„In einer Welt, die überflutet wird von belanglosen Informationen, ist Klarheit Macht.“ 

- Yuval Noah Harari

Weshalb die Intelligent-Design-Theorie nicht wissenschaftlich überzeugen kann

Evolutionsgegner (Kreationisten im weitesten Sinne) führen den Ursprung der Arten meist auf den Eingriff übernatürlicher Wesen zurück und vertreten ihre Schöpfungstheorien als wissenschaftliche Alternativen zur naturalistischen Evolutionstheorie. Neben dem klassischen Kreationismus, dessen Programm sich streng am Bibeltext orientiert, existiert auch eine subtilere Form des Kreationismus, die sogenannte Intelligent Design-Theorie (ID-Theorie). Ihre Botschaft lautet schlicht, daß ein übernatürlicher Planer - ein "intelligenter Designer" - das Leben auf der Erde erschaffen und in den Strukturen der Organismen seine Spuren hinterlassen habe. Diese gelte es mithilfe geeigneter Kriterien zu finden, um das Wirken des Designers evident zu machen. Wie wird nun die ID-Theorie begründet, und weshalb ist sie in den Augen der Wissenschaft kein brauchbares (sprich wissenschaftliches) Konzept? Da der Evolutionsgegner Reinhard Junker hierzulande den bislang geschicktesten Versuch unternommen hat, ID zu begründen, wollen wir zur Beantwortung dieser Fragen vornehmlich auf seinen Text (Junker 2004) zurückgreifen. Eine umfassendere Analyse, die u.a. auch kosmologische Design-Argumente einbezieht, findet sich in Neukamm (2004 b).

Der Analogieschluß: Wie wird ID begründet?

Hinter dem Design-Argument verbirgt sich ein vermeintlich an der Erfahrung orientierter Analogieschluß, wonach im Hinblick auf Zweck und Plan technischer Konstrukte (Artefakte) auf eine ebenso planmäßige Konstruktion von Lebewesen geschlossen wird. Um die Analogie zu veranschaulichen, werden anhand illustrativer Beispiele die vergleichbaren Eigenschaften von Artefakten und Lebewesen herausgearbeitet und als Hinweise für eine intelligente Planung interpretiert. Meist wird dabei auf die vernetzte Komplexität und Zweckhaftigkeit (funktionale Ordnung) bezug genommen. Um mit Junker zu sprechen: Als "Hinweise (‚Signale') für ID gelten vor allem synorganisierte Strukturen mit verschachtelten Wechselbeziehungen zwischen ihren Bestandteilen" (a.a.O., S. 2), deren naturgesetzliche Entstehung man nicht oder noch nicht (detailliert) erklären kann. Man denke z.B. an eine Maschine, deren Funktion es erfordert, daß ihre Komponenten so paßgenau aufeinander abgestimmt sind, wie die Zahnräder in einem Uhrwerk. Niemand könnte die Entstehung einer solchen Maschine ohne Rückgriff auf intelligente Ursachen erklären, und niemand würde auch nur einen Gedanken daran verschwenden, es zu versuchen. Wenn also bereits "einfache Gebilde wie technische Geräte einen Urheber erfordern", weshalb dann nicht "erst recht viel kompliziertere Gebilde wie Lebewesen" (Junker a.a.O., S. 9)? Muß der Naturalismus unter dieser Voraussetzung nicht förmlich zu einem dogmatischen Naturalismus werden, der "auf einem Auge blind" und "de facto nicht offen dafür" sei, "daß es in der Natur ID geben könnte" (Junker a.a.O., S. 8)?

