Wenn man über die Zukunft schreibt, bekommt man immer wieder eine Frage gestellt: Was wird the next big thing?
Meine Antwort auf diese Frage ist immer dieselbe: Wenn wir das wüssten, würde man in der Wirtschaft und Wissenschaft bereits daran forschen. Reale bahnbrechende Entdeckungen entziehen sich unseren Vorhersagen.
Hätte man vor 100 Jahren eine Gruppe theoretischer Physiker in einen Raum eingesperrt und sie gebeten vorherzusagen, was wir heute über das Universum wissen, hätten sie bei fast allen wichtigen Entdeckungen danebengelegen, die wir seitdem gemacht haben: von der Entdeckung der Dunklen Materie und der Dunklen Energie, bis hin zur Fähigkeit Gravitationswellen zu detektieren. Das liegt daran, dass wir Orientierungshilfe durch bereits Bekanntes und Experimente brauchen, um uns in der Wissenschaft voran zu bewegen. Was wir meinen, wie sich die Natur verhalten könnte oder was wir denken, wie die Zukunft aussehen könnte, ist irrelevant.
Deswegen ist Science-Fiction – obwohl sie die menschliche Vorstellungskraft inspirieren kann, fundamental beschränkt. Sie basiert auf menschlichen Vorstellungen und früheren Erfahrungen. Dies ist auch der Grund, weshalb die Science-Fiction Literatur von vor 100 Jahren fälschlicherweise fliegende Autos prophezeit hat und das Internet nicht kommen sah.
Sicher, viele Science-Fiction-Autoren haben eine Welt mit einigen Aspekten des Internets erdacht. Mark Twain stellte sich 1898 in einer seiner weniger spannenden Geschichte ein „Telektroskop“ vor, das Leuten erlaubt hätte, mit einem Telefon-ähnlichen Objekt Orte auf der ganzen Welt zu betrachten. Doch trotz der Behauptung, dass Twain „das Internet vorhergesagt hätte,“ stellte die Geschichte eher etwas wie die Video-Telefonie, die ich 1964 auf der Weltausstellung sah, als das heutige Internet dar. Twain dachte, dass dank des Telektroskops die Geschehnisse auf dem Planeten Anlass für Klatsch, Tratsch und Diskussionen (sprich soziale Netzwerke!) sein würden, aber seine Vision unterschied sich kaum von der altmodischen Telefonverbindung. Das wahre next big thing hat (in seiner Dimension) niemand vorhergesehen.
Später dann haben Autoren wie William Gibson in seinem Roman „Neuromancer“ aus dem Jahr 1984 und David Brin in seinem Buch „Erde“ aus dem Jahr 1990 etwas erschaffen, das dem näherkommt. Aber damals war das Internet innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinde schon im Entstehen begriffen. Auf jeden Fall kam nie etwas, das dem Internet ähnelte, derart allgegenwärtig in der Science-Fiction vor, wie Teleportation in all ihren Formen, Anti-Schwerkraft-Autos, Warpantriebe, Hyperantriebe, Wurmlöcher oder all die anderen Hilfen mit denen man schneller als das Licht von einem Ort zum anderen reisen kann.
Dies ist keine Verunglimpfung von Science-Fiction-Autoren. Ihr Job ist es nicht, die Zukunft vorherzusagen – sondern sie sich anhand der gegenwärtigen Trends vorzustellen bzw. diese geschickt zu extrapolieren. Das ist so fantastisch am Internet. Das allgegenwärtige World Wide Web nahm seinen Anfang an einem völlig unerwarteten Ort. Tatsächlich ist der bemerkenswerteste Umstand des Internets, dass die Notwendigkeit die Mutter seiner Erfindung war. Als die Experimente der Teilchenphysik immer größer wurden, und Zusammenarbeit über die gesamte Erde notwendig wurde, gab es einen Bedarf für getrennte Gruppen, zusammenzuarbeiten und Daten auszutauschen. So begann das World Wide Web, zuerst gestartet am CERN, wo sich heute der größte Teilchenbeschleuniger der Welt befindet, der Large Hadron Collider.
Nur eines lässt sich einigen Science-Fiction Autoren, die mit dem Anspruch des Realismus aufgetreten sind, vielleicht vorwerfen: Sie zeichnen ein Bild des Möglichen, nicht des Wahrscheinlichen. Wenn Science-Fiction Autoren von vor 50 Jahren von fliegenden Autos und Kolonien auf dem Mars geschrieben haben, haben sie nur berücksichtigt, was in Zukunft möglich sein könnte, nicht, was auch wahrscheinlich ist. Tatsächlich könnten wir jetzt bereits Kolonien auf dem Mars haben, wenn wir all unsere Kraft und all unser Geld daran gesetzt hätten. Aber die finanzstarke Nachfrage lag in den Schwellenländern und in der breiten Masse, deswegen gibt es heute 2,5 Milliarden Nutzer von hochmodernen Smartphones und keine Marskolonien, obwohl es anders möglich, aber eben nicht wahrscheinlich gewesen war.
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