Wenn Schmerzen chronisch werden, ist das für die Betroffenen eine Qual – nicht zuletzt, weil sich die Behandlung oft schwierig gestaltet. Neue medizinische Ansätze beziehen auch die Psyche in die Therapie ein.
“Ich habe ständige Schmerzen. Das schneidet, das rührt, das sticht im Arm, wie ein Gewitter, und dazu kommen auch noch ganz schlimme, plötzlich einschießende Schmerzen, die brennen.” (Uwe Ciecior, 47 Jahre, Unfallopfer)
Er ist immer da, jeden einzelnen Tag, seit mehr als einem Jahrzehnt. Die Kinder sind unterdessen groß geworden, haben das Haus verlassen, ihn zum Großvater gemacht. Der Schmerz ist geblieben und wird niemals aufhören. Mit ihm ist das Leben mal die Hölle, manchmal ist es auch mit ihm, trotz ihm, ganz lebenswert. Uwe Ciecior aus Jena ist seit einem Motorradunfall im Jahr 1997 chronisch schmerzkrank.
So wie er leiden der Deutschen Schmerzliga zufolge mindestens acht Millionen Bundesbürger an schweren Dauerschmerzen; am meisten verbreitet sind Rücken-, Kopf- und rheumatische Schmerzen. Als chronisch gelten sie dann, wenn sie mindestens drei bis sechs Monate anhalten und das Leben des Betroffenen stark beeinflussen.
DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE
· Mindestens acht Millionen Deutsche leiden an chronischen Schmerzen.
· Als chronisch bezeichnet man Schmerzen, die zwischen drei und sechs Monaten anhalten und das Leben der Betroffenen stark beeinflussen.
· Chronische Schmerzen haben meist unterschiedliche Ursachen. Ein Faktor ist oft eine Veränderung der Schmerzsensoren, die mehr Rezeptoren ausbilden und empfindlicher auf Schmerzreize reagieren: das so genannte Schmerzgedächtnis.
· Moderne Schmerztherapie versucht, bereits die Ausbildung des Schmerzgedächtnis zu verhindern. Üblich ist auch eine medikamentöse Behandlung.
Biologisch gesehen ist Schmerz eigentlich eine gute Sache. Er signalisiert dem Gehirn, dass etwas im Körper nicht richtig funktioniert, ist also ein Warnsignal. Klassisch-physiologischer Schmerz entsteht üblicherweise durch einen starken Reiz, etwa bei einer Verletzung, Überdehnung, durch zu viel Hitze oder Verätzung durch Chemikalien. Auf diesen Reiz reagieren die so genannten Nozizeptoren, deren Name sich vom lateinischen Verb “nocere” ableitet, das “schaden” bedeutet. Die Nozizeptoren sind freie Nervenendigungen, die in fast allen Körpergeweben wie Haut, Knochen, Muskeln und inneren Organen sitzen. Ihre Erregung wird über das Rückenmark zur Hirnrinde geleitet, die sie bewertet und die Schmerzempfindung bewusst werden lässt.
“Ich bin hier auf dem Teppich wochenlang immer nur hin- und hergelaufen, jammernd, meinen Arm haltend. Habe geschrien, mit einem Lappen im Mund, der Nachbarn wegen. Sie können bei so etwas ja auch keinen Notarzt rufen. Das heißt: Sie können schon, aber der kann ja auch nichts machen.”
Nervenzellen lernen schnell. Wenn sie über einen längeren Zeitraum immer wieder Schmerzimpulsen ausgesetzt sind – nach einer Verletzung, bei mangelhaft behandelten akuten Schmerzen – verändern sie ihre Struktur, ihren Stoffwechsel. Sie bilden vermehrt Rezeptoren aus, die schon bei schwachen Reizen oder sogar ohne jeglichen Reiz Schmerzsignale an das Gehirn weiterleiten. Die Nervenimpulse verselbständigen sich, die Zelle kann nicht mehr abschalten: Sie hat ein so genanntes Schmerzgedächtnis entwickelt. Der Schmerz ist nicht länger ein nützliches Warnsignal – er ist selbst zur Krankheit geworden.
Ob die überaktiven Nozizeptoren jedoch einen Schmerz auslösen, hängt auch davon ab, wie das Gehirn auf ihre Erregung reagiert. Selbst wenn die Nervenendigungen ununterbrochen feuern, kann der gefühlte Schmerz kommen und gehen – manchmal fühlt man auch Schmerz, obwohl die Nozizeptoren gar nicht aktiv sind. Das zeigt, wie stark auch die Psyche das eigene Schmerzempfinden beeinflussen kann.