Der schiefe Vergleich: außerweltliches und weltimmanentes Design

Wer sich einer solchen Argumentation bedient, übersieht zunächst einmal, daß der Naturalismus der Wissenschaft keineswegs für intelligentes, sondern nur für übernatürliches Design "blind" ist. Niemand bestreitet, daß es Objekte gibt, die "gemacht" wurden oder daß es Kriterien gibt, anhand deren wir Artefakte erkennen. Der Vergleich einer "übernatürlichen Schöpfung" mit einem "intelligenten Design", wie ihn die ID-Theorie naturgemäß anstellt, ist insofern eine schiefe Angelegenheit, als das letztgenannte Prinzip ein weltimmanentes und daher prüfbares ist, ersteres dagegen nicht. Anders ausgedrückt: Planvolles Handeln berührt den Naturalismus gar nicht, denn alle Dinge, die wir kennen, unterliegen strikt den naturgesetzlichen Zwängen dieser Welt. Die Erfahrung zeigt, daß auch intelligente Planer sterbliche, beschränkte und unvollkommene Wesen sind. Sie können weder Naturgesetze erschaffen, noch diese überwinden, sondern nur aufmaterialistischer Grundlage wirken. Da sie sich an weltimmanente Gesetze halten müssen, sind auch ihre Handlungsmuster nicht beliebig, so daß wir anhand dieser Muster etwas über ihre Eigenschaften und Wirkmechanismen in Erfahrung bringen können. Schließlich sind alle Dinge, die Planer je hervorgebracht haben, tote Dinge, und die Erfahrung zeigt, daß wir als Planer der Mutation und Selektion unterworfen sowie durch Selbstorganisation (reproduktiv) anstatt durch Planung entstanden sind. (Ansonsten müßte jeder "intelligente" Planer durch einen "noch intelligenteren" Planer erschaffen worden sein - eine These, die in einen unendlichen Regreß führt, der nur mithilfe der Evolutionstheorie vermieden werden kann.) Selbst dann also, wenn Lebewesen "Signale" enthielten, die auf eine intelligente Planung hindeuteten (wie wir noch sehen werden, ist dies nicht der Fall), wären sie zur Begründung einer außerweltlichen Wirkursache völlig unbrauchbar. (1)

 

Da nun die Intelligent Design-Theorie Phänomene "erklären" will, die man bislang noch (!) nichtvollständig erklärt hat und dazu ein transnaturales Design-Prinzip annimmt, muß sie folglich in einem enormen Kraftakt alle erwähnten Prinzipien und ihre Evidenzen umstoßen, den unendlichen Regreß ohne konsistente Erklärung bei einem bestimmten Planer abbrechen (Mahner 2003) und ihm Qualitäten zuschreiben, die nicht nur aller Erfahrung gegen den Strich gekämmt, sondern schlichtweg nicht überprüfbar sind: Es gibt (mindestens) einen Planer, der weder erschaffen wurde,noch evolvierte. Folglich war er schon immer da; er ist einzigartig, unendlich und in nichts mit Dingen vergleichbar, die wir kennen. Da er im Jenseits residiert, muß er sich auch nicht an weltimmanente Gesetze halten, so daß er und seine Wirkmechanismen unerforschlich sind. Er ist für unsere Begriffe auch allwissend und allmächtig, denn er soll ja nicht nur die Naturgesetze, sondern auch die komplexesten Systeme perfekt geplant und sie ex nihilo (nun wieder unter Umgehung der Naturgesetze) konstruiert haben usw. Obwohl ID über die Natur des Designers keine Aussagen macht, müssen solche unprüfbaren Glaubensannahmen stillschweigend zu den Design-Analogien hinzugezogen werden, damit sie überhaupt sinnvoll erscheinen. Damit aber setzt es, wie Mahner (2003) betont, genau das voraus, was empirisch begründet werden soll, so daß das Design-Argument in einem scheinwissenschaftlichen Begründungszirkel endet.

Das Problem der Design-Analogien

Wie gezeigt, ist es also "ein Widerspruch in sich", außerweltliche Ursachen mithilfe von Beispielen zu begründen, die weltimmanenten Gesetzen unterstehen. (Junker a.a.O., S. 2 hat die richtige Antwort bereits vorformuliert, sie aber nicht konsequent zuende gedacht.) Obwohl somit von dem Design-Argument in der üblichen (theologisch motivierten) Form nichts übrig bleibt, könnte es sich aber immer noch um ein brauchbares Konzept zum Nachweis "planmäßig" (wenn auch "nur" innerweltlich, d.h. auf der Grundlage des Materialismus) arrangierter Strukturen handeln. Sind mit anderen Worten wenigstens die Design-Analogien zielführend? Bei näherer Betrachtung erweist sich auch diese Hoffnung als Illusion. Zwar wird im Falle komplexer, technischer Gegenstände jeder die Notwendigkeit einer vorherigen Planung einsehen. Diese Einsicht hat jedoch mit der Tatsache zu tun, daß eine Selbstorganisation solcher Dinge von vorne herein (sprich aus physicochemischen Gründen) unmöglich ist. Die Bausteine von Artefakten, wie Computern, Uhren und dergleichen können weder unter "Ursuppen-Bedingungen" entstehen, noch besitzen sie elementare katalytische Eigenschaften, die es ihnen ermöglichen könnten, sich zu einem evolutionsfähigen Autoreplikationssystem zu organisieren. Artefakte können sich weder fortpflanzen noch infolge von Mutation und natürlicher Auslese evolvieren, während Organismen und viele Biomoleküle die genannten und für eine Evolution notwendigen Eigenschaften besitzen. Da also die für den Vergleich relevanten Eigenschaften von Lebewesen und Artefakten grundverschieden sind, sind auch die Analogien wertlos.

