„In einer Welt, die überflutet wird von belanglosen Informationen, ist Klarheit Macht.“ 

- Yuval Noah Harari

Willkommen im postfaktischen Zeitalter

So sicher wie der Wechsel der Jahreszeiten, so sicher ist auch das Kommen und Gehen von Modewörtern in und aus dem gesellschaftlichen Diskurs. Wörter also, deren Halbwertszeit in der Regel kürzer ist als der nächste Youtube Deutschland Trend und deren Aussagekraft nicht stärker ist als die tautologischen Schwafeleien unserer Bundesdrogenbeauftragten. „Postfaktisch“ ist ein solches Modewort, mit dem laut buchstäblicher Bedeutung ein Zustand beschrieben werden soll, in welchem faktenbasierte und sachliche Argumentationen und Darstellungen nicht mehr akzeptiert werden und stattdessen emotionale und rein subjektive Meinungsmache den Diskurs bestimmen. Im gleichen Atemzug taucht der Begriff „Fake-News“ immer wieder auf; als vermeintlicher Beleg für die Existenz eines postfaktischen Zeitalters, in dem wir uns nun befinden sollen. Doch was beschreiben diese Worte eigentlich wirklich und haben sie auch nach einer kritischen Analyse noch Bestand? Finden wir es heraus.

Einleitung

Sehen wir uns zuerst den Begriff „postfaktisch“ an. Der Wortteil „post“, welcher aus dem Lateinischen entlehnt wurde, bedeutet „nach“ oder auch „zeitlich später“. Der Wortteil „faktisch“ beruht auf dem gleichnamigen deutschen Adjektiv und beschreibt die Wirklichkeit oder Tatsächlichkeit eines Sachverhalts. Wenn etwas faktisch ist, dann ist es eine Tatsache.

Aus dieser Wortschöpfung heraus lässt sich bereits eine erste Unstimmigkeit erkennen: Gab es eine Zeit vor dem postfaktischen Zeitalter, also eines nur faktischen Zeitalters? Eine Zeit in der in erster Linie Sachlichkeit den gesellschaftlichen und politischen Diskurs bestimmte? Oftmals werden der Aufstieg der sozialen Medien, oder sogar gleich des gesamten Internets, als Startpunkt eines postfaktischen Diskurses genannt. Wenn wir uns jedoch Medien und Nachrichten aus den Jahrzehnten vor der allgegenwärtigen Verfügbarkeit einer Internetverbindung anschauen, dann fällt auf, dass das Vorkommen von Falschmeldungen, bewusster Fälschung und Täuschung sowie politischer Propaganda niemals ein seltenes Phänomen war.

Prominente Fälle von fehlerhafter Berichterstattung, wie die erfundenen Hitler-Tagebücher des Spiegel, die vermeintlich satanischen Rituale in Kindertagesstätten, welche in den USA in den 1980er Jahren eine Panik unter Eltern auslösten oder die fälschliche Todeserklärung des sowjetischen Ministerpräsidenten Nikita Chruschtschow im Jahr 1963 zeigen, dass es sogenannte „Fake-News“ bereits gab, als das Internet für viele Menschen noch nicht einmal in der Denkweite des Möglichen lag.

Aber nicht nur menschliches Versagen führte schon immer regelmäßig zu „Fake News“, auch bewusste Fälschungen durch Journalisten und jene, die sich dafür halten, existieren bereits seit den Anfängen neuzeitlicher Massenmedien. Wer kennt nicht die sogenannte Zeitungsente, die manchmal mit humoristischer und manchmal mit betrügerischer Absicht ihren Weg in die Ausgabe eines Mediums findet. Auch ihr weniger bekanntes Gegenstück, der sogenannte Grubenhund, bei dem Leser mit einem oberflächlich überzeugenden, aber inhaltlich unsinnigen Brief an die Redaktion die Kompetenzen der ebensolchen prüfen wollen, ist eine interessante Spielart dieses Konzepts.

Von fingierten Lexikonartikeln, wie die berühmte Steinlaus von Loriot, bis hin zu modernen Sagen, auch Urban Legends genannt, in denen von Krokodilen in der Kanalisation oder sich selbst entzündenden Menschen berichtet wird, finden sich zahlreiche Varianten und Beispiele postfaktischer Erzählungen, oder eben „Fake News“.

Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs an Problemen mit diesen beiden Begrifflichkeiten. Nicht nur, dass „Fake News“ selbst keine Neuigkeit sind, nein, der extreme Variantenreichtum von falschen Nachrichten deutet daraufhin, dass wir es hier mit dem genauen Gegenteil eines klar abgrenzbaren Terminus zu tun haben.

Wovon wird also gesprochen, wenn sich auf „Fake News“ bezogen wird? Sind es die klassischen Zeitungsenten, bei denen Journalisten ihrer Arbeit nur bedingt nachgekommen sind? Oder ist es Propaganda, bei dem politische Akteure versuchen, durch Einflussnahme und selektive Informationsvermittlung, den öffentlichen Diskurs in die von ihnen gewünschte Richtung zu lenken? Und wie verhält es sich eigentlich mit mehr oder weniger offensichtlichen, satirischen Medien, wie dem Postillion oder der heute show? Für diese wurde der Begriff „Fake News“ nämlich ursprünglich ins Leben gerufen, um diese als Gegenentwurf zu den „Real News“, also den echten Nachrichten wie den Tageszeitungen oder der Tagesschau, abzugrenzen.

Gehen wir noch tiefer ins Detail, so wird die Gestaltlosigkeit von „Fake News“  immer deutlicher: Was ist, wenn wir zu einem bestimmten Zeitpunkt noch gar nicht feststellen können, ob eine Nachricht falsch oder richtig ist, weil uns dazu die notwendigen Informationen fehlen? Wenn keine andere Möglichkeit besteht, als Prognosen und Interpretationen zu unternehmen, in der Hoffnung, dass wir die Zukunft anhand vergangener Ereignisse und möglicher Kausalketten erahnen können? Wobei immer die Gefahr besteht, dass bestimmte Informationen niemals verfügbar sein werden und eine Nachricht dadurch ihre Falsifizierbarkeit verliert? Werden diese Meldungen dann retroaktiv in den Status der Falschheit erhoben und falls ja, was soll das bringen... der immer wieder heraufbeschworene Schaden, welcher durch „Fake News“ erzeugt werden soll, wäre dann ja bereits angerichtet.

Was sind Fake News wirklich?

Wenn wir einen ehrlichen Blick auf den inflationären Gebrauch der Ausdrücke „Fake News“ und „postfaktisch“ werfen, dann lässt sich genau eine Konstante feststellen: Ihr Gebrauch findet vorrangig im Kontext des politischen Kampfbegriffs statt. Egal wo ein Verlautbarer des postfaktischen Zeitalters auf dem politischen Spektrum siedelt, es ist immer die ideologische Gegenseite, welche mit Auslassungen und falschen Informationen versucht  den öffentlichen und gesellschaftlichen Diskurs mit vermeintlich unlauteren Mitteln zu ihren Gunsten zu entscheiden.

Kaum deutlicher ließ sich das im letztjährigen US-amerikanischen Wahlkampf beobachten: „Diese Analyse zeigt, wie falsche Nachrichten über die Wahl die echten Nachrichten auf Facebook hinter sich gelassen haben“ titelte Buzzfeed und zeigt, in welcher Deutlichkeit angebliche „Fake News“ auf Facebook kurz vor dem Wahlabend an Zulauf erhielten und dabei sogar die Mainstream-Medien in ihrer Reichweite übertrafen.

Doch die fünf am häufigsten geklickten Falschmeldungen sind bei genauerer Betrachtung erschreckend ernüchternd: Die Meldung über die angebliche Unterstützung von Donald Trump durch Papst Franziskus sowie die Meldung über den Selbstmord eines FBI Beamten, welcher vermeintlich in den von Wikileaks veröffentlichten E-Mails aus Hillary Clintons Privatserver genannt wurde, stammen von selbsternannten Fake-News-Seiten, die sich auf das Verbreiten von Falschmeldungen spezialisiert haben, also mit Webseiten wie dem Postillion zumindest in Teilen vergleichbar sind.

