„In einer Welt, die überflutet wird von belanglosen Informationen, ist Klarheit Macht.“ 

- Yuval Noah Harari

Das Philosophiebuch: Karl R. Popper

Im Philosophiebuch ist nach Wittgenstein eines der nächsten Kapitel Karl Reimund Popper gewidmet. Mit seinen Antworten auf drei großen Themen ist er ins „kollektive Gedächtnis der Menschheit“ aufgenommen worden. Das erste Thema sind seine politischen Ansichten, die er vor allem in seinem Buch Die offene Gesellschaft und ihre Feinde veröffentlicht hat. Das dritte Thema, die Drei-Welten-Theorie über das Leib-Seele-Problem, findet man in seinem Alterswerk „Das Ich und sein Gehirn“, an dem er zusammen mit John Eccles gearbeitet hat. Das hat mich seinerzeit stark beeindruckt und war fast meine erste Begegnung mit Philosophie. Im Philosophiebuch wird über das zweite Thema geschrieben, Karl Poppers Beitrag zur Wissenschaftstheorie. Weil es hier so schön passt und es heute so warm ist, zunächst ein Bonmot von Vince Ebert:

Wie unterscheidet man Wissenschaft, Religion und Esoterik?

·   Wenn jemand sagt, „Ich glaube im Kühlschrank ist Bier“, zum Kühlschrank hingeht und nachguckt, ob da welches drin ist, dann ist das Wissenschaft.

·     Wenn jemand sagt, „Ich glaube im Kühlschrank ist Bier“, nicht zum Kühlschrank hingeht und nachguckt, ob da welches drin ist, dann ist das Religion.

·   Wenn jemand sagt, „Ich glaube im Kühlschrank ist Bier“, zum Kühlschrank hingeht, nachguckt und keins findet, aber weiterhin glaubt, dass da Bier drin ist, das ist dann Esoterik.

Mit dem „Nachgucken“ ist das allerdings so ein Problem, denn wenn man zehnmal nachgesehen hat und es war immer Bier drin, kann man dann sicher sein, dass es auch beim elften Mal so sein wird? Üblicherweise wird das dahinter stehende Problem an anderen Beispielen gezeigt, z.B. an weißen Schwänen: Auch wenn wir noch so viele weiße Schwäne gesehen haben, können wir nicht schlussfolgern, dass alle Schwäne weiß sind. Der erste schwarze Schwan widerlegt unsere Annahme. Im Philosophiebuch wird stattdessen das Fallenlassen eines Balls diskutiert:

Niemand hat je erlebt, dass ein Tennisball, losgelassen, nach oben fliegt. Wir wissen, dass er nach unten fällt, weil uns die Erfahrung gelehrt hat, dass es so sein wird. Und wir können nicht nur sicher sein, dass der Ball nach unten fallen wird, sondern wissen auch, wie er fallen wird. Wenn wir die Schwerkraft und die Höhe des Fensters kennen, können wir die Geschwindigkeit berechnen, mit der der Ball zu Boden saust. Dennoch, die Frage bleibt: Können wir sicher sein, dass der Ball, wenn wir ihn wieder aus dem Fenster werfen, zu Boden fallen wird? So oft wir das Experiment wiederholen, so sicher wir über das Ergebnis sein mögen, wir können nicht beweisen, dass das Resultat immer das gleiche sein wird.

Dass empirische Regelmäßigkeiten nicht mit absoluter Sicherheit für die Zukunft gelten, nennt man das Induktionsproblem, das Hume als Erster erkannt hat. Induktion ist der Schritt von der Beobachtung von Tatsachen zu allgemeinen Schlussfolgerungen. Wir erwarten, dass der Ball, den wir aus dem Fenster werfen, zu Boden fällt, weil wir, zumindest nach Ansicht Humes, unzählige Male erlebt haben, dass Bälle zu Boden fallen, wenn man sie loslässt.

Durch Induktion, dem Schließen vom Einzelnen auf das Allgemeine, können wir also kein sicheres Wissen gewinnen. Durch Deduktion aber auch nicht:

Ein anderes Verfahren ist der deduktive Schluss. Während Induktion der Schritt vom besonderen Fall zur allgemeinen Regel ist, bewegt sich der deduktive Schluss von der allgemeinen Regel zum besonderen Fall. Nehmen wir ein Beispiel eines deduktiven Schlusses und gehen dabei von zwei Prämissen oder Voraussetzungen aus: »Wenn dieses Ding ein Apfel ist, dann ist es eine Frucht (weil alle Äpfel Früchte sind)«, und: »Dies ist ein Apfel.« Aufgrund dieser Prämissen führt die Aussage: »Dieses Ding ist ein Apfel« notwendig zu dem Schluss: »Es ist eine Frucht.«

Aussagen dieser Art werden als gültig betrachtet, weil sie unumgänglich aus ihren Prämissen folgen. Dass eine Schlussfolgerung stimmt, heißt jedoch nicht, dass die Schlüsse, die man gezogen hat, ebenfalls wahr sind. Der Schluss zum Beispiel: »Wenn das eine Katze ist, dann riecht sie nach Bananen; dies ist eine Katze, also riecht sie nach Bananen« ist gültig, weil er eine gültige Form hat. Aber die Schlussfolgerung ist falsch. Die Prämisse »Wenn das eine Katze ist, dann riecht sie nach Bananen« ist problematisch, weil Katzen, zumindest in unserer Welt, nicht nach Bananen riechen. Weil also die Prämisse falsch ist, ist – trotz gültigem Schluss – auch die Folgerung falsch.

Die Schlussfolgerung, die Popper aus all diesem zieht, ist sehr einfach: Wissenschaftliche Theorien lassen sich niemals beweisen, man kann – ein einziges Gegenbeispiel reicht – nur ihre Falschheit zeigen. Das ergibt eine einfache Möglichkeit zu prüfen, ob eine Theorie wissenschaftlich ist. Sie muss natürlich alle bisherigen Beobachtungen und Experimente hinreichend gut erklären. Aber sie muss auch Vorhersagen für neue Beobachtungen und Experimente und deren Ergebnisse machen, die, falls sie im Widerspruch zu den Vorhersagen stehen, die Theorie widerlegen, sprich „falsifizieren“. Je mehr Voraussagen einer Theorie bestätigt werden können, umso mehr hat sie sich bewährt.

Poppers Vorstellungen von der Vorgehensweise der (Natur)Wissenschaften sind wahrscheinlich zu einfach. Im Alltag streben Wissenschaftler nicht danach, bestehende Theorien zu widerlegen, sie wenden sie einfach an und werden erst stutzig, wenn sich etwas mit ihnen überhaupt nicht erklären lässt. Aber die Frage „Kann eine Theorie falsifiziert werden?“ ist ein einfaches Kriterium dafür, ob man sie wissenschaftlich nennen darf. Alternative Erklärungen, wie Wissenschaft funktioniert, haben Thomas S. KuhnPaul Feyerabend und Imre Lakatos gegeben. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch die Duhem-Quine-These. Sie ist der ultimative Dämpfer, den man jedem Wissenschaftsgläubigen geben kann.

Gastbeitrag von: Dr. Ralf Poschmann

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