“Ich habe alles Mögliche verschrieben bekommen: Morphium, Opiate, Fentanyl, Ketanest, Methadon und so weiter. Am Anfang helfen die schon, aber auf Dauer nicht, da bleiben nur die starken Nebenwirkungen. Ich musste einen richtigen Entzug von diesen Schmerzmitteln machen, der war heftig.”
In der Schmerztherapie spielt die Medikation eine Hauptrolle. Ärzte orientieren sich dabei an einem Schema der Weltgesundheitsorganisation, das drei Schmerzstufen unterscheidet. Bei leichten Schmerzen sorgen Entzündungshemmer wie Acetylsalicylsäure oder Ibuprofen für Linderung. Mittelstarke Schmerzen können mit schwachen Opioiden behandelt werden. Gegen starke Schmerzen hingegen helfen nur starke Opioide wie Morphin. Seit einiger Zeit kommen auch Antidepressiva und Antiepileptika in der Schmerztherapie unterstützend zum Einsatz.
All diese Mittel hemmen entweder schon die Entstehung oder die Übertragung von Schmerz durch die Nervenfasern. Jedoch haben sie oft schwere Nebenwirkungen oder bergen das Risiko von Abhängigkeiten. Die Suche nach anderen Wirkstoffen geht daher weiter; so werden zum Beispiel auch Cannabinoide nach ihrem Nutzen untersucht. Ärzte und Patienten berichten von einer schmerzlindernden Wirkung von Cannabis. Jedoch fehlen dazu noch umfassende Studien. Hinzu kommt die in Deutschland restriktive Gesetzgebung.
Da es viele verschiedene Arten von chronischen Schmerzen gibt, denen stets ein ganzes Ursachenbündel zugrunde liegt, ist ihnen in der Behandlung nur schwer beizukommen. Darum wird immer mehr Augenmerk auf die Prävention gerichtet, an der oft unterschiedliche Disziplinen beteiligt sind. So arbeiten etwa Anästhesisten und Chirurgen zusammen, um akute Schmerzen nach einer Operation zu behandeln, damit sich erst gar kein Schmerzgedächtnis ausbildet – ein lange Zeit vernachlässigter Ansatzpunkt zur Bekämpfung chronischer Schmerzen.
Auch dem Zusammenhang von körperlichem Schmerz und der Psyche wird in der Therapie Rechnung getragen. Hier hat sich das so genannte biopsychosoziale Schmerzkonzept durchgesetzt, das Schmerz als Produkt komplexer Wechselwirkungen zwischen biologischen, psychischen und sozialen Faktoren versteht. In modernen Spezialambulanzen arbeiten daher neben Anästhesisten auch verschiedene Therapeuten, Orthopäden und Neurologen. Sie versuchen, sowohl den physischen Vorgang der chronischen Schmerzleitung zu unterbrechen, als auch die Schmerzverarbeitung des Betroffenen zu verändern, etwa mit autogenem Training oder auch durch Psychotherapie. Dabei muss ein Umstand besonders berücksichtigt werden:
“Schmerzen sind etwas absolut Subjektives, die kann kein anderer nachvollziehen.”
Der Arzt Dietrich Jungck, einer der deutschen Vorreiter in Sachen Schmerztherapie, hat in einem Beitrag einmal die psychische Verfassung von Patienten mit chronischen Schmerzen analysiert. Demzufolge durchleben die Patienten verschiedene Phasen: Erst versuchen sie, die Schmerzen zu bagatellisieren, sie zu verleugnen. Geht das nicht mehr, werden sie wütend, hadern mit ihrem Schicksal, warten ungeduldig auf ein Ende der Pein. Irgendwann stellt sich Resignation ein, depressive Züge können auftreten. Der Schmerzpatient zieht sich zurück, oft wenden sich auch die Mitmenschen überfordert ab. Nur wenige Patienten schaffen es, diese Stufe zu überwinden, die Krankheit zu akzeptieren, sie aktiv in ihr Leben und ihre Zukunftspläne zu integrieren.
“Das hält man nur durch, wenn man jemanden hat, der an einen glaubt. Ich habe Kinder, Enkelkinder, eine Liebste. Ohne Familie, ohne soziale Kontakte wäre ich nicht mehr hier, das hätte ich mir nicht mehr angetan.”
Gastbeitrag aus: Anna Corves