„In einer Welt, die überflutet wird von belanglosen Informationen, ist Klarheit Macht.“ 

- Yuval Noah Harari

Erzwungene Rechtshändigkeit

Bei Rechtshändern ist die linke Hirnhälfte fürs Schreiben verantwortlich, bei Linkshändern die rechte Hirnhälfte. Doch was passiert im Gehirn, wenn von der linken Hand auf die rechte umgeschult wird? Das Hirn wird mit umgeschult. Zumindest teilweise.

Grafikerin: Meike Ufer
Grafikerin: Meike Ufer

“Nimm das schöne Händchen!”, hatte die Großmutter immer gesagt – und damit gemeint: Nimm die rechte Hand, nicht die linke! “Dabei hatte ich schon immer alles mit links gemacht: Schreiben, Malen, Kugelstoßen”, sagt Anneliese Meier, die ihren wahren Namen aus beruflichen Gründen nicht nennen möchte. “Dann gab es auch schon mal einen Klaps auf die Finger”, erinnert sich die heute 62-Jährige. Schätzungsweise jeder zehnte Deutsche ist Linkshänder; manche Erhebungen gehen von noch mehr Linkshändern aus. Früher wurden diese Menschen umgeschult, so wie Anneliese Meier. Als sie in die Schule kam, musste sie mit der rechten Hand schreiben: Linkshänder galten als anormal, die Lehrer waren wachsam. “Meine rechte Hand war ständig verkrampft. Deswegen habe ich mir manchmal einen Sichtschutz gebaut. Dann konnte der Lehrer nicht sehen, dass ich zwischendurch mit links geschrieben habe.”

 

Hätte der Lehrer auf das Blatt geschaut, hätte er vielleicht nicht einmal bemerkt, welche Sätze die Schülerin mit welcher Hand geschrieben hatte: Die Handschrift von früh umgeschulten Linkshändern sieht üblicherweise genauso einheitlich und filigran aus wie bei einem typischen Rechtshänder.

 

Stefan Klöppel wundert das nicht. Zumindest nicht mehr. Der Leiter des Labors für Funktionelle Hirntomografie am Universitätsklinikum Freiburg hat heraus-gefunden: Bei Linkshändern, die auf die rechte Hand umgeschult worden sind, wurde auch das Gehirn umgeschult, zumindest teilweise (Link zur Studie).

DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE

 

·       Etwa jeder zehnte Mensch ist Schätzungen zufolge Linkshänder. Lange Zeit wurden linkshändige Kinder beim Schreibenlernen in der Schule umgeschult auf die rechte Hand.

·       Bei Rechtshändern ist die linke Hirnhälfte für das Schreiben verantwortlich, bei Linkshändern ist die rechte Hirnhälfte dominant. Grund sind die überkreuz verlaufenden Nervenbahnen. Eine Hirnhälfte steuert also die gegenüberliegende Körperseite.

·       Die Umschulung der Händigkeit führt zum Teil auch zur Umschulung der Gehirns: Die Bewegungssteuerung wird von der rechten in die linke Hirnhälfte verlagert. Die Planung und Koordination hingegen erfolgt bei den umgeschulten Linkshändern nach wie vor in der rechten Hirnhälfte – so wie bei normalen Linkshändern.

Für jede Hand ist die entgegengesetzte Hirnhälfte zuständig

Ganz allgemein gilt: Bei Rechtshändern ist die linke Hirnhälfte für das Schreiben verantwortlich, bei Linkshändern die rechte Hirnhälfte. Die Nervenbahnen aus den motorischen und den sensorischen Zentren der zwei Hirnhälften sind nämlich überkreuz mit den zwei Körperseiten verbunden. Doch wie das bei Linkshändern ist, die auf die rechte Hand umgeschult wurden, das war lange unklar.

 

Stefan Klöppel ließ je 16 gewöhnliche Rechtshänder, gewöhnliche Linkshänder und umgeschulte Linkshänder drei Tests absolvieren: Zuerst sollten sie Situationen wie Werfen, Zähneputzen und Tennisspielen pantomimisch darstellen – damit sollte geprüft werden, wie stark linkshändig sie sind. Danach sollten die Probanden jeweils mehrere Sekunden lang handschriftlich kleine Doppel-L, also zwei Schlaufen, schreiben und zwar einmal mit der linken Hand und einmal mit der rechten Hand – damit sollte das Schriftbild geprüft werden. Außerdem wurden sie in einen funktionellen Magnetresonanztomografen (fMRT) gelegt, bekamen dort verschiedene Symbole zu sehen und sollten dann bei bestimmten Bildern eine Taste drücken, beispielsweise bei einer Sonne mit dem linken Zeigefinger und bei einem Stern mit dem rechten Zeigefinger – damit sollte herausgefunden werden, ob das Gehirn von umgeschulten Linkshändern anders arbeitet.

