Einen Brief schreiben, ohne Stift und Tastatur? Flipper spielen, ohne einen Finger zu rühren? Das geht tatsächlich: mit Gedanken und einem EEG.
Das ist die unblutige Variante von Computer-Hirn-Schnittstellen.
In einer Folge von „Raumschiff Enterprise“ aus dem Jahre 1964 gelingt es einem vollständig gelähmten Mann, nur mittels Gedankenkraft ein Lichtsignal aufblinken zu lassen und so zu kommunizieren. Einmal blinken bedeutete ein „Ja“, zweimal blinken ein „Nein“. Damals war das den Köpfen von kreativen Drehbuchautoren entsprungen und galt als Zukunftsvision. Dabei ist diese mittlerweile Realität geworden.
So können gelähmte Menschen beispielsweise mit ihrer Umwelt kommunizieren, einen Rollstuhl oder eine Neuroprothese steuern. Neben invasiven Verfahren, bei denen man die Schädeldecke öffnet, um die Hirnaktivitäten abgreifen zu können, gibt es auch „unblutige“ Methoden: Diese werden „non-invasiv“ oder „nicht-invasiv“ genannt, weil keine Eingriffe in den Körper nötig sind.
Bei dem gängigsten nicht-invasiven Verfahren greifen Wissenschaftler auf das Elektroencephalogramm (EEG) zurück. Dabei wird einem eine Art Badekappe mit eingenähten Elektroden auf den Kopf gesetzt, von denen über Kabel Signale zu einem Verstärker geführt werden. Das EEG registriert so die elektrischen Spannungsschwankungen an der Kopfoberfläche, die von Nervenzellen innerhalb des Schädels erzeugt werden. Die verstärkten Signale werden digitalisiert und gefiltert. Ein Computer ist mit Hilfe von speziellen Algorithmen in der Lage, bestimmte Muster aus den Hirnsignalen herauszulesen, die verschiedene Intentionen des Benutzers widerspiegeln. Diese Muster werden dann in Befehle zur Steuerung etwa einer Armprothese umgewandelt. Das EEG hat in diesem Zusammenhang gegenüber anderen nicht-invasiven Verfahren wie der funktionellen Magnetresonanztomografie drei entscheidende Vorteile: Es registriert die Hirnwellen mit einer hohen zeitlichen Auflösung, ist leicht zu transportieren und relativ kostengünstig.
DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE
· Computer-Hirn-Schnittstellen ermöglichen die Verbindung zwischen dem Gehirn und einem Computer. Mit einer solchen Schnittstelle können gelähmte Menschen beispielsweise mit ihrer Umwelt kommunizieren, einen Rollstuhl oder eine Neuroprothese steuern
· Bei dem gängigsten nicht-invasiven Verfahren greifen Wissenschaftler auf das Elektroencephalogramm (EEG) zurück: Das registriert an der Kopfoberfläche die elektrischen Spannungsschwankungen des Gehirns. Ein Computer kann mit Hilfe von speziellen Algorithmen bestimmte Muster aus den Hirnsignalen herauslesen und in einen Befehl umwandeln, um zum Beispiel eine Armprothese zu steuern
· Menschen mit dem Locked-in-Syndrom, die vollständig gelähmt in ihrem Körper eingeschlossen sind, können per Computer-Hirn-Schnittstelle mit ihrer Umwelt kommunizieren
· Bei der motorischen Steuerung von Neuroprothesen hat das Oberflächen-EEG allerdings seine Grenzen. Bisher sind nur einfache Bewegungen möglich
· Computer-Hirn-Schnittstellen können auch von gesunden Menschen verwendet werden, etwa um Spiele zu steuern
Ein Pionier auf dem Gebiet der nicht-invasiven Computer-Hirn-Schnittstellen ist Niels Birbaumer von der Universität Tübingen. Er und sein Team versuchten schon früh, über BCI Kontakt zu Menschen herzustellen, mit denen eine Kommunikation kaum noch möglich ist: Patienten mit dem Locked-in-Syndrom sind im wahrsten Sinne des Wortes in ihrem eigenen Körper eingeschlossen. Auf Grund eines Schlaganfalls oder einer neurologischen Erkrankung wie Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) sind sie soweit gelähmt, dass sie nur noch mit den Mundwinkeln oder dem Blinzeln der Augen kommunizieren können. Und vollständig Eingeschlossene können nicht einmal das.
