Die kontrafaktische Theorie der Kausalität besagt zunächst, dass zwei reale, distinkte[1] Ereignisse E1 und E2 kausal voneinander abhängen, gdw. E1 und E2 kontrafaktisch voneinander abhängen. Ihr Hauptvertreter war David Lewis.[2]
Dabei sind zwei Ereignisse E1 und E2 kontrafaktisch abhängig voneinander, genau dann wenn diese beiden kontrafaktischen Konditionale wahr sind:[3]
1. Wenn E1 eingetreten wäre, dann wäre E2 eingetreten.
2. Wenn E1 nicht eingetreten wäre, dann wäre E2 nicht eingetreten.
1. P(E1) ⎕→ P(E2).
2. ¬P(E1) ⎕→ ¬P(E2).
Einerseits ist eine kausale bzw. kontrafaktische Abhängigkeit in diesem Sinne nach Lewis hinreichend für das Vorliegen von Kausalität. Wenn bspw. gilt:
1. Wenn der Stein geworfen wurden wäre, wäre das Fenster zerbrochen.
2. Wenn der Stein nicht geworfen wurden wäre, wäre das Fenster nicht zerbrochen.
Dann ist die Wahrheit von 1. und 2. hinreichend dafür, dass zwischen dem Werfen des Steines und dem Zerbrechen des Fensters eine Kausalbeziehung besteht.
Andererseits ist eine kausale Abhängigkeit bzw. kontrafaktische Abhängigkeit nach David Lewis aber nicht notwendig für das Vorliegen von Kausalität.
Beispiel A: Katze Mau stößt eine Vase-1 um, sie fällt auf einen Steinboden und zerbricht. Ihr Halter Tom kauft daraufhin eine Vase-2 und lässt einen Teppich-boden verlegen, damit Mau die neue Vase nicht auch noch zerbrechen kann. Mau stößt auch die neue Vase-2 um, diese fällt auf den Teppichboden und bleibt heil.
In diesem Beispiel würden wir nach Lewis urteilen, dass das Zerbrechen der Vase-1 in einer Kausalbeziehung mit dem nicht-Zerbrechen der Vase-2 steht. Denn das Zerbrechen der Vase-1 ist offenbar eine (Teil-)Ursache in einer Kausalkette dafür, dass der Teppichboden verlegt wurde und dass Vase-2 nicht zerbrochen ist.
Besteht aber auch eine kontrafaktische Abhängigkeit? Machen wir den Test:
1. Wenn Vase-1 zerbrochen wäre, wäre Vase-2 nicht zerbrochen.
2. Wenn Vase-1 nicht zerbrochen wäre, wäre Vase-2 zerbrochen.
Nach Lewis Semantik ist das erste kontrafaktische Konditional sicher wahr, denn die beiden beschriebenen Ereignisse haben tatsächlich so stattgefunden. Das zweite kontrafaktische Konditional ist vermutlich falsch, denn wenn Vase-1 nicht zerbrochen wäre, würde die Vase-2 vermutlich heil bei einem anderen Eigentümer oder noch im Möbelmarkt stehen. Es besteht also keine kontra-faktische Abhängigkeit. Daher ist selbige auch nicht notwendig für eine Kausalbeziehung.
Diesem Umstand trägt Lewis mit seiner Definition einer Kausalkette Rechnung:
„Sei c, d, e, […] eine endliche Folge tatsächlich stattfindender Ereignisse, derart, dass d kausal von c abhängt, e kausal von d abhängt usw. Dann handelt es sich bei c, d, e, […] um eine Kausalkette. Ein Ereignis c ist Ursache eines Ereignisses e, wenn es eine Kausalkette gibt, die c und e miteinander verbindet.“
- David Lewis: Causation (1986), S. 167.
Eine Kausalbeziehung besteht nach Lewis also, wenn die obige Definition erfüllt ist oder wenn eine kontrafaktische Abhängigkeit vorliegt. Zusammengefasst:
Nach Lewis besteht eine Kausalbeziehung zwischen E1 und E2, gdw.:
a. E1 und E2 sind "real", d.h. tatsächlich eingetreten.
b. E1 und E2 sind "distinkt", d.h. sie stehen nicht in einer Identitäts-, Teil-Ganzes oder Supervenienzbeziehung zueinander.
c. E2 hängt kontrafaktisch von E1 ab oder es gibt eine Folge von realen und distinkten Ereignissen E1, E3, ..., En, sodass E3 kontrafaktisch von E1 und E2 kontrafaktisch von En abhängt.