Die beiden Berichte über angebliche Waffenverkäufe und geheime Verstrickungen von Hillary Clinton mit dem islamischen Staat, befinden sich irgendwo zwischen Interpretationen und noch-nicht-Gewissheiten. So wurde von Julian Assange, dem Gründer von Wikileaks, in einem Interview im Jahr 2016 ein sehr deutliches Bild von  einer Hillary Clinton gezeichnet, die durch ihre Rolle während des internationalen Militäreinsatzes in Libyen im Jahr 2011, möglicherweise mitverantwortlich für die Erlangung von Waffen durch den IS gewesen ist. Ob sich jedoch tatsächlich Nachweise darüber in den von Wikileaks veröffentlichten E-Mails befinden, konnte bis heute nicht geklärt werden. Und auch die Meldung darüber, dass Hillary Clinton aufgrund der Affäre um ihren privaten E-Mail-Server für das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten ungeeignet wäre, beruht auf der Aussage von Michael Mukasey, einem Rechtsberater der US-amerikanischen Regierung. Diese Nachricht fällt in die Kategorie der schlampigen journalistischen Arbeit, bei dem die spätere Rücknahme der Aussage nicht berichtet wurde und auch keine Korrektur der ursprünglichen Meldung stattfand.

Handelt es sich hier also tatsächlich um ein neuartiges Phänomen, welches einen eigenen Sammelbegriff benötigt oder werden hier nur altbekannte journalistische Verfehlungen und politische Propaganda in neue Kleider gesteckt, um sie einfacher instrumentalisieren zu können?

Nur zwei der genannten Meldungen stammten tatsächlich von echten „Fake News“ Seiten und waren frei erfunden, während für die restlichen drei zumindest eine nachvollziehbare Grundlage an Informationen und Fakten bestand, auf die sich die Autoren berufen hatten. Dennoch wurde hier keine Differenzierung vorgenommen. Sie wurde durch den Begriff der „Fake News“ sogar unmöglich gemacht. Unisono wurden diese und andere Meldungen in einen Topf geworfen und als „Fake News“ gegeißelt. Fehlerhafte Berichterstattung verschwamm mit bewusster Propaganda und frei erfundenen Nachrichten, waren sie nun satirischer oder rein böswilliger Natur.

Eine ähnliche Situation bahnt sich bereits in Deutschland für die kommende Bundestagswahl im Herbst des Jahres 2017 an und schon jetzt wird laut über mögliche Gesetze nachgedacht, um eine Situation, wie sie in den USA vor der Wahl stattgefunden hat, zu verhindern. Doch was ist das überhaupt für eine Situation, die verhindert werden soll? Oder anders gesagt, wie können sich falsche Meldungen, frei erfundene Nachrichten und politische Propaganda überhaupt so einfach und so schnell im Internet verbreiten? Werfen wir als nächstes einen Blick auf das tatsächliche Problem, um das es in der Debatte um „Fake News“ eigentlich geht.

Cyber-Balkanisierung

Auf die Frage danach, welcher Trend sich im Verlauf der nächsten Jahre und Jahrzehnte durch das weltweite Netz ungehindert fortsetzen wird, gibt es nur eine Antwort: Das personalisierte Internet. Die Algorithmen der Marktführer in Sachen Informationsfluss, wie Google und Facebook, bestimmen heute bereits, welche Inhalte jeder individuelle Nutzer zu sehen bekommt. Und keine Nutzererfahrung gleicht der anderen. Das ist zumindest das ultimative Ziel dieser Technologien.

Auf den ersten Blick, scheint diese Entwicklung vor allem positiv zu sein: Niemand bekommt mehr Webseiten, Filme, Musik und Bücher empfohlen, die ihn nicht interessieren. Selbst die Werbung ist zumindest auf Zielgruppen maßgeschneidert oder adressiert gleich direkt den eigenen, persönlichen Geschmack. Neben der erhöhten Bequemlichkeit und des verringerten Zeitaufwands bei der Suche nach neuen Inhalten und Produkten, fungieren diese Algorithmen auch als Entscheidungshilfe. Denn mit einer ausreichend großen Menge an Daten über einen Nutzer, kennen Computerprogramme den eigenen Geschmack besser als der Nutzer selbst. Ein spannender, wenn auch gleich erschreckender Ausblick auf die fortschreitende Digitalisierung unserer Gesellschaft.

Doch, wie alles im Leben, birgt auch das personalisierte Internet negative Aspekte und Gefahren. Und zwar nicht zu knapp. Eine immer individuellere Einzelerfahrung des Mediums Internet, welche bereits heute die am häufigsten genutzte Informationsquelle vieler Menschen unserer Gesellschaft ist (Tendenz steigend), führt unweigerlich zu Isolationsprozessen. Denn nicht nur Unterhaltungsprodukte und Werbung unterliegen dem Drang zur Personalisierung. Auch Meinungen und Nachrichten werden vom Nutzer selbst nach und nach auf die eigene Perspektive und die eigene Weltanschauung zugeschnitten. Informationen, die gefallen, werden geklickt und abonniert und Informationen, die nicht gefallen oder sogar negative Gefühle hervorrufen, werden ignoriert oder sogar gleich geblockt.