 

Nun könnte man einwenden, daß eine zur Selbstreplikation fähige Maschine erst Recht als planerischer Geniestreich betrachtet würde (Junker a.a.O., S. 4). Hier wird nur übersehen, daß ein derartiges Konstrukt niemals eine natürliche (Keimes-)Entwicklung durchlaufen würde - man könnte die Maschine bestenfalls mit der Fähigkeit ausstatten, eine neue Maschine zu konstruieren. Gerade die charakteristischen Eigenschaften lebender Systeme, wie die Fähigkeit zur zellulärenSelbstorganisation, Mutabilität und Vererbung in Kombination mit natürlicher Auslese usw. lassen sich nicht mit dem Zusammensetzen einer Uhr oder eines Automobils vergleichen und unter den geltenden Naturgesetzen mit nochsoviel Intelligenz keiner Maschine "einhauchen". Wer eine Planung eben dieser Eigenschaften annehmen möchte, kann folglich seine Überzeugung nicht mithilfe wissenschaftlicher Methoden absichern. Er muß gegen das empirische Wissen argumentieren, daß im anorganisch-technischen Bereich eine Planung derartiger Eigenschaften prinzipiell unmöglich ist, während umgekehrt sowohl die individuelle als auch die genealogische Entwicklung der Lebewesen auf natürliche Weise und ohne erkennbaren planerischen Eingriff vonstatten geht.

 

Dieses Wissen um die natürliche Entwicklung, Vererbung, Variation und Selektion bildet nun, in Kombination mit einer Reihe weiterer - durch ID nicht spezifisch erklärbarer - Phänomene (wie etwa dem geordneten Wandel des Fossilienbestands, der abgestuften Formenähnlichkeit der Arten etc.), einen mächtigen Indizienbestand, der das transspezifische Evolutionsgeschehen als wohlbestätigtes Faktum ausweist. Wir haben es salopp gesprochen nicht mit "Design-Signalen", sondern mit "Signalen der Stammesgeschichte" zu tun. Unter dieser Voraussetzung käme kein Wissenschaftler auf die Idee, in der Biologie auf eine Theorie zurückzugreifen, welche die Komplexität eines Systems als Evidenz für ID betrachtet, die es dann, wie Junker (a.a.O., S.5) vorschlägt, durch "Elimination" möglichst vieler evolutionärer Erklärungen zu erhärten gelte. Erstens wäre ein solches Vorgehen heuristisch wertlos, denn der Verweis auf ein mysteriöses ID hat keinen Erklärungswert (Neukamm 2004 b, S. 6f.). Zweitens ist der Versuch, eine vermeintliche Evidenz für ID durch Betonung offener Fragen der Evolution zu erhärten, schon im Ansatz verfehlt. Denn offene Fragen nach den Ursachen und dem Verlauf der Evolution haben keinen Einfluß auf die Belege, die dafür sprechen, daß sie tatsächlich stattgefunden hat. Selbst dann, wenn wir über die "tieferen" Mechanismen der Evolution gar nichts wüßten, bliebe der empirische Status der Darwinschen Abstammungshypothese unangetastet (Remane et al. 1973, S. 10; Kutschera 2001, S. 219 f.). Überhaupt lassen sich (selbst wohlbestätigte) Thesen nicht durch Widerlegung konkurrierender Theorien plausibler machen, so daß es ID-Anhängern im Rahmen der Evolutionskritik weder möglich ist, die Grenzen des Naturalismus auszuloten, noch ein Argument zugunsten ihrer Theorie vorzubringen (Neukamm 2004 b, S. 16).

