Fit werden, ohne vom Sofa aufzustehen – der Traum manches Sportmuffels. Neurowissenschaftliche Studien zeigen, dass reine Geisteskraft tatsächlich Bewegungen üben und Muskelleistungen verbessern kann. Kann man also ganz auf Sport verzichten?
Blitzschnell zieht der Schwimmer die Arme durchs Wasser. Er spürt die Kälte an seinem Körper, hört den Atem des Konkurrenten neben sich. Mit einem kräftigen Schwimmzug erreicht er den Beckenrand. Gewonnen! Naja, fast. Denn der Leistungssportler krault nicht durch das Wasser eines Schwimmbades, sondern liegt auf dem Sofa. Er trainiert mental. Immer mehr Sportler nutzen die Kraft des Geistes, um ihre körperliche Leistung zu verbessern. Doch was verbirgt sich hinter mentalem Training? Und wie wirkt es?
DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE
· Wer eine Bewegung wiederholt mental trainiert, kann diese später besser und präziser ausführen.
· Beim mentalen Training sind ähnliche Areale aktiv wie beim körperlichen Training.
· Mentales Training kann jedoch kein körperliches Training ersetzen.
Die Effekte der Imagination sind nicht nur auf den Spitzensport beschränkt. Verschiedene Studien belegen, dass sich das Kopftraining der Spitzensportler auch auf ältere, kranke Menschen in der Rehabilitation übertragen lässt. Vor allem bei Schlaganfällen hat sich das mentale Training als wirksames Mittel erwiesen. Aber auch Musiker, Chirurgen oder Piloten können das Kopftraining für sich nutzen. Gerade wenn Spitzenleistungen unter Stress gefordert werden und Fehler gravierende Folgen haben, empfiehlt sich das Üben im Kopf. Obwohl es bereits verschiedene Ansätze gibt, mentales Training in die Chirurgen- und Pilotenausbildung zu integrieren, gibt es bislang kaum belastbare Studien zur Wirksamkeit für diese Bereiche. In der Musik dagegen konnten Wissenschaftler an Posaunenspielern und Pianisten zeigen, dass mentales Training das Spiel verbessert. Das ahnte schon der Klaviervirtuose Arthur Rubinstein. Auf seinen Langstreckenflügen zu Konzerten nach Südamerika bereitete er sich rein mental auf seine Auftritte vor – und übte die Stücke im Kopf.
Wer im Internet nach „mentalem Training“ sucht, findet nicht nur Angebote von Sportpsychologen. Auch selbsternannte Experten aller Art versprechen potentiellen Kunden Erfolg durch mentales Training - in der Liebe, im Beruf, im Leben allgemein. Sportpsychologen verstehen dagegen unter mentalem Training „die planmäßig wiederholte und bewusst durchgeführte Vorstellung einer Bewegung oder Handlung ohne deren gleichzeitige praktische Ausführung“. So beschreibt es Hans Eberspächer, der bis 2008 als Professor für Sportwissenschaft und Sportpsychologie an der Universität Heidelberg tätig war und unter anderem die alpine Ski-Nationalmannschaft betreute.
Das Training im Kopf wird von Sportlern unterschiedlichster Disziplinen genutzt: Skialpinisten fahren kurz vorm Start noch einmal die Rennstrecke gedanklich ab. Turmspringer wiederholen den perfekten Sprung im Kopf. Lee Evans, Olympiasieger im 400-Meter-Lauf, berichtete schon 1984: „Ich visualisierte jeden Schritt des 400-Meter-Laufs so lange, bis ich jeden Schritt sah, den ich machen würde.“ Mit dem Kopftraining gehen viele Vorteile einher, erklärt Klaus Beckendorf, der zehn Jahre lang als Sportpsychologe am Olympiastützpunkt in Hannover gearbeitet hat: „Ich kann trainieren, auch wenn ich gerade im Flieger sitze oder wenn ich krank oder verletzt bin.“ Gerade bei risikoreichen Sportarten bietet mentales TrainingVorteile: Pro Trainingseinheit kann ein Skispringer nur etwa vier bis sechsmal von der Schanze abspringen – im Kopf dagegen unzählige Male.
Wie trainiert man aber eine Bewegung allein mit dem Kopf? Beckendorf erklärt: „Der Sportler muss einen inneren Film der Bewegung entwickeln, der so konkret und detailreich wie möglich sein sollte.“ Dabei können Sportler auf verschiedene Methoden zurückgreifen. Eberspächer empfiehlt, die Bewegung zuerst möglichst genau aufzuschreiben und dann die zentralen Elemente, die Knotenpunkte, der Bewegung, herauszuarbeiten. Andere Sportpsychologen wie Jan Mayer von der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement setzen außerdem auf Fotos oder Videos, die gelungene Bewegungen zeigen.
