Albert Einstein war der prominenteste Kritiker der Quantenmechanik. Er akzeptierte zwar ihren instrumentellen Erfolg, lehnte aber ihre naturphilosophischen Implikationen ab. Seine Kritik brachte er am deutlichsten in seinem Aufsatz "Quanten-Mechanik und Wirklichkeit" von 1948 zum Ausdruck:
„Fragt man, was unabhängig von der Quanten-Theorie für die physikalische Ideenwelt charakteristisch ist, so fällt zunächst folgendes auf: Die Begriffe der Physik beziehen sich auf eine reale Außenwelt, d.h. es sind Ideen von Dingen gesetzt, die eine von den wahrnehmenden Subjekten unabhängige ,reale Existenz´ beanspruchen (Körper, Felder, etc.), welche Ideen andererseits zu Sinneseindrücken in möglichst sichere Beziehung gebracht sind. Charakteristisch für diese physikalischen Dinge ist ferner, dass sie in ein raum-zeitliches Kontinuum eingeordnet gedacht sind. Wesentlich für diese Einordnung der in der Physik eingeführten Dinge erscheint ferner, dass zu einer bestimmten Zeit diese Dinge eine voneinander unabhängige Existenz beanspruchen, soweit diese Dinge ,in verschiedenen Teilen des Raumes liegen´. Ohne die Annahme einer solchen Unabhängigkeit der Existenz (des ,So-sein´) der räumlich distanten Dinge voneinander, die zunächst dem Alltagsdenken entstammt, wäre physikalisches Denken in de uns geläufigen Sinne nicht möglich. Man sieht ohne solche saubere Sonderung auch nicht, wie physikalische Gesetze formuliert und geprüft werden könnten. Die Feldtheorie hat dieses Prinzip zum Extrem durchgeführt, indem sie die ihr zugrunde gelegten, voneinander unabhängig existierenden elementaren Dinge sowie die für sie postulierten Elementargesetze in den unendlich-kleinen Raumelementen (vierdimensional) lokalisiert.
Für die relative Unabhängigkeit räumlich distanter Dinge (A und B) ist die Idee charakteristisch: Äußere Beeinflussung von A hat keinen unmittelbaren Einfluss auf B; dies ist als ,Prinzip der Nahewirkung´ bekannt, das nur in der Feldtheorie konsequent angewendet ist. Völlige Aufhebung dieses Grundsatzes würde die Idee von der Existenz (quasi-)abgeschlossener Systeme und damit die Aufstellung empirisch prüfbarer Gesetze in dem uns geläufigen Sinne unmöglich machen.“
- Albert Einstein: Quanten-Mechanik und Wirklichkeit. In: Dialectia 2 (1948), S. 321 – 322.
Einstein bezieht sich hier implizit oder explizit auf vier Prinzipien. Eine physikalische Theorie ist klassisch, gdw. diese vier Prinzipien in ihr gelten.
1. Prinzip der Lokalisiertheit[1]: die fundamentalen physikalischen Systeme[2] besitzen immer einen wohldefinierten Ort. Das heißt sie sind immer an Punkten oder scharf umgrenzten Gebieten der Raumzeit lokalisiert.
2. Prinzip der Separabilität: die fundamentalen physikalischen Systeme haben ihre grundlegenden, charakteristischen Eigenschaften unabhängig von allen anderen Systemen. Die Beziehungen (Relationen), die zwischen diesen physikalischen Systemen bestehe, sind somit durch die intrinsischen Eigenschaften der betreffenden Systeme festgelegt.
3. Prinzip der Nahewirkung: die fundamentalen physikalischen Systeme können einander nur durch kausale Wirkungen (Interaktionen, Kräfte) verändern, die sich innerhalb der Raumzeit zwischen den Systemen mit einer begrenzten Geschwindigkeit ausbreiten. In der Speziellen Relativitätstheorie ist diese Maximalgeschwindigkeit die Lichtgeschwindigkeit.
4. Prinzip der Individualität: die fundamentalen physikalischen Systeme haben Eigenschaften beziehungsweise Werte von Eigenschaften, durch die diese sich von allen anderen physikalischen Systemen unterscheiden.