 

Der Pantomime-Test ergab: Die umgeschulten Linkshänder in der Testgruppe schrieben mit rechts, manchmal mit beiden Händen – für die anderen Tätigkeiten nutzten die meisten aber die linke Hand. So ließen sich unter den mit rechts Schreibenden die umgeschulten Linkshänder schnell erkennen. Anders bei der Schriftprobe und dem Symbol-Test: “Das Schriftbild der umgeschulten Linkshänder und der reinen Rechtshänder sieht sehr ähnlich aus. Und im fMRT-Test waren die beiden Gruppen genauso flink und hatten sich ähnlich selten vertippt”, sagt Stefan Klöppel. Im fMRT zeigte sich: Die Gehirnareale, die für die Bewegungssteuerung zuständig sind, waren bei den umgeschulten Linkshändern in der linken Hirnhälfte dominant – so wie bei den gewöhnlichen Rechtshändern und anders als bei den normalen Linkshändern.

 

Bei den umgeschulten Hirnarealen handelt es sich um den primären sensomotorischen Cortex. “Hier wird die Bewegung gesteuert. Je erfolgreicher die Umschulung war, desto stärker wurde die Bewegung von der eigentlich nicht-dominanten linken Hirnhälfte gesteuert”, sagt Stefan Klöppel.

Steuern wie ein Rechtshänder, planen wie ein Linkshänder

Indes: Vollständig umorganisiert war das Gehirn nicht. “Die Planung und Kontrolle der Bewegungen fand nämlich nach wie vor in der rechten Hirnhälfte statt”, sagt Stefan Klöppel. In den fMRT-Bildern leuchteten zwei Regionen stärker in der rechten als in der linken Hirnhälfte auf: der dorsale prämotorische Cortex und der supramarginale Gyrus. “Der dorsale prämotorische Cortex ist die klassische Region für die Kontrolle von Motorik. Und der supramarginale Gyrus ist zwar für viele verschiedene Dinge zuständig, unter anderem dient er aber als Ausweichregion, wenn der dorsale prämotorische Cortex schon schwer beschäftigt ist”, sagt Stefan Klöppel. Und bei umgeschulten Linkshändern ist viel Rechenleistung in diesen Arealen der rechten Hirnhälfte notwendig: Sie müssen nicht einfach die für sie übliche linke Hand koordinieren, sondern die ungewohnte rechte Hand. Das zeigte sich auch im fMRT: Beide Hirnregionen waren bei umgeschulten Linkshändern aktiver als bei den reinen Rechtshändern und bei den reinen Linkshändern.

 

Bei der Umschulung zur Rechtshändigkeit werden also nur Teile der Hirnaktivitäten in die linke Hirnhälfte verlagert, andere bleiben in der rechten. Möglicherweise liegt das daran, dass eine Bewegung zu planen und zu koordinieren kognitiv aufwändiger ist, als die Bewegung lediglich auszuführen. Es ist auch denkbar, dass die Planung einer Bewegung problemlos von der motorischen Handlungsausführung entkoppelt werden kann und dadurch nur wenig Druck besteht, diese Planungsregionen ebenfalls in die linke Hirnhälfte zu verlegen.

 

Die Hirnregionen für die Planung und Koordination sind jenen Hirnregionen für die momentane Steuerung übergeordnet. Bei umgelernten Linkshändern müssen sie ihren Input überkreuz von der rechten in die linke Hirnhälfte leiten und dabei noch den natürlichen Impuls dort übertrumpfen. Das verlangt vom Hirn mehr Arbeit. Vielleicht erklärt das sogar, warum Anneliese Meier so erfolglos versucht hat, Instrumente zu lernen. “Meine ältere Schwester ist Rechtshänderin und hatte eine Gitarre und ein Akkordeon. Ich wollte so gerne darauf spielen, aber ich konnte es einfach nicht”, erzählt die umgeschulte Linkshänderin. Saiten zu streichen und Tasten zu drücken, das wollte ihrer rechten Hand mehr schlecht als recht gelingen – die Koordination war zu schwierig.

