Bertrand Russell entwickelte eine Bedeutungstheorie, nach der Sätze wie:
S: "Der Gipfel des Kilimanjaro ist am 1.1.2009 unbewaldet."
Semantisch so zu analysieren sind:
S*: "Es gibt einen Gipfel des Kilimanjaro & es gibt nicht mehr als einen Gipfel des Kilimanjaro & dieser ist am 1.1.2009 unbewaldet."
Formal:
S**: $x (x ist ein Gipfel des Kilimanjaro & "y (y ist ein Gipfel des Kilimanjaro ® y = x) & x ist am 1.1.2009 unbewaldet)
Allgemein gilt Russell zufolge: Ein Satz der Form A lässt sich stets analysieren durch einen quantifizierten Satz der Form A*:
A: "der F ist G." [analysandum]
A*: "$x (x ist F & "y (y ist F ® y = x) & x ist G)" [analysans]
lies: "Es gibt ein Ding das F ist & es gibt nur ein Ding das F ist & dieses ist G."
Mit dieser Kennzeichnungstheorie möchte Russell nun die Russell-Rätsel lösen:
Rätsel: Der Satz des ausgeschlossenen Dritten besagt, dass entweder "A ist B" oder "A ist nicht B" wahr sein muss. Folglich muss entweder "Der gegenwärtige König von Frankreich ist kahl" oder "Der gegenwärtige König von Frankreich ist nicht kahl" wahr sein. Der gegenwärtige König von Frankreich ist aber weder kahl noch nicht kahl, da es keinen gegenwärtigen König von Frankreich gibt.
Lösung: "Der gegenwärtige König von Frankreich ist kahl" ist so zu analysieren:
K: "Es gibt einen König von Frankreich & es gibt nicht mehr als einen König von Frankreich & dieser ist kahl."
K kann auf zwei Weisen unwahr sein respektive verneint werden:
K1: "Es gibt einen König von Frankreich & es gibt nicht mehr als einen König von Frankreich & dieser ist nicht kahl." (‚nicht’ hat narrow scope)
K2: "Nicht: Es gibt einen König von Frankreich & es gibt nicht mehr als einen König von Frankreich & dieser ist kahl." (‚nicht’ hat wide scope)
Die zweite Verneinung löst das Russel-Rätsel von nichtexistenten Dingen.
Rätsel: Nach Freges Bedeutungstheorie ist "der gegenwärtige König von Frankreich" ein Eigenname. Folglich muss "der gegenwärtige König von Frankreich existiert nicht" die Form "a ist F" haben. Ein Satz dieser Form ist aber nur dann wahr, wenn "a" nicht leer ist bzw. das referierte Objekt real existiert. Das steht aber im Widerspruch zu dem, was eigentlich ausgesagt werden soll.
Lösung: "Der gegenwärtige König von Frankreich" ist kein Eigenname, sondern eine Kennzeichnung. Somit können wir die Verneinung vor den Satz ziehen:
K: "Der gegenwärtige König von Frankreich existiert nicht."
K3: "Nicht: Es gibt einen König von Frankreich & es gibt nicht mehr als einen König von Frankreich."
Diese Verneinung bezieht sich auf die Existenzbehauptung und löst das Rätsel.
Rätsel: Die Ausdrücke "der Abendstern" und "der Morgenstern" sind bezugsgleich. Wie lässt sich dann der Erkenntniswert von "der Morgenstern = der Abendstern" erklären, ohne auf einen fregeschen Sinn zurückzugreifen?
Russels Lösung: "der Abendstern" und "der Morgenstern" sind keine Eigennamen, sondern Kennzeichnungen. Also ist der Satz so zu verstehen:
M: "Es gibt einen hellsten Stern x am Morgenhimmel & es gibt nicht mehr als einen hellsten Stern am Morgenhimmel) & (es gibt einen hellsten Stern z am Abendhimmel & es gibt nicht mehr als einen hellsten Stern am Abendhimmel) & x = z."
Diese Kennzeichnung zeigt den Erkenntniswert von x = z und löst das Problem.
Rätsel: Nach dem Substitutionsprinzip kann man bezugsgleiche Bezeichner salva veritate füreinander einsetzen. Das gilt aber nicht in intensionalen Kontexten:
(1) George IV. wollte wissen, ob Scott der Autor von Waverly ist.
(2) Scott = der Autor von Waverly.
Substitutionsprinzip:
(3) George IV. wollte wissen, ob Scott Scott ist.
Russells Lösung: Diese Substitution setzt voraus, dass "Scott ist der Autor von Waverly" die folgende logische Form hat: "a = b". Tatsächlich hat dieser Satz aber eine viel komplexere logische Form:
K: "Es gibt einen Autor von Waverly & es gibt nicht mehr als einen Autor von Waverly & dieser ist Scott."
In diesem Satz kommt kein Ausdruck vor, für den man "Scott" einsetzen kann.
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