Einige Anmerkungen zur VW-Abgasaffäre.
Immer dann, wenn es in den USA um die Etablierung sozialer
(staatliche Krankenkassenversicherung), ökologischer (Ratifizierung des Kyoto-Protokolls) oder ethischer (Nutztierrechte) Mindeststandards geht, kommt irgendein
uramerikanischer Republikaner hervor und brüllt: Wir lassen uns diese Freiheiten nicht nehmen!
Ich lasse mal außen vor, dass die Freiheit, Hühner in Käfigen einzusperren, nur eine Freiheit des Stärkeren ist und das Huhn sich das
bestimmt nicht in freier Entscheidung so rausgesucht hat oder hätte. Und ich werde auch gar nicht erst dahingehend argumentieren, dass der US-Amerikanische Freiheitsbegriff nur negative
Freiheitsrechte impliziert, das Spektrum positiver Freiheitsrechte, wie die Freiheit vor Existenzsorgen (Stichwort: Bedingungsloses Grundeinkommen), jedoch komplett außen vor lässt. Es dürfte auch den meisten klar sein, dass die
amerikanische Freiheit überwiegend eine Wirtschaftsfreiheit ist und blitzartig aufhört, wenn es um andere Freiheitsbereiche, wie bspw. um sexuelle oder Grenzfreiheiten, geht.
Wo ich ansetzen möchte ist am Begriff der Wirtschaftsfreiheit. Sind die
VSA wirklich frei, d.h. in einem negativen Sinne frei von staatlichen Reglementierungen und Vorschriften? Auch das trifft nicht zu, selbst die wirtschaftliche Freiheit in den VSA, die ihr
Selbstverständnis quasi über den Begriff Freiheit definiert, ist nur eine eingegrenzte. Sie erfährt ihre Grenzen stets dort, wo sie nicht mehr den Oberen 1% dient, und mündet so in einem
antisozialen Korporatismus zwischen Staat und Wirtschaftseliten:
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Protektionismus: Die USA erheben Zölle auf chinesische Solarmodule und deutsche Autos, oder
verbieten die Einfuhr von ausländischen Waren gleich komplett, wenn der eigene Markt nicht wettbewerbsfähig mit den ausländischen Produkten ist. Damit stärken sie zwar den eigenen
Binnenmarkt, mit Marktfreiheit (freier Wettbewerb, Zollfreiheit) hat das aber freilich so mal rein gar nichts zu tun. Marktfreiheit fordern die USA immer nur dann, wenn sie ihnen
in den Kram passt.
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Hungerbekämpfung: Ideologisch ist die Freimarkt-Idee ihren Vordenkern
Friedrich August von Hayek und Ludwig von Mises verhaftet. Diese Ökonomen gestehen einem wirtschaftlichen Akteur nachdrücklich die Souveränität zu, einem anderen jederzeit sein Hab und
Gut zu vermachen, es zu verschenken. Nicht wenige republikanisch geführte Städte in den USA, die sich selbst als wirtschaftsliberal betrachten, sehen das nicht so.
Einigeahnden das Verteilen von Nahrungsmitteln aus eigenem Besitz(!) an Obdachlose sogar mit
Freiheitsstrafen. Der inhumane Gedanke dahinter ist nur unschwer zu erraten: Obdachlose sollen sich nicht in den Innenstädten aufhalten, wo ihr Elend für jedermann ersichtlich werden würde,
sondern weiterhin in ihren Slums und Trailerparks wohnen. Das schränkt jedoch die Verfügungsgewalt eines US-Amerikaners über seinen eigenen Besitz, beispielsweise über ein von ihm
erworbenes Laib Brot, erheblich ein und ist mal so gar nicht mit der Uridee wirtschaftlicher Freiheit, die sich für starke Eigentumsrechte einsetzt, kompatibel.
Ebenso wenig kompatibel mit einer freiheitlichen Wirtschaftsauffassung ist der Versuch, das Sammeln von Regenwasser,
das auf das eigene Grundstück(!) fällt, zu verbieten.
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Währungswettberwerb: Hayek plädierte u.a. auch für einen freien Währungswettbewerb, in dem sich
sMn die "beste" Währung durchsetzen würde. Über die Sinnhaftigkeit dieses Vorschlags lässt sich sicher streiten, aber nicht über die Tatsache, dass die USA mit ihrem staatlichen
"Zwangsgeldsystem" (so Hayek wörtlich) diesbezüglich ganz weit weg sind von einer Freiheit der Wirtschaft.
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Atombomben: US-Amerikanische Firmen dürfen, vernünftigerweise, keine Atombomben
oder Blaupausen davon an den Iran verkaufen. Da springt der Staat dazwischen und verbietet derlei Exporte. Wo man (bspw. ein Regime mit Vernichtungsfantasien) aber keine Atombomben
kaufen kann, gibt es keinen freien Markt. Sagt das mal einer den iran- und staatsfeindlichen Typen von der Tea-Party Bewegung?