Problem 1: Ist kontrafaktische Abhängigkeit wirklich hinreichend für eine Kausalbeziehung? Die folgenden Beispiele lassen dies fraglich erscheinen.
Beispiel B:
1. Wenn gestern Samstag gewesen wäre, wäre heute Sonntag.
2. Wenn gestern nicht Samstag gewesen wäre, wäre heute nicht Sonntag.
Beispiel C:
1. Wenn es Gravitation gäbe, würde ich hier sitzen.
2. Wenn es Gravitation nicht gäbe, würde ich hier nicht sitzen.
Beide kontrafaktische Konditionale in beiden Beispielen sind wahr. Das heißt, es besteht jeweils eine kontrafaktische Abhängigkeit. Nach Lewis muss deshalb auch eine Kausalbeziehung bestehen. Es scheint aber fraglich, ob tatsächlich gilt:
Problem 2: Lassen sich Kausalbeziehungen wirklich auf Ereignisse reduzieren, die kontrafaktisch voneinander abhängen? Die Probleme mit der Semantik kontrafaktischer Konditionale, insbesondere das Problem der Ähnlichkeitsrelation, stellen eine solche Reduktion vor praktisch sehr schwerwiegende Probleme.
Selbst wenn diese Probleme einmal gelöst sein sollten, stellt sich noch die Frage, ob sie unter Rückgriff auf Kausalität gelöst wurden! Das Problem der Ähnlichkeits-relation versucht man etwa häufig über Vorstellungen darüber zu lösen, welche Verhältnisse in einer kontrafaktischen Situation als kausal relevant gelten. In diesem Fall würde die kontrafaktische Theorie der Kausalität Kausalität über kontrafaktische Konditionale definieren, die wiederum über Kausalität definiert wären. Die kontrafaktische Theorie wäre nicht-reduktiv und sogar zirkulär.
Problem 3: Einige kontrafaktische Abhängigkeiten scheinen auch umgekehrt zu gelten, kausale Abhängigkeiten gelten dahingegen immer nur in eine Richtung.
Wenn beispielsweise gilt:
A. Wenn die Kugel nicht Bond getroffen hätte, würde er noch leben.
Dann gilt auch:
B. Wenn Bond noch leben würde, dann hätte die Kugel ihn nicht getroffen.
Nach Lewis Theorie ist kontrafaktische Abhängigkeit aber hinreichend für kausale Abhängigkeit. Wenn also gilt:
A*. Dass Bond die Kugel getroffen hat, ist eine Ursache dafür, dass er gestorben ist.
Dann müsste nach Lewis folglich auch gelten:
B*. Dass Bond gestorben ist, ist eine Ursache dafür, dass ihn eine Kugel getroffen hat.
Die Behauptung B*. scheint aber falsch zu sein.
Die Lewische Definition von "Kausalkette" lautet bekanntlich:
„Sei c, d, e, […] eine endliche Folge tatsächlich stattfindender Ereignisse, derart, dass d kausal von c abhängt, e kausal von d abhängt usw. Dann handelt es sich bei c, d, e, […] um eine Kausalkette. Ein Ereignis c ist Ursache eines Ereignisses e, wenn es eine Kausalkette gibt, die c und e miteinander verbindet.“
- David Lewis: Causation (1986), S. 167.
Problem 4: Aus dieser Definition folgt, dass Kausalität transitiv ist: Wenn c eine Ursache von d und d eine von e, dann ist c auch eine Ursache von e. Diese Annahme scheint in Beispiel 1 noch verteidigbar, in Beispiel 2 aber nicht mehr.
Beispiel D: Wenn Toms Steinfwurf die Ursache für das Zerbersten des Fensters und das Fensterzerbersten eine Ursache für das Einströmen von kalter Luft ist, dann ist Toms Steinwurf auch eine Ursache für das Einströmen von kalter Luft.
Beispiel E: Ballacks Beinbruch war eine Ursache dafür, dass er ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Und dass Ballack ins Krankenhaus eingeliefert wurde, war eine Ursache dafür, dass Ballack wieder kicken kann. Dennoch würden wir nicht sagen, dass Balacks Beinbruch eine Ursache dafür ist, dass er wieder kicken kann.
