Sprache kann auf zwei Ebenen untersucht werden:
Semantische Analyse: Welches sind die semantischen Eigenschaften unserer Sätze und Ausdrücke?
Meta‐semantische Analyse: Warum haben unsere Ausdrücke und Sätze diejenigen semantischen Eigenschaften, die sie haben?
Paul Grices Projekt zielt auf die zweite Frage. Es soll erklärt werden, warum unsere Ausdrücke und Sätze die semantischen Eigenschaften haben, die sie haben. Seine Grundideen:
1. Wir müssen natürliche von nicht‐natürlicher Bedeutung unterscheiden. Sprachliche Bedeutung ist nicht‐natürliche Bedeutung (‚BedeutungNN’).
2. Sprachliche Bedeutung lässt sich so erklären: Sprachliche Bedeutung = Sprecherbedeutung + Konvention.
3. Sprecherbedeutung – d.h.: Was jemand mit einer Äußerung meintNN (means) – ist reduzierbar auf kommunikative Absichten (intentions).
4. Sprecherbedeutung lässt sich am beabsichtigten kommunikativen Effekt festmachen.
Der Ausdruck ‚bedeutet’ (‚means’) ist mehrdeutig zwischen natürlicher Bedeutung (natural meaning) und nicht‐natürlicher Bedeutung (non‐natural meaning).
Beispiele nicht‐natürlicher Bedeutung:
· „Die Flagge auf Halbmast bedeutet (means) Staatstrauer“
· „Ein blinkendes Rotlicht am Übergang bedeutet, dass gleich ein Zug kommt“
Nicht‐natürliche Bedeutung hängt von Absichten ab – hier kann man fragen, was jemand mit den Äußerungen meintNN (means). Dabei ist ‚meinenNN’ am besten im Sinne von ‚etwas mitteilen’ (telling) zu verstehen.
Dazu ist sie nicht faktiv (das bedeutet, es muss nicht der Fall sein) und erfordert ein Subjekt des Meinens.
Grices These lautet nun: Sprachliche Bedeutung ist nicht‐natürliche Bedeutung!
SB1: Sprecher S meintNN etwas mit seiner Äußerungshandlung X gegen‐ über P gdw. gilt: S produziert X mit der Absicht:
(1) dass P eine bestimmte Überzeugung gewinnt.
Gegenbeispiel: Ich bringe Karl um und lasse Pauls Taschentuch bei der Leiche liegen, damit es der Kommissar findet. Die Handlung des Taschentuch‐liegen‐ lassens bedeutetNN aber nichts, und ich habe mit ihr auch nichts gemeintNN.
Was fehlt? Um mit einer Äußerung etwas zu meinen, muss ich auch beabsichtigen, dass mein Gegenüber die Absicht hinter der Handlung erkennt.
SB2: Sprecher S meintNN etwas mit seiner Äußerungshandlung X gegenüber P gdw. gilt: S
produziert X mit der Absicht:
(1) dass
P eine bestimmte Überzeugung gewinnt.
(2) dass
P erkennt, dass der Sprecher S die Absicht (1) hat.
Das Herodes-Gegenbeispiel: Herodes lässt Salome den Kopf Johannes’ des Täufers bringen (um ihr zu zeigen, dass er tot ist).
Was fehlt? Wir wollen den Unterschied einfangen zwischen jemand absichtsvoll und offen etwas wissen lassen (deliberately and openly letting someone know) und jemand etwas mitteilen (telling).
Außerdem sollten wir auch noch sagen, was S eigentlich meint.
SB3: Sprecher S meintNN, dass p mit Äußerungshandlung X gegenüber P gdw. gilt: S
produziert X mit der Absicht:
(1) dass
P glaubt (dass S glaubt), dass p.
(2) dass
P erkennt, dass der Sprecher S die Absicht (1) hat.
(3) dass
P unter anderem deswegen die Überzeugung erwirbt, weil sie erkennt, dass der Sprecher Absicht (1) hat.
d.h.: S meintNN, dass p mit X gdw. S äußert X mit der Grice‐Absicht, dass das Publikum glaubt, dass p.
Das gilt nur für assertorische Äußerungen,- für Befehle, Bitten etc. müssen wir die Erklärung entsprechend anpassen.
Das Zitronen‐Beispiel: Ein 1944 von italienischen Soldaten gefangen genommener Amerikaner äußert den einzigen deutschen Satz den er kennt – „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühen?“ – um die Soldaten glauben zu machen, er sei ein deutscher Offizier.
S äußert „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühen?“ mit der Grice‐ Absicht, dass das Publikum glaubt, dass er ein deutscher Offizier ist. Aber S meintNN mit der Äußerung nicht, dass er ein deutscher Offizier ist.
Vorschlag: Wir ergänzen unsere Definition um:
(4) S beabsichtigt nicht, dass das P sich über seine Absichten täuscht (z.B. über die Absichten (1) – (3)).
Es gibt viele Situationen, in denen wir mit unseren Äußerungen nicht darauf abzielen, dass das Publikum glaubt (dass wir glauben) dass p.
