Ich hatte behauptet: Wenn man das Glaubenssystem nimmt, dann kann man logische Widersprüche nur verschieben oder vermehren. Diese Aussage lässt
sich beweisen (keine Angst, das wird hier kein mathematischer Beweis, obwohl das möglich wäre).
Es gibt verschiedene logische Systeme. Das Bekannteste ist das System der formalen Logik (dies wurde von den Scholastikern aus der griechischen Philosophie
von Aristoteles übernommen, um dem Glauben ein vernünftiges Fundament zu geben). Wenn wir dieses System hier benutzen, verlassen
wir den Boden der Theologie nicht! Andere logische Systeme haben sich nicht durchsetzen können und sind "untergegangen" (z. B. die dialektische Logik, Grundlage des Marxismus) oder sind
Abkömmlinge der formalen Logik (z. B. Fuzzy Logic, die als Abkömmling auch die hier angesprochenen Probleme teilt).
Vernunft und Logik werden oft als Synonym benutzt, was nicht ganz korrekt ist. Aber die Logik gehört sicher zu der Vernunft.
Formale Logik beschäftigt sich mit Aussagen (deswegen redet man auch oft von Aussagenlogik). Es war der Mathematiker Gödel, der bewies, dass formal logische Systeme, die mindestens so komplex sind, dass sie das natürliche Zahlensystem enthalten (ganze Zahlen), auch auf ein
reines Zahlensystem "reduziert" werden können. Daher kann man mit ausreichend komplexen formal logischen Systemen rechnen und kann daher Aussagen mit mathematischer Präzision beweisen (deswegen
funktionieren z. B. unsere Computer - sie können rechnen, also können sie auch logische Schlüsse ziehen). Deswegen kann ich auch behaupten, ich könne meine obige
Aussage beweisen.
Die formale Logik beschäftigt sich nur mit einem einzigen Thema: Wie kann man aus wahren Sätzen weitere wahre Sätze gewinnen? Dazu muss man noch wissen, dass sich
die Logik nicht mit der Wahrheit der Sätze selbst beschäftig! Sondern nur damit, wie man von gegebenen Sätzen auf weitere Sätze kommt, die genauso wahr sind wie die
Ausgangssätze (die man "Prämissen" nennt). Wenn die Prämissen wahr sind und man einen korrekten logischen Schluss zieht, genau dann ist auch der
logische Schluss wahr. Und umgekehrt: Sind eine oder mehrere der Prämissen falsch, dann sind vermutlich auch meine darauf basierenden Schlussfolgerungen falsch [1].
Es ist sehr wichtig, sich dies vor Augen zu halten. In der EDV bezeichnet man dies als MRMR-Phänomen (Müll rein
- Müll raus). Eine falsche Prämisse und gleichgültig, wie brillant meine Schlussfolgerungen auch sind - sie sind leider falsch.
Man sagt auch, Logik ist wahrheitsbewahrend. Man gewinnt mit der Logik kein neues Wissen - sondern generiert Aussagen, die eigentlich nicht neu sind,
aber genauso viel Wahrheit enthalten wie die Ausgangssätze. Oder die genauso falsch (unwahr) sind. Logik ist konservativ, nicht wahrheitserweiternd.
Die Logik ist deswegen so praktisch, weil eine logische Schlussfolgerung, die zu einem logischen Widerspruch führt, auf einen Fehler im System hindeutet. Man kann
auch sagen, dass das minimale Wahrheitskriterium eines Aussagensystems die interne Konsistenz ist. Findet man im System einen logischen Widerspruch, sind
entweder die Schlussfolgerungen falsch oder die Prämissen (oder beides). Dann kann das gesamte System nicht wahr sein. Es gibt noch
das externe Wahrheitskriterium, d. h. die Übereinstimmung mit den Tatsachen, welches ich hier zunächst nicht behandle.
Soweit die Voraussetzungen, nun zum Thema.