Verwunderlich ist dieser Prozess nicht: Tribalismus, also das bilden von kleinen Gruppen und Mini-Gesellschaften innerhalb einer Gesamtgesellschaft, ist eine tief verwurzelte Eigenschaft des Menschen. Personen mit ähnlichen Sichtweisen, ähnlichen Ideen und Werten sowie ähnlichen politischen Ausrichtungen schätzen wir als sympathisch ein und sind auch eher bereit mit diesen Bekanntschaften zu machen und Freundschaften einzugehen. Ein gegenteiliger Prozess findet gegenüber Personen statt, die uns weltanschaulich unähnlich sind. Wir tendieren dazu diese Menschen zu ignorieren, zu meiden oder sie sogar zu unseren Feinden zu erklären.

Diese Verhaltensweisen waren nützlich, als Menschen in Kleingruppen lebten und die erste Priorität das tägliche Überleben war. Hier konnte das eigene Vertrauen in andere Mitglieder dieser Gruppe den Unterschied zwischen Leben und Tod machen. Gemeinsame Ziele und Werte sind eine Grundlage für Vertrauen und eine erfolgreiche Zusammenarbeit, weshalb sich diese Eigenschaften als Indikatoren für Sympathie und mögliche Freundschaften etablierten.

Übertragen wir dieses Prinzip jedoch auf ein globalisiertes und vollvernetztes Zeitalter, in der sich jedes Individuum den eigenen Blick auf die Welt personalisieren kann, erwächst ein bisher unbekanntes Phänomen: Die sogenannte Cyber-Balkanisierung.

Cyber-Balkanisierung überträgt den Begriff der Balkanisierung, welcher den Zerfall einer Nation in kleinere Einzelstaaten oder das Loslösen von Landesteilen eines Staates beschreibt, auf das Internet. Durch konstante Personalisierungsprozesse bildet sich ein weltumspannendes Netzwerk aus unterschiedlich großen, sehr spezifischen und teilweise stark voneinander isolierten Nutzergruppen. Auch wenn ein Informationsaustausch zwischen verschiedenen Gemeinschaften möglich ist und sich manche Individuen in mehreren dieser Gruppen bewegen, läuft der Prozess der Cyber-Balkanisierung gerichtet auf einen Zustand, in dem die Mitglieder solcher Gemeinschaften ein nahezu maximales Ähnlichkeitsniveau in Bezug auf bestimmte Meinungen, Werte und Weltbilder besitzen. 

Zusätzlich ermöglicht es der globale Charakter dieses Netzwerks, dass auch jede noch so kleine und extreme Randerscheinung des Meinungsspektrums eine so ausreichend große kritische Menge an Unterstützern findet, dass sie sich selbst am Leben erhalten und darüber hinaus sogar noch die Fähigkeit erlangen kann gesellschaftlichen Einfluss auszuüben.

Um die Hypothese der Cyber-Balkanisierung zu bestätigen, müssen wir nur einen Blick auf den unglaublich artenreichen Mikrokosmos der Verschwörungstheorien und deren Anhänger werfen, welche seit der Popularisierung des Internets eine ungeahnte Blütezeit erfahren. So finden wir Nutzergruppen welche, entgegen jeglicher Akzeptanz der wissenschaftlichen Fakten, dem Glauben anhängen, dass die Erde eine Scheibe ist und sich nicht mit hoher Geschwindigkeit um die eigene Achse dreht und um die Sonne bewegt. Oder dass die Evolution eine Lüge ist und die Erde nur 6000 Jahre alt sein kann. Oder dass Impfungen gefährlich sind, krank machen und Menschen töten. Von den Auswüchsen politischer Verschwörungstheorien ganz zu schweigen. Für jede noch so denkbare Absurdität findet sich mindestens eine Online-Community, in der sich rege und vor allem unkritisch darüber ausgetauscht wird.

