Was heißt es eigentlich, dass ich etwas tue bzw. dass ich eine Entscheidung treffe? Eine naheliegende Antwort lautet, dass ich eine bestimmte Handlung ausführe, wenn es meine Wünsche und meine Entscheidungen sind, die zu dieser Handlung führen (Handlungsfreiheit). Und dass ich dementsprechend etwas entscheide, wenn diese Entscheidung von meinen Wünschen, Überzeugungen oder Überlegungen abhängt (Willensfreiheit). Wenn diese Überlegungen stimmen, kann ich nur dann Urheber meiner Handlungen und Entscheidungen sein, wenn diese auf geeignete Weise von meinen Wünschen und Entscheidungen abhängen. Und das bleibt auch dann noch wahr, wenn meine Handlungen, Entscheidungen und Wünsche determiniert sind. Insofern hält der Kompatibilist Urheberschaft und Determinismus für miteinander kompatibel.
Der Inkompatibilist hält dem gemeinhin entgegen, dass Urheberschaft nicht ausreicht um willensfrei zu sein. Der Libertarier Robert Kane meint beispielsweise, dass "Freiheit auf der Fähigkeit [beruht], die letzte Quelle und der Ursprung unserer eigenen Ziele und Absichten zu sein." Um willensfrei zu sein, soll man also nicht nur Urheber, sondern Letzturheber der eigenen Entscheidungen sein. Aus dem ebenfalls von Inkompatibilisten hervorgebrachten Konsequenzargument ergibt sich jedoch, dass, wenn der Determinismus wahr ist, wir nicht Letzturheber unserer Entscheidungen und somit auch nicht willensfrei sein können. Denn dafür müssten wir die Vergangenheit und Naturgesetze kontrollieren können, die unsere Entscheidungen determinieren, und das geht nicht.
Der Freiheitsskeptiker Galen Strawson entwickelte hieraus ein Argument, nach dem die Forderung nach Letzturheberschaft in einen infiniten Regress führt: Um Letzturheber unserer Entscheidungen zu sein, müssen wir für die Wünsche und Gründe verantwortlich sein, die dieser Entscheidung zugrunde liegen. Und um Urheber dieser Wünsche und Gründe zu sein, müssen wir wiederum diese selbst wählen können, wir müssen aber auch die Prinzipien wählen können, nach denen wir unsere Wünsche und Gründe bestimmen, usw. usf. Wenn der universale Determinismus wahr ist, müssten wir also letztendlich die Geschicke während des Urknalls bestimmen können, oder, wenn zusätzlich das Big-Bounce Modell wahr ist, die Geschicke aus den Vorgängeruniversen, und das geht nun wirklich nicht. Kurzum: Um Letzturheber unserer Entscheidungen und Handlungen zu sein, müssten wir deren letztendlichen Determinanten selbst wählen können, was aber unmöglich ist (Vgl. wieder Konsequenzargument).
Das Letzturheberschafts-Argument sagt also aus, dass eine Person dann und nur dann willensfrei sein kann, wenn sie der letztendlich verursachende Grund ihrer Entscheidungen ist. Da dies in einem determinierten Universum aber als unmöglich gelten kann, kann eine Person in einem solchen auch niemals willensfrei sein:
(P1) Um willensfrei oder verantwortlich sein zu können, muss eine Person letztendlich Ursache ihrer selbst sein (causa sui).
(P2) Es gibt keine Person, die die Ursache ihrer selbst ist.
(K1) Es gibt keine Person, die willensfrei oder verantwortlich ist.
Die erste Prämisse des Argumentes folgt aus der Forderung nach Letzturheberschaft: Um Letzturheber der eigenen Entscheidungen sein zu können, muss man Urheber der eigenen Wünsche, Gründe, Prinzipien, und somit letztendlich der eigenen Person sein. Strawsons "Letzturheber-Argument" geht also davon aus, dass was eine Person tut, durch das bestimmt wird, was sie ist. Um frei und verantwortlich wählen zu können, was man tut, müsse man deshalb letztlich auch den eigenen Charakter wählen und bestimmen können. Das sei nach der zweiten Prämisse aber unmöglich, weshalb keine Person willensfrei oder verantwortlich sein kann.
