„In einer Welt, die überflutet wird von belanglosen Informationen, ist Klarheit Macht.“ 

- Yuval Noah Harari

Wie wir den Terrorismus groß mach(t)en.

Wie steht es mit dem Terrorismus im 21. Jahrhundert? Zwar führen Nationen immer weniger Kriege untereinander, wohl auch, da sie begriffen haben, dass Kriege meistens nicht (mehr) lukrativ sind. Während Regierungen also Zurückhaltung üben und vom gegenseitigem Handel profitieren, haben Terroristen möglicherweise keine Skrupel und in Zukunft immer bessere Möglichkeiten, neue zerstörerische Waffen einzusetzen. Das ist ohne Zweifel eine besorgniserregende Möglichkeit. Doch Terror ist eine Strategie der Schwäche, die von denen genutzt wird, denen es an Zugang zu realer Macht fehlt. Zumindest bisher funktionierte Terror dadurch, dass er Angst und Schrecken verbreitete und Überreaktionen provozierte, und nicht, weil er selbst beträchtlichen materiellen Schaden anrichten konnte. Terroristen verfügen üblicherweise nicht über die Stärke, um eine Arme zu besiege, ein Land zu besetzen oder ganze Städte zu zerstören. Während 2010 rund drei Millionen Menschen an Fettleibigkeit und damit verbundenen Krankheiten starben, töteten Terroristen weltweit 7697 Menschen, die meisten davon in Entwicklungsländern.[1] Für den Durchschnittsamerikaner oder -europäer stellt Coca-Cola eine weitaus tödlichere Bedrohung dar als al-Qaida.

Trotzdem schaffen es Terroristen, die Schlagzeilen zu beherrschen und - was noch viel merkwürdiger ist - maßgeblich überall auf der Welt die Innen- und Außenpolitik zu beherrschen. Wie machen die Terroristen das? Indem sie ihre Gegner zu einer Überreaktion provozieren. Im Kern ist der Terrorismus reine Show. Terroristen inszenieren ein entsetzliches Gewaltspektakel, das unsere Köpfe besetzt, unsere Herzen trifft und uns letztendlich das Gefühl vermittelt, wir würden ins mittelalterliche Chaos zurückschlittern und müssten unbedingt eine Gegenreaktion zeigen. In Folge fühlen sich Staaten oft dazu verpflichtet, auf dieses Theater des Terrors mit einer Sicherheitsshow zu reagieren und wuchtig ein ganzes Ensemble staatlicher Gewalt zu präsentieren, etwa die Verfolgung ganzer Bevölkerungsgruppen oder den Einmarsch in fremde Länder. In den meisten Fällen stellt diese Überreaktion auf den Terror eine viel größere Gefahr für unsere Sicherheit dar als die Terroristen selbst. So war islamistischer Terror vor 30 Jahren noch ein absolutes Ausnahmephänomen und bis 2001 in Deutschland gar kein Thema, westliche Versuche ihm mit Stärke zu begegnen haben ihn dann erst groß gemacht!

Terroristen sind eine Ansammlung von Fliegen, die einen Porzellanladen zu zerschlagen suchen. Die Fliegen sind anfangs so schwach, dass sie nicht einmal eine Teetasse ins Wanken bringen. Also suchen sie sich einen Elefanten, setzen sich in dessen Ohr und beginnen laut zu summen. Der Elefant gerät in Panik oder Wut und verwüstet den Porzellanladen. Genau das ist im letzten Jahrzehnt im Nahen Osten passiert. Den vorläufigen Gipfel erfuhr diese (bewusste, oder unbewusste, aber sicherlich sehr effektive) Strategie des Terrors im Irakkrieg 2003. Islamische Fundamentalisten hätten Saddam Hussein niemals selbst stürzen, das Land destabilisieren und die Grundlage für ihr Kalifat legen können. Stattdessen reizten sie die USA mit den Anschlägen vom 11. September 2001 bis aufs Blut, und die USA zerdepperten für sie den nahöstlichen Porzellanladen. Nun blühten die Fundamentalisten auf dem Nährboden einer sowieso schon faschistoiden Ideologie inmitten der Trümmer auf, der Islamische Staat ist ein Produkt des zweiten Irakkrieges und dieser wiederum eines der 9/11-Anschläge. Für sich allein waren und sind Terroristen immer (NOCH) zu schwach, um uns ins Mittelalter zurück zu zerren. Doch sie können uns provozieren und instrumentalisieren, wir bombardieren wieder ihre Städte, die Angehörigen der Opfer wollen wieder Vergeltung üben und laufen wieder in die Arme der Terroristen. Eines Tages könnte aus der Mücke selbst ein Elefant werden. Wenn dies geschehen sollte, dann wird die Hauptschuld an uns liegen.

[1] Siehe: „Global Burden of Disease, Injures and Risk Factors Study 2013“, in: Lancet.

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