Man könnte meinen, es könne kaum schlimmer werden: Der rechtspopulistische, frauen-, minderheiten- und wissenschaftsfeindliche Donald Trump kommt in den USA an die Macht. In Polen wird unter der nationalkonservativen PiS-Partei die Gewaltenteilung abgeschafft und „Jesus Christus“ zum König inthronisiert. „Trotzige“ Lehrer werden entlassen, damit die neuen Lehrpläne und Schulbücher die geforderte patriotische Erziehung nachhaltig in die Köpfe der Jugend einhämmert. Ähnliches findet sich in der Türkei unter Recep Tayyip Erdoğan wieder. Dort wird die „Säuberung“ der Universitäten, der Wissenschaft, der Philosophie, der Kunst, des Justizsystems, des Parlaments, der Kurdengebiete, der Medien und des Militärs seit einigen Monaten vollzogen. Wer nicht auf einer Linie mit dem religiösen Fundamentalismus der Obrigkeit steht, wird entlassen und bei Widerworten eingesperrt – oder Schlimmeres. Die Familien der „Querulanten“ werden beobachtet, bewacht oder ebenfalls inhaftiert und als Druckmittel benutzt.
Weniger extrem als Erdoğans AKP, aber nicht minder gefährlich, muten die rechtspopulistischen, nationalkonservativen und fundamental-religiösen Parteien in Europa an. Zur genannten PiS in Polen, kommt die AfD in Deutschland, die FPÖ in Österreich, der Front National (FN) in Frankreich, die UKIP in England, PVV in den Niederlanden, Jobbik in Ungarn, Lega Nord in Italien, Chrysi Avgi („Goldene Morgenröte“) in Griechenland, Partiotische Front in Bulgarien, SVP in der Schweiz, SD in Schweden, DF in Dänemark, Perus in Finnland und die LSNS in der Slowakei. Sie alle propagieren einen Kurs, der sich mit markigen Worten gegen die Institutionen, gegen das Internationale, gegen die Medien, gegen alles vermeintlich Fremde und letztendlich gegen die Demokratie – sofern sie nicht den eigenen Zielen dienlich ist – richtet.
Doch wir, die wir nicht konservativ oder reaktionär denken, die wir nicht dem Autoritären verfallen, die wir in Frieden und Freiheit zusammen leben wollen, sind in der Mehrheit und können dem Irrsinn der chronischen Schwarzmaler einiges entgegenhalten. Wir, die wir für ein vereintes Europa stehen, in dem Zusammenarbeit und Bürgerrechte, die für alle gleichermaßen gelten, als höchste Güter angesehen werden, werden diese großen Errungenschaften und Ideale nicht über Bord werfen. Wir werden nicht zulassen, dass man uns gegeneinander ausspielt, dass man mit dem Finger auf Minderheiten, Verfolgte und Leidende zeigt, um uns zu spalten.
Wir, die wir uns unsere individuellen Selbstbestimmungsrechte nicht ohne Widerstand nehmen lassen, wir vermögen es – solange wir zusammen halten und nicht mit den Rückwärtsgewandten paktieren – die Rahmenbedingungen aufrechtzuerhalten und gar noch weiter auszubauen, in denen der Fortschritt durch uns seine Bahnen zieht. Denn es gibt viele positive Nachrichten, die wir uns immer wieder ins Gedächtnis rufen müssen:
– die Armutsrate der Weltbevölkerung ist wieder gesunken, von 12,8 Prozent im Jahr 2012 auf 9,6 Prozent 2015 – Tendenz fallend
– die Zahl der chronisch Unterernährten hat dramatisch abgenommen, trotz wachsender Bevölkerung
– über sauberes Trinkwasser verfügen heute mit über 91% mehr Menschen als je zuvor
– tödliche Krankheiten wie Malaria, Aids und Ebola können mittlerweile erfolgreich bekämpft werden
– die Kindersterblichkeitsrate war noch niemals zuvor so niedrig wie heute und sie sinkt weiter
– die weltweite Zahl der Gewalttaten – beispielsweise Mord, Vergewaltigung, Kindesmissbrauch – sind auf dem wohl niedrigsten Stand in der Menschheitsgeschichte
– trotz geringfügigem Anstieg der gezählten bewaffneten Konflikte seit 2014, ist deren Anzahl und Ausmaß dennoch deutlich niedriger als noch in den 1990ern
– noch nie hatten so viele Menschen Zugang zu Bildung wie heute
– ein großer Teil der Milleniumsziele der UNO wurde verwirklicht; das Leiden auf der Welt wurde deutlich verringert
– und … und … und, mehr positive Statistiken findet ihr hier: https://ourworldindata.org/
All das wurde durch internationale Kooperation, eine rationalere Politik, Freiheit und Transparenz und enorme wissenschaftliche und technologische Fortschritte erreicht. Wie viel mehr könnte man noch erreichen, wenn nicht jedes Land auf seinen eigenen Vorteil bedacht agiert? Wie viel mehr könnte man mit engagierter Zusammenarbeit erreichen? Tatsache ist, Gemeinschaften funktionieren am besten durch Kooperation, gegenseitiger Hilfe und Unterstützung. Doch dafür müssen wir uns der Ideologien entledigen, die uns trennen wollen, die uns Ungleichheit, Hass und Intoleranz predigen.
