Am 26. September liess sich der unter Christen nicht unbekannte Theologe, Buchautor, Referent und Liedermacher Johannes Hartl, von dem ich einst als Christ ein rückständiges Büchlein über die Rollenverteilung in der Beziehung las, zu folgendem Facebook-Posting hinreissen:
"Ist mir echt schleierhaft wie Atheisten sich selbst als die erleuchtete Intelligenzia stilisieren,
zu der jeder unweigerlich finden müsse, der nur ein wenig nachdenkt. Zumindest der am weitest verbreitete Atheismus (Glaube, dass nur das wahr sein könne, was sich naturwissenschaftlich beweisen
lässt) kann auf die wichtigsten Fragen des Menschen keine Antwort geben. Er lehnt die Antworten des Glaubens mit der Begründung ab, sie seien nicht naturwissenschaftlich. Das ist etwa genauso wie
der Satz: "es gibt nur Fische, die grösser als 2cm sind, denn ich habe in meinem Netz noch niemals einen kleineren gefunden." Auf die Idee, die Maschenbreite des Netzes zu hinterfragen, kommt
dieser Fischer nicht, denn für metaphysische (oder metafischische) Grübeleien hat ein handfester Fischer ja keine Zeit. Ja ne, schon klar.
Wozu und warum der Mensch ist, ob es Sinn im Leben gibt, eine Hoffnung über Tod und Leid hinaus, warum es das Böse und warum es den Geist gibt, wie man leben solle und warum das Universum so ist,
wie es ist: auf all das kann der Atheismus keine Antwort geben, er kann nur die Hoffnung darauf madig reden, dass es etwas jenseits des beschränkten Horizonts des physikalisch Messbaren gibt.
Keine Antworten, dafür Hoffnungslosigkeit vor Leiden und Tod. Klasse!
Nein, wer tief nachdenkt und hinterfragt, wird nicht automatisch zum Atheisten..."
Als einer, der sich mit Atheismus auskennt und leidenschaftlich gern darüber schreibt, möchte ich diesen hochinteressanten, symptomatischen, uninformierten und unehrlichen Diskursbeitrag (in dem zudem so ganz nebenbei ein Komma fehlt) nun kommentieren.
"Antwort hab ich auch keine"
Moment mal... "auch keine"? Geht ja schon mal gut los: Das impliziert, dass Hartl der Ansicht ist, dass das Christentum keine Antworten hat! Woher denn die plötzliche Bescheidenheit? Was ist mit
der unter Christen allgegenwärtigen Praxis passiert, sich möglichst fest einzureden, im Besitz ewiger Wahrheiten zu sein und in der Bibel alle Antworten gefunden zu haben? Was ist mit Liedern wie
"Ich weiss, dass mein Erlöser lebt?" von Lothar Kosse? Will er das wirklich leugnen? Wären Christen tatsächlich der Ansicht, dass sie auf die Frage nach Gottes Existenz und die Fragen des Lebens
keine Antworten haben, wären sie keine Christen. Hartls Bescheidenheit ist gespielt und entspricht nicht der Realität.
"...aber deine Hoffnung will ich dir wenigstens kleinreden."
Hartl beschreibt seinen Glauben als Hoffnung. Das ist unehrlich. Herr Hartl: Sie hoffen nicht einfach, dass die Bibelwahr ist, Sie sind überzeugt davon. Eine Hoffnung ist ein sehr vager Wunsch mit starkem Bewusstsein der Möglichkeit, falsch zu liegen. Das ist der
Glaube nicht. In Hebräer 11,1 steht's: Es handelt sich dabei um eine feste Überzeugung davon, dass etwas Unsichtbares existiert, und für wahr
gehaltenes Wunschdenken. Den Glauben als blosse Hoffnung darzustellen, ist eine unehrliche Verharmlosung.
"Der Atheismus kann auf die wichtigsten Fragen des Menschen keine Antwort geben..."
Jetzt bin ich etwas perplex. Hartl sagte doch auf dem Bild, das Christentum habe auch keine Antworten..? Und dann will er das dem Atheismus ankreiden? Das verstehe, wer will. Wie dem auch sei:
Herr Hartls Argumentation schiesst völlig am Ziel vorbei. Wir sprechen hier über die Realität, und das einzige, was in so einer Diskussion zählt, ist, wie glaubwürdig eine These ist. Wie angenehm
sie ist, ist in diesem Zusammenhang in keinster Weise von Bedeutung. Wenn die Wahrheit hässlich ist, dann ist sie eben hässlich! Wenn es für Hartl keine Rolle spielt, ob seine Ansichten wahr sind
oder nicht, dann will ich auch nichts gesagt haben. Ist ihm das aber nicht egal, dann sollte er aufhören, sich einzureden, die Ansicht, die ihm besser gefällt, sei deshalb die Glaubwürdigere. Ich
nehme nicht an, dass er seiner Wetter-App auf dem Smartphone nur dann Glauben schenkt, wenn sie ihm Sonnenschein voraussagt.
