"Geschichten sind das, was passiert, wenn was dazwischenkommt."
Udo Marquardts pointiertes Zitat führt uns schnurstracks zu einem der wichtigsten Kritikpunkte gegen die Utopien des Silicon Valley.
Das Silicon Valley träumt von einer Welt, in der allmorgendlich ein Armband und mein Pissoir meine Gesundheit
checken und meinen Kühlschrank anweisen, das nächste Mal doch weniger cholesterinhaltige Lebensmittel zu bestellen. Abends sagt mir eine wunderhübsche Frau auf der Tapete dann, in welchen Club
ich nach einem auf meine Vorlieben und Erfahrungen zugeschriebenen Algorithmus gehen sollte und welche Kleidungen gerade dafür angesagt sind. Es empfiehlt mir außerdem, über welches
Carsharingunternehmen ich am besten zur Party komme und meine Datingapp rechnet mir anhand meiner Daten aus, welche Teilnehmerinnen ich auf der Party unbedingt ansprechen muss, damit ich ja keine
Chance verpasse!
Kurzum: Der Traum digitaler Utopien ist eine möglichst effiziente, nach Maßgabe der instrumentellen Vernunft
geregelte, Lebensgestaltung. Eine Welt der Pläne und der Kalkulationen, nicht eine der Geschichten und Überraschungen!
Die Zalando-Brüder schwärmen in Podiumsdiskussionen regelmäßig von einer wie der oben beschriebenen Welt. Sie
erzählen uns, dass man in der Zukunft nicht mehr einzukaufen und auch keine Küche mehr braucht, da man sich jede Mahlzeit schneller und besser per Drohne liefern lassen können wird. Sie halten
das für eine positive Utopie. Denn sie sind, wie nahezu alle Fadenzieher der Digitalisierung, assoziale Nerds. Sie begreifen nicht, dass der Einkauf um die Ecke und vor allem auch die Küche ein
sozialer Ort sein können!
Wenn mir ein Algorithmus sagt, ich solle heute Abend am Tresen die Frau ansprechen, die sowieso schon dem
entspricht, was ich an Frauen mag, wie soll ich dann je die aufregende und bereichernde Erfahrung machen, mich auch für ganz andere Frauentypen einlassen und begeistern zu können?
Leute wie Eric Schmidt wollen uns in unseren Leben möglichst viele Dinge möglich effizient bewerkstelligen
lassen. Aber Leben, Geschichten, sind das, was zwischen den Dingen, die wir eigentlich machen wollen, passiert.
Nicht nur die Silicon-Valley Selbstüberschätzer verlagern unser Bedürfnis nach Überraschung und Aufregung in die Welt der Fiktion. Während unsere eigenen Leben immer einseitiger und durchgetakteter werden, wird das Fiktive immer intensiver, reichhaltiger und allgegenwärtiger.
Und das ist das Dilemma, in dem viele junge Menschen stehen: Sie wollen, dass in ihrem Leben etwas
Unvorhergesehenes passiert, verhindern mit Hilfe von Technik und Effizenzkoordinierung aber, dass dies überhaupt geschehen kann.
Natürlich funktionieren auch Unternehmen nach den Gesetzen der Effizienz und natürlich ist das auch ein Grund,
weshalb sie gegenwärtig nichts wirklich Neues bringen. McKinsey müsste den Unternehmen raten, dass diese neben all der wettbewerbsorientierten Stromlinienförmigkeit ein paar Knautschzonen für
talentierte Querdenker einrichten. Denn die großen Errungenschaften der Menschheit wurden nicht unter der Vorgabe erbracht, innerhalb einer knapp bemessenen Zeitspanne ein bestimmtes Ziel
erreicht und lukrativ sein zu müssen.
Dann ist auch wieder mehr Platz für ECHTE Kreativität. Kreativität bedeutet in den allermeisten Fällen ja nicht
ein feststehendes Problem zu lösen. Sondern, gerade im Gegenteil, etwas zu tun, bei dem man nicht weiß, was dabei herauskommt. Rembrandt hat kein Problem gelöst, Mozart hat kein Problem gelöst.
Welches Problem soll Willy Brandt gelöst haben? Keines. Brandt hat die Chancen auf eine andere Politik und auf mehr Demokratie als eine Gestaltungsaufgabe begriffen, nicht als die Lösung eines
Problems. Das "Flüchtlingsproblem" ist kein Problem. Es lässt sich nicht lösen, wir können uns nur überlegen, wie wir als Gesellschaft am besten mit den Flüchtlingsphänomen umgehen wollen. Die
Kreativität, die uns am meisten fasziniert und technologisch und politisch voranbringt, ist nicht diejenige, die ihre Ziele bereits kennt. Aber genau auf die beschränkte Art der Kreativität
versteigt sich unser modernes Kreativitätsverständnis - leider.
Warum "leider"? Die Silicon-Valley-Mentalität wird nicht nur irgendwann in der Zukunft - sie hat hier und jetzt schon längst unser Denken und sogar unser Liebesleben infiltriert und sie lässt uns in diesen Strukturen denken und wenn dann mal in Filmen oder nach dem dritten Glas Wein davon träumen, wie es wäre, nicht in diesen Zwängen zu leben, die uns vollständig algorithmisch determinieren, bei Allem was wir denken, selbst schon, wenn wir über Kreativität nachdenken!
Der Politikeralltag kann mit der psychologischen Pornografie der Fiktionswelten in Puncto
Erregbarkeit und Spektakularität überhaupt nicht mithalten. Auch dies ist ein Grund für Politikverdrossenheit. Was ist Kommunalpolitik schon gegen Game of Thrones? Antwort:
real.