Um trotzdem kommunizieren zu können, griffen Birbaumer und seine Kollegen auf das EEG zurück. Ihren Patienten präsentierten sie Buchstaben in unterschiedlicher Reihenfolge. Nach einigem Training zeigte sich bei den Betroffenen eine gesteigerte Hirnaktivität, sobald sie den Buchstaben hörten, den sie sagen wollten. Der Computer wählte den entsprechenden Buchstaben aus und so ließen sich ganze Worte aus der Hirnantwort zusammensetzen – mühevoll zwar, aber immerhin.
Einen weiteren Weg, den Birbaumer und seine Kollegen einschlugen, nutzt das Neurofeedback. Hier geht es darum, die Hirnaktivitäten unter die eigene geistige Kontrolle zu bringen. Dazu sollten sich die Patienten beispielsweise eine Bewegung vorstellen. Auf diese Weise erzeugten sie eine höhere Frequenz in motorischen Arealen, als wenn sie sich Ruhe vor dem geistigen Auge ausmalten. Gleichzeitig hörten sie ihre auf- und absteigende Hirnfrequenz als an- und abschwellenden Ton. Wenn sie ihre Hirnfrequenz in der richtigen Weise steuerten, wurden sie vom Computer durch Aussagen wie „Das hast du gut gemacht“ belohnt.
Es ist dabei eine Form der operanten Konditionierung im Spiel. Das gewünschte Verhalten wird belohnt und so verstärkt. In vielen, vielen Übungsstunden lernten die Patienten so, ihre Hirnwellen zu steuern und Buchstaben aus einer langsam gesprochenen Abfolge von Buchstaben auszuwählen.
1999 veröffentlichte Birbaumer in der Fachzeitschrift Nature den Brief eines Patienten, den dieser per BCI geschrieben hatte. Er bedankte sich bei den Forschern mit den Worten: „Sie alle haben mich zum ABC-Schützen gemacht, der oft die richtigen Buchstaben trifft.“ Das kam einer Sensation gleich – denn es handelte sich um den ersten Brief, der ausschließlich auf diesem Weg entstanden war. Damals war es noch eine besonders mühsame Angelegenheit. Die Mindestzeit für die Wahl eines Buchstabens über mehrere aufeinanderfolgende Auswahlschritte betrug 20 Sekunden.
Anderthalb Jahrzehnte später können Patienten mit BCI mehrere Buchstaben pro Minute auswählen. „Was die Kommunikation angeht, ist die Leistungsfähigkeit von nicht-invasiven BCIs mit der von invasiven Methoden durchaus vergleichbar“, sagt die Psychologin und Biologin Andrea Kübler von der Universität Würzburg. „Die Patienten können auf diesem Weg zwar langsam, aber relativ zuverlässig kommunizieren.“
Etwas anders ist die Sachlage bei der Steuerung von Neuroprothesen. Bei Menschen mit einem Schlaganfall oder einer Querschnittslähmung ist das zentrale motorische Nervensystem in Mitleidenschaft gezogen. Muskulatur und motorische Neurone in der Peripherie arbeiten hingegen noch. Hier springen nun Neuroprothesen ein. Durch gezielte elektrische Stimulation etwa über Elektroden auf der Hautoberfläche lassen sich die Muskeln aktivieren. Patienten können so beispielsweise wieder mit der Hand greifen. Der ursprüngliche Impuls kommt wieder vom Gehirn per BCI, indem sich die Betroffenen eine Bewegung geistig vorstellen.