Angenommen, ich habe einen Satz (System) von Prämissen. Die Menge dieser Prämissen nenne ich P. P besteht also aus einer Reihe von Aussagen. Aus diesen Aussagen
kann ich neue Aussagen schlussfolgern, deren Güte von der Qualität der Aussagen von P unmittelbar abhängt. Die Menge der möglichen Schlussfolgerungen nenne ich
P'. Wenn P Aussagen enthält, die sich widersprechen, dann wird auch P' Widersprüche enthalten - denn Wahrheit wie Falschheit wird konserviert, also auch die
Widersprüche. Wenn ich mit falschen Zahlen anfange zu rechnen wird auch jede darauf basierende Rechnung falsch sein (wenn ich keinen Fehler mache - zwei Fehler können sich ausgleichen, das kann
vorkommen, aber wir gehen davon aus, dass beim Schlussfolgern keine Fehler gemacht werden).
Wir kommen jetzt zu der großen Täuschung, denen viele Menschen unterliegen. Denn angenommen, ich füge zu P oder P' weitere Sätze (Aussagen) aus dem System S
hinzu, dann wird P + S immer noch die Widersprüche aus P enthalten (eventuell kommen mit S auch noch weitere neue Widersprüche hinzu). Bestenfalls - wenn S selbst widerspruchsfrei ist - enthält P
+ S genauso viele Widersprüche wie P. Und auch P + S + P' enthält mindestens genauso viele Widersprüche wie P. Meist werden es aber eher mehr, wenn S weitere Widersprüche
enthält, und dann können auch Aussagen von P und Aussagen von S sich widersprechen - damit erhöht sich die Gesamtmenge der Widersprüche. Ich kann also aus S zu P hinzufügen, was
ich will, die Widersprüche in P (und im Gesamtsystem P + S + P') werde nicht weniger, sondern eher mehr. Mehr noch: P' wird mit ziemlicher Sicherheit mehr Widersprüche enthalten
als P (was sich auch beweisen lässt).
Diese Eigenschaft von logischen Systemen ist zwangsläufig und beweisbar. Wenn wir nun den Glauben als ein logisches System betrachten (und das
dürfen wir - denn auch die Gläubigen denken, dass der Glauben vernünftig ist), dann beginnt dieses System mit einigen Prämissen - z. B. der, dass Gott existiert, dass er allmächtig ist und
allgütig. Logisch können wir folgern, dass Allmacht auch Allwissen zur Folge hat etc. Nun stellen wir fest, dass Allmacht bereits in sich logisch widersprüchlich ist und zu Paradoxien führt
(Paradoxon: Gott soll einen Stein schaffen, der so schwer ist, dass er ihn nicht bewegen kann). Allmacht wiederum steht im Gegensatz (= logischen Widerspruch) zur Allgüte.
Wir starten mit einem Glaubenssystem G, welches bereits auf unterster Ebene logische Widersprüche enthält. Auch alle darauf basierenden Schlussfolgerungen
(wenn sie nicht falsch sind) G' enthalten die Widersprüche. Und nun versuchen die Theologen, durch weitere ad hoc Annahmen, also Aussagen aus dem System J
beispielsweise, die Widersprüche "wegzuerklären". Aber G + J + G' + J' enthält immer noch mindestens so viele Widersprüche wie G. Aber mit großer Sicherheit enthält G + J mehr
Widersprüche als G, und deswegen finden wir in G + J + G' + J' mehr Widersprüche als in G. Deswegen ist es inhaltlich vollkommen gleichgültig, welche ad
hoc Annahmen zusätzlich in G "geschleust" werden, wenn man korrekte logische Schlüsse zieht, werden die Widersprüche nicht weniger.
Anders gesagt: Gleichgültig, wie unsere Zusatzannahmen aussehen, ob wir die Theodizee mit
weiteren Zusatzannahmen wie "freien Willen" etc. versehen, die Widersprüche verschwinden nicht, sie werden eher mehr. Es spielt keine Rolle, wie gut die Zusatzannahme klingt oder wie gut sie sich
einpasst - die Situation verschlechtert sich eher, als dass sie sich verbessert. Und deswegen brauchen wir uns auch nicht zu wundern, dass bei der Theodizee immer
mehr und mehr Widersprüche auftauchen. Man kann Widersprüche nicht "wegerklären". Das ist ein Denkfehler. Ein schwerer Denkfehler.
