„In einer Welt, die überflutet wird von belanglosen Informationen, ist Klarheit Macht.“ 

- Yuval Noah Harari

Cliff A. Hookers Modell der Theorienreduktion

Ernest Nagel vertritt in "The Structure of Science" (1961) diese TheseEine Theorie T1 lässt sich auf eine Theorie T2 reduzieren, gdw. alle Gesetze von T1 – evtl. mit Hilfe geeigneter Brückengesetze – aus den Gesetzen von T2 abgeleitet werden können.

Beispiel: Das Galileische Fallgesetz (G) lässt sich auf das zweite Gesetz der Newtonschen Mechanik (N1) und das Newtonsche Gravitationsgesetz (N2) reduzieren.

(G) s = ½ × g × t2 (g = 9,81 m/s2)
(N1) F = m
 × a (Kraft = Masse × Beschleunigung)
(N2) F = f
 × (m1 × m2)/r2 (f = 6,67´
10-11 Nm2kg-2)

(1) Erdmasse: mE = 5,97 × 1024 kg
(2) Erdradius: r = 6.370.000 m

Aus (1) und (2) ergibt sich aufgrund von (N2) die Kraft, die auf einen Körper mit der Masse m1 an der Erdoberfläche wirkt:

(3) F = 6,67/1011 × (m1 × 5,97 × 1024)/6.370.000 = 9,81 × m1.

Und aus dieser Kraft resultiert nach (N1) die Beschleunigung eines Körpers mit der Masse m1 an der Erdoberfläche:

(4) a = F/m1 = 9,81 m/s2

Aus dieser Beschleunigung lässt sich die Geschwindigkeit, die dieser Körper nach t Sekunden erreicht (bei Anfangsgeschwindigkeit 0), folgendermaßen berechnen:

      (5) v = ò 9,81m/s2 dt = 9,81 × t m/s

Und hieraus wiederum ergibt sich die Strecke s, die er nach t Sekunden zurückgelegt hat:

(6) s = ò 9,81 ´ t m/s dt = ½ × 9,81 ´ t2 m

Galileo Galilei (links) und Isaac Newton (rechts)
Galileo Galilei (links) und Isaac Newton (rechts)

Nagels Reduktionsbegriff hat jedoch mindestens zwei schwerwiegende Probleme:

(A) Stimmt die Ableitung tatsächlich?
Die Ableitung des Galileischen Fallgesetzes aus der Newtonschen Mechanik und dem Newtonschen Gravitationsgesetz gelingt nur, wenn man unberücksichtigt lässt, dass sich die Gravitationskraft, die die Erde auf den fallenden Körper ausübt, während des Falls – wenn auch nur geringfügig – verändert. 
Streng genommen lässt sich aus der Newtonschen Mechanik und dem Newtonschen Gravitationsgesetz also nur ein Gesetz ableiten, das mit dem Galileischen Fallgesetz fast identisch ist und das für fast alle praktischen Zwecke mit Galileis Gesetz gleichgesetzt werden kann.

(B) Der Status der Brückengesetze
Der Status der Brückengesetze bleibt bei Nagel völlig unklar. Offenbar sind sie mehr als bloße empirische Gesetzmäßigkeiten. Wenn sie aber selbst als Identitätsaussagen zu deuten sind, dann wäre die Rückführung von Eigenschaftsidentitätsbehauptungen auf die Reduzierbarkeit von Theorien zirkulär.

Cliff A. Hooker schlägt deshalb eine alternative Theorienreduktion vor:

Eine Theorie T1 lässt sich genau dann auf eine Theorie T2 reduzieren, wenn jeder Begriff von T1 in der Weise einem Begriff von T2 zugeordnet werden kann, dass zu jedem Gesetz L von T1 aus den Gesetzen von T2 ein Bildgesetz L* abgeleitet werden kann.

Dabei ist L* ist ein Bildgesetz von L, wenn es dem Gesetz hinreichend ähnlich ist, das aus L dadurch entsteht, dass man jeden in ihm vorkommenden Begriff von T1 durch den ihm zugeordneten Begriff von T2 ersetzt.

Nach Hooker lässt sich die klassische Thermodynamik deshalb auf die statistische Mechanik reduzieren, weil dem Begriff der Temperatur T der klassischen Thermodynamik der Begriff der mittleren kinetischen Energie mv2/3k so zugeordnet werden kann, dass z.B. für das Gesetz von Boyle und Charles:

(BC) der klassischen Thermodynamik aus der statistischen Mechanik ein Bildgesetz (BC*) abgeleitet werden kann.

 

(BC) P × V = N × k × T

(BC*) P × V = N × k × mv2/3k

Vorteil 1: Brückengesetze spielen nach Hookers Definition überhaupt keine Rolle mehr.

Vorteil 2: Auch die Reduktion des Galileischen Fallgesetzes auf die Newtonsche Mechanik und Gravitationstheorie ist nach Hookers Definition kein Problem mehr, da sich das Gesetz, das sich aus der Newtonschen Mechanik und Gravitationstheorie tatsächlich ableiten lässt, vom Galileischen Fallgesetz nur geringfügig unterscheidet.

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