Leitet man die elektrische Aktivität von der Kopfoberfläche per EEG
ab, lassen sich allerdings nur sehr einfache Bewegungen verwirklichen. Die Betroffenen können damit nur die Hand öffnen und schließen. „Komplexe Bewegungen hingegen lassen sich mit dem
Oberflächen-EEG praktisch gar nicht realisieren“, so Andrea Kübler. „Das Signal, das man per EEG an der Kopfoberfläche misst, wird durch sehr viele Nervenzellen erzeugt.“ Es handele sich daher um
ein räumlich weit verteiltes und unpräzises Signal, das einen langen Weg zurücklege von den einzelnen Nervenzellen im Gehirn bis zur Schädeloberfläche. „Die Aktivität im Gehirn, die man braucht,
um eine Hand zu steuern, kann man daher auf diesem Weg nicht so einfach abbilden.“ Will man Patienten komplexere Bewegungen ermöglichen, gelingt dies derzeit nur über invasive Verfahren. Ein
Neurochirurg muss die Schädeldecke öffnen und die Elektroden entweder auf dem Cortex
platzieren oder ins Gehirn implantieren.
Mit der Kraft der Gedanken und BCI kann man auch noch ganz anderes machen: flippern zum Beispiel. Das geht an der Technischen Universität Berlin. Hier haben Forscher um die Informatiker Klaus-Robert Müller und Benjamin Blankertz sowie den Neurologen Gabriel Curio von der Berliner Charité das „Berlin Brain-Computer-Interface“ entwickelt. Dabei machen sich die Wissenschaftler zunutze, dass man durch vorgestellte Bewegungen der linken und rechten Hand bestimmte Hirnwellen, so genannte sensomotorische Rhythmen, beeinflussen kann. Das Besondere an dieser Schnittstelle ist die Geschwindigkeit, mit der das System auf die Gedanken des Benutzers antwortet: in Echtzeit. Wo ließe sich das besser demonstrieren, als an einem Flipperautomaten, wo schnelle Reaktionen gefragt sind? Ein weiterer Vorteil dieser Computer-Hirn-Schnittstelle: Auch ohne langes Training können Nutzer das BCI erfolgreich verwenden.
Für die Forscher ist das „geistige“ Flippern mehr als nur eine Spielerei. Auch sie wollen Menschen mit Lähmungen das Leben erleichtern. Mit dem Berliner BCI sollen diese Rollstühle und Prothesen steuern können. Dabei sind Menschen mit starker Lähmung gegenüber einem kleinen Spielchen durchaus nicht abgeneigt. Das konnte Andrea Kübler 2013 in einer Studie feststellen: Sie ließ Patienten ein Spiel spielen, bei dem man mithilfe von BCI malen kann. Für die Betroffenen sei das durchaus attraktiv gewesen.
Das Daddeln per Computer-Hirn-Schnittstelle hat mittlerweile auch die Industrie für sich entdeckt: So drängen inzwischen Spiele mit EEG-Headset auf den herkömmlichen Markt. Sie haben keine therapeutischen Absichten. Sie sollen ihren gesunden Nutzern vor allem eines machen: Spaß. „Wie sinnvoll solche Spiele per BCI sind, hängt stark davon ab, wie präzise und schnell die Steuerung ist“, sagt Andrea Kübler. „Und man muss sich fragen, ob es hierfür einen Markt gibt. Was ist sozusagen der Mehrwert, wenn man eine Elektrodenkappe aufsetzt, statt einen Joystick zu bedienen?"
· Birbaumer, Niels, Dein Gehirn weiss [sic!] mehr, als du denkst. Neueste Erkenntnisse aus der Hirnforschung, Ullstein, Berlin 2014
· Blankertz, B., The Berlin brain–computer interface: accurate performance from first-session in BCI-naive subjects, IEEE Transactions on Biomedical Engineering 55, 2452–2462, 2008, (zum Artikel)
· Nicolas-Alonso, L.F., Gomez-Gil, J., Brain Computer Interfaces, Sensors 2012, 12 (2), S. 1211–1279, (zum Abstract)
· Pantke, Karl-Heinz, Mensch und Maschine. Wie Brain-Computer-Interfaces und andere Innovationen gelähmten Menschen kommunizieren helfen, Marbuse-Verlag, Frankfurt, 2010
Gastbeitrag von: Dr. Christian Wolf