Gewöhnliche Menschen sehen in der Zahl Pi eine Drei mit unendlich vielen Nachkommastellen. Manager unterscheiden dann noch zwischen roten und schwarzen Zahlen. Für Synästhetiker jedoch haben Zahlen Geschmack, Farbe, Klang, Temperatur und ähnliches. So hält beispielsweise Daniel Tammet mit dem Aufsagen der ersten 22.514 Nachkommastellen der Zahl Pi binnen fünf Stunden den Weltrekord. Dafür brauchte er nur drei Monate Vorbereitungszeit. Tammet lernte aber auch nicht mit Memotechniken, Assoziationen und Eselsbrücken, wie vielleicht ich und du an diese Herausforderung herangegangen wären. Daniel Tammet ist Synästhetiker. Er teilte die Nachkommastellen in rund 225 Hunderterblöcke ein, wobei jeder Block einer Landschaft entspricht. Beim Vortragen auf der Benefizveranstaltung visualisierten sich dann die Zahlenreihen vor seinem geistigen Auge und dann durchlief er einfach die Landschaften.
Synästhesie allgemein ist die außergewöhnliche Korrelation mehrerer psychischer Bereiche untereinander. Sie kann aus Krankheiten, Drogen, Unfälle, aber auch genetische Komponenten und sogar intensives Lernen hervorgehen.
Synästhesie ist also nicht nur die Verbindung von Zahlen mit Sinneswahrnehmungen. Es können auch andere Zusammenhänge, etwa zwischen Farben und Tonarten oder Wörtern und Formen, gezogen werden. Ein bekanntes Beispiel für Letzteres, einen mentalen Zusammenhang zwischen optischen und akustischen Reizen, ist der Bouba/Kiki-Effekt: Die meisten Menschen ordnen dem Kunstwort „Bouba“ eher eine rundliche, und dem Kunstwort „Kiki“ eine spitze Form zu. Dieses Phänomen lässt sich interkulturell beobachten, tritt also unabhängig der Kultur, Sprache oder des Bildungsstandards der Menschen auf.
Auch„Oben“ ist für uns alle ein Sinnbild für „mehr“ oder „besser“, unten hingegen steht für „weniger“ oder „schlechter.“ Ein wenig Synästhesie steckt also in jedem von uns. Daher ist es auch gesamtkollektiv verständlich, wenn Literaten Metaphern wie „Jemandes Herzen brechen“ anbringen. Ich vermute die Übereinstimmungen sind zu großen Teilen auf die gemeinsame Neuroevolution zurückzuführen. Im Dunklen zu wandern war oft gefährlich und zur Wärme bedurfte es mindestens der Zweisamkeit, weswegen wir uns unter „beklemmender Nacht“ etwas vorstellen können und Kälte oft mit Einsamkeit assoziieren. Wir streben auch seit je her höher hinaus und aufgrund begrenzter Ressourcen geht weniger sehr schnell mit einem Mangel einher. Dies würde auch die Entdeckungen des Sprachwissenschaftlers Georg Lakoff erklären, dass Metaphern gewissen Strukturen folgen und in einer wechselseitigen Beziehung zum Denken stehen.
Wenn ich ihnen das Wort „Schlupa“ vorlege, würden Sie dieses vermutlich einer eher negativen Bedeutung zuordnen. Tatsächlich sind die meisten Nomen, die mit Sch- beginnen abwertender Natur: Schlamm, Schlabber, Schlampe, Schleim usw. Auch dies liegt vermutlich in den uns einenden Ursprüngen begründet. Seit jeher ahmt man Schallereignisse nach (Omnatopoesie, Lautmalerei). So zum Beispiel das Zischen einer Schlange mit den Konsonanten Sch-, weshalb diese negativ konnotiert sind. Meiner Einschätzung nach liegt hier auch ein wesentlicher Schlüsselpunkt zur Erklärung der Entstehung der menschlichen Sprache. So könnten unsere Vorfahren nach der hinreichenden Entwicklung des Kehlkopfes Laute imitiert (oder besser: nachgeäfft) haben, die sie an Objekte erinnerten um verbal auf diese Bezug zu nehmen.
Expo MRT Station: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Cg1_expo_exterior.jpg
Bouba/Kiki: http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Booba-Kiki.svg