Waren diese Extremmeinungen vor der Verfügbarkeit des Internets auf räumlich weit voneinander getrennte Einzelpersonen verteilt, so können sich heute alle diese Individuen über das Internet zusammenschließen und eine eigene Gemeinschaft bilden, in der sie ihre Werte und Ideen miteinander teilen. Eine Echokammer ist geboren, durch die sich die Cyber-Balkanisierung in einen autokatalytischen Prozess verwandelt. Der regelmäßige Austausch und die gegenseitige Bestätigung zwischen den Mitgliedern innerhalb dieser Echokammer führt zu einer weiteren Extremisierung der Meinungen. Diese noch extremeren Meinungen führen zu stärkerer Ablehnung durch andere Gruppen, was die Isolation der Echokammer weiter erhöht. Die stärkere Abschottung führt zu einem größeren Fokus auf die eigene Gruppe und damit wieder zu einer weiteren Verschärfung der Meinungen. Der Prozess beschleunigt sich selbst.

Eine zweite menschliche Eigenschaft führt dann zur unrühmlichen Perfektion des Problems: Der Bestätigungsfehler oder auf Englisch „confirmation bias“. Die durch so extreme Balkanisierungs-Prozesse entstandenen Gemeinschaften, sind so weit von der beobachtbaren Realität entfernt, dass eine Akzeptanz von wissenschaftlichen Fakten und anderen Meinungen einer vollständigen Revidierung des eigenen Weltbilds und damit einer Selbstaufgabe gleich kommt. Es wird also, bis es unvermeidlich wird, das bisherige Weltbild mit allen möglichen Mitteln aufrecht erhalten. Das Ignorieren, Verdrehen und Erfinden von Fakten, wird hier zum Modus Operandi, und diese Verhaltensweisen werden noch am passendsten vom Begriff „postfaktisch“ erfasst, da hier tatsächlich „Fake News“ zwischen den Mitgliedern dieser Gemeinschaften verbreitet werden, um den kollektiven Irrglauben am Leben zu erhalten.

Voneinander isolierte Echokammern bilden sich jedoch nicht nur in kleinen, spezifischen „Subkulturen“ des Internets. Auch Themen, welche breiten Anklang in der Gesamtbevölkerung finden, unterliegen den gleichen Prozessen der fortschreitenden Personalisierung des Internets und der daraus resultierenden Cyber-Balkanisierung, inklusive aller bereits von mir genannten Probleme. Ein hervorragendes Beispiel dafür bildet die Webseite „Blue Feed, Red Feed“, ins Leben gerufen im Zuge der letzten US-amerikanischen Wahl durch das Wall Street Journal. Erneut bietet das politische System der Vereinigten Staaten eine gute Demonstration der Problematik, da wir es hier mit einem de facto Zwei-Parteien-System zu tun haben, was zwangsläufig in einer Dichotomie der meisten politischen Debatten mündet.

„Blue Feed, Red Feed“ stellt einen konservativen bzw. republikanischen Facebook-Newsfeed einem liberalen bzw. demokratischen Facebook-Newsfeed gegenüber und offenbart damit, welche Resultate ein absolut personalisierter Informationsfluss erzeugt. Während bald-Präsident Trump im demokratischen Newsfeed dämonisiert wird, erklärt der republikanische Newsfeed Trump zum Heilsbringer eines endlich wieder großartigen Nordamerika. Umgekehrt passiert vergleichbares mit der gescheiterten ehemaligen Präsidentschaftskandidatin Clinton. Progressiver Heiland oder bis aufs Mark korrupte Berufspolitikerin mit Machiavelli-Komplex. Nuancen und Differenzierungen werden gemeinsam mit den Fakten am Straßenrand der Informationsautobahn zurückgelassen und nur dann wieder eingesammelt, wenn es gerade in die eigene Narration passt.

Auffallend ist vor allem: Anstatt eine direkte Konversation über die Meinungsverschiedenheiten zu beginnen, reden die Mitglieder dieser Gemeinschaften in erster Linie miteinander über die jeweils andere Gruppe. Und so wird mit Hilfe des Bestätigungsfehlers ein Götzenbild des politischen Gegners aufgebaut, ein sprichwörtlicher Strohmann, welcher, wenn überhaupt nur in Teilen den Fakten entspricht und welcher nach Lust und Laune angezündet werden kann, wenn den Gruppenmitgliedern der Wunsch danach steht.