Wesentlich in allen Ansätzen ist, dass der Sportler die Bewegung beim Vorstellen nachempfindet. „Das kann so weit gehen, dass der Sportler sich genauso aufgeregt fühlt wie vor einem Start“, berichtet Beckendorf. Gelingt es dem Sportler, eine präzise Vorstellung zu entwickeln, braucht er genau so lange, um in Gedanken die Strecke zu schwimmen oder den Sprung zu vollführen, wie in der Realität. Ideal sei die Methode, wenn man sie direkt nach einem gelungenen Training einsetzt, sagt Jan Mayer, der die deutschen Nationalmannschaften im Boxen, Skispringen und Handball trainiert hat: „Danach kann der Sportler sagen: Das war gut und jetzt übe ich das im Kopf immer und immer wieder.“
Nicht nur die Praktiker, auch Sport- und Neurowissenschaftler interessieren sich inzwischen für das mentale Training. Die Forscher wollten prüfen, ob das sportliche Kopfkino wirklich wirkt – und was dabei neuronal passiert. Die Ergebnisse sind vielversprechend: Zwar kann mentales Training kein körperliches ersetzen. Doch sowohl alleine als auch in Kombination mit physischem Training hilft es, Fertigkeiten zu erlernen und zu verbessern.
So trafen Basketballspieler häufiger den Korb, wenn sie sich nach dem echten Training zusätzlich Würfe vorgestellt hatten. Eine Studie von Forschern der Western Kentucky University aus dem Jahr 2008 zeigte ähnliche Erfolge bei einem College-Volleyball-Team. Und ein Team um Rodolphe Gentili, damals noch an der Université de Bourgogne in Frankreich, konnte 2010 zeigen, dass auch Schnelligkeit und Koordination bei komplexen Armbewegungen durch mentales Training verbessert werden können – während bloßes Zuschauen bei der Übung keine vergleichbare Ergebnisse zeitigte.
Sogar bei reinen Kraftaufgaben kann mentales Training die Leistungen verbessern. Dies wies ein Team um den Neurowissenschaftler Vinoth K. Ranganathan vom Cleveland Clinic's Lerner Research Institute 2004 nach. Ranganathan ließ Probanden mental das Abspreizen des kleinen Fingers oder das Beugen des Ellbogens trainieren. Im Vergleich zu Probanden, die weder mental noch physisch trainiert hatten, war die Muskelkraft der Mentaltrainierten nach 12 Wochen deutlich gestiegen. Die Autoren vermuten, dass das mentale Training die Befehle des Cortex, welche die Muskeln aktivieren, optimiert und so die Kraft steigt.
Zahlreiche Studien haben inzwischen die neuronalen Muster beim Ausführen und Vorstellen einer Bewegung verglichen, wie eine Übersichtspublikation eines Teams um Jörn Munzert von der Universität Gießen aus dem Jahr 2009 beweist. Standen Probanden vor der Aufgabe, eine Handlung konkret auszuführen oder sie sich vorzustellen, waren jeweils der primär motorischen Cortex und meist auch das supplementär-motorische Areal aktiv – wenn auch die Aktivierung während der Vorstellung einer Bewegung oft weniger stark war als bei der wirklichen Ausübung.
„Dass prä- und supplementär-motorische Areale beim Vorstellen einer Bewegung aktiviert sind“, meint Jan Mayer, „kann man erwarten, da sie für die Bewegungsplanung zuständig sind. Aber es feuern eben auch Neurone im primären motorischen Cortex - also dem Areal, das letztlich die Bewegungsausführung initiiert. Das hat in den letzten Jahren für große Akzeptanz des Verfahrens gesorgt.“
Doch trotz ähnlicher Gehirn-Aktivierungen bei konkreten Bewegungen und der Vorstellung derselben finden sich auch Unterschiede. Während das praktische Lernen einer Fingerübung Aktivität im Kleinhirn auslöst, zeigt sich beim mentalen Trainieren eine Aktivierung in visuellen Arealen, wie eine Studie von Lars Nyberg von der Umea University in Schweden im Jahr 2006 ergab. Vermutlich informiert das Kleinhirn beim praktischen Üben das Großhirn über eingehende sensorische Reize. Die visuellen Areale dagegen erzeugen das innere Bild der Bewegung beim Imaginieren. Manche Studien belegen auch eine unterschiedliche Aktivierung des supplementär-motorischen Areals. Möglicherweise trägt dies dazu bei, dass beim Vorstellen die Ausführung der Bewegung unterdrückt wird.
Forscher gehen inzwischen davon aus, dass das Imaginieren von Bewegungen letztlich auch plastische Veränderungen im Gehirn auslöst, die denen nach physischem Training gleichen. Darum findet mentales Training auch in der Rehabilitation und in manchen Ausbildungen zunehmend Anwendung (siehe Info-Box).
Das Vorstellen von Bewegungen ist somit mehr als bloßes Kopfkino: Es aktiviert ähnliche Gehirnareale wie echtes Training, verändert das Gehirn und verbessert sowohl die Koordination als auch die Kraft. Um Wettkämpfe zu gewinnen, muss das Sofa jedoch ab und an zum echten Training verlassen werden.
· Deutsche Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement,
Institut für Sportpsychologie und Mentales Coaching; URL: http://www.mentales-coaching.com/main.html; zur
Webseite.
· Gentili, R. et al.: Motor Learning Without Doing: Trial-by-Trial Improvement in Motor Performance During Mental Training. Journal of Neurophysiology. 2010; 104 (2):774 - 783 (zum Text).
Gastbeitrag von: Hanna Drimalla