Nun zu dem Argument, man könne durch Fehler in den Schlussfolgerungen die Widersprüche wegerklären. Wenn P Widersprüche enthält, und bei der Erzeugung von P'
mache ich Fehler, dann kann (unter günstigen Umständen) P'weniger Widersprüche als P enthalten. Aber P + P' enthalten immer noch mindestens so viele
Widersprüche wie P und die Anzahl der Fehler im System hat sich erhöht, d. h., P + P' enthalten mehr unwahre Sätze als P. Damit sinkt auch der Wahrheitsgehalt des
Gesamtsystems.
Wir können uns also die Arbeit ersparen, auf jedes Argument einzugehen, welches zur Theodizee geäußert
wird. Wenn das Argument falsch ist, vermindert es den Wahrheitsgehalt, wenn es richtig ist, konserviert es die Fehler und Widersprüche, wenn es sich um eine Zusatzannahme handelt, dann werden die
Widersprüche und Fehler eher zunehmen.
Warum unternehmen nun so viele Menschen (vergebliche) Anstrengungen, die Widersprüche "wegzuerklären", obwohl es doch nicht funktionieren kann? Weil
die Fehler in einem größeren Denksystem schwerer zu finden sind. Sie fallen in dem Wust der Aussagen nicht so auf. Wenn P aus 10 Aussagen besteht, von denen zwei im Widerspruch stehen, dann wird
dies sofort auffallen (20% der Aussagen stehen erkennbar im Widerspruch). Wenn wir nun zu P noch 990 Aussagen hinzufügen, alles perfekt und richtig machen, keine weiteren Fehler oder Widersprüche
mit hinzufügen, dann sinkt die relative Fehlerzahl auf 0,2%! Denn es sind jetzt "nur noch" 2 von 1000 Aussagen miteinander im Widerspruch. 10 Aussagen kann ich bequem im Kopf
vergleichen, bei 1000 Aussagen geht es nicht, d. h., es sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass ich die beiden Fehler überhaupt finde! Selbst wenn ich noch 18 weitere Fehler mit
einschleuse, dann ist die relative Fehlerzahl immer noch bei "nur" 2%, d. h., es scheinen weniger Fehler im System zu sein. Absolut sind es mehr, aber relativ sind es weniger. Und mit jedem
gefundenen Fehler werden neue "Wegerklärungen" hinzuerfunden, und jedesmal sinkt die relative Fehlerquote. Und jeder Fehler wird besser versteckt. Wir haben es also mit einem rein
psychologischen Effekt zu tun. Absolut gesehen bleibt das System falsch (wir reden hier nur über Widersprüche - die Anzahl der falschen Sätze nimmt mit jeder Ableitung
zu, die auf falschen Prämissen basiert).
Deswegen werden im Laufe der Zeit Glaubenssysteme auch immer komplexer. Und deswegen ist ein "altes"
Glaubenssystem scheinbar auch "besser" als ein Neues - es enthält relativ gesehen weniger Fehler und es stehen mehr Leute bereit, die hilfreich alle auftretenden Fehler
"wegerklären" (d. h. noch besser verstecken). Aber es bleibt falsch und wird im Laufe der Zeit "immer falscher" (= die Anzahl der Fehler mehren sich, auch die Widersprüche).
Die "Glaubensgewissheit" kommt also daraus, dass - gemessen an der Gesamtmenge - doch recht wenige Fehler insgesamt enthalten sind. Und man kann sich
selbst jeden Fehler damit erklären, dass man eben nicht alles über das System weiß oder wissen kann, und dass es eben dafür eine perfekte Erklärung gibt, die man nur "gerade eben" nicht zur Hand
hat.
Glaubensgewissheit ist eine (psycho)logische Täuschung.
