Ein ebenfalls sehr häufig geäußertes Argument, welches genau untersucht werden muss, ist das Argument mit der unbekannten Natur Gottes (Gottes Wege sind unerforschlich). Ich selbst habe diese Argumentation als Gläubiger lange vertreten, und ihre Denkfehler sind sehr schwer zu durchschauen.
Das Argument geht so: Gott hat eine uns unbekannte Natur, weil er unendlich und vollkommen ist, was wir uns als Menschen nicht vorstellen können. Wir kennen von dieser Gottesnatur nur einen kleinen Teil, weil wir endlich und unvollkommen sind. Wir kennen nur genau soviel von Gott, wie unser menschlicher Verstand erfassen kann.
Sobald nun ein Argument kommt wie der Hinweis auf die Widersprüchlichkeit von Gottes Eigenschaften (wie etwa beim Theodizee-Problem) und dass widersprüchliche Dinge weder geglaubt werden können noch existieren können wird argumentiert, dass sich die Widersprüche im uns unbekannten Teil von Gott auflösen.
Die Frage ist natürlich: Woher will man das wissen? Wenn Teile von Gott unbekannt sind, dann können wir das nicht wissen, sondern nur annehmen - aber für diese Annahme gibt es weder Substanz noch Begründung. Genauso gut könnten sich die Widersprüche auch so verstärkt haben, dass sie bei der Entstehung des Universums Gott getötet haben. Man kann keine sinnvollen Argumente aus etwas Unbekanntem beziehen, sondern nur beliebige Argumente. Man hat im Unbekanntem wie im Alogischem keine Basis für sinnvolle Schlussfolgerungen. Es scheint dem Gläubigen aber anders, weil er auf diese Art und Weise zu genau den Schlussfolgerungen kommen kann, zu denen er kommen will, ohne dass dies so offensichtlich wäre. Darüber schleicht sich dann das Wunschdenken in die Schlüsse hinein, quasi durch die Hintertür am Bewusstsein der Menschen vorbei.
Der Trick besteht darin, dass man - weil man es mit etwas Unbekanntem zu tun hat - alle Alternativen ignoriert und nur das gelten lässt, was den eigenen (unbewussten) Wünschen entspricht. Aber aus Unbekanntem folgen beliebige Schlüsse und da man nicht begründen kann, wie man zu den Schlüssen kam, ist dies nur eine bequeme Ausrede dafür, es erst garnicht zu versuchen. Man kommt aber am Trilemma nicht vorbei, möchte aber verschleiern, dass man an bestimmten Stellen mit dem Begründen aufhört und dogmatisch verfährt. Das ist eine Taktik des Verschleierns und des Täuschens. Sie geschieht unbewusst (meistens), ist aber trotzdem unredlich, und die einzige Entschuldigung für dieses Manöver ist die Denkschwäche des so Denkenden. Es handelt sich um die altbekannte Strategie der Immunisierung gegen Kritik. Wenn etwas unbekannt ist, können wir es nämlich auch nicht kritisieren oder kritisch prüfen und hinterfragen. Argumente aus unbekannt infizieren dann das Denken und vergiften es.
Die Wissenschaft erklärt das Unbekannte aus dem bereits Bekannten und macht es uns auf diese Weise vertraut (bekannt). Das Bekannte "färbt auf das Unbekannte ab".
Die Theologie erklärt das Bekannte mit dem Unbekannten und damit wird auch das Bekannte uns unbekannt, fremd und unvertraut. Anders gesagt, die Theologie entfremdet uns von der Welt und bietet
uns im Gegenzug billigen Trost an - sie tröstet und "versöhnt" uns mit dem Unbekannten, welches sie selbst in die Welt eingeführt hat und für das es eigentlich keine Notwendigkeit mehr
gibt.
Als dem Menschen die Welt noch insgesamt unbekannt war, konnte häufig nur Unbekanntes mit Unbekanntem erklärt werden - dieses Verfahren hat sich daher in unserer
Kultur etabliert und scheint uns selbst oft angemessen zu sein, auch wenn es überholt ist.