Lasst uns alle als gleichwertige, gleichberechtigte Menschen auf unseren Errungenschaften aufbauen. Lasst uns die Vergangenheit nicht vergessen und unsere Lehren daraus ziehen. Lasst uns nicht zurückfallen, in eine schlechtere Zeit, in der uns Mauern trennten, Andersdenkende verfolgt, eingesperrt, gequält und hingerichtet wurden. Lasst uns das vorherige Jahrhundert mit seinen kleinen Nationalstaaten und beschränktem Denken endlich hinter uns lassen und mit vereinten Kräften den Schritt nach vorne gehen.
Leiten sollen uns dabei die 10 (An)Gebote des evolutionären Humanismus, verfasst von Dr. Michael Schmidt-Salomon, die als ironische Hommage auf die 10 Gebote der Bibel zu verstehen, jedoch im Kern durch und durch ernst gemeint sind. Kurzfassung:
1. Diene weder fremden noch heimischen „Göttern“, sondern dem großen Ideal der Ethik, das Leid in der Welt zu mindern!
2. Verhalte dich fair gegenüber deinem Nächsten und deinem Fernsten!
3. Habe keine Angst vor Autoritäten, sondern den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!
4. Du sollst nicht lügen, betrügen, stehlen, töten – es sei denn, es gibt im Notfall keine anderen Möglichkeiten, die Ideale der Humanität durchzusetzen!
5. Befreie dich von der Unart des Moralisierens! Trage dazu bei, dass die katastrophalen Bedingungen aufgehoben werden, unter denen Menschen heute verkümmern, und du wirst erstaunt sein, von welch freundlicher, kreativer und liebenswerter Seite sich die vermeintliche „Bestie“ Homo sapiens zeigen kann.
6. Immunisiere dich nicht gegen Kritik! Ehrliche Kritik ist ein Geschenk, das du nicht abweisen solltest.
7. Sei dir deiner Sache nicht allzu sicher! Zweifle aber auch am Zweifel! Selbst wenn unser Wissen stets begrenzt und vorläufig ist, solltest du entschieden für das eintreten, von dem du überzeugt bist. Sei dabei aber jederzeit offen für bessere Argumente, denn nur so wird es dir gelingen, den schmalen Grat jenseits von Dogmatismus und Beliebigkeit zu meistern.
8. Überwinde die Neigung zur Traditionsblindheit, indem du dich gründlich nach allen Seiten hin informierst, bevor du eine Entscheidung triffst!
9. Genieße dein Leben, denn dir ist höchstwahrscheinlich nur dieses eine gegeben!
10. Stelle dein Leben in den Dienst einer „größeren Sache“, werde Teil der Tradition derer, die die Welt zu einem besseren, lebenswerteren Ort machen woll(t)en! Eine solche Haltung ist nicht nur ethisch vernünftig, sondern auch das beste Rezept für eine sinnerfüllte Existenz.
Gastbeitrag von: Constantin Huber
Köppnick (Dienstag, 14 Februar 2017 11:14)
Steven Pinker vertritt in seinem Buch "Gewalt" eine ähnlich optimistische These: In der Entwicklung der Menschheit hat es eine ständig abnehmende Quote der Gewalt von Menschen gegenüber anderen Menschen gegeben. Das soll auch für das 20. Jahrhundert mit seinen beiden Weltkriegen gelten. Wenn wir hier eine andere Wahrnehmung haben, dann könnte das daran liegen, dass wir mitten im Zentrum des Geschehens gelegen haben und zudem heute noch Deutsche da sind, die das Grauen selbst erlebt haben.
