Glaube und Indoktrination: zwei Seiten einer Medaille
Archaische Denkweisen sind auch heute noch weit verbreitet, denn sie haben einen enormen Vorteil: sie bieten eine sichere Basis (solange man die Basis nicht infrage stellt, aber selbst wenn man
das tut, so landet man in einem Zirkel, in dem sich alles wunderbar gegenseitig bestätigt). "Herr A ist ein zuverlässiger Zeuge, soviel ist sicher. Warum ist das sicher? Weil Frau B es bezeugt.
Und wie tadellos Frau B ist, wissen wir, weil Herr A uns dies selbst bestätigt hat". Häufig wird dies durch mehrere Zwischenstationen so verwirrend gestaltet, dass der Zirkel selbst für
intelligente Menschen kaum zu durchschauen ist.
Vier weitere Methoden werden eingesetzt, um diese Begründungen (des Glaubens) wahr erscheinen zu lassen:
Indoktrination in frühester Kindheit ist sehr wirkungsvoll, weil wir in der Jugend die Denkmuster lernen, die wir später benutzen (und dies erklärt auch, warum Menschen meist bei der Religion
ihrer Jugend bleiben - Wechsel kommen relativ selten vor und geschehen kaum spontan sondern brauchen eine lange Vorbereitung). Religion wird meist von den Eltern "geerbt" (im
Sinne der Weitergabe von kulturellen Traditionen, nicht im genetischen Sinne).
Zum Autoritätseffekt muss man kaum etwas sagen. Wir nehmen eher etwas an von Personen, die uns etwas bedeuten. Autoritäten geben uns Sicherheit und Geborgenheit
und in den ersten Lebensjahren sind wir auf die Existenz von Autoritäten angewiesen, um überhaupt überleben zu können. Diesen Respekt vor Autoritäten werden Menschen kaum wieder
los.
Lernen geschieht fast ausschließlich durch die Wiederholung von Assoziationen. Jeder Mensch hat diese Erfahrung machen müssen. Nur durch ständiges Repetieren
sitzt das Wissen des Prüflings. Wenn das Lernen dann noch in der Gruppe stattfindet und ritualisiert wird, dann schleifen sich die notwendigen Denkstrukturen schnell ein. Wer eine Messe in der
Kirche mitgemacht hat, der erfährt folgendes: durch das Singen steigt (besonders bei ungeübten Sängern) der Kohlendioxidgehalt des Blutes an, die Denkfähigkeit lässt nach, und die Rituale üben
eine fast hypnotische Wirkung aus.
Dazu kommt dann auch noch der Gruppeneffekt: je mehr Menschen eine Überzeugung haben, um so eher nehmen wir an, dass das Gesagte wahr ist. Dabei spielt nicht so
sehr die absolute Zahl eine Rolle, sondern die relative Nähe der beteiligten Gruppenmitglieder.
Eine wichtige Rolle spielt auch der vierte Punkt: die Sanktionen gegen vorbildliche und abtrünnige Mitglieder. Daher hat fast jede der großen Religionen (mit
Ausnahme des Buddhismus, dort geschieht dies eher indirekt) einen umfassenden Strafkatalog für Abweichler (bis hin zur Todesstrafe). Ungläubige werden im Christentum und Islam mit ewigen
Höllenqualen bedroht - ein Schicksal, schlimmer als der Tod. Gläubige dagegen erwartet das Paradies. Durch die Indoktrination wird sichergestellt, dass niemand einen Beweis für diese Bestrafung
oder die Belohnung verlangt (außer vielleicht einige mutige Kritiker).
Diese Effekte potenzieren sich gegenseitig und wenn sie noch in die allgemeinen kulturellen Normen integriert werden, dann ist die Wirkung verheerender als eine
mehrmonatige Gehirnwäsche. Dazu kommt, dass diese Prozesse der Indoktrination über mehrere Jahrtausende hinweg perfektioniert worden sind, in der Art einer kulturellen Auslese: Kulte, die nicht
perfekt waren, sind untergegangen oder wurden assimiliert, später teilweise durch die Sieger sogar vernichtet, meist durch die Ermordung der Autoritätsfiguren des Kultes, manchmal auch durch die
Ermordung fast aller Mitglieder. Dazu kommt noch die Missionierung, die im Christentum besonders gewalttätige Formen angenommen hat (selbst in der jüngeren Geschichte).
Eine weitere Wirkung wird durch den hohen Erklärungswert der Glaubensvorstellungen erzielt. Menschen sind in hohem Maße darauf "konditioniert", Muster zu
erkennen. Es ist praktisch kaum möglich, ein sinnloses Punktmuster z. B. durch Verspritzen von Tinte zu erzeugen, ohne dass wir Gestalten und Figuren darin erkennen. Auch in Wolkenformationen
erkennen wir sofort Vertrautes.
Da die Beschreibung der Welt stets unvollständig ist, werden die fehlenden Teile durch Musterergänzung komplettiert. Offensichtlich ist eine falsche Theorie, die
die Welt komplett erklären kann, einer unvollständigen, aber korrekten Theorie immer überlegen (was die Annahme durch die Menschen angeht).
Hier leisten die großen Religionen Erstaunliches: Sie liefern eine fast komplette Erklärung für die Welt und vermitteln so Sinn, Sicherheit und Geborgenheit.
Deswegen "dürfen" die Glaubensvorstellungen auch nicht angegriffen werden, denn sonst könnten zu viele Leute aus dem Kontrollraster fallen.