Problem 5: Die kontrafaktische Kausalitätstheorie ist extensional unangemessen.
5.1. Sie kann Epiphänomene oft nicht korrekt als solche auszeichnen.
Beispiel F: Ein Tiefdruckgebiet ist die Ursache sowohl für das Sinken des Barometerstandes im Ort als auch für schlechtes Wetter. Das heißt, es gilt:
C. Wenn der Barometerstand nicht gesunken wäre, hätte es kein schlechtes Wetter gegeben.
C. ist wahr. Denn wenn der Barometerstand nicht gefallen wäre, hätte es kein Tiefdruck gegeben, das aber wiederum Ursache für das schlechte Wetter war.
Nach Lewis ist kontrafaktische Abhängigkeit aber hinreichend für kausale Abhängigkeit. Das heißt, nach Lewis muss auch gelten:
C*. Dass der Barometerstand gesunken ist, ist eine Ursache dafür, dass schlechtes Wetter herrscht.
C* ist falsch. Denn das Sinken des Barometerstandes ist ganz sicher kausal-unwirksam, das heißt epiphänomenal gegenüber dem schlechten Wetter im Ort.
Lewis´ Definition von Kausalität ist also nicht hinreichend. Denn in Beispiel F liegt eine kontrafaktische Abhängigkeit, aber keine kausale Abhängigkeit vor.
5.2. Sie kann frustrierte Ursachen oft nicht korrekt als solche auszeichnen.[3]
Beispiel F: Susi und Sissi werfen ein Stein auf eine Case. Der Stein von Susi trifft die Vase zuerst, wonach diese herunterfällt und zerbricht. Es gilt aber nicht:
D. Wenn Susi den Stein nicht geworfen hätte, dann wäre die Vase nicht zerbrochen.
D. ist falsch. Denn wenn Susi den Stein nicht geworfen hätte, dann hätte Sissis Stein die Vase getroffen und die Vase wäre trotzdem zerbrochen.
D*. Dass Susi den Stein geworfen hat, ist eine Ursache dafür, dass die Vase zerbrochen ist.
D.* ist wahr. Susis Steinwurf hat sicher das Zerbrechen der Vase verursacht.
Lewis´ Definition von Kausalität ist also nicht notwendig. Denn in Beispiel F liegt weder eine kontrafaktische Abhängigkeit noch eine Kausalkette, aber trotzdem eine kausale Abhängigkeit vor.
Dieses Problem mit frustrierten Ursachen wird von vielen Autoren als besonders problematisch angesehen. Denn es umterminiert die grundlegende Intuition hinter der kontrafaktischen Theorie der Kausalität: Es gibt eben doch einzelne Wirkungen, die (nicht in größere Kausalketten eingebettet sind und trotzdem) nicht kontrafaktisch von ihren Ursachen abhängen!
Viele der hier besprochenen Probleme lassen sich - mehr oder weniger überzeugend - durch Modifikationen der kontrafaktischen Theorie der Kausalität beheben. Etwa das Transitivitätsproblem[3] oder das frustrierter Ursachen.[4]
Allerdings wird Lewis´ Theorie damit anfällig für das, was er selbst kritisierte:
„Man wird abwarten müssen, ob eine Regularitätstheorie erfolgreich Ursachen von Wirkungen,
Epiphänomenen und frustrierten Ursachen unterscheiden kann – und ob sie dies kann, ohne sich schwerwiegendere Probleme einzuhandeln, ohne Epizykel anzuhäufen […].“
- David Lewis: Causation (1986), S. 160
Viele Lösungen, die für die einzelnen Probleme vorgeschlagen werden, scheinen mir nun aber genau in die
Rubrik der kontrafaktischen Epizyklik zu gehören.
Andreas Hüttemann. Ursachen, Kapitel 6.
[1] David Lewis schränkt kausale Abhängigkeit auf distinkte Ereignisse ein, um Ereignisse ausschließen zu können, die in einer Teil-Ganzes-Beziehung stehen: Wenn ich nicht "Dav" geschrieben hätte, dann hätte ich nicht "David" geschrieben ist nach Lewis also kein Fall von kausaler Abhängigkeit, da die beiden Ereignisse nicht distinkt sind.
[2] u.a. David Lewis: Causation (1986)
[3] Laurie Paul: Aspect Causation (2000)
[4] John Collins, Ned Hall, Laurie Paul: Counterfactuals and Causation (2004)
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