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Demokratie: Die politische Elite der VSA predigen ein System von "Freedom of Democracy",
implementierte aber vor langer Zeit ein Wahlsystem, das nicht de jure, aber zumindest de facto ein Zweiparteiensystem fordert. Der amerikanische
Wähler hat somit die "freie Wahl" zwischen zwei rechtskonservativen Parteien, die beide im Sinne der Wirtschaftselite agieren,
ein parteienpolitischer Pluralismus kommt nicht zustande und
ist auch nicht erwünscht.
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Kriege: Außerdem verstehen die
VSA Demokratie als ihre Erfindung und ihren Exportschlager, den jedes Land, auch wenn es das vielleicht noch gar nicht weiß, will und braucht. Sie sind, nach außen hin, der Meinung, dass ihre
westliche Form des gesellschaftlichen Miteinanders die allerbeste sei (die gegenteilige Auffassung wäre der Kulturrelativismus) und anderen Ländern, notfalls auch mit Kriegen, aufoktroyiert werden müsste.
Aber geht es den VSA dabei wirklich um Demokratie und Menschenrechte? Nein, wie offensichtlich wird, wenn man sich die Folgen der US-amerikanisch geführten Kriege anschaut: In keinem
Staat, in denen die VSA vorgeblich für Demokratie Krieg geführt haben, wurde diese letztendlich verwirklicht. Stattdessen hat man im Siegesfall immer willfährige Diktatoren (siehe
z.B. den Sturz Mossadeghs) oder
pro-amerikanische Terrorgruppen (al-Qaida im Afghanistankrieg gegen die Sowjets) statt einer Demokratie oder einen freien Markt installiert. Die Geostrategen und Think Tanks in den USA wissen aber sehr wohl, was sie
wie anrichten können und was nicht, blöd sind sie nicht. Wenn es ihnen um Demokratie in fremden Staaten ginge, könnten sie diese durchsetzen, oder ihre Chancen darauf von vornerein
realistischer einschätzen. Und sie könnten halb Afrika und Indien, und nicht nur die ölreichen und geostrategisch wichtigen Schlüsselstaaten, bombardieren … ... wenn es ihnen um Demokratie
gehen würde ... und diese tatsächlich so einfach herbeibombardiert werden könnte.
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Ach ja, und wer in den Vereinigten Staaten von Amerika ein
bestimmtes Volumen an Gütern absetzen will, der MUSS dort Produktionsstätten errichten. Auch das ist nicht mit dem oberflächlichen Anspruch auf Wirtschaftsfreiheit vereinbar.
Es ließen sich bestimmt noch viele weitere Punkte einbringen, in denen die Amerikaner dem eigenen Ideal der Wirtschaftsfreiheit eklatant
widersprechen. U.a. etwa, das restriktive Behindern des freien Handels von Gütern im Allgemeinen, sowohl intern als auch extern: Elektroautos, Pornos, unliebsame Informationen, Wählerstimmen, Alkohol, Tabak, Drogen, Falschgeld usw. usf. Der Handel mit diesen Waren ist mit in den USA reglementiert, subventioniert oder verboten, in einem wirklich freien Markt dürfte es derlei künstliche Beschränkungen oder
Markteingriffe aber natürlich nicht geben.
Damit man mich bei meinen Ausführungen nicht falsch versteht: Die VSA sind ein klassischer Nationalstaat und es ist nur folgerichtig, dass
er als ein solcher auch nationalstaatlich agiert und auf vielerlei Wege seine eigenen Interessen wahrt. Dies alles ist völlig legitim und normal. Der Unterschied zu allen anderen
Nationalstaaten besteht darin, dass die VSA vielerorts keinen Freihandel oder Kapitalismus zulassen, selbigen aber unermüdlich predigen.
Dieser Dissens zwischen eigenem Handeln und politischen Sonntagsreden erscheint auf den ersten Blick inkonsequent und widersprüchlich von den VSA. Bis man
begreift, dass auch das Lügen und Scheinen politische Handlung sind, die im Rahmen der Durchsetzung der eigenen, nationalstaatlichen Interessen, ihren Zweck finden und erfüllen.
Beispiel: Dem gemeinen Volk ließe sich nie kommunizieren, dass wir im
Westen Ressourcenkriege führen, um unsere Industrie mit Erdöl und Coltan zu füttern, Ressourcen, die wir
selbst nicht haben. Also sagt man ihnen, wir führen diese Kriege für Frieden und Demokratie. Dass in unseren Köpfen dabei
keine kognitive Dissonanz entsteht, wenn von Frieden durch Krieg die Rede ist, ist das Ergebnis
erfolgreicher Medienpropaganda und ist die
Realwerdung des orwellschen Neusprech: "Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei, Unwissenheit ist Stärke " (Siehe hierzu auch: Die Macht der Worte).