Wie Strawson haben schon Friedrich Nietzsche und Arthur Schopenhauer die Willensfreiheit geleugnet, indem sie sie auf die Charakterwahl verschoben. Nach Schopenhauer ist "des Menschen Wille sein eigentliches Selbst, der wahre Kern seines Wesens [...] Daher ihn fragen, ob er auch anders wollen könnte, als er will, heißt ihn fragen, ob er auch wohl ein anderer sein könnte als er selbst". Nietzsche vertritt eine sich aus mehreren Quellen speisende Freiheitsskepsis, deren Kohärenz umso fragwürdiger wird, je mehr Textstellen man hinzuzieht. Schopenhauer entwickelt am Ende seiner scharfen Freiheitskritik die positive Auffassung, dass man für seinen Charakter selbst Verantwortung trage.
Auch Strawsons Argument scheint inhaltlich wieder äußert plausibel zu sein: Wenn ich einen Faktor nicht willentlich hervorbringen oder verhindern kann, bin ich auch nicht verantwortlich für diesen. Meine Entscheidungen kann ich im Determinismus nicht willentlich hervorbringen oder verhindern, da sie auf meinen Charakter und dieser wiederum auf Faktoren vor meiner Geburt beruhen. Deshalb bin ich nicht verantwortlich für meine Entscheidungen.
Der Kompatibilist kann das Argument jedoch erneut formal kritisieren. Offenbar beruht es (wie das Konsequenzargument im Artikel zum Inkompatibilismus) wieder auch auf einem Transferprinzip: Wenn wir nicht für q verantwortlich sind, und wenn p aus q folgt, dann sind wir (auch) für p nicht verantwortlich. Ein mögliches Gegenbeispiel: Die heutigen deutschen Staatsbürger haben historische Ereignisse wie den Kolonialismus nicht verursacht, trotzdem fühlen sich einige von ihnen verantwortlich für die daraus zu Teilen resultierende Lage in Afrika. Es gibt also q, die nicht von uns verursacht wurden, aus denen aber p's folgen, für die wir uns verantwortlich fühlen. Auch hier scheint es wieder von der Lesart von "Verantwortung" abzuhängen, ob dieser Schluss zwingend ist.
Wenn Willensfreiheit und Verantwortung voraussetzen, dass wir unsere Entscheidungen letztendlich selbst verursachen, führt das in ein Münchhausen-Trilemma:
(i)
Entweder unsere Entscheidungen beruhen auf Gründen, diese auf Prinzipien, … diese auf den Urknall, usw. usf. (infiniter Regress).
(ii) Oder aber eine erste Wahl wird von einer Person getroffen, für die sie keinerlei Gründe oder Entscheidungsprinzipien hat und deren Wahl deshalb nur völlig grundlos ausfallen kann
(Dogmasetzung).
(iii) Es gibt noch die dritte Möglichkeit, dass beispielsweise Charaktereigenschaften nicht nur Entscheidungen, sondern umgekehrt Entscheidungen auch Charaktereigenschaften verursachen
(Zirkelschluss).
Offenbar ist keine der drei nur möglichen Alternativen intellektuell befriedigend oder gar freiheitsgarantierend. (i) und (iii) sind keine wirklichen Fälle von Letzturheberschaft: Bei (i) gibt es keinen Letzturheber, weil der Regress immer weiter führt und bei (iii), da die vermeintlich erste Wahl wechselseitig von anderen Faktoren abhängt.
Galen Strawsons Argument läuft also darauf hinaus, dass eine Person im Sinne von (ii) eine erste Wahl treffen muss, für die sie keinerlei Gründe oder Entscheidungsprinzipien haben darf, um als willensfrei gelten zu können. An irgendeinem Punkt meiner Entscheidungsfindung darf es nicht von weiteren Faktoren, ausdrücklich auch nicht von meinen Wünschen oder Charaktereigenschaften abhängen, ob ich mich für die Alternative A oder B entscheide. Die erste Wahl eines Letzturhebers müsste also buchstäblich grundlos und damit zufällig ausfallen.
