Die Relativitätstheorie und die Quantentheorie sind die beiden großen physikalischen wissenschaftlichen Theorien des zwanzigsten Jahrhunderts.
Die Relativitätstheorie lässt sich weiter in eine Spezielle Relativitätstheorie (1905) und eine Allgemeine Relativitätstheorie (1916) unterscheiden.
Die Spezielle Relativitätstheorie besagt insbesondere, dass räumliche und zeitliche Abstände zwischen Ereignissen relativ zu einem Inertialsystem sind.
Albert Einstein hat die Relativitätstheorie maßgeblich entwickelt. Seine erste Publikation auf diesem Gebiet war "Zur Elektrodynamik bewegter Körper".[1]
Dieser Aufsatz und die gesamte SRT basieren auf nur einer Grundannahme:
Lorentz-Invarianz: Die Gesetze der Physik sind unabhängig von dem Inertialsystem, in dem diese beobachtet oder beschrieben werden.
Das gilt insbesondere für die Gesetze des Elektromagnetismus, woraus folgt, dass die Lichtgeschwindigkeit konstant ist, d.h. im Vakuum einen fixen Wert hat.
Daraus folgt auch, dass Gleichzeitigkeit und allgemein räumliche und zeitliche Abstände abhängig von dem Intertialsystem sind, in dem sie gemessen werden.
In der Newtonschen Physik ist Gleichzeitigkeit noch eine zweistellige Relation: Zwei Ereignisse[2] e1 und e2 finden entweder gleichzeitig statt oder tun es nicht.
In der speziellen Relativitätstheorie ist Gleichzeitigkeit hingegen eine dreistellige Relation: Zwei Ereignisse e1 und e2 sind nur gleichzeitig relativ zu einem Bezugssystem B1.[3] In einem anderen Bezugssystem B2 könnte e1 nach e2 eintreten oder umgekehrt. Allgemeiner formuliert: e1 und e2 haben einen zeitlichen Abstand ΔT immer nur relativ zu einem bestimmten Bezugssystem.
Dasselbe gilt für räumliche Abstände: Zwei Ereignisse e1 und e2 haben einen räumlichen Abstand ΔS immer nur relativ zu einem bestimmten Bezugssystem.
Es ist gemäß der speziellen Relativitätstheorie deshalb sinnlos, von räumlichen und zeitlichen Abständen unabhängig von einem Bezugssystem zu sprechen. Allerdings lässt sich ein vierdimensionaler raumzeitlicher Abstand zwischen zwei Ereignissen e1 und e2 ausmachen, der invariant ist. Das heißt: Dieser raumzeitliche Abstand zwischen e1 und e2 ist in jedem Bezugssystem derselbe.
In diesem Sinne sind Raum und Zeit in der speziellen Relativitätstheorie keine voneinander unabhängige Größen, sondern in einer unitären Raumzeit vereint.
Dabei kann der vierdimensionale, raumzeitliche Abstand zwischen zwei gegebenen Ereignissen e1 und e2 raumartig, zeitartig und lichtartig sein:
zeitartig: Die zwei Ereignisse e1 und e2 liegen zeitartig zueinander, gdw. es kein Bezugssystem gibt, relativ zu dem e1 & e2 gleichzeitig stattfinden, aber einige Bezugssysteme, relativ zu dem e1 & e2 am gleichen Ort stattfinden.
E1 und e2 können in Folge mit Unterlichtgeschwindigkeit verbunden werden.
lichtartig: Zwei Ereignisse e1 und e2 liegen lichtartig zueinander, gdw. es weder ein
Bezugssystem gibt, relativ zu dem e1 & e2 gleichzeitig stattfinden, noch eines, relativ zu dem e1 & e2 am gleichen Ort stattfinden.
E1 und e2 können in Folge mit Lichtgeschwindigkeit verbunden werden.
raumartig: Die zwei Ereignisse e1 und e2 liegen raumartig zueinander, gdw. es einige Bezugssystem gibt, relativ zu dem e1 & e2 gleichzeitig stattfinden, aber kein Bezugssystem, relativ zu dem e1 & e2 am gleichen Ort stattfinden. E1 und e2 könnten in Folge mit Überlichtgeschwindigkeit verbunden werden.
Kausale Beziehungen können nur zwischen Ereignissen bestehen, deren Abstand zeit- oder lichtartig ist. Denn raumartig getrennte Ereignisse können nur mit Überlichtgeschwindigkeit verbunden werden, was nach der SRT unmöglich ist.
Obwohl die Spezielle Relativitätstheorie Raum und Zeit vereinigt, postuliert sie somit einen objektiven Unterschied zwischen raumartigen und zeitartigen Abständen. Sie behandelt Raum und Zeit in diesem Sinne objektiv verschieden.
Mit Hilfe der Lichtgeschwindigkeit kann man für jedes Ereignis einen Lichtkegel definieren. Der Lichtkegel unterhalb des Ereignisses ist der Vergangenheits-Lichtkegel. Der Lichtkegel überhalb des Ereignisses ist der Zukunfts-Lichtkegel. Sie geben eine relative Vergangenheit und Zukunft des Ereignisses an.
Innerhalb der Lichtkegel liegen alle Ereignisse, die zeitartig zu diesem Ereignis liegen. Am Rand des Lichtkegels liegen alle Ereignisse, die lichtartig zu diesem Ereignis liegen. Und außerhalb des Lichtkegels liegen alle Ereignisse, die raumartig zum Ereignis liegen und mit denen es nicht kausal interagieren kann.
Der Präsentismus besagt, dass nur gegenwärtige Ereignisse real existieren. Diese These liegt vom Alltagsverständnis zunächst nahe: Was in der Zukunft sein wird, existiert noch nicht; was in der Vergangenheit war, existiert nicht mehr.