 

In einer Folge-Studie fand Stefan Klöppel noch einen weiteren Unterschied zwischen den Hirnen von umgeschulten Linkshändern und reinen Links- oder Rechtshändern: “Die umgeschulten Linkshänder hatten im mittleren Teil des linken Putamens weniger graue Substanz”, sagt Stefan Klöppel. Der Putamen ist ein Teil der Basalganglien. Der vordere Teil nahe der Stirn ist für kognitive Aufgaben zuständig, der hintere Teil kontrolliert Bewegungsabläufe – in der Mitte überschneiden sich die Aufgaben. “Es ist völlig normal, dass sich das Volumen der Basalganglien in den ersten Lebensjahren verringert, denn dabei werden vermutlich unnötige Nervenverbindungen abgebaut”, sagt Stefan Klöppel. Allerdings war dieser Effekt bei den umgeschulten Linkshändern ausgerechnet im Übergangsbereich zwischen der kognitiven Putamen-Region und der bewegungskontrollierenden Putamen-Region besonders stark. “Das hat uns sehr überrascht”, erinnert sich Stefan Klöppel. “Wir hatten eigentlich erwartet, dass die graue Substanz an dieser Stelle eher zugenommen hätte, so wie Muskeln beim Sport. Immerhin ist es ja eine Art Training, wenn Linkshänder ständig ihre ungewohnte rechte Hand benutzen.” Den Grund für dieses sonderbare Forschungsergebnis kennt der Neurologe nicht.

 

Dafür habe er aber eine wichtige Erkenntnis gewonnen: “Bei umgeschulten Linkshändern fordern bereits einfache Bewegungen das Gehirn stärker. Von einer Überforderung kann jedoch keine Rede sein; auch nicht von einer Unterforderung in den nun weniger aktiven Hirnregionen.” Damit widerspricht Stefan Klöppel jenen Menschen, die behaupten, bei umgeschulten Linkshändern sei das Gehirn mal überfordert und mal unterfordert und deswegen werde der Mensch krank.

 

Es gibt umgeschulte Linkshänder, die ihre psychischen Probleme auf die Umschulung zurückführen. Bettnässen, Konzentrationsschwäche, Gedächtnisstörungen und Versagensängste werden meistens aufgezählt, zum Beispiel auf der Homepage der Beratungsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder e.V., die von der Psychologin Johanna Barbara Sattler geleitet wird.

 

Wissenschaftliche Belege dafür gebe es aber nicht, sagt der Psychologe Alan Searleman von der US-amerikanischen St. Lawrence Universität. Er hat mehrfach über Linkshänder geforscht. “Vor einigen Jahren wurden wir darauf aufmerksam, dass Johanna Barbara Sattler in Deutschland beklagte, es gebe sehr negative Folgen, wenn man als Linkshänder mit der rechten Hand schreiben muss. Ihre Behauptungen überraschten uns und wir haben keine Daten, diese zu unterstützen.” Bisher ist offenbar die Frage, wie sich das Umschulen von der linken auf die rechte Hand auf die Psyche auswirkt, nicht empirisch untersucht worden. Dazu findet sich auch keine Studie in der Datenbank für medizinische Fachpublikationen PubMed.

 

Stefan Klöppel glaubt nicht, dass die Umschulung selbst für die seelischen Leiden verantwortlich ist: “Es ist wohl eher die psychische Belastung, der man ausgesetzt ist, wenn man unter Zwang die rechte Hand nutzen muss, obwohl sich das für einen selbst falsch anfühlt.”

 

Anneliese Meier hegt keinen Groll mehr auf ihre Großmutter. “Es war halt eine andere Zeit.” Heute werden in Deutschland Linkshänder-Kinder kaum noch umgeschult. Im Gegenteil. Eltern und Lehrer werden dazu angehalten, Löffel, Stift und Co. mittig vor das Kind zu legen, damit es selbst entscheiden kann, mit welcher Hand es zugreifen möchte. Linkshändigkeit ist kein Stigma mehr, sondern gilt nun als Zeichen für besonders pfiffige Köpfe (siehe Infobox über Mythen bei Linkshändern). Wie das Gehirn von umgeschulten Linkshändern funktioniert, lässt sich hierzulande also wohl gar nicht mehr so lange untersuchen.

zum Weiterlesen:

·       Klöppel, S. et al.: Can Left-Handedness be Switched? Insights from an Early Switch of Handwriting. In: Journal of Neuroscience, 2007; 27 (29), S. 7847-7853 (zum Text).

·       Klöppel, S. et al.: Nurture versus Nature: Long-Term Impact of Forced Right-Handedness on Structure of Pericentral Cortex and Basal Ganglia. In: Journal of Neuroscience, 2007; 30 (9), S. 3271-3275 (zum Text).

·       Seynsche, M: Die falsche Hand und das richtige Hirn – Über das Rätsel der Linkshändigkeit. Deutschlandfunk, Wissenschaft im Brennpunkt, 17.06.2007. URL: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/wib/633766/ [Stand:22.02.2013]; zur Webseite.

Gastbeitrag von: Franziska Badenschier

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