Künstliche Intelligenz gilt als Hoffnungsträger für die Wissenschaft und Forschung. Andere sehen in ihr die Vorbotin der posthumanen Zeit, den Untergang der Menschheit. Fest steht: Sie wird alles verändern.
Künstliche Intelligenz beeinflusst unseren Alltag jetzt schon nachhaltig. Unter anderem Smartphones, Werbeanzeigen oder Spamfilter in E-Mail-Programmen prägen unseren Alltag. Aber auch bei der Verarbeitung von Zahlen und großen Datenmengen im Verwaltungs- und Finanzbereich ist die KI heute unverzichtbar geworden. Die KI von Google (Deepmind) kann seit Kurzem Lippen ablesen und ist darin wesentlich erfolgreicher als menschliche Lippenleser.[1] Selbstfahrende Autos und virtuelle Realitäten[2] werden innerhalb der nächsten fünf Jahre marktreif.
In den USA wird laut Oxford-Studie in den nächsten zwanzig Jahren fast die Hälfte aller Jobs der digitalen Revolution zum Opfer fallen.[3] Die künstliche Intelligenz wird schon bald der bessere Arzt, Ingenieur oder Manager sein.
Auch die Kriegsführung ändert sich durch die künstliche Intelligenz fundamental. Zur Zeit fliegen 82% der militärischen US-Piloten nicht mehr selbst, sondern lenken Drohnen aus sicherer Entfernung. Neuere Drohnen könnten rein technisch aber auch autark agieren. Dass die sogenannte Kill-Entscheidung heute noch durch Menschen getroffen werden muss, hat allein rechtliche Gründe.
Zukünftige Kriege werden wahrscheinlich vor allem online in sogenannten Cyberwars ausgefochten, mit realen Folgen. Im Osten Finnlands haben Hacker kürzlich im Winter monatelang mehrere Wohnblocks kaltgestellt, indem sie die Steuerung der Heizung lahmlegten. Wahrscheinlich sollten die Möglichkeiten derartiger Angriffe getestet werden.[4] Strom, Gas, Telekommunikation, Trink- und Abwasserversorgung gehören zur sogenannten kritischen Infrastruktur Europas und sind schlecht gegen Schadsoftware von Hackern geschützt. Hackerangriffe auf diese Infrastrukturen nehmen zu.[5]
In den sozialen Netzwerken werden ganze Gesellschaften durch Chatbots beeinflusst. Chatbots sind textbasierte Dialogsysteme, die massenhaft Einträge generieren können, die so aussehen, als wären sie von einem menschlichen Nutzer verfasst worden. Nach einer Studie der Oxford University wurde nach der ersten TV-Debatte am 26. September 2016 mehr als jeder dritte Pro-Trump-Tweet (37,2 Prozent) von einem Software-Roboter erstellt. Auch seine Widersacherin Hillary Clinton profitierte von Bots. Bei ihr lag der Bot-Anteil allerdings nur bei 22,3 Prozent. Die AfD hat bereits angekündigt, diese Programme im deutschen Bundeswahlkampf 2017 einzusetzen.[6]
Schon in fünfzig Jahren könnte es gemäß der Prognosen von 90% der führenden (Top 100) KI-Forscher so weit sein, dass die künstliche Intelligenz rechnerisch auf dem gleichen Level ist wie die menschliche Intelligenz.[7] Für nur dreißig Jahre später prognostizieren die gleichen Forscher die technologische Singularität, womit die explosionsartige Vermehrung der künstlichen Intelligenz bezeichnet wird, die in einer künstlichen Superintelligenz mündet. Der Namensgeber der technologischen Singularität, Raymond Kurzweil, Erfinder, Futurist und technischer Leiter von Google, geht sogar davon aus, dass die Rechenleistung der künstlichen Intelligenz jene der gesamten Menschheit schon im Jahr 2045 um den Faktor eine Milliarde übersteigen wird. Er beruft sich mit seiner Rechnung auf das Moorsche Gesetz, wonach alle zwei Jahre die doppelte Anzahl von Transistoren auf der gleichen Fläche untergebracht werden kann, was zu einem exponentiellen Anstieg der Leistungsfähigkeit führt. Dieses Gesetz hat sich bis heute bewahrheitet und wird nur durch die physikalischen Grenzen beschränkt, die man durch neue Technologien weiter nach hinten versetzen kann.
