Die Drei-Welten-Lehre ist eine ontologische Position, die die Existenz dreier Welten annimmt:
(1) die physikalische Welt materieller Objekte, z. B. Berge, Autos, Häuser.
(2) die mentale Welt subjektiver Bewusstseinsinhalte, z. B. Gedanken, Gefühle, Empfindungen.
(3) die intersubjektive Welt intersubjektiver Ideen, z.B. mathematische
Sätze, Ideologien, die Drei-Welten-Lehre.
Eine Dreiteilung in Logos, Psyche und Physis findet man bereits in der klassischen griechischen Philosophie.
Der deutsche Logiker, Mathematiker und Philosoph Gottlob Frege unterschied in seiner 1918 veröffentlichten Schrift «Der Gedanke» die Welt der objektiven physischen Gegenstände, die Welt des (menschlichen) Bewusstseins, in der wir es mit subjektiven Vorstellungen zu tun hätten, und die Welt der an sich existierenden objektiven Gedankeninhalte, wie z.B. logische und mathematische Sätze. Diese objektiven Gedankeninhalte seien weder Dinge der Außenwelt, noch bloße Vorstellungen, wenngleich sie auch als solche im Bewusstsein erscheinen. Dennoch hätten sie eine eigenständige, vom Träger des Bewusstseins unabhängige Wirklichkeit:
„Die Gedanken sind weder Dinge der Außenwelt noch Vorstellungen. Ein drittes Reich muß anerkannt werden.“
– Gottlob Frege: Der Gedanke: Eine logische Untersuchung, S 69
Ein weiterer wichtiger Vertreter ist Karl Raimund Popper, der im besonderen Maße mit der Drei-Welten-Lehre assoziiert wird. Laut John Eccles hat Popper ein Konzept vorgelegt, das "alles Existierende und alle Erfahrungen umfassen"[1] soll. Für Popper sind die abstrakte Welt 3 und die psychische Welt 2 "real genau in dem Sinne, in dem die physische Welt 1 der Felsen und Bäume real ist."[2] Karl Popper hat mit seinem Drei Welten-Konzept eine Erweiterung traditioneller dualistischer Positionen vorgeschlagen und gelegentlich auch vom "Pluralismus" gesprochen.[3][4]
Die Bezeichnung als Welt 1, Welt 2 und Welt 3 hatte Popper bewusst "farblos und willkürlich" gewählt und doch gab es auch einen "historischen Grund."[5] Mit der Nummerierung sollte auf die Reihenfolge ihrer Entstehung hingewiesen werden. Zuerst vorhanden war die physische Welt 1, später folgte die psychische Welt 2 und zuletzt die kulturelle Welt 3.
Als Welt 1 bezeichnet Popper die aus Materie und Energie bestehende Welt des Kosmos, also die Gesamtheit aller physischen Zustände, Vorgänge und Gegenstände. Zur Welt 2 zählt Popper alle psychischen Zustände und Vorgänge, ob bewusst oder unbewusst. Welt 1 und Welt 2 werden demnach ähnlich den, in den geläufigeren Begriffspaaren Materie und Bewusstsein, Leib und Seele, Körper und Geist oder Gehirn und Psyche, anklingenden Unterscheidungen aufgefasst. Popper fügt diesen zwei Welten eine weitere hinzu und nennt sie Welt 3. Zu dieser Welt 3 gehören für Karl Popper die Erzeugnisse des menschlichen Geistes: Die objektiven Gedankeninhalte, insbesondere die der wissenschaftlichen und dichterischen Gedanken und die der Kunstwerke, also Musik, Literatur, auch Architektur, aber auch wissenschaftliche Probleme, Argumente und Theorien sowie Zeitschriften, Bücher, Bibliotheken, ethische Werte oder soziale Institutionen.[6] Kurzum: Welt 3 umfasst die menschliche Kultur. Popper hebt dabei die Bedeutung des sprachlich formulierten Wissens als "besonders charakteristisch"[7] hervor und bezeichnet Theorien, Behauptungen oder Aussagen als "die wichtigsten sprachlichen Gegenstände der Welt 3"[8]