 

Im übrigen ist ein hoher Grad an Synorganisation sowie ein steter Energie- und Materiefluß, wie er in Lebewesen herrscht, gerade für Systeme typisch, die durch Selbstorganisation entstanden sind, so daß hier die Komplexität schlicht die falsche Analogie ist. Natürlich ist, so lautet die beständige Replik, die Entstehung des Lebens trotz intensiver Forschung im Detail erst andeutungsweise verstanden. Doch was für Lebewesen gilt, trifft auch auf andere selbst-organisatorische (naturgemäßstark nichtlineare) Systeme zu, so daß die Spekulation, es handele sich ausgerechnet in der Biologie um "Design-Signale", um nichts plausibler wird. Der Eindruck der Finalität und Planung entsteht eben nur dann, wenn man alle charakteristischen Eigenschaften solcher Systeme ausblendet und sie mit technischen Dingen vergleicht, denen sie fehlen. Somit besitzen die Design-Analogien der Evolutionskritiker keinerlei Relevanz.

Ein Begriff, der sich eng an die Design-Analogien anlehnt und hilfsweise zur Begründung von ID herangezogen wird, ist die sogenannte "irreduzible Komplexität". Nach Behe (1996, S. 39) sind Systeme irreduzibel komplex, wenn sie aus "mehreren miteinander interagierenden Komponenten bestehen, die gemeinsam eine Funktion herstellen, so daß die Wegnahme einer Komponente zum Versagen dieser Funktion führt" (Behe ebd., übersetzt von M.N.). Eine Mausefalle, der eine wichtige Komponente fehlt, funktioniert ebenso wenig wie ein Organismus, der ein Biomolekül in der Reaktionskaskade eines wichtigen Stoffwechselvorgangs nicht produzieren kann. Daher sei es kaum denkbar, daß synorganisierte Systeme über positiv selektierbare Vorstufen entstünden, weil sie "definitionsgemäß funktionslos" seien (Behe ebd.), so daß sich wieder der Gedanke an eineganzheitliche Planung aufdrängen könnte. Nun ist der Begriff "irreduzibel komplex" insofern eindimensional, als er nur die derzeitige "Endfunktion" eines Systems berücksichtigt, die von einem "halbfertigen" Apparat natürlich nicht erfüllt wird. Niemand behauptet jedoch, daß ausgerechnet einnichtlinearer Prozeß wie Evolution linear (also auf direktem Weg) zu einem solchen "Endzustand" führen müsse. Ein Zustand A kann auch infolge der schrittweisen positiven Bewertung anderer Funktionszustände B, C etc. zur Funktionsreife gelangen. Tatsächlich übernehmen biologische Merkmale in mannigfacher Abwandlung viele verschiedene Funktionen sowie Brücken- bzw. Doppelfunktionen, so daß auch ein (hinsichtlich der "Endfunktion") "halbfertiger" Apparat hinsichtlicher anderer Funktionen positiv selektiert werden kann (Beispiele nennt Vollmer 1986, S. 21 ff.). Da man auch Teilreaktionen (als potentielle Vorstufen) komplexer Stoffwechselprozesse kennt, die nicht funktionslos sind und Stoffwechselprozesse teilweise sogar "überlappende" Funktionen haben, sind Behes Voraussetzungen hinfällig (Pigliucci 2001).

 

Ferner weist Orr darauf hin, daß die irreduzible Komplexität biologischer Merkmale nur aus der Retrospektive zu existieren scheint. Wenn, so Orr, die Funktion eines Merkmals A durch ein neues Merkmal B unterstützt wird, können beide Merkmale gemeinsam optimiert werden, so daß erst zu einem späteren Zeitpunkt Merkmal B unentbehrlich für die Funktion wird (Orr 1996). Diese Hypothese wird just in der "kulturellen Evolution" auf das Schönste bestätigt. Stellen wir uns vor, die Erdölförderung würde weltweit aus irgendeinem Grund dauerhaft aussetzen. Man kann sich leicht ausmalen, daß die meisten Betriebe nicht mehr produzieren könnten, weil sie fast alle (direkt oder indirekt) vom Erdöl abhängen. Unsere Gesellschaft würde kurzerhand zu einem Stillstand kommen, weil ihre Bereiche derart eng miteinander vorwoben sind, daß man sie für irreduzibel komplex halten könnte. Dennoch sieht jeder ein, wie absurd es wäre zu folgern, daß sich Gesellschaftssysteme nicht schrittweise aus "Vorläufergesellschaften" entwickeln können, die in jedem Stadium der Geschichte funktionierten.

