Der reduktive Physikalismus besagt, dass jeder geistige Zustand sich prinzipiell auf messbare Zustände des Gehirns zurückführen lässt. Kann diese These überhaupt wissenschaftlich überprüft werden? Oder ist die These von der physikalischen Erklärbarkeit des Bewusstseins selbst eine meta-physische? Diese Fragen stellte mir ein Leser.
Zunächst brauchen wir eine möglichst unabhängige Messmethode für geistige Zustände, um den reduktiven Physikalismus überprüfen zu können. Bisher setzen viele Experimente einen Reiz, der erfahrungsgemäß bei den meisten Menschen einen bestimmten geistigen Zustand auslöst. Dann messen sie die zugeordnete Gehirnaktivität. Dieses Verfahren ist extrem grob, geht kaum über einfache Gefühle hinaus und zudem noch methodisch bedenklich. Bei komplexeren geistigen Zuständen muss man die Probanden nach ihrem geistigen Zustand fragen und hoffen, dass die Antworten zuverlässig sind. Eine wissenschaftliche Garantie dafür gibt es nicht, da geistige Zustände privat sind.
Wenn eines Tages bessere Methoden zur Messung von geistigen Zuständen gefunden werden sollte, gibt es da noch folgendes Problem: Aus der Beobachtung, dass sich beliebig viele Gedankenvorgänge G1, G2, G3, … jeweils einem Gehirnzustand H1, H2, H3 … zuweisen lassen, kann nicht abgeleitet werden, dass jeweils nur dieser Gehirnzustand, oder eine Menge bestimmter Gehirnzustände, den entsprechenden Gedankenvorgang begleiten kann.
Stellen wir uns zum Vergleich vor, dass ich eine Untersuchung über den Zusammenhang zwischen Regen und Pfützen auf der Straße mache. Aufgrund meiner Erfahrung formuliere ich die Hypothese, dass es immer dann, wenn es regnet, Pfützen auf der Straße gibt. Dies versuche ich mit den Beobachtungen R1 → P1, R2 → P2 usw. (also zum Zeitpunkt 1 regnete es und ich sah Pfützen, usw.) zu bestätigen. Nun wissen wir spätestens seit David Hume – und Karl Popper hat uns dies im 20. Jahrhundert erneut vor Augen geführt –, dass die gesetzmäßige Verallgemeinerung, der sogenannte Induktionsschluss darauf, dass es immer dann, wenn es regnet, auch Pfützen auf der Straße gibt (Rx → Px), logisch problematisch ist.
Stellen wir uns nämlich weiter vor, dass ich mich nach hundert bestätigenden Beobachtungen erfreut zurücklehne und entschließe, mich für die harte wissenschaftliche Arbeit mit einem Urlaub zu belohnen. In der Zeit meiner Abwesenheit führt die Stadt eine umfangreiche Verbesserung des Abwassersystems durch. Diese hat zur Folge, dass das Wasser auch bei starkem Regen sofort abfließt und sich auf den Straßen keine Pfützen mehr bilden. Entsprechend geschockt stehe ich beim ersten Regenguss nach meiner Rückkehr am Fenster, denn die Pfützen, die es gemäß meinem formulierten Gesetz doch geben müsste, lassen sich nirgends sehen. Nachdem mich ein Nachbar über die Maßnahmen der Stadt aufgeklärt hat, muss ich mein Gesetz also anpassen: Regen führt immer dann zu Pfützen, sofern die Stadt nicht entsprechende Maßnahmen zur Pfützenvermeidung getroffen hat. Wir können uns vorstellen, wie diese Geschichte (endlos) weitergeht.
Für reduktive Physikalisten, die ihre Theorie endlich auf physikalisch fundierte Beine stellen wollen, ist die Lage jedoch noch schwieriger. Für sie reicht es nicht aus, dass Gehirnzustände H1, H2, H3, … die Gedankenvorgänge G1, G2, G3, … begleiten. Sie müssten auch noch zeigen, dass es die Gedankenvorgänge nicht auch ohne die Gehirnzustände geben kann – und das ist schlicht empirisch unmöglich. Pfützen kann es beispielsweise auch dann geben, wenn der Nachbar den Putzeimer auf der Straße ausleert oder die Nachbarin dort (verbotenerweise) ihr Auto wäscht, also auch ohne Regen. Dementsprechend ist die These des reduktiven Physikalismus „Jeder geistige Zustand ist letztendlich ein Gehirnzustand“ selbst ein philosophisches Postulat und deshalb ist die Debatte um es auch primär eine philosophische.