„In einer Welt, die überflutet wird von belanglosen Informationen, ist Klarheit Macht.“ 

- Yuval Noah Harari

Das Kein-Zufallsargument für den Prädiktivismus

Eine wissenschaftliche Vorhersage ist ein aus einer wissenschaftlichen Theorie T abgeleiteter Beobachtungssatz S(p) über ein Phänomen p des Typs P.

Dabei ist eine Vorhersage erfolgreich, genau dann wenn S(p) wahr ist.

Formale Explikation:

prognostiziert erfolgreich ein Phänomen p des Typs P, gdw. gilt:
a. Prognosebedingung: T 
 S (p) (sprich: T ableitbar Satz über p).
b. Erfolgsbedingung: S (p) ist wahr, d.h. es ist der Fall, dass p.

Ein Beispiel: Dmitri Iwanowitsch Mendelejew konnte mit seinem Periodensystem die Atommasse der bekannten 63 Elemente vorhersagen. Er konnte aus demselben Periodensystem aber auch erfolgreich die Atommasse der bis dahin völlig unbekannten Elemente Gallium, Scandium und Germanium vorhersagen.

Nun können zwei Arten von Prognoseerfolgen unterschieden werden:

Eine Akkomodation liegt vor, gdw. P nicht neuartig gegenüber T ist.

Eine Prädikation liegt vor, gdw. P neuartig gegenüber T ist.

Der zuerstgenannte Prognoseerfolg von Mendelejew war offenbar eine Akkomodation und der zweitgenannte eine Prädikation. Intuitiv bestätigen Prädiktionen Theorien viel stärker als bloße Akkomodationen. Aber stimmt das?

Hier können wiederum zwei Ansichten unterschieden werden:

Prädiktivismus: Eine Prädikaiton bestätigt eine Theorie stärker als eine Akkomodation.
Akkomodationismus: Eine Prädiktion bestätigt eine Theorie nicht stärker als eine Akkomodation.

Das kein Zufall-Argument

Es können die folgenden Erklärungsansätze unterschieden werden:

Zufall: Die Vorhersage von p war zufällig erfolgreich.

Wahrheit: Die Vorhersage von p war erfolgreich, weil T wahr ist.

Design: Die Vorhersage von p war erfolgreich, weil T designed wurde, um Phänomene des Typs P vorherzusagen.

Jetzt gilt:

Ein Prädiktionserfolg kannentweder durch den Zufallsansatz oder durch den Wahrheitsansatz erklärt werden. Der Wahrheitsansatz ist zweifellos der bessere Erklärungsansatz. Also sollten wir Prädiktionserfolge von Theorien durch ihre Wahrheit erklären, demzufolge sind Prädiktionserfolge bestätigend.

Ein Akkomodationserfolg kann durch die Designansatz oder durch den Wahrheitsansatz erklärt werden. Der Designansatz wird allgemein als explanatorisch ausreichend akzeptiert. Den Wahrheitsansatz zusätzlich zu bemühen, wäre redundant und wir wollen Redundanz vermeiden. Also sollten wir Akkomodationserfolge von Theorien ausschließlich durch den Designansatz erklären, demzufolge sind Akkomodationserfolge nicht bestätigend.

Nach dem Kein-Zufallsargument sind Prädiktionserfolge also bestätigend und Akkomodationserfolge nicht. Insofern ist es ein Argument für den Prädiktivismus.

Kritik am Kein-Zufallsargument

Dagegen hat Eric Barnes den Einwand angebracht, dass die Wahrheit einer Theorie und die Absichten eines Theoretikers verschiedene Dinge erklären:[1] Die Wahrheit einer Theorie erklärt, warum ihre Vorhersagen wahr sind, während die Absichten eines Theoretikers erklären, warum die Theorie ausgewählt wurde.

Wir können uns hier zwei Szenarien vorstellen:

Fall a. T prädiktiert p erfolgreich, gdw.:
(1)  S (p);
(2a) T wurde nicht designed, um S(p) vorzusagen;

(3) S(p) ist wahr.

Fall b. T akkomodiert E, gdw.:
(1)  S (p);
(2b) T wurde designed, um S(p) vorherzusagen;
(3) S(p) ist wahr.

Der Wahrheitsansatz kann (3) in beiden Fällen und zwar gleich gut, aber nicht (1) und nicht (2) erklären. Angenommen also eine Theorie T ist wahr. Dann ist das ein guter Ansatz um zu erklären, warum ein daraus abgeleiteter Beobachtungssatz S(p) ebenfalls wahr ist. Es erklärt aber nicht die logische Relation  S (p). Und es erklärt auch nicht, dass T designed wurde oder nicht.

Der Designansatz kann in beiden Fällen (1) und (3) nicht erklären. Da (1) eine logische Relation zwischen T und P ausdrückt, das heißt  S (p), egal ob T designed wurde oder nicht. Und (3) drückt eine Korrespondenzrelation zwischen dem Gehalt von S(p) und p aus, das heißt S(p) ist wahr, egal ob T designed wurde oder nicht. Zusätzlich gilt:

Der Designansatz kann nicht (2a) erklären, da beide im Widerspruch stehen.

Der Designansatz kann auch nicht (2b) erklären, da er (2b) nur wiederholt.

AlsoDer Wahrheitsansatz erklärt (3) in beiden Fällen gleich gut. Der  Designansatz erklärt hingegen gar nichts. Er kann den Wahrheitsansatz im Fall b also auch nicht überflüssig machen. Also schlägt das Kein-Zufallsargument fehl.

Fußnoten

[1] Eric Barnes: Neither Truth Nor Empirical Adequacy Explain Novel Success. In: Australasian Journal for Philosophy. 2010, S. 418 - 431

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