Klimabedingte Umweltzerstörungen durch Stürme, Hitzewellen, Dürren und Überschwemmungen waren schon immer Ursachen von Migration. Heute stellt sich die Frage, inwieweit sich in ihnen der Klimawandel bemerkbar macht und inwieweit vom Menschen verursachte Klimaänderungen zumindest teilweise verantwortlich für Migrationsströme sind.
Auch wenn einzelne Extremereignisse meistens nicht dem Klimawandel zugeschrieben werden können, wurde schon sehr früh eine Verbindung zwischen Klimawandel und Migration hergestellt. So hat der Weltklimarat IPCC bereits in seinem ersten Sachstandsbericht von 1990 vor Migration als eine der Folgen des Klimawandels gewarnt. Der globale Klimawandel durch den Menschen würde in manchen Regionen zu einer Knappheit von Ressourcen führen, wodurch Migration und Konflikte ausgelöst würden. Nach einer UN-Schätzung waren 2008 von 36 Millionen Flüchtlingen durch Naturkatastrophen etwa 20 Millionen klimabedingte Flüchtlinge.[1] Und es kam zu Vorhersagen, dass bis zum Jahr 2050 mit bis zu 250 Millionen Klimaflüchtlingen zu rechnen sei.[2]
Nach dem UN-Kommitee zur Koordinierung humanitärer Aktivitäten IASC lassen sich vier klimatische Szenarien, die Migration verursachen, unterscheiden:[1]
1. Hydro-meteorologische Katastrophen
2. Umweltdegradierung und/oder lang anhaltende Katastrophen
3. Landverluste durch ansteigenden Meeresspiegel
4. Durch Ressourcenknappheit verursachte Konflikte
Unter 1. sind etwa Hochwasserkatastrophen und Dürren zu verstehen, unter 2. z.B. lang anhaltende Dürren mit zerstörerischen Folgen für die Vegetation oder den Boden. Der Meeresspiegelanstieg (3.) bedroht vor allem kleine Inseln und Delta-Gebiete. Eine Verknappung der Ressourcen (4.) kann durch die ersten drei Szenarien bedingt sein und zu Migration und Konflikten führen. Als regionale Brennpunkte werden Landnutzungskonflikte in Afrika aufgrund zunehmender Dürren, Wasserkonflikte im Nahen Osten sowie Überschwemmungen und Sturmschäden in Küstenregionen Süd- und Ostasiens gesehen.[3]
Neuere Forschung hat jedoch gezeigt, dass Migrationsgründe im konkreten Fall immer sehr komplex sind.[1] Es bleibt daher schwierig, den Klimawandel von anderen Ursachen für Migration zu unterscheiden. Zur Migration oder auch Gewaltkonflikten kommt es meistens dann, wenn Umweltzerstörungen, z.B. durch Extremereignisse, mit anderen Konfliktauslösern wie ethnischen Konflikten, schwachen staatlichen Strukturen und geringem ökonomischen Entwicklungsstand zusammentreffen. Klimawandel sollte daher eher als ein „Risiko-Verstärker“ verstanden werden, nicht als eindeutig zu bestimmende Ursache von Migration. Umweltzerstörungen durch klimatische Extremereignisse können aber auch Migration verhindern. Für die Auswanderung braucht es ein gewisses Maß an Mitteln, um die Reise zu bezahlen. Durch Umweltzerstörungen können migrationswillige Menschen solche Mittel aber auch verlieren. So nahm in Mali während der schwerren Dürre 1983-85 die Auswanderung ab.[4]
In der neueren Forschung haben sich auch das Bild und die Beurteilung von Migration verändert. Früher wurde Migration weitgehend negativ gesehen und nicht selten als Auslöser von Konflikten in den Einwanderungsgebieten problematisiert. Tatsächlich gibt es solche Fälle auch im Zusammenhang mit klimatischen Auslösern von Migration. So führte die Ansiedlung von bengalischen Hochwasseropfern in den Chittagong-Bergen in Nordindien zu einem langwierigen Guerillakrieg.[5] Dass Migration in den Zielländern zu gewaltsamen Konflikten führt, kommt zwar vor, ist aber nicht unbedingt typisch.[2] Gegenwärtig werden vor allem die positiven Seiten von Migration für die Herkunftsländer beachtet und Migration als eine Art Anpassung an den Klimawandel verstanden.
