Streben Transhumanisten wirklich nach Unsterblichkeit? Vor nunmehr 1,5, Monaten durfte ich einen spannenden Vortrag von Prof. Stefan Lorenz Sorgner in Kassel hören. Sorgner argumentiert, dass die meisten Transhumanisten auch Naturalisten seien und von daher gar keine theoretische Grundlage besitzen, um nach Unsterblichkeit im Wortsinne streben zu können.
Ich selbst würde mich nicht als Naturalisten bezeichnen, halte den Naturalismus aber für die überzeugendste mir bekannte Weltanschauung. Die platonische Ideenlehre ist beispielsweise zwar eine nette Denkspielerei, es lassen sich aber beliebig viele solche Denkspielereien der Realität überstülpen. Ihre Aussagen können sich niemals bewähren (bzw. sind nicht falsifizierbar), weshalb sie sich im Bereich der Beliebigkeit bewegen. Ähnlich verhält es sich mit dem ebenfalls transempirischen Hegelianismus (siehe zur Kritik: Karl Popper: Die offene Gesellschaft). Von dem Christentum und den anderen abrahamitischen Religionen wollen wir gar nicht erst reden, diese treffen Aussagen über die Welt, die eindeutig falsifiziert sind, wie ich auf dieser Webseite schon zu genüge dargelegt habe (siehe z.B. mein Text zum Theodizeeproblem).
Wenn man den Naturalismus also als plausibelste Weltanschauung hinnimmt, so lässt sich die Unsterblichkeit von Lebewesen nicht einmal konsistent denken:
1. genetic-enhancement: Das Enzym Telomerase stellt die Telomere (Chromosomenenden) wieder her und wirkt so dem Zelltod entgegen. Durch eine künstliche Zufuhr von Telomerase könnten die nach jeder Zellteilung verkürzte Chromosomenenden wieder regenerieren, der natürliche Alterungsprozess wäre somit aufgehoben. Dieses Verfahren wurde bereits an u.a. Mäusen und Fruchtfliegen erfolgreich getestet und soll irgendwann auch bei Menschen zum Einsatz kommen. Allerdings wärst Du auch ohne Zellalterung nicht unsterblich, Du könntest bspw. immer noch von einem Auto überfahren werden, es wäre nur dein natürlicher Alterstod aufgehoben.
2. Kryonik ist der Versuch, Menschen für die Zukunft mittels Kryotase (also Biostase bei sehr tiefen Temperaturen) zu "konservieren". Schwerstkranke Menschen könnten so tiefgekühlt und erst dann wieder aufgetaut werden, wenn ein rettendes Medikament für ihre Krankheit entwickelt wurde. So könnte man eventuell dem Tod durch bspw. einen Hirntumor entgehen, aber immer noch jederzeit (nach oder vor dem Wiederauftauen!) durch einen Asteroideneinschlag oder nuklearen Holocaust sterben.
3. Mind-Upload: Das Problem scheint zu sein, dass wir in einem fragilen Körper stecken und sobald diesen etwas zustößt zwangsweise mit ihm verenden. Die Lösung dieses Problems sehen Transhumanisten wie Raymond Kurzweil in einer Mindupload-Technik. Hier werden mentale Inhalte auf ein externes Medium wie ein Rechner transferiert, das Ich soll damit unabhängig von seiner anfälligen Fleischeshülle werden. Dies könnte – wenn der Funktionalismus wahr ist – beispielsweise passieren, indem das Gehirn eines Subjekts Neuron für Neuron nach seiner kausalen Rolle gescannt und anschließend von einem Computerprogramm funktional simuliert wird.
Doch selbst wenn wir unser Bewusstsein vom Körper abkoppeln und eines Tages alle miteinander in einem galaktischen Internet zu einer Superintelligenz verschmelzen würden, wären wir bzw. wäre dieses Wesen nicht unsterblich. Die zwei kosmologischen Standardmodelle für das Ende des Universums sind der Big Rip und der Big Crunch. Beim Big Rip expandiert das Universum so lange weiter, bis irgendwann die Galaxienhaufen, dann die Galaxien, anschließend die Sternensysteme, die Planeten, die Atome und letztendlich die Baryonen in winzige Elementarteilchen auseinandergerissen werden. Es könnte schlichtweg kein hinreichend komplexes Medium mehr geben, das ein Icherlebnis simulieren könnte. Das andere Szenario ist der Big Crunch, bei dem das Universum aufgrund der Wirkung der Gravitation wieder kontrahiert, bis sich eine Singularität (und beim Big Bounce daraufhin ein weiterer Big Bang) bildet. Auch ein solches Szenario würde definitiv kein hochgeladener Geist überleben können.
Es bleibt also dabei: In einer naturalistischen Welt kann personale Unsterblichkeit - sowohl im Sinne des nicht sterben-könnens als auch im Sinne des nicht sterben-müssens – nicht einmal auf konsistente Weise gedacht werden!
Deshalb meinen naturalistisch gesinnte Transhumanisten auch keine tatsächliche Unsterblichkeit, wenn sie diesen Begriff zugegeben manchmal etwas flapsig verwenden. "Unsterblichkeit" ist hier vielmehr eine Utopie und die Verwendung des Begriffes für gewöhnlich nur ein rhetorisches Stilmittel. Utopien sollen uns auf ein bestimmtes Gut aufmerksam machen, das vielleicht nie gänzlich erreicht werden kann, aber dennoch angestrebt werden sollte (siehe auch: Der Weg ist das Ziel). Im Fall der Unsterblichkeits-Rhetorik handelt sich um ein Aufmerksam-machen auf die Bedeutung einer verlängerten Lebens- oder Gesundheitsspanne. Es wäre demnach passender von verlängerten Lebens- oder Gesundheitsspannen anstatt gleich von "Unsterblichkeit" zu sprechen.
Was macht Unsterblichkeit aber überhaupt erst zu einer transhumanistischen Ideologie? Der Transhumanismus entstammt dem Humanismus, für den das menschliche Leben das höchste aller Güter darstellt. Diese Vorstellung kommt uns so selbstverständlich vor, weil wir sie in unserer humanistisch geprägten Welt überall wiederfinden. Jeder sagt es - Lehrer in den Schulen, Politiker in Parlamenten, Anwälte vor Gericht und Schauspieler auf Theaterbühnen. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die nach dem Zweiten Weltkrieg von den Vereinten Nationen verkündet wurde - und dem, was wir uns unter einer weltweiten Verfassung vorstellen, vermutlich am nächsten kommt -, stellt kategorisch fest, grundlegendster Wert der Menschheit sei das "Recht auf Leben". Da der Tod eindeutig gegen dieses Recht verstößt, ist er eine Verbrechen gegen die Menschheit bzw. gegen den (Trans-)Humanismus, und deshalb ist die Unsterblichkeit – also ewiges Leben – eine transhumanistische Utopie.