Das Gattaca-Argument (nach dem gleichnamigen Science-Fiction-Film) besagt, dass eine Weiterentwicklung der Enhancement-Technologien zu einer sozialen Spaltung der Gesellschaft in "gen rich" und "gen poor" führen wird.
Transhumanisten entgegnen dem, dass das Gattaca-Argument nicht zwingend sei:
1. Die Impfung ist bereits eine biotechnologische Enhancement-Technologie. Es gibt in Deutschland seit Anfang der 1980er Jahre keine Impflicht mehr. Wer sich oder seine Kinder aber trotzdem einer hilfreichen, nötigen und sicheren Impfung unterziehen möchte, bekommt diese in der Regel von der Krankenkasse gezahlt. Auch bei spezielleren Impfungen können die Kosten gegebenenfalls von der Krankenkasse übernommen werden. Manche besondere Impfungen müssen jedoch privat getragen werden. Analog dazu könnte der Staat jedem Bürger in Zukunft den Zugang zu zuverlässigen, hilfreichen und sicheren Enhancement-Technologien gewährleisten und so einer Aufspaltung der Gesellschaft vorbeugen.
2. Vor 30 Jahren konnten sich nur Manager und Bankiers Mobiltelefone leisten und heute gibt es mehr Smartphones als Zahnbürsten. Erfolgreiche Technologien, die hilfreich, nötig und sicher sind, werden stark nachgefragt und dadurch billiger und für viele Menschen erschwinglich. Ähnlich könnte es sich mit Enhancement-Technologien verhalten, die anfangs nur von der ökonomischen Elite und anschließend von der ganzen Welt genutzt werden können.
Oder wohlmöglich sogar genutzt werden müssen? Ein weiterer Einwand gegen den Transhumanismus lautet, dass Bürger, die diese Technologien nicht nutzen wollen, trotzdem implizit gezwungen werden, auf sie zurückzugreifen, etwa durch Druck im Freundeskreis oder am Arbeitsplatz. Dieses Urteil mag zutreffen und ich halte es - genau wie das Gattaca-Argument - für akut diskussionsnotwendig. Trotzdem möchte ich einmal versuchen, gegen es zu argumentieren: Vor dreißig Jahren konnten Studenten Hausarbeiten noch handschriftlich abgeben. Diese Möglichkeit besteht heute nicht mehr, da in der Regel erwartet wird, dass sie auf dem Computer verfasst, in einer bestimmten Weise formatiert und zusätzlich bei einer Plagiatsprüfungsstelle eingereicht werden. Studenten werden somit gezwungen, Computer zu nutzen. Ist diese Tatsache moralisch problematisch? Nicht unbedingt. Computer sind für viele Menschen erschwinglich, hilfreich, in einem gewissen Sinne nötig und sicher. Aus diesem Grund überwiegen die Vorteile klar den Nachteilen. Der Wunsch, eine Arbeit handschriftlich zu verfassen, besteht bei kaum einem Studenten. Wenn sich manche Enhancement-Technologien in eben diese Richtung entwickeln sollten, dann ist es möglich, dass viele von ihnen so selbstverständlich in unser Alltagsleben implementiert werden, wie heute der Computer. Und so wie niemand Student werden und einen Computer benutzen muss, wird auch keiner wirklich gezwungen werden beispielsweise Karriere zu machen und Neuroenhancer zu benutzen.
Bedenkenswert scheint mir überdies folgendes: Ein bspw. genetisches Enhancement von Teilen der Bevölkerung würde zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte tatsächliche Unterschiede zwischen Menschen konstituieren. Wenn man heute ein Millionärskind komplett von seiner Umgebung trennt und in einem indischem Slum aufwachsen lässt, wird es dieselbe Lebenserwartung und dieselben Chancen haben wie seine indischen Freunde. Ein genetisch modifizierter Mensch hätte jedoch a priori eine höhere Leistungsfähigkeit, eine höhere Intelligenz oder Lebenserwartung als seine Mitmenschen. Dann gäbe es eine tatsächlich-ontologische 2-Klassen-Gesellschaft - mit Humanen und mit Posthumanen Wesen - und dieses mögliche Szenario problematisiert das Gattaca-Argument zu Recht.