Sogenannte „Fake News“ sind jetzt also nur eine neue Variante dieses Strohmanns. Sobald auch nur der Anschein besteht, dass eine Nachrichtenmeldung einen politischen Einschlag haben könnte, kann mit der „Fake-News“-Anschuldigung scheinargumentiert werden. Ob es sich dann jedoch wirklich um eine frei erfundene Erzählung handelt, politisch motivierte Meinungsmache am Werk ist oder Journalisten einfach nur schlampig gearbeitet haben, spielt keine Rolle. Das erzeugte Stigma am politischen Gegner ist wichtiger, als die Suche nach der Wahrheit.

Es lässt sich also erkennen, dass die Begriffe „postfaktisch“ und „Fake News“ nicht viel mehr sind als Worthülsen, die nur darauf warten mit politisch aufgeladenem Inhalt gefüllt zu werden. Sie dienen immer nur dem, der sie für seine Zwecke einsetzt und sie helfen nicht dabei eine klare und unvoreingenommene Perspektive auf die Welt zu erlangen. Trotzdem werden beide Begriffe weiterhin den politischen Diskurs der nächsten Monate bestimmen und bereits jetzt wird über mögliche gesetzliche Maßnahmen zur Bekämpfung von „Fake News“ debattiert. Aber sind Gesetze überhaupt in der Lage etwas an dieser Situation zu verändern?

Teil 3 – Können Gesetze überhaupt helfen?

„Fake News“ werden im aktuellen Diskurs deutscher Politiker oft nicht als „Fake News“, sondern als „gezielte Desinformation“ bezeichnet, die verboten werden soll oder gegen die zumindest effektive Maßnahmen für eine schnelle Löschung entwickelt werden müssen. Doch hier spannen sich erneut die Fallstricke der schwammigen Definition: Selbst der Begriff „gezielte Desinformation“ hilft nicht bei der Unterscheidung zwischen satirischen „echten Fake News“ wie dem Postillion, fehlerhafter Berichterstattung z.B. im Rahmen der aktuellen Flüchtlingskrise [Vortrag Michael Haller] oder politischer Einflussnahme durch unter anderem staatsnahe Medien, wie Al Jazeera, Russia Today und den deutschen öffentlich-rechtlichen Medien.

Werden also zukünftig per Gesetz Artikel vom Postillion verboten, weil sie als „gezielte Desinformation“ interpretiert werden können, vor allem dann wenn ein politisches Thema satirisch gehandhabt wird? Werden Zeitungen oder Journalisten für fehlerhafte Meldungen oder für zu wohlwollende Perspektiven auf ein Thema juristisch verfolgt und bestraft? Und werden staatsnahe Medien gesetzlichen Regelungen unterworfen, um eine positive Berichterstattung zugunsten bestimmter politischer Parteien oder Akteure zu verhindern?

Solche und ähnliche Maßnahmen, wären weder einer freiheitlich-demokratischen Werte- und Gesellschaftsordnung angemessen, noch würden sie pragmatische und überhaupt umsetzbare Lösungswege anbieten. Denn erneut tritt die Problematik des „Hinterher ist man immer klüger“ auf: Staatliche Organe wie Gerichte und Polizeibehörden können nicht proaktiv in Bezug auf mögliche „Fake News“ handeln, da dafür weder ausreichende Kapazitäten noch Ressourcen vorhanden sind. Eine Vorabkontrolle von Nachrichtenmeldungen würde außerdem einer staatlichen Zensur gleichkommen und damit unbestreitbar gegen Artikel 5 des Grundgesetzes verstoßen. Es wäre also immer nur ein Eingreifen möglich, nach dem eine Falschmeldung bereits die Runden durch die sozialen Medien und das Internet insgesamt gemacht hat. Der bis dahin angerichtete Schaden ließe sich nicht rückgängig machen.

Diesem Problem sind sich auch die Befürworter einer Einschränkung von „Fake News“ bewusst und daher soll die Überwachungsverantwortung weg von staatlichen Stellen, auf die privaten Unternehmen übertragen werden. Dieser Schritt scheint logisch, da Firmen wie Facebook und Google die Plattformen betreiben und bereitstellen, auf denen sich der postfaktische Meinungssturm entlädt. Ein nachvollziehbarer Schritt... zumindest dann, wenn man nur den Handlungszwang der Befürworter im Blick hat; frei nach der Devise „Aus den Augen, aus dem Sinn“ sollen sich ab sofort die vermeintlichen Verursacher des Problems auch gefälligst um dessen Beseitigung kümmern. Womit? Natürlich mit Algorithmen, die die „Fake News“ von den „Real News“ unterscheiden und aussortieren. Die Frage danach, ob das überhaupt im Bereich des Möglichen liegt, wird, wie so oft, überhaupt nicht gestellt.