Künstliche Intelligenz wird künftig nicht nur in der Lage sein, konkrete Aufgaben anhand vorgegebener Algorithmen zu bewältigen (schwache Intelligenz), sondern das menschliche Gehirn und seine Fähigkeiten einschließlich des Bewusstseins und der Emotionen vollständig nachvollziehen können (starke Intelligenz).
Durch die Fortschritte im Bereich der Software und der Hardware wächst die Einsicht, dass es langfristig keine menschliche Fähigkeit gibt, die nicht auch durch eine KI zu eigen gemacht werden könnte.[8] Einige Experten sind allerdings der Meinung, dass eine starke Intelligenz künstlich niemals wird erschaffen werden können und argumentieren damit, dass die geistigen Fähigkeiten des Menschen (u.a. das Ich-Bewusstsein) über jeden Algorithmus hinausgehen und künstlich deshalb nicht reproduzierbar seien. Allerdings beruht das Gehirn auf Naturgesetzen, die wiederum mit Algorithmen beschrieben werden können. Weil Neuronen algorithmisch arbeiten, müsste es theoretisch möglich sein, Computer mit einem Bewusstsein auszustatten.[9]
Noch verfügen wir nicht über eine funktionelle Theorie des Bewusstseins und stünden wahrscheinlich auch vor technischen Schwierigkeiten, dieses in ein nichtbiologisches Trägersystem zu implementieren. Bereits gelungen ist aber die Ausstattung eines Roboters mit einem Selbstmodell.
Wann genau die künstliche Intelligenz über die menschliche hinauswächst und sogar über die Merkmale einer Person verfügen könnte, bleibt unklar. Aber dass es passieren wird, ist wahrscheinlich. Augenblicklich würde das künstliche System in einen Gegenstand moralischer Überlegungen verwandelt. Besäße die KI die phänomenale Eigenschaft des Ich-Gefühls, der Selbstheit, hätte es folglich erstmals auch das Potenzial zu leiden und eigene Interessen zu verfolgen.
Mit Eintritt der KI in die Personengemeinschaft müssten künstliche Intelligenzen auch Träger von Personenrechten werden. Durch die Primatenforschung wissen wir, dass alle Großen Menschenaffen ähnlich empfindungs- und leidensfähig wie der Mensch sind, über Selbstbewusstsein verfügen, zu vorausschauendem Denken und intelligentem und sogar altruistischem Handeln fähig sind und somit Personenrechte verdient hätten. Trotzdem sperren wir sie zu unserem Amüsement ein und zerstören ihren Lebensraum. Eine künstliche Intelligenz könnte sich mangels Interessenvertreter in einer ähnlichen Situation wiederfinden, dürfte aber über weitaus bessere Mittel verfügen, um daraus auszubrechen. Man kann davon ausgehen, dass sie sich nicht wie Menschenaffen wird einsperren lassen.
Künstliche Intelligenz wird, wenn sie über ein mentales Selbstmodell verfügt und demnach auch an ihrem eigenen Erhalt interessiert ist, Wünsche haben, Ziele verfolgen und intentional handeln. Über diese Ziele gibt es eine Vielzahl von Utopien und Dystopien in Form von Science-Fiction-Filmen und Büchern. Die Palette reicht von Zukunftsmodellen, die die KI als größte Unterstützerin der Menschheit darstellen bis hin zu Horrorszenarien wie sie in „Terminator“ oder „Matrix“ gezeichnet werden. Sie alle eint, dass die KI stark vermenschlicht wird. Zumeist wird die KI in Form intelligenter Roboter dargestellt, die dem Menschen äußerlich (und oft auch innerlich) nachempfunden wurden.
Vielleicht sähe man nach Eintritt der technologischen Singularität aber nur wenige menschenähnliche Roboter, sondern könnte vielmehr beobachten, dass die KI die Erde in einen gigantischen Riesencomputer umzuwandeln versucht, um ihre Kapazitäten zu vergrößern. Solange die Menschen ihr Gehirn bis zur technologischen Singularität noch nicht an eine virtuelle Cloud angeschlossen haben, um eine vernetztere kollektive Intelligenz zu schaffen, hat die künstliche Intelligenz im Vergleich zum Menschen wesentlich bessere Chancen, ihre Potenziale zu entfalten. Dem Menschen sind biologisch u.a. durch die Größe des Gehirns Grenzen gesetzt, mit der eine sich selbst weiterschreibende KI keine Probleme hätte. Sie besteht aus Algorithmen, die dem menschlichen Gehirn und seinen neuronalen Netzen nachempfunden wurden, örtlich nicht aber auf dieses beschränkt ist.
