt-auch-us-recht-1.2084126


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