Nehmen wir folgende Analogie: Wir haben zwei Fässer, eines mit klarem, goldenen Wein, und wir können durch den Wein bis zum Boden des Fasses sehen (wenn auch
manches ein wenig verzerrt ist). Und wir haben ein zweites Fass mit undurchsichtiger Jauche und der Boden des Fasses ist unsichtbar und unbekannt. Wir können nun im Jauchefass den Boden sichtbar
machen, in dem wir den durchsichtigen Wein hineinfüllen, bis er die Jauche verdrängt oder verdünnt hat - die Jauche wird klarer. Das ist die Methode der Wissenschaft. Wenn man sich viel Mühe
gibt, hat man irgendwann ein Fass voller Wein und die Jauche weit gehend ausgespült (auch wenn viele dies immer noch für ungenießbaren Wein halten).
Wenn wir hingegen in unser Weinfass nur ein wenig Jauche hineinkippen - dann haben wir sofort ein Fass voller Jauche, und der Wein wird undurchsichtig und ungenießbar. Das ist das Verfahren der Theologie. Man bekommt einfach keine Klarheit, wenn man unbekannte, unklare und nicht zu wissende "Erklärungen" in die Welt setzt.
Wir können uns nicht genug darüber wundern, dass die Theologen auf der einen Seite Teile von Gott für unerforschlich halten, auf der anderen Seite aber so eine Fülle genauer Aussagen über Gott produzieren. Gott ist der Schöpfer des Universums, es gibt nur einen Gott, Gott ist allmächtig, Gott ist allwissend, Gott ist omnipräsent, Gott ist allgütig, Gott lügt nie, Gott ändert seine Meinung nie, Gott ist unwandelbar, Gott offenbart sich (aber nie so eindeutig, dass es für jeden erkennbar wäre), Gott ist ein personales Wesen, Gott will geehrt werden, Gott will, dass wir seine Gebote halten, Gott kann uns persönlich im Gebet erscheinen, Gott erhört unsere Gebete, Gott kann die Naturgesetze beliebig brechen oder wandeln, Gott kümmert sich um uns, Gott liebt uns, Gott gab uns den freien Willen aus Liebe, Gott verspricht uns ewiges Leben, Gott spielt keine Spielchen mit uns, Gott hat einen Sohn, Gott besteht noch aus einem heiligen Geist, Gott hat die Bibel oder den Koran oder das Buch Mormon den Menschen diktiert, Gott ist eifersüchtig und will keinen Gott neben sich dulden, Gott will nicht bewiesen werden, sondern man muss an ihn glauben usw. usf. Wenn Teile von Gott uns unzugänglich sind, dann ist es auch der ganze Gott, denn, denn in diesem unbekannten Teil können sich die Dinge beliebig ändern. Alles ist möglich. Und wenn alles möglich ist, ist es von reinem Unsinn und reinem Chaos nicht zu unterscheiden. Diese Dinge sind uns fremd. Erstaunlicherweise hat Gott immer genau die Eigenschaften, die man gerade braucht, um irgendwelche Widersprüche im eigenen Denken "wegerklären" zu können (und daher kommen die vielen verschiedenen Eigenschaften, die Gott zugeschrieben werden - sie dienen alle dazu, Lücken im Weltbild mit einer beliebig dehnbaren "Knetmasse" zu füllen, so dass alles wieder glatt aussieht).
Man kann also sagen, dass auf diese Art und Weise die Theologie den Menschen von der Welt entfremdet (sie ihm fremd, unbekannt und
unerklärlich macht). Sie tut dies mit der ideologischen Methode der Immunisierung vor
Kritik.
Zu einer Vertiefung dieses Themas - warum Menschen dazu neigen, Unbekanntes mit Unbekanntem zu erklären - siehe auch Warum wir Unbekanntes mit Unbekanntem erklären.
Konfusius, er zitiert: "Gott ist die aufs Lächerlichste vermenschlichte Erfindung der ganzen Menschheit. In den Jahrmilliarden, die unsere Erde alt ist, sollte sich Gott erst vor 4000 Jahren den Juden und vor knapp 2000 Jahren den Christen offenbart haben, mit deutlicher Bevorzugung der weißen Rasse unter Vernachlässigung der Schwarzen, der Gelben und der Rothäute? Auf solche Märchen kann ich mühelos verzichten."
(Claire Goll, Dichterin)
Gastbeitrag von: Volker Dittmar