Daraus können nun verschiedene Schlüsse gezogen werden:
Kompatibilisten ziehen hieraus den Schluss, dass es gar nicht sein kann, dass Willensfreiheit Letzturheberschaft voraussetzt. Denn (positive) Willensfreiheit setzt für sie voraus, dass man sich aufgrund von eigenen Gründen und Charaktereigenschaften entscheiden kann, während Letzturheberschaft genau das auszuschließt. Sie argumentieren, dass es gar nicht anders sein kann, als dass man äußere Einflüsse und vorgeburtliche Bedingungen nicht bestimmen kann und dass diese die eigenen Entscheidungen beeinflussen. Und dass es offenbar nicht arg sinnvoll ist zu sagen, die Natur manipuliere uns dadurch oder mache uns dadurch unfrei, dass sie uns diese Wünsche und Charakterwünsche mit auf den Weg gibt. Wünsche und Gründe entspringen unserer ganz individuellen Verfasstheit und wir sind dann frei, wenn wir sie abwägen und reflektieren und gemäß dieses - auf unseren Charakter und unsere Prinzipien zurückgehenden - Prozesses entscheiden können. Unfrei sind wir für einen Kompatibilisten hingegen, wenn dieser Prozess durch äußere oder innere Zwänge wie Drohungen oder Neurosen beeinträchtigt ist.
Wenn man den Begriff der Willensfreiheit also so ausdehnt, dass er Letzturheberschaft verlangt, dann sind wir Menschen unfrei allein durch die Tatsache, dass wir Menschen sind. Dies allein ist aber natürlich noch kein Argument gegen diese Position. Inkompatibilisten ziehen hieraus den Schluss, dass es offensichtlich keine Willensfreiheit in einem determinierten Universum geben kann. Denn für sie setzt Willensfreiheit sehr wohl Letzturheberschaft voraus und die kann es in einem determinierten Universum nun mal nicht geben.
Damit zeichnen sich zwei für die Debatte zwischen Kompatibilisten und Inkompatibilisten kennzeichnende Grundmuster ab:
Erstens: Inkompatibilisten und Kompatibilisten verwenden zwei verschiedene Freiheitsbegriffe. Inkompatibilisten sprechen von der Willensfreiheit, die wir meinen, wenn wir von Willensfreiheit reden. Es scheint mir offensichtlich, dass wir, wenn wir alltagssprachlich von einer freien Willensentscheidung sprechen, damit nicht meinen, dass diese ein Glied in einer endlosen und von uns unkontrollierbaren Kausalkette ist, sondern damit schon irgendwie intendieren, dass wir diese letztendlich selbst hervorgebracht haben (etwa mittels "Akteurskausalität"). Der inkompatibilistische Freiheitsbegriff entspringt also einer Begriffsanalyse unserer Normalsprache. Kompatibilisten sprechen hingegen von der Freiheit, die wir in einer natürlichen Welt haben können. Die meisten Kompatibilisten sind auch Naturalisten, sie gehen davon aus, dass die Welt kausal geschlossen ist und es in ihr mit rechten Dingen zugeht. In ihr ist kein Platz für Alternativität unter gleichen Bedingungen, weshalb Kompatibilisten auf Alternativität unter anderen Bedingungen verweisen, und in ihr ist kein Platz für Letzturheberschaft, weswegen der Kompatibilist sich mit einer bestimmten Form von Urheberschaft begnügt.
Zweitens: Inkompatibilisten sehen einen engen Zusammenhang zwischen Freiheit und Letzturheberschaft (origination). Frei sind dieser Auffassung zufolge die Handlungen und Entscheidungen, die nur auf mich und nicht auf Umstände zurückgehen, die ich selbst nicht kontrollieren oder verursachen kann. Deshalb glauben sie auch nicht an Willensfreiheit in einem determinierten Universum, da dieses in einem solchen unmöglich ist. Kompatibilisten dagegen betonen den entgegengesetzten Zusammenhang zwischen Freiheit und Willentlichkeit (voluntariness). Für sie sind Handlungen und Entscheidungen, die ich ausführe bzw. treffe frei, weil ich sie ausführen oder treffen will und weil sie keinerlei inneren oder äußeren Zwängen unterliegen. Diese Vorstellung ist sehr wohl mit der Vorstellung vereinbar, dass das Univerusm und insbesondere meine Handlungen und Entscheidungen neuronal determiniert sind.