Einerseits kann Migration die Folge einer gescheiterten Anpassung sein. Andererseits kann Migration aber auch eine Form der vorsorgenden Anpassung darstellen, indem Migranten durch Rücküberweisungen das Familienaufkommen der zu Hause Gebliebenen aufbessert oder dazu beiträgt, Infrastrukturmaßnahmen aufzubauen, die die Anpassungsmöglichkeiten der Gemeinschaften in den Herkunftsländern stärken.[2] Vor allem bei afrikanischen Migranten sind Rücküberweisungen zur Unterstützung von Familienmitgliedern oder für Investitionen im Falle einer späteren Rückkehr ungewöhnlich hoch. So überweisen afrikanische Einwanderer in Europa etwa doppelt so viel Geld wie Migranten aus anderen Entwicklungsländern in ihre Heimatländer. Und bereits in den 1960erJahren haben sich afrikanische Migranten in Frankreich zusammengetan und Entwicklungsprojekte für den Bau von Schulen, Kliniken, Trinkwasser- und Bewässerungssystemen in ihren Heimatländern initiiert. Inzwischen gibt es solche Initiativen, die in den Heimatländern zur Anpassung an den Klimawandel in den Bereichen Wasser, Landwirtschaft, Erneuerbare Energien und Bildung beitragen, auch in anderen EU-Ländern.[6]
Der seit 2011 andauernde verheerende Bürgerkrieg in Syrien hat unvorstellbares Leid für die syrische Bevölkerung zur Folge und trieb Millionen von Menschen in die Flucht, mehrere Millionen auch ins Ausland und Hunderttausende bis nach Europa. Der unmittelbare Grund für die Migration dieser Menschen sind die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen dem Assad-Regime und einer unübersichtlichen Zahl von oppositionellen Organisationen. Dass es aber zu dem Konflikt überhaupt gekommen ist, daran könnte auch eine möglicherweise durch den Klimawandel mitbedingte Dürre einen Anteil haben.[7]
Beginnend mit dem Winter 2006/2007 setzte in Syrien und dem sogenannten Fruchtbaren Halbmond, wo die Menschheit vor ca. 12000 Jahren das erste Mal Ackerbau und Viehhaltung betrieben, die schlimmste dreijährige Dürre seit Beginn der instrumentellen Beobachtung ein. Die Dürre verstärkte die existierenden Probleme der Landwirtschaft und Wasserversorgung und führte zu Missernten und Viehsterben. Eine wichtige Folge war die Landflucht von ca. 1,5 Mio. Menschen aus den ländlichen Gebieten in die Peripherien der städtischen Zentren, wo sie auf 1,2 bis 1,5 Mio. irakische Flüchtlinge aus dem Irak-Krieg 2003-2007 trafen. Im Jahr 2010 machten diese beiden Flüchtlingsgruppen 20 % der syrischen städtischen Bevölkerung aus. Diese sich weitgehend illegal ansiedelnden, schlecht versorgten und arbeitslosen Menschen bildeten den Kern des Aufstandes gegen das Assad-Regime.