Und noch ein wichtiger Punkt spricht für die Glaubensvorstellungen: Sie sind so einfach gehalten, dass keine besondere intellektuelle Anstrengung nötig ist, sie
zu begreifen. Wer aber geistige Herausforderungen nicht scheut, der findet auch dort genug Material für Fortgeschrittene.
Wichtig ist auch noch zu erwähnen, dass Religionen kaum Vorhersagen über die Welt machen, die so eindeutig sind, dass ein Nichteintreffen etwa als eine
Widerlegung gedeutet werden kann. Vorhersagen werden entweder keine gemacht, oder diese sind nicht explizit sondern werden durch spätere Deutung in die Texte hineininterpretiert, oder sie werden
so Vage gehalten, dass eine Fülle von wahrscheinlichen Ereignissen zur "Bestätigung" der Vorhersage dienen kann. Dies übertrifft aber selten die Güteklasse billiger
Jahrmarktsgaukler.
Wenn man z. B. die mehrfach geäußerte Prophezeiung nimmt, mit der Jesus das baldige Ende der Welt verkündet, so wird entweder die Übersetzung angezweifelt, oder
der Text "darf nicht so wörtlich interpretiert werden" etc. Ausreden lassen sich genug erfinden.
Konfusius, er zitiert: "Es steht niemandem frei, Christ zu werden: Man wird zum Christen nicht "bekehrt", man muss krank genug dazu sein ..." (Friedrich Nietzsche)
Wie man Ideen und Vorstellungen auf andere Menschen überträgt
Wir sehen oben das Dreieck der Überzeugung, welches aus drei Eckpunkten besteht: Dialog, Indoktrination und Gewalt. Dies soll andeuten, dass es zwischen
diesen Punkten fließende Übergänge gibt und keine scharfe Abgrenzung. Folter beispielsweise ist die Anwendung von Gewalt zur Indoktrination. Bestrafung ist auch eine Form der Gewaltanwendung zur
Indoktrination. Erziehung ist - je nach der angewandten Methode - eine Mischung aus Belohnung, Bestrafung, Indoktrination und Dialog und siedelt sich mehr im rechten unteren Teil an. Krieg
(sozusagen ein pervertierter und gewaltsamer Dialog) finden wir ganz links unten. Erziehung ohne Strafe befindet sich an dem rechten Rand des Dreiecks. Die Entfernung vom unteren Rand spiegelt u.
a. auch das Alter des zu Erziehenden wieder. Drohungen befinden sich mehr auf der linken Seite des Dreiecks wieder.
Wir können die meisten Dispute, Dialoge, Streits, Auseinandersetzungen - kurz alle Formen der offenen Kommunikation irgendwo auf diesem Dreieck wiederfinden, wenn
diese gewisse Grundvoraussetzungen erfüllen. Nicht zu lokalisieren sind dort alogische Kommunikation, innerer Dialog, Visionen, Wahnzustände, Rauschzustände, verschlüsselte Kommunikation
etc.
Nun finde ich es wünschenswert, wenn Auseinandersetzungen sich möglichst weit vom unteren Rand entfernen. Dazu gibt es aber ein paar
Voraussetzungen:
Nur unter diesen Voraussetzungen kann es überhaupt einen fruchtbaren Dialog geben. Während der erste Punkt meist noch leidlich erfüllt wird, und man den zweiten Punkt meistens in den Griff
bekommt, hapert es bei Diskussionen mit Gläubigen meistens mit der Anerkennung der Logik und der Begründung.
Wir hatten an anderer Stelle bereits
gesehen, dass eine Begründung stets in einem logischen Zirkel oder im Dogmatismus landet (ein unendlicher Regress ist
aus praktischen Gründen nicht durchführbar, Dogmatismus ist nichts anderes als das willkürliche Abbrechen eines unendlichen Regresses). Somit
gibt es keine letztendliche Begründung.
Um dieser Tatsache nicht ins Auge sehen zu müssen, benutzen Gläubige in den Diskussionen meist eine zirkuläre Logik oder der Rückzug auf einen
Supernaturalismus (d. h.alogische Argumente) als Ausweichreaktion.
Supernaturalismus ("Es ist so, weil Gott es so wollte") ist eine Methode, mit der man alles
begründen kann, damit zugleich aber eben nichts, d. h. eine tautologische, sinnfreie Form, eine Pseudo-Begründung. Eine Theorie, die alles begründen kann, ist
vollkommen wertlos, und ihre einzige Begründung ist dogmatischer Natur.
Wenn man länger mit Gläubigen (vor allem mit Fundamentalisten) diskutiert, wird man irgendwann auf zirkuläre Logik oder einen
Rückzug auf den Supernaturalismus stoßen (oder auf beides). Wenn man beides nicht auflösen kann, ist ein weiterer Dialog sinnlos.
Das gilt natürlich auch dann, wenn man selbst in zirkuläre Logik oder Dogmatismus ausweicht - so viel Selbstkritik muss
sein.
Konfusius, er sagt: "Wer behauptet, er suche die Wahrheit, aber nur findet, was er immer schon wusste, der hat sich selbst betrogen: Er hat nie gesucht."
WissensWert (Freitag, 15 April 2016 20:40)
"If religion were true, its followers would not try to bludgeon their young into an artificial conformity; but would merely insist on their unbending quest for truth, irrespective of artificial backgrounds or practical consequences."
- H. P. Lovecraft