Karl Popper hat das Drei-Welten-Konzept nicht als ein verpflichtendes Schema letzter Erklärungen konzipiert, sondern als ein Vorschlag, der es ermöglichen soll, eine Reihe ungelöster Probleme möglichst klar zu formulieren und zu ihrer Lösung beizutragen. Mit den drei Welten werden also nicht etwa imaginäre Wirklichkeiten mystifiziert, sondern in klarer, durchsichtiger Weise drei Struktur- oder Beschreibungstypen innerhalb des einen Kosmos, in dem wir leben und unsere Erfahrungen machen, unterschieden. Popper schreibt: "Ich bin nicht der Auffassung und behaupte hier auch nicht, dass wir unsere Welten nicht anders oder auch gar nicht abzählen könnten."[9] Popper hielt beispielsweise weitere Unterteilungen für möglich, zum Beispiel die Welt der Kunstwerke noch einmal gesondert als Welt 4 abzugrenzen. [10] Auch nennt er das Drei-Welten-Konzept eine "Metapher, die uns hilft, bestimmte Relationen zu sehen"[11] und "als grobe Vereinfachung [...] ganz nützlich"[12] ist. Das vollständige Zitat Poppers lautet:
"Mich sprach einmal ein ziemlich berühmter Vertreter der Symbollogik an, ich solle doch, bevor diese Theorie von den drei Welten ernst genommen werden könne, das Konzept von Welt 3 durch ein axiomatisches System erklären. Aber so ernst nehme ich es ganz und gar nicht. Es ist eine Metapher, die uns hilft, bestimmte Relationen zu sehen. Solche Dinge kann man nicht axiomatisieren; es sind Wegweiser, nicht mehr."[13]
Alle drei Welten sieht Popper durch Wechselwirkungen miteinander verbunden: In unmittelbarer Interaktion stehen Welt 1 und Welt 2. Das ist der Kern des Konzeptes. Dazu ein Beispiel: Der Bauplan zur Konstruktion eines Hauses liegt als schriftliches Dokument oder auch als elektronische Datei auf einem Chip oder der Festplatte eines Computers vor. Als physisches Objekt - Papier, Computer oder Chip - zählt er zu Welt 1. Als Plan und theoretischer Entwurf zählt er zur Welt 3. Welt 3 wirkt genau dann auf Welt 2, wenn Architekten, Bauleiter und Handwerker den Plan in ihr Bewusstsein aufnehmen und seine theoretische Struktur erfassen, verstehen, geistig verarbeiten. Das Haus, das nach ihren Anweisungen und Ausführungen entlang des verinnerlichten Welt-3-Planes entsteht, ist wiederum als physisches Objekt ein Gegenstand der Welt 1, das freilich eine Fülle von zur Welt 3 gehörenden Theorien enthält. Die Gesamtheit der "Hausmaterie" kann überhaupt nur in Verbindung mit den Welt-3-Theorien zu einer von uns als Haus bezeichneten Struktur oder Gestalt geformt werden, wie der Marmorblock erst durch Wechselwirkung mit den Welt-3-Theorien des Künstlers zu einer Skulptur geformt wird. Und Einformung ist Information. Welt 3 hat damit durch Vermittlung von Welt 2 Einfluss auf Welt 1 genommen und in ihr Wirkungen erzeugt. Dieses Vermögen ist für Popper das entscheidende Argument, "die abstrakte Welt 3; real genau in dem Sinne" anzusehen, "in dem die physische Welt 1 der Felsen und Bäume real ist.[14] Popper betont: "Das die Welt 3 keine Fiktion, sondern 'wirklich' vorhanden ist, wird deutlich, wenn man ihre ungeheure Wirkung auf die Welt 1 betrachtet, die durch Welt 2 vermittelt wird."[15] Karl Popper hat zwei Gedankenexperimente vorgeschlagen, die die "mehr oder weniger unabhängige Existenz der Welt 3, einer nichtmateriellen Welt abstrakter Theorien und Gedanken, besonders anschaulich zum Ausdruck bringen:
Experiment 1: Alle unsere Maschinen und Werkzeuge werden zerstört, ebenso unser ganzes subjektives Wissen einschließlich unserer subjektiven Kenntnis der Maschinen und Werkzeuge und ihres Gebrauchs. Doch die Bibliotheken überleben und unsere Fähigkeit, aus ihnen zu lernen. Es ist klar, dass unsere Welt nach vielen Widrigkeiten wieder in Gang kommen kann.