 

Riedl (1990, S. 229) liefert empirische Hinweise, die diese These auch in der Biologie stützen. Er verweist z.B. darauf, daß es keine Vertebraten gibt, deren Herzen weder Vorkammern noch Ventrikel besitzen. Ihre Herzen erscheinen demnach irreduzibel komplex; ein derartiger Merkmalsverlust wäre tödlich. Dennoch gibt es urtümliche Chordatiere, deren Herzen die Merkmale nicht besitzen (einige kommen sogar ohne Herz zurecht). Das Vertebraten-Herz mußte also nicht als Ganzes entstehen, denn viele seiner Merkmale waren zunächst entbehrlich, verbesserten aber die Leistungsfähigkeit des Herz-Kreislaufsystems und wurden erst unverzichtbar, nachdem weitere Merkmale das Herz-Kreislaufsystem "bebürdeten". Funktionelle Bürden scheinen also nicht "von Haus aus" zu existieren, sondern sukzessive zu entstehen und mit der "hierarchischen Position" der Merkmale zu wachsen. Damit wäre auch eine irreduzibel erscheinende Komplexität kein "Design-Signal", sondern ironischerweise die unmittelbare Konsequenz der Phylogenese (Riedl 1990, S. 233).

 

Doch anstatt solche Argumente ernstzunehmen und den von ihnen ausgehenden Forschungsimpulsen nachzugehen, benützt die ID-Theorie irrelevante Analogien (wie etwa das oben erwähnte Beispiel mit der Mausefalle), um die voreilige These zu rechtfertigen, daß ein evolutiver Übergang zwischen zwei "Basisfunktionszuständen" nicht in selektionspositive Zwischenstufen unterteilbar sei. Obwohl Junker (a.a.O., S. 10) behauptet, daß "Design-Signale" erst nach "eingehender Forschung" (was immer das heißen mag) gefunden und nur auf der Basis des jeweiligen Wissensstandes begründet würden, ist es doch unübersehbar, daß ID-Theoretiker weder selbst "eingehend" am Problem forschen (mechanismische Ansätze verfolgen sie nicht), noch die Ergebnisse der Forschung abwarten. Denn begreiflicherweise sind die System- und Randbedingungen, die im Falle einerDetailerklärung zu berücksichtigen wären, angesichts der Existenz tausender, kompliziert interagierender Gene und Millionen von Spezies, deren Rückkopplungen bis zur ökologischen Ebene reichen, nicht einmal annähernd erforscht. Mit "Wissen" hat also die Begründung von ID nichts zu tun, sondern umgekehrt mit den Wissenslücken, die durch voreilige Annahmen überbrückt werden, um dann z.B. durch ungedeckte Wahrscheinlichkeitsrechnungen ID evident zu machen (Beispiele bespricht Neukamm 2004 a). Auf diese Weise läßt sich das "gewünschte" Ergebnis natürlich bequem vorfabrizieren. Dies entspricht (entgegen Junker a.a.O., S. 8) genau der sattsam bekannten Lückenbüßer-Strategie, wonach die ID-Theorie nur eine Platzhalterfunktion übernimmt und Zug um Zug überflüssiger wird, je besser die Probleme im Rahmen der Forschung durchdacht worden sind.