"Er lehnt die Antworten des Glaubens mit der Begründung ab, sie seien nicht naturwissenschaftlich."
Hartl bezeichnet den Atheismus als die Haltung, dass nur das wahr sei, was sich wissenschaftlich beweisen lässt. Sie irren, Herr Hartl. Die
Situation ist die Folgende: Wir haben es hier mit einer übernatürlichen Existenzbehauptung zu tun. Die Standardhaltung ist zunächst einmal, von einer Behauptung nicht überzeugt zu sein (nicht,
sie für falsch zu halten!!). Und diese Haltung bleibt die logisch Vernünftigste, solange die behauptende Seite ihrer Beweislast nicht gerecht geworden ist. Es heisst nicht Glaube vs. Glaube,
sondern rationale Skepsis vs. blinde Annahme. Eine Behauptung ohne Beweise ist nichts weiter als eine Behauptung. Hartl kann den ganzen Tag lang behaupten, dass es diese von ihm beschriebenen
"kleineren Fische" gebe - solange nichts darauf hindeutet, bleibt das eine haltlose Behauptung, Geschwätz, das mit der Realität nichts zu tun hat. Es hat keiner gesagt, dass solche Fische unter
keinen Umständen existierten, aber es gibt einen Unterschied zwischen dem Möglichen und dem Wahrscheinlichen. Nur Letzteres hat eine Relevanz für das Leben in der Wirklichkeit. Und
"einfach glauben" heisst: "Ich glaube das, egal, ob es stimmt oder nicht".
"Er kann nur die Hoffnung darauf madig reden, dass es etwas jenseits des beschränkten Horizonts des physikalisch Messbaren gibt..."
Wer hat das getan? Ich jedenfalls nicht. Wir sagen nur: Hört mit der Traumtänzerei auf, solange nichts darauf hindeutet, dass euer Glaube begründet ist. Beschäftigt euch mit dem, was
erwiesenermassen Teil der Realität ist. Wenn euer Glaube in diese Kategorie reinkommt, können wir auch über den reden. Aber bis dahin kann er für realitätsbezogene Menschen keine Relevanz haben.
Das ist unsere Message. Wir wollen nicht eure Hoffnung vernichten, sondern euch aus euren Luftschlössern raus und auf den Boden der Tatsachen zurückholen, weil ihr da am besten in der
Lage seid, realistische Entscheidungen zu treffen. Und nur mal so nebenbei: Wenn ich Verse wie Matthäus 7, 21 lese, denke ich mir, dass diese Hoffnung eigentlich mit einer riesigen Panik einher gehen müsste...
"Keine Antworten, dafür Hoffnungslosigkeit vor Leiden und Tod. Klasse!"
Was waren nochmal die beiden Haupttriebkräfte der Religion? Genau: Ignoranz und Angst. Beides zeigt sich bei Hartl. Um mit Neil deGrasse Tyson zu sprechen: "Das Universum hat nicht
die Pflicht, einen Sinn zu ergeben." Es gibt keine Garantie dafür, dass es Antworten auf alles gibt, auch wenn Hartl das noch so gern hätte! "Einfach glauben", sprich, sich die Wahrheit von
Behauptungen einzureden, deren Wahrheitsgehalt man nicht kennt, ist keine realitätstaugliche Strategie. Und Atheisten sind nicht unglücklich. Man muss hinterm Mond leben, um sowas zu glauben. Die Welt hat ihre schönen Seiten, ob man nun einen magischen Daddy dahinter vermutet oder
nicht.
"Nein, wer tief nachdenkt und hinterfragt, wird nicht automatisch
zum Atheisten..."
Da hat er leider Recht. Jeder hat Gründe für seinen Glauben, und Nachdenken und Hinterfragen können diese miesen Gründe nicht immer entlarven. Oft braucht es
Informationen und Input von außen, gezielte Aufklärung, die die logischen
Fehlschlüsse entwirrt. Herr Hartl gesteht in seinem Post ein, dass er die Antwort auf die Frage nach Gottes Existenz genauso wenig kenne wie wir. Aus irgendwelchen Gründen - seinem
Post nach zu urteilen anscheinend hauptsächlich aus Angst - macht er sich aber vor, dass er die Antwort kennt. Ein Atheist tut das nicht. Und jetzt soll mir mal einer verraten, warum das nicht
vernünftiger sein soll.
Gastbeitrag von: bibelkritik.blogspot.de