Experiment 2: Wie vorhin werden Maschinen und Werkzeuge zerstört sowie unser subjektives Wissen einschließlich unserer subjektiven Kenntnis der Maschinen Werkzeuge und ihres Gebrauchs. Aber diesmal werden alle Bibliotheken ebenfalls zerstört, sodass unsere Fähigkeit aus Büchern zu lernen, nutzlos wird. Wenn Sie über diese beiden Experimente nachdenken", fügt Popper hinzu, "dann wird Ihnen die Realität, die Bedeutung und der Grad der Unabhängigkeit der Welt 3 (ebenso ihre Wirkungen auf die Welt 2 und 1) vielleicht etwas klarer. Denn im zweiten Fall wird unsere Zivilisation Jahrtausende lang nicht wieder erstehen."[16]
[1] Eccles JC. Die Evolution des Gehirns - die Erschaffung des Selbst.
München Zürich: Piper; 1989: 128.
[2] Popper KR. Das offene Universum. Aus dem Postskript zur Logik der Forschungrr II. Gesammelte Werke Band 8. Tübingen: Mohr Siebeck; 2001:
121.
[3] Popper KR. Das offene Universum. 2001: 121.
[4] Popper KR. Objektive Erkenntnis. 1984: 158
[5] Popper KR. Das offene Universum. 2001: 120.
[6] Popper KR. Objektive Erkenntnis. 1984: S. 109
[7] Popper KR. Das offene Universum. 2001: 121.
[8] Popper KR. Objektive Erkenntnis. 1984. 163.
[9] Popper KR. Objektive Erkenntnis. 1984. S. 110.
[10] Popper KR. Das offene Universum. 2001: 120.
[11] Popper KR. Wissen und das Leib-Seele-Problem. 2012: 151.
[12] Popper KR. Wissen und das Leib-Seele-Problem. 2012: 151. [EBD.]
[13] Popper KR. Wissen und das Leib-Seele-Problem. 2012: 151. [EBD.]
[14] Popper KR. Das offene Universum. 2001: 121.
[15] Popper KR. Objektive Erkenntnis. 1984: 165.
[16] Popper KR. Objektive Erkenntnis. 1984: 111.
· Karl R. Popper: Objektive Erkenntnis, (1972)
· Karl R. Popper, John C. Eccles: Das Ich und sein Gehirn (1977)
· Karl R. Popper: Three Worlds: The Tanner Lecture on Human Values at the University of Michigan, April 7, 1978 (PDF; 177 kB).
· Karl R. Popper: Das offene Universum (1982)
· Karl R. Popper: Knowledge and the Body-Mind Problem (1994), dt. siehe Popper (2012)
· Karl R. Popper: Gesammelte Werke, Band 12, Wissen und das Leib-Seele- Problem, Tübingen, Mohr Siebeck (2012). Das Buch enthält in neuer Übersetzung Knowledge and the Body-Mind Problem(1994) und den Popperteil aus Karl R. Popper, John C. Eccles: Das Ich und sein Gehirn (1977), editorische Bemerkungen und ein Nachwort des Herausgebers mit einer Übersicht über ca. 40 weitere Arbeiten zur Dreiweltenlehre.
WissensWert (Dienstag, 03 April 2018 04:02)
Welt1 ist die materielle Welt. Wenn der Satz des Pythagoras heute gedruckt oder aufgeschrieben ist, dann befindet er sich auch dort, weil er mit Tinte oder Druckfarbe (Materie) auf Papier (Materie) geschrieben steht.
Welt2 ist die psychische Welt, die Welt des Bewußtseins. Sie hat eine materielle Grundlage, weil unser Gehirn sich ja aus Materie zusammensetzt und die geistigen Vorgänge eine materielle Entsprechung haben. Insofern beeinflusst die materielle Welt1 die psychische Welt2. Aber es gibt eben auch die Rückwirkung der Welt2 auf die Welt1. Nachdem Pythagoras seinen Satz gedacht hatte, konnte er ihn zu Papier bringen.
Welt3 ist die Welt der Erzeugnisse des menschlichen Geistes, die Welt der Theorien und Kunstwerke. Sie ist genauso wirklich wie Welt1 oder2, weil sie mit diesen beiden wechselwirkt, von diesen beeinflusst wird, aber umgekehrt auch auf diese beiden zurückwirkt. Hier befand er sich, der SdP, bevor er vom menschlichen Geist zuerst in die Welt2 des Pythagoras und danach, für alle zugreifbar und unwiderruflich in Welt1 geholt wurde.