Was hat das alles mit
der Volkswagen-Affäre zu tun?:
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Es zeichnet sich im VW-Skandal dasselbe Verhaltensmuster ab, wie ich es zuvor beschrieben
habe: Nach außen hin propagieren die Amerikaner gleichen und freien Handel für alle,
insgeheim steht aber der eigene, wirtschaftliche Vorteil im Mittelpunkt.
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Das Bauen effizienter und kleiner Dieselmotoren haben die Amerikaner noch nie
so gut beherrscht, wie wir Deutschen. Deshalb war man in Amiland über Jahrzehnte versucht, die übermächtige Dieselkonkurrenz aus
Deutschland vom eigenen Markt fernzuhalten. Und für diesen Zweck erhob man überproportional hohe Einfuhrzölle und immer weiter
verschärfte Stickstoff-Grenzwerte für Dieselmotoren.
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Trotz all
dieser Widrigkeiten konnte der Volkswagenkonzern auf amerikanischem Boden und in jüngster Zeit immer mehr Fuß fassen. Jetzt
ist es schon ein bemerkenswerter Zufall, dass just an jenem Tag, an dem VW seinen lang erwarteten Passat vorstellen wollte, der mit GM und Ford in ihrem Heimatmarkt konkurrieren sollte, die
Abgastrickserei des VW-Konzerns publik gemacht wurde.
Von der amerikanischen
Seite wurden sogleich Stimmen nach horrenden Strafzahlungen laut, als der VW-Betrug aufflog. Auch die Reaktionen aus Deutschland - politisch, medial und gesellschaftlich - fielen sehr hart aus.
Insgesamt sind die Reaktionen auf den VW-Skandal unverhältnismäßig streng. Und ich sage bewusst nicht, die Reaktionen seien überzogen, denn wegen mir soll gerne jede Organisation, die ihre
Kunden belügt oder Profitinteresse vor Gesundheit, Klima und Recht setzt, so hart abgestraft werden, wie VW. Ich konstatiere etwas anderes: die jüngsten Reaktionen auf den VW-Skandal sind,
gemessen an dem, was andere Unternehmen für ihre Missetaten erfahren haben!, vollkommen überzogen:
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Nachdem General Motors jahrelang nicht-funktionierende Zündschlösser in seine Autos eingebaut
hatte, darüber Bescheid wusste und keine Rückrufaktion gestartet hatte(!), kam es zu über 100 Todesfällen, in direkter Folge auf die kaputten Zündschlössern. Man einigte sich damals auf eine
einmalige Strafzahlung von 900 Millionen Dollar. Und bei VW reden wir von über 80 Milliarden EURO wegen getürkten Abgaswerten? Ich sehe da keine
Verhältnismäßigkeit.
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Auch
Toyotamusste dieses Jahr erst zugeben, dass sie in rund 34 Millionen(!) Autos defekte Airbags
verbaut und damit mehrere Verkehrstote direkt zu verantworten haben. Wo waren diesbezüglich die Aufschreie dieses Jahr? Hat irgendjemand die japanische oder amerikanische Industrie in Frage
gestellt, weil ein Automobilhersteller sich daneben benommen hatte? Nein. Aber warum machen wir das mit Deutschland? Wir schneiden uns als Deutsche ins eigene Fleisch, wenn wir wegen den Verfehlungen eines
einzigen Unternehmens die gesamte Etikette „Made in Germany“ medial und öffentlichkeitswirksam in Frage stellen. Was haben bitteschön die deutschen Unternehmen Carl Zeiss Jena oder BASF mit den
Verfehlungen von VW zu tun?
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Noch
schlimmer und unangebrachter ist der Vergleich mit Deepwater
Horizon. BP hatte in Folge der DH-Causa eine ganze Küstenregion verseucht
und einen riesen Meeresabschnitt gemordet, das gleichzusetzen, mit einer Mogelsoftware bei Abgastests ist fast schon zynisch. (Übrigens: (1) VW hat die im Rahmen der Dieselgeschichte dieselbe Anwaltskanzlei angeheuert,
wie damals BP und (2) BP war mit läppischen 4,5 Milliarden davongekommen. Für VW wird die Strafe jedoch trotzdem höher ausfallen, schon allein wegen all den zivilen Sammelklagen, die auf das
Unternehmen zukommen.)
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Einige mögen nun argumentieren, der Vergleich mit BP sei schon angebracht,
weil ja auch im Laufe der Abgasaffäre Leute gestorben sind, beispielsweise an Lungenkrebs. Stimmt. Aber wenn es in Amerika
erlaubt ist, ein Kit in sein Auto einzubauen, das für möglichst viel klimaschädlichen Abgasrus am Auspuff sorgt und das Ganze noch ein regelrechter Volkssport unter den
republikanisch-"klimaskeptischen" Südstaatlern ist, dann ist es nur eine
schamlose Bigotterie, wenn diese Leute VW verklagen, weil sie über die Umwelt- und Gesundheitsverträglichkeit ihrer Autos nicht richtig aufgeklärt wurden.