Pinker ist für sein Buch ziemlich kritisiert worden. ich halte seine These aber für richtig, ein Beispiel: Wenn man mit einem Kanu (früher oder heute) einen Fluss durch den Urwald entlang fährt und dabei das Territorium mehrerer Naturvölker durchquert, dann hat man eigentlich null Chancen, lebend von der Quelle zur Mündung zu kommen. Wenn man in einer Großstadt in eine U-Bahn steigt, dann begegnet man dort in etwa derselben Zahl von Menschen wie in der Fahrt mit dem Kanu - und man überlebt seine U-Bahnfahrt eigentlich immer. Die Wahrscheinlichkeit für einen Yanomami, eines gewaltsamen Todes zu sterben, liegt bei etwa 30 bis 50%. Die Wahrscheinlichkeit bei uns umgebracht zu werden, liegt demgegenüber nahezu bei null.
Es gibt Bestrebungen, eine atomwaffenfreie Welt zu schaffen, weil Atomwaffen die Gefahr bieten, die ganze Menschheit auf ein Mal auszulöschen. Tatsächlich ist der Besitz von Atomwaffen aber keineswegs in jeder Hinsicht irrational: Wenn man mit Atomwaffen ausgerüstet ist, kann man auf einen Teil seiner konventionellen Armee verzichten. Unter dem Strich muss man so insgesamt weniger fürs Militär ausgeben und hat mehr Geld für andere Zwecke zur Verfügung. Mit Atomwaffen kann man keine Kriege führen (als Weiterführung der Politik mit anderen Mitteln). Im Zusammenhang mit einer Verringerung der konventionellen Streitkräfte werden so weniger Menschen in Kriegen umkommen als ohne Atomwaffen.
Vor einigen Jahren habe ich im Kolloseum in Rom in einem Vortrag zu meiner Verblüffung erfahren, dass sich damals freie Römer freiwillig als Gladiatoren beworben haben. Ein 18jähriger Gladiator hatte damals eine weitere mittlere Lebenserwartung von 10 Jahren. Das war etwa dieselbe Lebenserwartung, die ein "normaler" 18jähriger in der damaligen Zeit auch hatte. Die Lebensumstände waren einfach unglaublich hart und die Gewalt dementsprechend auch.
Für mich *das* objektive Kriterium zur Bewertung, ob das Leben besser oder schlechter wird, ist die mittlere Lebenserwartung. Im Gesamtdurchschnitt der Welt steigt sie. In den Ländern, in denen sie derzeit fällt - Russland, einige afrikanische Staaten, leicht in den USA - findet man schnell die Begründungen dafür.
Vor kurzem habe ich noch ein anderes Buch gelesen, "Das Ende der Megamaschine" von Fabian Scheidler. Hier wird nun genau die entgegengesetzte These vertreten: Die Menschheit hätte sich immer weiter zum Schlechteren entwickelt und es wäre hohe Zeit, endlich etwas an unserer Art zu leben zu ändern.
Beide Sichtweisen (es wird alles immer besser, es wird alles immer schlechter) haben etwas von induktiven Fehlschlüssen. Die Menschen mussten schon immer die gerade aktuellen Probleme mit den gerade zur Verfügung stehenden Mitteln lösen. Die gefundenen Lösungen haben einerseits die Probleme halbwegs beseitigt und die Möglichkeiten der Menschheit vergrößert, aber ihrerseits neue (und größere) Probleme hervorgerufen - womit sich die Entwicklung auf einer neuen Runde der Spirale fortgesetzt hat. Je nachdem, worauf man bei der Rückschau dann den Fokus legt - auf die immer größer werdenden Probleme oder auf die immer größer werdende Problemlösungskapazität - gelangt man zu einer pessimistischen oder optimistischen Bewertung der Zukunft. Beides kann man aus der Rückschau ableiten. Die Argumentation der Pessimisten und Schwarzseher erscheint mir persönlich aber weniger begründet als die der Optimisten.
WissensWert (Dienstag, 31 Januar 2017 22:34)
http://blog.zeit.de/teilchen/2016/12/27/welt-bevoelkerung-entwicklung-armut-grafiken/