In der Geo 12/2011 findet sich ein Bericht über ein deutsches Paar, das sich im Ausland über eine Leihmutter zwei Kinder hat austragen lassen. Während sich dieser Beitrag weitgehend mit dem Ablauf befasst, werden auf einer weiteren Seite einige ethische Aspekte der Leihmütterschaft diskutiert. Diesen Beitrag hat Rainer Erlinger geschrieben, von Beruf Jurist und Publizist. Er schreibt jede Woche die Kolumne „Die Gewissensfrage“ in der Süddeutschen Zeitung. Aus seinem Artikel in der Geo:
Stellen Sie sich folgende Situation vor: In einem Bioethikkurs diskutieren Studenten lebhaft, ob Leihmutterschaft ethisch zulässig oder vertretbar ist, als sich eine Studentin meldet, die bis dahin noch nichts gesagt hat. ,,lch bin durch Leihmutterschaft zur Welt gekommen. Meine Mutter konnte auf natürlichem Weg keine Kinder bekommen. Wir diskutieren hier also darüber, ob es mich aus ethischen Gründen besser nicht geben sollte.“ Daraufhin herrscht betretenes Schweigen. Die Szene ist erfunden – und bewusst zugespitzt -, aber sie illustriert und personalisiert ein bekanntes Problem: das der Nichtexistenz. Denn jeder Einwand gegen die Leihmutterschaft beinhaltet die schwer vertretbare Feststellung, dass es moralisch gesehen besser wäre, das Kind würde nicht zur Welt kommen, nicht existieren.
Als nächstes werden dann die Pro- und Kontraargumente diskutiert:
Die Bedenken, die gegen die Leihmutterschaft – besonders deren kommerzielle Form – vorgebracht werden,
konzentrieren sich auf folgende miteinander verwobene Argumente: die Ausbeutung der Frau, die Degradierung der Fortpflanzung und damit der Kinder zu Waren, langfristige Schäden für die Kinder und
die Leihmütter sowie die Verletzung der Menschenwürde.
Ein genauerer Blick auf die Ausbeutung der Frau führt zunächst zu einem überraschenden Ergebnis: Aus
feministischer Sicht kann man die Leihmutterschaft auch positiv sehen, weil sie Frauen zusätzliche Freiheiten gewährt: auf der einen Seite die, ein Kind ohne eigene Schwangerschaft zu bekommen,
und auf der anderen, den eigenen Körper zu ihrem Vorteil zu nutzen. Frauen diese Möglichkeiten zu untersagen bedeutet, sie zu bevormunden. „Mein Bauch gehört mir“, hieß es bei der
Abtreibungsdebatte, und das könnte auch hier gelten.
Andererseits kann man die Nähe der kommerziellen Leihmutterschaft zur Prostitution nicht leugnen: In
beiden Fällen bieten Frauen ihren Körper gegen Geld an – häufig durch Vermittlung Dritter. Doch während es in einem Fall um die sexuelle Lust geht, für die bezahlt wird, ist es im anderen Fall
die Reproduktion selbst.
Interessanterweise kann man auch das unterschiedlich bewerten. Einerseits kann man die Prostitution
als verwerflicher verurteilen, weil hinter ihr kein ,,höherer“ Zweck steht, andererseits kann man die Leihmutterschaft als problematischer ansehen, weil bei ihr die Fortpflanzung selbst und damit
die Entstehung eines neuen Menschen zur Handelsware wird. Damit aber gefährdet man die Würde des entstehenden Lebens, denn wie Immanuel Kant feststellte, hat alles entweder einen Preis oder eine
Würde. Deshalb erlauben manche Länder die Leihmutterschaft auch nur in ihrer nichtkommerziellen Form, wenn außer dem Ersatz von Aufwendungen kein Geld fließt.
Die Würde der Leihmutter ist sicherlich gefährdet, wenn sie zum bloßen Mittel gemacht wird, etwa
indem man sie zur Fremdschwangerschaft zwingt oder eine Notlage ausnutzt. Das ist jedoch nicht der Fall, wenn sich die Leihmutter freiwillig entscheidet und sich bewusst ist, worauf sie sich
einlässt. Nur wo beginnt eine Notlage? Bei akuter Armut? 0der vielieicht auch schon, wenn die Leihmutter das Geld für die Schwangerschaft braucht. um ihren eigenen Kindern eine gute Ausbildung zu
ermöglichen? Und wo beginnt der Zwang? Vielleicht schon bei einem Ehemann, der sie zu dieser Art der Geldbeschaffung drängt? Kann ein Ausnutzen nicht schon allein im Wohlstandsgefälle zwischen
den Ländern oder auch nur den beteiligten Personen liegen? Und kann man überhaupt von einer informierten Entscheidung reden, denn wie kann eine Leihmutter vorher wissen, wie sie sich während und
nach einer Schwangerschaft mit einem ,,fremden“ Kind fühlen wird, selbst wenn sie schon eigene
Kinder hat?