Wenn nun Algorithmen mit neuen Algorithmen bekämpft werden sollen, dann ist klar, dass wir nur ein paar Umleitungen auf dem Weg in den unvermeidbaren Abgrund nehmen. Wir erinnern uns: Algorithmen, die zur Personalisierung und Individualisierung des Internets für jeden Nutzer führen sollen, sind der Brennstoff für die Zersplitterung des Internets in isolierte Gemeinschaften und einer der Hauptgründe, die zur Entstehung des Problems der „Fake News“ führen und geführt haben. Diese Algorithmen sollen die Nutzererfahrung verbessern und letztendlich zu einem gesteigerten Verkauf von Werbung und Produkten führen. Es handelt sich also um eine intrinsische Eigenschaft dieser Internetunternehmen: Profitmaximierung. Wären Facebook und Google tatsächlich an einer effektiven Lösung des Problems interessiert, müssten sie den von ihnen eingeschlagenen Entwicklungsweg umkehren, weg von einer Personalisierung und hin zu einem breiten Angebot verschiedener Informationen, welches wieder die Gefahr geringerer Umsätze und Profite birgt. Es gehört also viel Gutgläubigkeit dazu anzunehmen, dass diese Unternehmen das Wohl der Gemeinschaft im Sinne haben und nicht einfach nur nach neuen Wegen suchen, um die Profitmaximierung bei gleichzeitiger, halbherziger Umsetzung gesetzlicher Maßnahmen zu verfolgen.

Ein weitaus größeres Problem ist jedoch nicht die Desinteressiertheit von Facebook, Google und Co die Problematik anzugehen. Eine nahezu monopolartige Kontrolle des Informationsflusses ist bereits heute Anlass für schwerwiegende Bedenken in Bezug auf die Macht, die von einigen wenigen privaten Unternehmen in den Händen gehalten wird. Eine staatliche Legitimation dieser Firmen, Einfluss auf das Informationsangebot zu nehmen ist eine fast schon orwellsche Dystopie. Intransparente, für den einzelnen Nutzer nicht nachvollziehbare Manipulationen an den Nachrichten die er teilt oder zu Gesicht bekommt wären eine Bankrotterklärung an westliche Werte wie Presse- und Meinungsfreiheit und würden ultimativ den Gedanken einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung untergraben. Erneut stellt sich die Frage, warum die Plattformbetreiber von Facebook, Youtube und Twitter das Wohl der Gesellschaft über ihre eigenen unternehmerischen Interessen stellen sollten. Selbst wenn wir davon ausgehen, dass das Firmenmantra aus unerklärlichen Gründen utilitaristischer Natur ist, stellt sich direkt die nächste Frage: Das Wohl *welcher* Gesellschaft und *welcher* Werte wird als Maß aller Dinge hochgehalten? Schließlich agiert ein globales Internetunternehmen in vielen verschiedenen Gesellschaftsformen, mit vielen unterschiedlichen kulturellen Werten. Falls hier die Wahl auf den kleinsten gemeinsamen Nenner fallen sollte, nämlich der Vermeidung der persönlichen Kränkung, dann dürfen wir uns jetzt schon einmal auf ein glorreiches neues Zeitalter, nach dem postfaktischem, gefasst machen.

Zusammenfassung, Lösung, Schluss

Fassen wir also zusammen: Der Gebrauch der Begrifflichkeiten „postfaktisch“ und „Fake News“ im aktuellen Diskurs ist selbst eine Form von Desinformation. Deren schwammige Definitionen können auf so viele verschiedene Einzelprobleme moderner Informationsvermittlung angewendet werden, dass ihre Verwendung kaum nutzbringende Erkenntnisse transportieren kann. Ausschließlich in der Beschreibung von Verschwörungstheorien, deren Legitimation bereits mit einer überwältigenden Menge an empirischen Fakten widerlegt werden konnte, kann die Verwendung dieser Begriffe treffend und daher hilfreich sein. Aus diesem Grund sollten fehlerhafte Berichterstattung, absichtliche Falschmeldungen humoristischer oder betrügerischer Art und politische Propaganda als das bezeichnet werden was sie sind: Journalistisches Versagen, Satire, Schwindel und Propaganda. Ein Sammelbegriff verschleiert die wahren Hintergründe hinter einer verdächtigten Nachrichtenmeldung und erschwert eine sachliche und faktenbasierte Meinungsbildung der Öffentlichkeit.