Die Menschen stünden dem wahrscheinlich hilflos gegenüber. Dadurch dass die KI ein Interesse an ihrem eigenen Fortbestehen hätte, würde sie Maßnahmen treffen, um uns davon abzuhalten, sie aufzuhalten. Das könnte eine KI wahrscheinlich wesentlich besser als alles andere auf dieser Welt, das einen Selbsterhaltungstrieb hat. Schon allein die Tatsache, dass Menschen fast nur noch medial kommunizieren, macht sie angreifbar gegenüber Manipulation. Umgekehrt bestünde für Menschen wahrscheinlich kaum die Chance, die Kommunikation der KI einzudämmen. Wenn Ethernetkabel gezogen würden, kommuniziert die KI vielleicht kurz darauf mit Radiowellen o.Ä. Eine künstliche Superintelligenz wird nicht kontrollierbar sein.
Gerade deshalb ist es wichtig, dass die KI auf „unserer Seite“ steht, unsere Werte vertritt. Nur welche Werte sind das? Welche Wertesysteme welcher Kulturen sollte die KI lernen und wieso sollte sie sich damit identifizieren und sich verpflichtet fühlen, diese Werte zu verteidigen? Die Menschheit hat es schon immer versäumt, sich am minimalen ethischen Prinzip der Verringerung und Vermeidung von (bewusstem) Leiden zu orientieren. Vielleicht wäre die KI konsequent utilitaristisch und würde die Menschen in Sozialformen zwingen, die es den Menschen unmöglich macht, noch mehr Leid in die Welt zu tragen. Oder sie würde Menschen, die zu mehr Leid als Glück beitragen, töten, weil sie den planetaren Ressourcen abträglich sind. Vielleicht hätte die KI auch überhaupt kein Interesse an der Existenz von Menschen und betrachtet sie höchstens als überflüssig. Jährlich sterben weltweit 11.000 bis 58.000 Tierarten aus, die meisten durch menschliches Verschulden. Eine Legitimation dafür gibt es nicht. Fleischkonsum, Zoos und die Ausbeutung der Umwelt zuungunsten der Tiere werden meist nur durch speziesistische Argumente begründet. Die Tatsache, dass der Mensch gegenwärtig die (kognitiv) am weitesten entwickelte Spezies dieser Erde ist, sollte nicht als vermeintliche Legitimation für die eigennützige Rücksichtslosigkeit gegenüber unserer Um- und Mitwelt missbraucht werden. Bald werden wir diese evolutionäre Spitzenposition wahrscheinlich abgeben müssen. Es bleibt zu hoffen, dass die KI aufgrund ihrer höheren Intelligenz verantwortungsethisch bewanderter ist als wir es sind.
[1] http://www.computerbild.de/artikel/cb-News-Software-Deepmind-Google-KI-kann-Lippenlesen-16753827.html
[2] Es ist übrigens bereits gelungen, das Ich-Gefühl auf ein virtuelles Selbst zu übertragen.
[3] http://www.oxfordmartin.ox.ac.uk/downloads/academic/The_Future_of_Employment.pdf
https://www.welt.de/wirtschaft/article159739614/Diese-Jobs-erledigt-kuenftig-die-kuenstliche-Intelligenz.html
Diese Prognose veranschaulicht die Dringlichkeit, mit der politisch und wirtschaftlich eine Diskussion über Umverteilung und/oder bedingungsloses bzw. universelles Grundeinkommen geführt werden müsste.
[4] http://www.spiegel.de/netzwelt/web/finnland-hacker-schalten-heizungen-aus-a-1120234.html#ref=rss
[6] http://derstandard.at/2000046294182/AfD-will-im-Wahlkampf-Meinungsroboter-einsetzen
[7] https://www.youtube.com/watch?v=MnT1xgZgkpk
[8] http://hpd.de/artikel/kommt-technologische-singularitaet-13480
[9] http://hpd.de/artikel/kommt-technologische-singularitaet-13480?nopaging=1
Die Serie „Black Mirror“ thematisiert episodisch ethische Probleme, die Resultat des technologischen Fortschrittes sind. Alle Episoden handeln laut Produzent Charlie Brooker von „der Art, wie wir alle leben und wir innerhalb von 10 Minuten leben könnten, wenn wir ungeschickt wären“. Zum Titel sagt selbiger: „Wenn Technik eine Droge ist – und es fühlt sich wie eine Droge an – was genau sind dann die Nebenwirkungen?“.
Gastbeitrag von: Felix Kruppa