Betrachtet man die Würde der Gattung Mensch, greifen andere Bedenken: Sie könnte bei jeder Form der
Leihmutterschaft durch einen Eingriff in die Fortpflanzung und damit in die Entstehung menschlichen Lebens gefährdet werden, weil der Mensch dadurch zum Objekt wird. Von kirchlicher Seite kommt
oft der Einwand, dass der Mensch nicht Gott spielen dürfe. Ailerdings darf man die Würde der Gattung Mensch nicht mit „Natürlichkeit“ verwechseln. Im Gegenteil, man kann zum spezifischen Gehalt
des Menschlichen rechnen, dass der Mensch sein Leben eben bewusst gestalten kann und nicht rein den Vorgaben der Natur ausgesetzt ist.
Alle diese Argumente – einschließlich der immer wieder postulierten
negativen psychischen Folgen für Kind und Leihmutter – sind tatsächlich geeignet, schwere Bedenken gegen die kommerzielle Leihmutterschaft vorzubringen. Es bleibt iedoch die Frage, ob sie schwer
genug sind, um die reproduktive Freiheit einzuschränken und das eingangs geschilderte Problem der Nichtexistenz zu überwinden.
Mich beschäftigen solche Dinge sehr und in dem Artikel werden viele sehr schwierige ethische Fragen aufgeworfen – von denen sich die meisten nur schwer oder gar nicht vollständig zufriedenstellend beantworten lassen. Nur an wenigen Stellen habe ich eine dediziert andere Meinung als Erlinger.
Zum Problem der Nichtexistenz, der als Teaser in den Beitrag diente: Das Beispiel mit der ohne Leihmutterschaft nicht existierenden Studentin ist sehr anrührend, führt aber meiner Meinung nach in die Irre. Ich bin diesem Problem zum ersten Mal hier begegnet, bei der Beurteilung der Folgen des Klimawandels:
Falls allerdings die Nichtexistenz einen Schaden darstellt, ist es einer, den niemand erleidet, da ja diejenigen, die er betrifft, gar nicht erst geboren würden. Kann es einen solchen Schaden überhaupt geben?
Auf die Studentin bezogen: Sie kann im Seminar ihre Frage nur stellen, weil sie bereits existiert. Die Frage impliziert aber bei ihren Kommilitonen (und den Lesern), ob diese bereit wären, ihr ihre Existenz zu nehmen. Nur ist das ein völlig anderer Gesichtspunkt, denn jemand Nichtexistierendes könnte diese Frage ja gar nicht stellen. Die eigentliche Frage ist also, ob es gute Gründe dafür gegeben hätte, ihren Eltern diesen Weg, Kinder zu bekommen zu verwehren. Das hängt die Messlatte für die Notwendigkeit der Leihmutterschaft eine ganze Elle tiefer.
Mein zweiter Einwand betrifft das Argument von Kant, etwas habe entweder einen Preis oder eine Würde. Das ist ein typisches Problem, bei dem man in einer deontologischen Ethik immer wieder stößt. Eine Ethik, die sich stets an den guten Absichten orientiert, dabei aber die Konsequenzen dieser Absichten ignoriert, muss in der Praxis scheitern. „Menschenwürde“ ist ein abstrakter Begriff, der uns in der Realität nur in Form von Handlungsnotwendigkeiten begegnet. Der Erhalt der Menschenwürde kann sehr wohl einen Preis haben, den wir in dem einen Fall für angemessen halten, im anderen nicht. Warum wurde in Afghanistan und im Irak eingefallen, in Syrien oder in Somalia nicht? Warum ist es nicht möglich, dass alle Menschen die maximal nach dem aktuellen Stand der medizinischen Forschung denkbare Behandlung erfahren?
Ähnlich ist das mit der Leihmutterschaft. Eine Letztbegründung dafür oder dagegen gibt es nicht. In einem Staat ist sie erlaubt, weil man den Nutzen für größer als den Schaden hält, in anderen mag sie, aus ethischen oder religiösen Gründen, verboten sein. Im optimalen Fall wurde der aktuelle Stand der Naturwissenschaften zur Kenntnis genommen und die Entscheidung mit einer qualifizierten Mehrheit im Parlament getroffen. Mehr ist nicht möglich.
Gastbeitrag von: Dr. Ralf Poschmann
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