Im Kern geht es also um die Frage, ob meine Entscheidungen unbedingt (Inkompatibilismus) oder bedingt (Kompatibilismus) sein müssen, um frei zu sein.
Der Kompatibilist weist zurecht darauf hin, dass unbedingte Willensfreiheit mit absolutem Zufall gleichzusetzen wäre und dass das nicht viel mit unserer alltäglichen Vorstellung von (positiver) Willensfreiheit zu tun hat. Der Inkompatibilist hält dem aber mit gleichem Recht dagegen, dass eine durch Gründe und Wünsche bedingte Willensfreiheit keine Alternativität unter identischen Umständen zulässt und dies ebenso wenig mit gemein-verstandener Willensfreiheit zu tun hat. Bedingte und unbedingte Konzeptionen passen also beide nicht mit unserer Begriffsintuition überein:
Wie gesagt: Inkompatibilisten folgern daraus, dass es Willensfreiheit im allgemeinen Sinne aus sprachlich-apriorischen Gründen nicht geben kann. Kompatibilisten vertreten eine schwächere, determinismus-verträgliche Form von Willensfreiheit: Personen sind manchmal dazu in der Lage, sich von den Entscheidungen und Wünschen zu lösen, die ihr Leben unmittelbar beeinflussen. Aber natürlich machen sie das nur, weil sie höherstufige Wünsche haben und die Fähigkeit besitzen, ihre erststufigen Wünsche zu reflektieren und gegebenenfalls im Zaum zu halten. Weder von diesen Wünschen noch von der Fähigkeit zur Reflexion und zum Verzicht auf die Befriedigung unmittelbarer Bedürfnisse wird man sagen können, dass sie letzten Endes auf uns selbst zurückgehen, also von uns kontrolliert oder verursacht werden. Viel plausibler ist die Annahme, dass beides zum Teil auf unserer biologischen Natur und zum Teil auf Erziehung beruht. Doch die fehlende Letzturheberschaft ist für den Kompatibilisten kein Grund die Willensfreiheit aufzugeben. Vererbte und anerzogene Fähigkeiten zur Abwägung und Reflexion seien kein Hindernis zur Willensfreiheit, sondern eine notwendige Bedingung dieser.
Es scheint mir in dieser Debatte vorrangig um eine semantische Frage zu gehen: Wenn Willensfreiheit erfordert, dass ich mich unter gleichen Umständen auch anders hätte entscheiden kann, dann ist sie offensichtlich nicht mit dem Determinismus vereinbar und der Inkompatibilist hat Recht. Falls Willensfreiheit aber bedeutet, dass ich nach meinen eigenen Wünschen und Gründen entscheiden kann, dann ist eine gewisse Form von Determination unerlässlich für Willensfreiheit und der Punkt geht an den Kompatibilisten. Ich glaube nicht, dass man sich hier entweder für die eine oder für die andere Seite entscheiden muss: Beide Lager verwenden unterschiedliche und legitime Begriffe von Willensfreiheit, und man kann sowohl den inkompatibilistischen Freiheitsbegriff für inkompatibel mit dem Determinismus als auch den kompatibilistischen Freiheitsbegriff für kompatibel mit diesem ansehen. In diesem Sinne kann man sowohl Inkompatibilist als auch Kompatibilist sein.
WissensWert (Freitag, 11 Mai 2018 05:00)
Gegen Ende noch eine persönliche Stellungnahme: Freiheitsgefährdend ist am Determinismus das nicht So-oder-anders-Können unter den selben Umständen (die fehlende Alternativität) nicht das nicht determinieren-können der eigenen Entscheidungsdeterminanten (die fehlende Letzturheberschaft) per se. Der moderne Inkompatibilist täte also besser daran, dass Letzturheberargument ganz wegzulassen und die Freiheitsgefährdung allein auf den Determinismus (bzw. auf das Nicht-Anders-Können unter identischen Bedingungen) zurückzuführen. Es kann im Determinismus niemals etwas anderes geschehen als das Faktische, weder in der Vergangenheit, noch in der Gegenwart und auch nicht in der Zukunft. Das ist das eigentliche starke Argument gegen die (starke) Willensfreiheit und für den Inkompatibilismus.