Beispiele: Selbstgespräche, Argumente, mündliche Prüfungen, Zusammenfassungen, Beichten, Geschichten, Erinnerungen, Illustrationen, Parodien etc.
Vorschlag: Wir können Grices Modell als eine Analyse von etwas mitteilen mit der Absicht, jemandem Wissen zu vermitteln verstehen. Und wir können diesen Fall als den zentralen betrachten.
LB1: Satz S bedeutet in der Sprache der Gemeinschaft G dass p gdw. gilt: In G gibt es die Konvention, mit Äußerungen des Satzes S zu meinenNN, dass p.
Eine sprachliche Konvention ist nicht einfach eine Verabredung wie z.B., dass „Es schneit“ bedeuten soll, dass es schneit.
Erstens: Konventionen sind selten explizit, sie beruhen in komplexer Weise auf gegenseitig erwartetem Verhalten und sie bestehen fort, weil die Akteure ein Interesse daran haben.
Zweitens: Wir wollen erklären, was Bedeutung ist. Also darf in der Erklärung der Konvention nicht wieder von ‚Bedeutung’ die Rede sein – sonst laufen wir in einen Zirkel.
Die Standarderklärung von Konventionen (David Lewis, Convention, 1969): Eine Verhaltensregularität R ist eine Konvention in einer
Gemeinschaft G, wenn unter Mitgliedern von G weitgehend gilt:
1.
Alle halten sich an R;
2.
allen ist lieber, dass (weitgehend) alle sich an R halten, als dass einige sich daran halten und einige nicht;
3.
dass alle anderen sich an R halten, gibt jedem guten Grund, sich selbst an R zu halten;
4.
es gibt Alternativen R*, die Bedingungen 2 und 3 ebenfalls erfüllen;
5.
alle wissen, dass die Bedingungen 1–5 erfüllt sind.
Problem: Im Deutschen bedeutet „Pinguine watscheln“, dass Pinguine watscheln.
In der Gruppe der Sprecher des Deutschen gibt es aber keine Regularität, mit Äußerungen von „Pinguine watscheln“ zu meinenNN, dass Pinguine watscheln.
LB2: Satz S bedeutet in der Sprache der Gemeinschaft G, dass p gdw. gilt: Einige (oder viele) Mitglieder von G haben in ihrem Repertoire die Prozedur, mit Äußerungen von S zu meinenNN, dass p, und sie behalten diese Prozedur in ihrem Repertoire, weil sie annehmen, dass einige der anderen Mitglieder von G diese Prozedur in ihrem Repertoire haben.
1. Was ist sprachliche Bedeutung? Sprachliche Bedeutung ist nichts anderes als konventionalisierte Sprecherbedeutung.
2. Worauf beziehen sich sprachliche Ausdrücke? Die Frage gerät bei Grice gar nicht in den Blick.
3. Was kann man mit Sprache alles tun? Besonders wichtig ist, dass wir Sprache dazu verwenden können, beim Hörer bestimmte Effekte zu erzielen – z.B. dass er etwas glaubt.
Meta‐semantische Erklärung: Warum haben unsere Ausdrücke und Sätze diejenigen semantischen Eigenschaften, die sie haben?
Grice: Sprachliche Bedeutung ergibt sich aus dem kommunikativen Gebrauch von Sprache. Sprache zu gebrauchen heißt dabei: mit sprachlichen Äußerungen absichtliche kommunikative Handlungen auszuführen. Gebrauch in bestimmten Situationen legt Sprecherbedeutung fest. Sprachliche Bedeutung ergibt sich aus Sprecherbedeutung durch Konventionalisierung.
Wir müssen Sprache in erster Line als Kommunikationsinstrument, und erst in zweiter Linie als Mittel der Repräsentation begreifen.
Die Bedeutungen von Sätzen resultieren kompositional aus den Bedeutungen von Ausdrücken.
Nur so ist zu erklären, warum jemand, der „Kurt jagt den Hund“ versteht, auch „Der Hund jagt Kurt“ versteht (Systematizität). Nur so ist zu erklären, warum wir nie zuvor verwendete Sätze sofort verstehen.
Aber wie will man im Rahmen eines Grice‐Projektes die Bedeutungen von Wörtern erklären, ohne auf einen kompositionalen semantischen Apparat wie den einer Tarski‐Semantik zurückzugreifen?
Sprachliche Äußerungen zielen häufig auf einen bestimmten Effekt. Aber ergibt sich sprachliche Bedeutung aus beabsichtigten Effekten? Ergibt sich nicht gerade andersherum der Effekt aus der sprachlichen Bedeutung unserer Äußerung und dem Umstand, dass unser Gegenüber uns versteht?
Grice‐Absichten spielen in vielen Kommunikationssituationen eine Rolle, in denen uns an den jeweiligen Effekten gelegen ist. Aber wieso sollen wir glauben, dass unsere Sätze und Wörter deswegen bedeuten, was sie bedeuten?
Sollen wir Grice Theorie wirklich als eine Bedeutungstheorie verstehen – und nicht besser als einen Aspekt einer Theorie der Kommunikation?
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