Albert Camus ist der letzte Philosoph, dessen Artikel aus dem Philosophie-Buch ich hier zitieren möchte. 1957, mit 44 Jahren, erhielt er den Nobelpreis für Literatur. Mir war er bis jetzt nicht als Schriftsteller, sondern nur als Philosoph bekannt, er gilt als einer der Hauptvertreter des Existenzialismus und war mit Jean-Paul Sartre bekannt bzw. befreundet. Die Grundidee Camus‘ zeigt am einfachsten die folgende Grafik aus dem Philosophie-Buch:
Die Grundidee des Existenzialismus, so wie ich sie verstanden habe: Wenn wir annehmen, dass es keinen Gott gibt, sind wir für alles selbst verantwortlich. Camus sieht da den in der Grafik gezeigten Widerspruch. Im Buch liest sich das so:
Den
Gedanken der Absurdität des Daseins führte Camus erstmals im Essay „Der Mythos von Sisyphos“ aus. Sisyphos ist ein griechischer König, der sich die Gunst der Götter verscherzt hat und zu einem
schrecklichen Schicksal in der Unterwelt verurteilt worden ist. Er muss einen großen Felsbrocken einen Berg hinaufwälzen, der, sobald der Verdammte ihn nach oben gewuchtet hat, wieder
herunterrollt.
Camus war
fasziniert von diesem Mythos, schien er doch Sinnlosigkeit und Absurdität des Daseins zu bezeugen. Allerdings sieht auch Camus, dass vieles von dem, was wir tun, sinnvoll erscheint. Als bewusste
Wesen können wir gar nicht anders, als unser Leben für sinnvoll zu halten. Doch ist dieser Sinn nicht draußen in der Welt zu finden, sondern nur in unseren Köpfen, in unserer Vorstellung. Die
Welt als Ganzes hat weder Sinn noch Zweck, sie ist einfach nur da. Da wir Menschen aber im Unterschied zu anderen Lebewesen über Geist und Bewusstsein verfügen, sind wir in der Lage, überall
Bedeutungen und Zwecke zu finden.
Das Absurde ist Camus zufolge das Gefühl, das uns
befällt, wenn wir sehen, dass der Sinn, den wir dem Leben geben, nur innerhalb unseres Bewusstseins zu finden ist. Das Gefühl des Absurden entsteht aus dem Widerspruch zwischen diesem Bewusstsein
und der unabweisbaren Erkenntnis, dass das Universum sinnlos ist. Wie, fragt Camus, können wir in dieser widersprüchlichen Situation leben? Seine Antwort: Erst wenn wir unsere Situation, die
Sinnleere, erkennen, sind wir in der Lage, ein erfülltes Leben zu führen. Wenn wir von der Absurdität des Daseins ausgehen, wird das Leben zu einer ständigen Revolte gegen die Sinnlosigkeit der
Welt und wir sind frei.
In der Tat scheinen sich Religionen deshalb so hartnäckig zu behaupten, weil die meisten Menschen den Gedanken nicht aushalten, dass man im Universum keinen Sinn erkennen kann. Sie benötigen eine übergeordnete Instanz, Gott, die ihnen Vorschriften über das richtige Verhalten macht und Strafen für den Fall androht, dass diese Gebote nicht eingehalten werden. Paradoxerweise bemerken die meisten nicht, dass die Vorschriften und Strafen nicht von Gott kommen, sondern von anderen Menschen gemacht werden.
Aber wie kommt man der Verzweiflung angesichts der Sinnlosigkeit des Universums bei, gibt es diese Absurdität, die Camus postuliert, überhaupt? Diese scheinbar erkannte Sinnlosigkeit des Universums ist gewiss eine – ziemlich kurzsichtige – Schlussfolgerung aus Erkenntnissen der modernen Naturwissenschaften.
Meiner Meinung nach besteht der Denkfehler darin, eine Dichotomie zwischen uns bzw. unserem Bewusstsein auf der einen und dem Universum auf der anderen Seite zu konstruieren. Gewissermaßen ist das die Wiederkehr eines Dualismus zwischen Leib und Seele, nur jetzt eben auf einer atheistischen Ebene. Unser Bewusstsein aber ist genauso ein Produkt des Universums wie die unbelebten Dinge auch. Wenn wir in unserem Leben einen Sinn empfinden, dann ist auch das Universum nicht sinnlos, denn wir sind ein Teil desselben. Der Denkfehler Camus‘ in der obigen Grafik liegt bereits im zweiten Kästchen: „Wir wissen jedoch, dass das Universums sinnlos ist.“ Genau das wissen wir nicht.
Gastbeitrag von: Dr. Ralf Poschmann