Wir können hier noch einen Unterschied zwischen Religion und Wissenschaft sehen: Auch in der Wissenschaft gibt es falsche Prämissen, logische Fehler, Irrtümer etc. Aber wenn eine
Prämisse sich als falsch erweist oder wenn logische Widersprüche auftauchen, dann versucht man nicht, diese "wegzuerklären". Man eliminiert die falschen Prämissen und ersetzt die falschen
Schlussfolgerungen. Fehler sind dazu da, zu lernen und sie auszumerzen. Religion kann die vorhandenen Fehler bestenfalls konservieren. Wissenschaft
ist fehlerkorrigierend durch den Prozess der Ausmerzung, Religion ist fehlerkonservierend durch den Prozess des "Weginterpretierens". Wissenschaft erfindet sich
immer wieder neu, (christliche) Religion schleppt die Fehler vergangener Zeit mit und fügt meist neue Fehler hinzu. Wissenschaft ist wissenserweiternd bei relativ konstanter
Gesamtfehlerrate, Religion ist wissensbewahrend bei steigender Fehlerrate.
Übrigens: Sobald wir externe Tatsachen auch als Prämissen zulassen, steigt die Anzahl der möglichen Widersprüche im System nochmals an. Deswegen der starke Hang,
auch Tatsachen "wegzuerklären". Aber wie wir jetzt wissen, nehmen damit die Probleme zu und nicht ab, vollkommen unabhängig davon, für wie überzeugend wir die Erklärung halten.
Konfusius, er zitiert: "Getretener Quark wird breit, nicht stark" (Johann Wolfgang von Goethe)
Anmerkungen:
Folgender
Einwand wurde dagegen vorgebracht (von János Brender):
(P1) Alle natürlichen Zahlen sind gerade.
(P2) 2 ist eine natürliche Zahl.
(S) 2 ist gerade.
Nun ist (P1) sicher eine falsche Prämisse, aber der Schluss ist wahr.
Funktioniert hier die Logik nicht? Doch. Ich kann aus falschen Prämissen wahre Schlussfolgerungen ziehen. Aber die Aussage war eine andere - wenn alle Prämissen wahr sind, dann
ist auch der Schluss wahr. Ist mindestens eine der Prämissen falsch, dann kann ich per Zufall doch zu einer wahren Schlussfolgerung gelangen. Ich muss, um mich abzusichern,
mehrere mögliche Fälle untersuchen. Anders gesagt, bei falschen Prämissen kann ich nicht mehr sagen, dass meine Schlussfolgerung richtig ist oder falsch.
Man kann das an einem Beispiel verdeutlichen: Wenn ich mich verrechne, dann kann das Ergebnis falsch sein oder auch nicht, denn ich kann ja auch einen zweiten Fehler gemacht haben,
der den ersten Fehler aufhebt. Auch hier gilt, dass man bei einer falschen Schlussfolgerung leicht auf falsche Prämissen schließen kann, bei einer richtigen Schlussfolgerung aber nicht unbedingt
auf die Richtigkeit der Prämissen zurückschließen kann. Oder anders gesagt, auch bei der Logik ist eine Falsifikation stets zuverlässiger als
eine Verifikation.
Gastbeitrag von: Volker Dittmar
stephajrn (Mittwoch, 13 April 2016 21:28)
Deine Ausführungen sind klar und nachvollziehbar, alleine einige Begriffe und Annahmen gehen mir nicht auf. Um es kurz zu machen:
1) Mich würde interessieren, was der Rest der Vernunft ist, der sich in diesem Satz ausdrückt:
"Vernunft und Logik werden oft als Synonym benutzt, was nicht ganz korrekt ist. Aber die Logik gehört sicher zu der Vernunft."
1.1) Wie ist gerechtfertigt, dass Du dieser Gleichsetzung in Deinen komplexitätseliminierten bzw. -eliminierenden Argumentationen folgst?
1.2) Wenn es sich hierbei um die Positionierung auf der gleichen Grundlage wie die der Scholastiker handelt, nämlich dass der Glaube vernünftig sei, wäre dann nicht auch ihr Vernunftbegriff zu erfragen?
2) Was heißt: eine "rein psychologische Täuschung"? Genauer: was bedeutet hier psychologisch? Ist es nicht einfach - eine Täuschung?
Ich freue mich auf ein paar erhellende Zeilen!