Allerdings spielen auch politische Fehlentscheidungen im landwirtschaftlichen Sektor eine bedeutende Rolle. Trotz zunehmender Wasserknappheit und häufiger Dürren wurde bereits Ende des 20. Jahrhunderts die landwirtschaftliche Produktion durch Bewässerungsprojekt und andere Modernisierungsmaßnahmen erheblich gesteigert. Eine kritische Konsequenz war die Abnahme der Grundwasserressourcen, die für viele landwirtschaftliche Betriebe die einzige Wasserquelle darstellen und mit dem Beginn der Dürre 2006/2007 noch einmal verstärkt in Anspruch genommen wurden. Die Folge war ein Zusammenbruch der Agrarproduktion in der nordöstlichen „Brotkorb“-Region, die normalerweise Zweidrittel der Getreideernte des Landes produziert. Zahlreiche Viehherden gingen verloren, kleinere und mittlere Betriebe gingen bankrott.
In den letzten 80 Jahren sind einige mehrjährige Dürren aufgetreten, so in den späten 1950ern, 1980ern und 1990ern. Keine hat sich jedoch so stark ausgewirkt wie diejenige in den 2000er Jahren. Ein Grund ist die stark gewachsene Bevölkerung von 4 Mio. in den 1950ern auf 22 Mio. in den 2000er Jahren, ein anderer die Abnahme der Grundwasserressourcen, die in früheren Dürren als Puffer gegen den Wassermangel dienten. Ein weiterer Grund ist darin zu sehen, dass die Dürre der 2000er Jahre kurz auf eine starke Dürre in den 1990er Jahren und auf anschließende Jahre mit geringen Niederschlägen folgte.
Dabei stellt sich die Frage, ob die Häufung von Dürren und niederschlagsarmen Perioden seit den 1980er Jahren auf natürliche Schwankungen zurückzuführen sind oder ob sich darin auch ein langfristiger Trend zeigt, der durch den Klimawandel bedingt ist. Syrien und der Fruchtbare Halbmond sind kaum von der einer starken natürlicher Variabilität unterliegenden NAO beeinflusst. Langfristige Trends lassen sich daher in den Beobachtungsdaten relativ gut erkennen, so die Abnahme der Winterniederschläge um 13 % seit den 1930er Jahren. Auf der anderen Seite nahm die Temperatur in den letzten Jahrzehnten, besonders in den letzten 20 Jahren, deutlich zu. Die dadurch bedingte höhere Verdunstung bewirkte zusammen mit den abnehmenden Niederschlägen im Winter, dass die Böden immer mehr austrockneten. Das spiegelt sich in der Abnahme des Palmer-Drought-Index wider, der Niederschlag und Temperatur als Stellvertreter für die Bodenfeuchte kombiniert. Entsprechend zeigen Modellrechnungen, dass extreme Dürren über einige Jahre durch den anthropogenen Klimawandel mehr als doppelt so oft wie unter ausschließlich natürlichen Bedingungen wahrscheinlich sind. Die jüngste Dürre hat demnach eine deutliche anthropogene Komponente und ist neben sozialen und politischen Faktoren eine der Ursachen für die syrische Krise.
1. Costa, M.M., und J. Scheffran: Die Flucht vor dem Klimawandel
2. Gioli, G.: Umweltinduzierte Migration: Eine wissenschaftliche Herausforderung
3. Scheffran, J. (2012): Konflikt und Kooperation im Klimawandel, http://www.friedenskonferenz.info/pdfs/Scheffran-Beitrag-AR-IMFK-2013.pdf
4. Black, R., Bennett, S., Thomas, S. M., & J.R. Beddington (2011): Migration as adaptation, Nature 478, 447–449
5. Brzoska, M., und C. Fröhlich: Klimawandel, Migration und Konflikt
6. Marmer, E., P. Sow und J. Scheffran: Fallstudie: Westliche Sahelzone in Afrika
7. Vgl. zu dem Folgenden Kelley, C.P., S. Mohtadi, M.A. Cane, R. Seager, and Y. Kushnir (2015): Climate change in the Fertile Crescent and implications of the recent Syrian drought, Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) 112, 3241-3246
Gastbeitrag aus: Klimawiki
WissensWert (Montag, 09 Januar 2017 02:26)
https://de.wikipedia.org/wiki/Umweltfl%C3%BCchtling