Auch der Widerspruch mit dem freien Willen findet eine plausible Erklärung. Einerseits entspricht es unserer Alltagserfahrung, dass es einen freien Willen gibt. Verbrecher werden verurteilt, weil der Richter davon ausgeht, dass die Angeklagten vor ihrer Tat eine Wahlmöglichkeit hatten. Erfolgreiche Menschen werden ausgezeichnet für außergewöhnliche Taten. Auch hier ist die Prämisse wieder, dass sie auch andere Möglichkeiten hatten, zum Beispiel auf der faulen Haut hätten liegen können.
Auf der Ebene der Elementarteilchen unseres Gehirns suchen wir dann aber den freien Willen vergebens, scheinbar „willenlos” sind wir dem physikalischen Diktat der Quarks ausgeliefert. Popper liefert anschaulich eine mögliche Auflösung des Widerspruchs an Hand des „Schicksals” eines Wasserstoffmoleküls. Im freien Weltraum ist seine Chance, sich mit einem Kohlenstoffatom zu verbinden, gleich null. Das wahrscheinlichste Ereignis ist noch die Verschmelzung zweier Wasserstoffatome zu Helium im Innern eines Sterns. Ein Wasserstoffmolekül in unserem Gehirn hat aber ein vollkommen anderes Schicksal. Seine Wahrscheinlichkeit, entweder in einem Wasser- oder einem Kohlenwasserstoffmolekül gebunden zu sein, ist nahezu 100%. D.h. Welt2 beeinflusst auf bemerkenswerte Weise Vorgänge der Welt1 und kann nicht auf Vorgänge der Welt1 zurückgeführt werden.
Es macht hier auch wenig Sinn zu behaupten, dass diese Möglichkeit dem Wasserstoffatom bereits am Anfang seiner Existenz, kurz nach dem Urknall, in die Wiege gelegt wurde. Dieser Standpunkt verkennt vollkommen das Wesen emergenter Vorgänge. Bestimmte Folgen von Prozessen lassen sich nicht vorhersagen, es entstehen dabei vollkommen neue, unverhersehbare Eigenschaften.
WissensWert (Dienstag, 03 April 2018 04:01)
Welt1 ist die materielle Welt. Wenn der Satz des Pythagoras heute gedruckt oder aufgeschrieben ist, dann befindet er sich auch dort, weil er mit Tinte oder Druckfarbe (Materie) auf Papier (Materie) geschrieben steht.
Welt2 ist die psychische Welt, die Welt des Bewußtseins. Sie hat eine materielle Grundlage, weil unser Gehirn sich ja aus Materie zusammensetzt und die geistigen Vorgänge eine materielle Entsprechung haben. Insofern beeinflusst die materielle Welt1 die psychische Welt2. Aber es gibt eben auch die Rückwirkung der Welt2 auf die Welt1. Nachdem Pythagoras seinen Satz gedacht hatte, konnte er ihn zu Papier bringen.
Welt3 ist die Welt der Erzeugnisse des menschlichen Geistes, die Welt der Theorien und Kunstwerke. Sie ist genauso wirklich wie Welt1 oder2, weil sie mit diesen beiden wechselwirkt, von diesen beeinflusst wird, aber umgekehrt auch auf diese beiden zurückwirkt. Hier befand er sich, der SdP, bevor er vom menschlichen Geist zuerst in die Welt2 des Pythagoras und danach, für alle zugreifbar und unwiderruflich in Welt1 geholt wurde.
WissensWert (Montag, 25 September 2017 00:53)
Für Roger Penrose steht die platonisch-mathematische Welt an erster Stelle; eindeutig vor der physikalischen, die nur eine Teilmenge ist. Die Beziehungen der geistigen Welt zu der „Welt der Ideen“ und der „Realität“ sind komplexer, wobei für Penrose besonders die quantenmechanischen Prozesse für die Bewusstseinsbildung und die theoretische Möglichkeit des Einzelnen, den „Logos“ zu erkennen, wichtig sind.
Einen methodischen „Trialismus“ vertreten auch einige Sozial- und Rechtsphilosophen wie Hermann Kantorowicz und Gustav Radbruch (Triade (Kultur)). Der Rechts- und Kulturphilosoph Axel Montenbruck entwickelt im Anschluss an Karl Popper und an den Trialismus von Gustav Radbruch eine „Drei-Welten-Lehre“, mit der er zwischen den drei Welten von (normativem) Humanismus, (empirischem) Naturalismus und kulturellem Pragmatismus trennt.