Gesetzliche Maßnahmen gegenüber Falschmeldungen und fehlerhafter bzw. manipulativer Berichterstattung sind aufgrund der unabänderbaren Zeitverzögerung zur Wirkungslosigkeit verdammt. Mit einer Ausnahme: Einer staatlich sanktionierten Informationskontrolle vor der Veröffentlichung von Nachrichtenmeldungen. Diese Maßnahme würde jedoch eine fundamentale Verletzung unserer gesellschaftlichen Grundordnung bedeuten und Artikel 5 des Grundgesetzes missachten. Zusätzlich würde damit die Macht über den Informationsfluss einzelner privater Internetunternehmen um ein Vielfaches gesteigert werden und die Kontrolle der Inhalte der Intransparenz und den Gewinnmaximierungswünschen von Facebook, Google und Co unterliegen.

Ein Lösungsansatz kann, aus meiner Sicht, nur die folgenden Formen annehmen: Es muss eine grundlegende Änderung der Bildungsschwerpunkte unseres Schul- und Bildungssystems stattfinden. Neugier, Skepsis sowie Fähigkeiten und Methoden zur Recherche müssen gesamtgesellschaftlich kultiviert werden. Medienkompetenzen sollten von der Wiege an gelehrt werden und auch die Auseinandersetzung mit kontroversen, selbst für den Einzelnen unangenehmen Themen muss geübt und geschult werden. Der Rückzug ins Emotionale und der Standardhaltung des „Das ist meine Meinung“ oder des „das glaube ich“ muss entgegengewirkt werden. Diese Formen der Scheinargumentation dürfen nicht geschützt werden, sondern müssen als Formen inakzeptabler Debattenführung bewusst gemacht werden. Die Bereitschaft zur Debatte muss gefördert werden und die Debattenkultur sollte den Standards des Empirismus, also der Quellenangaben, der Belege und der Nachweise auf Basis des Beobachtbaren, unterliegen. Gute und redliche Argumentationsführung sollte als das Maß der Dinge gelten und das Bewusstsein über die eigenen menschlichen Schwachpunkte des Denkens sollte geschärft werden.

Der Bestätigungsfehler, Tribalismus und die Gefahr der Fehl- und Trugschlüsse müssen als Gegebenheiten anerkannt werden und mögliche Bewältigungsstrategien dieser Fehler im Denken sollten vermittelt werden. In gleichem Maße muss jedoch auch dafür gesorgt werden, dass Änderungen der eigenen Meinung nicht mehr als –schwäche sondern als Charakterstärke betrachtet werden, wenn eine solche Meinungsänderung aus nachvollziehbaren Gründen passiert, z.B. wenn eine Person neue Informationen erhalten hat. Alle diese Strategien lassen sich auch für jeden Einzelnen auf der persönlichen Ebene umsetzen. Das bedeutet vor allem, aus der eigenen Komfortzone herauszutreten und die Debatte mit weltanschaulich unähnlichen Menschen und Gruppen zu suchen und dabei die Ideale des kritischen Denkens und der redlichen Argumentation vor sich herzutragen.

Die sozialen Medien und deren Plattformen sollten diese Geisteshaltung wiederspiegeln: Ein offener und ehrlicher Diskurs sollte gefördert und nicht unterdrückt werden. Das Löschen von Nachrichten oder das Sperren von Nutzern sollte nur in deutlichen und gut begründeten Fällen möglich sein. Zusätzlich sollten alle diese Prozesse als so transparent wie möglich präsentiert und für jeden Nutzer einsehbar gestaltet werden. Alle diese Maßnahmen und Rahmenbedingungen sollten gesetzlich verankert und private Unternehmen zum Erhalt und zur Förderung der Meinungsfreiheit verpflichtet werden.

Oder anders gesagt: Alles was wir derzeit in der Debatte um „Fake News“ beobachten können, sollte in die genau gegenteilige Richtung ablaufen.

Gastbeitrag von: Der Doktorant (YouTube, Blog)

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