Eine Kritik am Präsentismus lautet, dass es laut der speziellen Relativitätstheorie keine universelle Gegenwart gibt, weil es keine universelle Gleichzeitigkeit gibt. Denn was gegenwärtig ist, ist relativ zu einem Bezugssystem und alle Bezugssysteme sind physikalisch gleichwertig. Wenn man sowohl die spezielle Relativitätstheorie als auch den Präsentismus für wahr hält, ergibt sich daraus die sonderbare Konsequenz, dass was existiert, relativ zu einem Bezugssystem ist.
Falls man "Existenz" jedoch nicht als Indexial auffassen möchte, muss man zu dem Schluss kommen, dass die Spezielle Relativitätstheorie einen eternalistischen Standpunkt nahelegt. Der Eternalismus besagt, dass vergangene, gegenwärtige und zukünftige Ereignisse gleichermaßen real sind. Sie existieren gleichermaßen in einem Raumzeitpunkt- oder Raumzeitbereich des Blockuniversums.
Der Determinismus besagt, dass zwei nomologisch identische mögliche Welten w1 und w2 deterministisch sind, genau dann wenn gilt: wenn w1 und w2 zu einem Zeitpunkt übereinstimmen, stimmen sie in allen Zeitpunkten überein.[4] Wenn die reale Welt also deterministisch ist, dann genügt im Prinzip eine genaue Kenntnis der Rand- und Anfangsbedingungen sowie der Naturgesetze, um alle vergangenen und zukünftigen Ereignisse in der Welt wissen zu können.[5]
Der Eternalismus impliziert entgegen einer landläufigen Fehldarstellung keinen Determinismus. Er impliziert nur, dass jedes Ereignis die Ereignisse in seinem Zukunfts-Lichtkegel kausal beeinflussen kann und von Ereignissen in seinem Vergangenheits-Lichtkegel kausal beeinflusst werden kann.[6] Er lässt jedoch offen, welche Kausalbeziehungen tatsächlich bestehen und ob diese Kausalbeziehungen deterministisch oder indeterministisch (probabilistisch) sind.
Die Spezielle Relativitätstheorie scheint ontologisch zu der Annahme verpflichten, dass Ereignisse in Raum und Zeit existieren. In der Alltagsontologie gehen wir davon aus, dass es neben Ereignissen mindestens noch Dinge gibt: Ein Vulkan ist ein räumliches Ding, sein Ausbruch ist dahingegen ein raumzeitliches Ereignis.
Einige Philosophen argumentieren, dass die Spezielle Relativitätstheorie eine Prozessontologie nahelegt, nach der es nur Prozesse im (Block-)Universum gibt. Die prominentesten dieser Philosophen sind Bertrand Russell und Willard Van Orman Quine.[7][8] Ihr Argument ist in erster Linie eines der ontologischen Sparsamkeit: Ereignisse müssen wir in der Speziellen Relativitätstheorie auf jeden Fall anerkennen, Dinge nicht. Einige Ereignisse wie beispielsweise ein Blitzeinschlag scheinen nicht auf Dinge reduzierbar zu sein. Umgekehrt scheint es aber möglich, alle Dinge auf Ereignisse zurückzuführen. Denn man kann ein Ding als eine räumliche Folge genidentischer Ereignisse ansehen.[9][10][11] Daher sollten wir annehmen, dass es nur Ereignisse gibt.
Der Raum-Absolutismus besagt, dass der Raum unabhängig von in ihm befindlichen materiellen Entitäten existiert. Diese These liegt von unserer Alltagsanschauung zunächst nahe: Der Raum scheint eine Art Behälter zu sein, der mit Dingen gefüllt ist, aber auch dann noch zu existieren, wenn er leer wäre.
Eine Kritik am Absolutismus ist, dass es laut der speziellen Relativitätstheorie keine universellen räumlichen Abstände gibt, die nicht relativ zu einem Bezugssystem sind. Es gibt aber absolute raumzeitliche Abstände. Die Spezielle Relativitätstheorie scheint also auch nicht einfach einen Raum-Relationalismus nahezulegen, dem gemäß der Raum gar keinen eigenständigen ontologischen Charakter gegenüber der Materie besitzt. Das Verhältnis zwischen Raum und Zeit auf der einen und Materie auf der anderen Seite bleibt in der Speziellen Relativitätstheorie also unbestimmt. Es wird im Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie aber weiter ausbuchstabiert, siehe für diese Debatte also:
[1] Albert Einstein: Zur Elektrodynamik bewegter Körper. 1905.
[2] Ein Ereignis im physikalischen Sinne ist dabei eine vierdimensionale Größe in Form einer physikalischen Eigenschaft, die an Raumzeitpunkten auftritt.
[3] Das Bezugssystem kann ein beliebiges Inertialsystem sein. Es braucht kein Beobachter im Sinne eines Subjekts zu sein. Die Relativitätstheorie ist also nicht in dem Sinne relativ, dass Abstände relativ zu erkennenden Subjekten sind.
[4] John Earman: A Primer on Determinism. 1986.
[5] Vergleich: Laplacescher Dämon.
[6] Sofern wir annehmen, dass Kausalbeziehungen zeitlich gerichtet sind.
[7] Bertrand Russell: The ABC of relativity. 1931.
[8] Willard Van Orman Quine: Word and Object. 1960., §36.
[9] Mark Heller: The ontology of physical objects: four-dimensional hunks of matter. 1990.
[10] Theodore R. Sider: Four-dimensionalism. An ontology of persistence and time. 2001.
[11] Jiri Benovsky: Persistence through time, and across possible worlds. 2006., erster Teil.
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