Fazit

Wie wir gesehen haben, ist die ("natürliche") Erforschung eines übernatürlichen  Design-Prinzips ein widersprüchliches Unterfangen. Daher können Beobachtungen nur im Lichte einer naturalistischenTheorie Beweiskraft erlangen, und auch offene Fragen lassen sich (wenn überhaupt) nur im Rahmennaturalistischer Theorien verfolgen. Während die Evolutionsbiologie sowohl über Evidenzen für die Abstammungshypothese als auch über einen allgemeinen (wenn auch unvollständigen)mechanismischen Erklärungsrahmen verfügt, wird die ID-Theorie nie etwas Vergleichbares haben. Sie steht gewissermaßen mit dem Rücken zur Wand und muß versuchen, wertlose Analogien als "Evidenzen" für ID auszugeben, gleichzeitig aber die Belege der Evolutionsbiologie sowie die Wissensprogression, die seit Darwin in der Mechanismenfrage stattgefunden hat, zu ignorieren. Unter Ausnutzung bestehender Wissenslücken wird dann der schiefe Eindruck vermittelt, als blieben der Evolutionsbiologie nur offene Fragen, die wiederum in ein Argument für ID umgemünzt werden. Nichts wäre einfacher, als die Umkehrung dieser Argumentation. Die ID-Theorie löst keines der Probleme, die sie zu lösen vorgibt, da sie weder spezifische Erklärungen liefert, noch einen mechanismischen Rahmen umspannt, um die Natur und den Schaffensvorgang ihres Designers zu beschreiben (Neukamm 2004 b, S. 5). Während solche Fragestellungen in weltimmanenten Bereichen (z.B. in der Archäologie) verfolgt werden und die Evolutionsforschung in aller Ruhe ein Mosaiksteinchen nach dem anderen zu einem Bild zusammensetzt, kann dies die ID-Theorie aufgrund ihres transnaturalen Bezuges nicht. Sie ist wissenschaftlich wertlos und alles andere als ein Aufbruch zu neuen Ufern der Erkenntnis.

Literatur

Behe, M.J. (1996): Darwin's Black Box: The Biochemical Challenge to Evolution. The Free Press, New York.

 

Junker, R. (2004): Intelligent Design. http://www.genesisnet.info/pdfs/Intelligent_Design.pdf, Zugr. a. 16.04.2004.

 

Kutschera, U. (2001): Evolutionsbiologie. Eine allgemeine Einführung. Parey, Berlin.

 

Mahner, M. (2003): Hume, Paley und das Design-Argument. Skeptiker 16 (4), 131.

 

Neukamm, M. (2004 a): Evolution: kein Zufall! Über die Argumentation mit der Wahrscheinlichkeit.http://www.martin-neukamm.de/zufall.html (16.01.2004).

 

Neukamm, M. (2004 b): Kreationismus und Intelligent Design: Über die wissenschaftstheoretischen Probleme von Schöpfungstheorien. http://www.martin-neukamm.de/kreation.pdf (01.07.2004).

 

Orr, H.A. (1996): Darwin v. Intelligent Design (Again). Boston Review 21 (6), 28-31.

 

Pigliucci, M. (2001): Design Yes, Intelligent No: A Critique of Intelligent Design Theory and Neocreationism. Sceptical Inquirer 25 (5), 34-39.

 

Remane, A. et al. (1973): Evolution. Tatsachen und Probleme der Abstammungslehre. dtv, München.

 

Riedl, R. (1990): Die Ordnung des Lebendigen. Systembedingungen der Evolution. Parey, Berlin.

 

Vollmer, G. (1986): Die Unvollständigkeit der Evolutionstheorie. In: Vollmer, G.: Was können wir wissen? Bd. 2: die Erkenntnis der Natur. Hirzel, Stuttgart, 1-37.

(1) Wenn es uns also gelänge zu zeigen, daß gewisse Strukturen als Indiz für "intelligentes Handeln" in Betracht kämen, wäre nur der Schluß gerechtfertigt, daß überall, wo sie in Erscheinung treten, eine Planung auf der Basis weltimmanenter Gesetze stattgefunden haben könnte. Daher ist Naturalismus die "sparsamste" Ontologie, die es gibt, weil er im wahrsten Sinne des Wortes nur empirisch naheliegende (weltimmanente) Prinzipien gelten läßt, die "zum Verstehen des Gesetzesnetzes der Natur" unbedingt erforderlich sind. Die Beweislast liegt also auf Seiten derer, die über den Naturalismus hinausgehende ontologische Behauptungen aufstellen.

Gastbeitrag von: Martin Neukamm (Buch)

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