Ich kann die Debatte um Silvester, bestimmte Tweets und den Fachjargon einer Behörde nicht wirklich nachvollziehen. Es gibt so vieles, das es verdient hätte, einen Shitstorm auszulösen. Dass die Polizei hingegen Kurzbezeichnungen nutzt, Kollektive, Ethnien, Völker, ja ganze Kontinentabschnitte zusammenfasst, sollte, dem Pragmatismus des Amtes geschuldet, einleuchten. Oder?
Anscheinend ist das nicht der Fall. Hier meine Gedanken dazu:
1. Wer die Begrifflichkeit „Nafri“ vorher noch nie gehört hat und einfach nur auf den Zug des Empörialismus mitaufspringt, gibt offen zu, dass er oder sie keine Ahnung von Politik bzw. dem Alltagsgeschäft der Polizei hat.
2. Es wird von Kritikern des Begriffs unterstellt, dass dieser rassistisch sei oder aber zumindest xenophobe Ressentiments aufzeige. Dabei würde jeder dieser Kritiker, der vier Wochen Polizeiarbeit leistet, verstehen, warum solche Begriffe notwendig sind und nicht zwingend eine Abwertung intendieren.
Habt ihr tatsächlich so wenig Empathie, dass ihr euch nicht in die Lage von unter Dauerunterbesetzung arbeitenden Menschen versetzen könnt, die tagtäglich für euer Wohl und eure Sicherheit sorgen? Nicht selten dafür bespuckt und beleidigt werden und sich der direkten Gefahr aussetzen, abgestochen oder erschossen zu werden?
Ganz ehrlich? Ich hätte keine Lust, mich fünf bis sieben Tage pro Woche in Schichtarbeit um das körperliche Wohl von mitunter versoffenen, gewaltbereiten und/oder aggressiven Menschen zu kümmern. Ich bin sehr froh darüber, dass wir so viele couragierte Mitglieder unserer Gesellschaft haben, die diese Umstände meist ohne Murren auf sich nehmen. Ein undankbarer Job (denn, wenn der Idealfall eintritt – und das geschieht sehr oft – dann spricht niemand über deine Leistung. Wird hingegen zu hart vorgegangen oder zu viel Engagement gezeigt, schreit der Empörialist in seiner opportunistischen Manier: „Stop! Polizeistaat! Ich will das nicht!“. Sind hingegen zu wenige Polizisten im Einsatz, fragt man sich ganz verwundert: „Nanu, wo war denn hier die Polizei mal wieder?!“) wird von euch ohne hinreichenden Anlass noch mieser gemacht als er ohnehin schon ist. Das ist ungefähr so daneben, wie Politiker, die sich auf Bühnen stellen und von „faulen Lehrern“ sprechen, die „ohnehin nichts täten“ und „viel zu viel Freizeit hätten“.
Wie ätzend das dem ein oder anderen rational denkenden Menschen erscheint, muss wohl nicht weiter ausgeführt werden? Anscheinend doch, denn der gemeine Empörialist würde nun erwidern:
„Aber die Begrifflichkeit liegt dennoch fern ab von anti-rassistischer Sensibilisierung“
Doch darauf müsste ich dann antworten:
3. Die gesamte Gesellschaft sollte sich diesbezüglich sensibilisieren. Doch sich künstlich darüber zu echauffieren, dass diejenigen, die beinahe täglich mit Menschen, mit bereits genannten Eigenschaften, zu tun haben, diese nicht mit „Hochwohlgeborene“ ansprechen oder per Funk nicht von einer „Gruppe vermutlicher Cisgender*men, die unter gewissen Umständen die potenzielle Gefahr auf Gewaltausübung aufweisen könnten“, sprechen, entbehrt nicht einer gewissen Komik.
Zumal: Ich persönlich tue mir gelegentlich schwer, einen deutschen von einem französischen oder spanischen Hipster (mit Bart) zu unterscheiden. Ebenso wie es mir schwer fällt, die genannten Gruppen von Menschen mit türkischen, afghanischen oder syrischen Wurzeln zu unterscheiden. Analoges gilt für nicht wenige Marokkaner, Algerier oder Tunesier.
Aber macht das einen Unterschied? Menschen sind Menschen. Was in deren Köpfen vor sich geht, geht mich nichts an, solange keine Dritte zu Unrecht bzw. unnötig unter den Handlungen, die aus bestimmten Gedanken resultieren, zu leiden haben. Es gibt da so etwas ganz Verwegenes: Die allgemeine Menschenrechtserklärung. Diese besteht aus lediglich 30 Artikeln. Ein Blick dort hinzuwagen, lohnt sich und dürfte niemanden überfordern. In diesen Menschenrechten ist u.a. enthalten, dass Menschen nicht wegen „Rasse“, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand ungleich behandelt werden dürfen. Es sei denn, dass es zur Wahrung eben dieser – oder zur Verminderung von noch viel größerem Leid – nicht anders möglich ist.
Wenn die Polizei also, nachdem es im Vorjahr Übergriffe gab, Gruppen von ihrer Meinung nach verdächtig aussehenden Menschen kontrolliert, was deren gutes Recht in unserem Rechtsstaat ist, dann ist das gutzuheißen, da sie ihre Arbeit ordentlich, und so wie von unserer Gesellschaft gewünscht, verrichten.
Wäre es wieder zu Übergriffen oder gar Schlimmerem gekommen, wäre der #Aufschrei der Allgemeinheit und insbesondere der Rechten wieder riesig gewesen. Ja, wo ist sie denn, diese Polizei.
Macht die Polizei hingegen das Richtige, wie in diesem Fall, gibt es bereits dann schon einen #Aufschrei eines nicht zu vernachlässigenden Teils der Allgemeinheit und insbesondere der Linken.
Was letztere jedoch zu vergessen scheinen: Exakt diese selbstverschuldete Realitätsferne ist das Fahrwasser der Rechten. Durch solche Aktionen könnt ihr euch sicher sein, dass euer liebster Feind bestehen bleibt, da er sogar echte Argumente auffahren kann.
So funktioniert eine rationale Debatte und Wissensgesellschaft, die dem 21. Jahrhundert würdig ist, meines Erachtens nicht.
Hoffentlich irre ich mich grundlegend und gewaltig. Hoffentlich.
P.S.: Ich wollte mich eigentlich nicht zu dieser Debatte äußern, da sie mir viel zu trivial erschien. Ich tat dies lediglich, damit der ein oder andere, der diese Zeilen liest, sich bei der nächsten Debatte vielleicht ein zweites Mal fragt, ob es wirklich ratsam ist, sich den „regressiven Linken“ anzuschließen. Denn wir wissen ja, dass es sie gibt. Aber darauf angesprochen, will keiner einer sein.
Ebenso wie hinterher niemand Trump oder die AfD gewählt hat. Man muss wohl nur daran glauben.
Gastbeitrag von: Constantin Huber