Diese vier Prinzipien bauen aufeinander auf. Die Lokalisiertheit von physikalischen Systemen ist eine notwendige Bedingung dafür, dass diese Systeme separabel sein können. Die Separabilität von physikalischen Systemen ist wiederum eine notwendige Bedingung für die Anwendbarkeit des Prinzips der Nahewirkung. Die Individualität von physikalischen Systemen wird von Einstein zwar nicht explizit genannt, ergibt sich aber implizit aus den 3 anderen Prinzipien.
Die Standard-QM verletzt alle vier Prinzipien und ist damit ein radikaler Bruch mit der klassischen Physik und der an ihr orientierten Naturphilosophie. Seit der Verletzung der Bellschen Ungleichung in unzähligen Experimenten ist es Konsens, dass alle Deutungen der Quantenmechanik das Prinzip der Lokalisiertheit verletzt. Man kann durchaus sagen, dass die Geschichte Einstein nicht Recht gegeben hat.
Die Heisenbergsche Unschärferelation (auch: Heisenbergsche Unbestimmtheitsrelation) besagt, dass bestimmte komplementäre Eigenschaften eines Quantensystems nicht gleichzeitig beliebig genau bestimmbar sind.
Das bekannteste Beispiel für komplementäre Eigenschaften sind der Ort und Impuls. Je mehr sich der Wert des Ortes eines Quantensystems einem definiten nummerischen Wert annähert, desto größer ist die Unbestimmtheit des Wertes des Impulses und umgekehrt. Es gibt keinen Zustand, in dem das System sowohl in einem beliebig kleinen Gebiet des Raumes lokalisiert ist als auch einen beliebigen definiten Wert des Impulses besitzt. Das ist der Inhalt der Unschärfe-relation in Bezug auf Ort und Impuls, den man mathematisch so darstellen kann:
Δp*Δq ≥ 0,5 * (ħ/ 2*π)
Diese Beziehung betrifft in der Standard-QT keine epistemische Unsicherheit von Beobachtern in Bezug auf den Ort oder den Impuls des Systems. Sie drückt vielmehr eine ontologische Unterbestimmt-heit bestimmter Eigenschaften von Quantensystemen als solche aus.
Daraus folgt, dass nach der Standard-Quantenmechanik fundamentale physikalische Systeme meistens oder immer nicht in einem wohldefinierten Ort sind und die Standard-QM somit das Prinzip der Lokalisiertheit verletzt.
Eine Zustandsverschränkung (auch: Zustandsverschränkung) zwischen zwei oder mehr Quantensystemen liegt vor, gdw. die Werteverteilung einiger Eigenschaften von einem Systemen mit der Werteverteilung der Eigenschaften von einem oder mehreren anderen Quantensystemen korreliert ist.
Das einfachste Beispiel für verschränkte Zustände ist ein Singulett-Zustand. Nehmen wir an zwei Systeme mit einem Spin ½ - zum Beispiel zwei Elektronen - interagieren und entfernen sich anschließend voneinander in entgegengesetzte Richtungen. Sie können nun raumartig zueinander liegen. Nichtsdestoweniger hat keines der beiden Systeme gemäß der Standard-QT für sich genommen einen Spin-Zustand. Der Gesamtzustand von beiden Systemen zusammen ist eine Überlagerung aller möglichen Spin-Werte der beiden Systeme in jeder Raumrichtung. Das heißt der Gesamtzustand ist eine Überlagerung aus "erstes System Spin plus und zweites System Spin minus" mit "erstes System Spin minus und zweites System Spin plus" in allen drei orthogonalen Raumrichtungen.
Diesen Singulett-Zustand kann man mathematisch so ausdrücken:
Ψ = 1 / √2 * (Ψ1+ ⊗ Ψ2- - Ψ1- ⊗ Ψ2+)
In dieser Formel steht "Ψ" für den Spinzustand des Gesamtzustands; "Ψ1" und "Ψ2" beziehen sich auf die beiden Elektronen; "+" bedeutet Spin plus, "-" bedeutet Spin minus. Das Zeichen "⊗" steht für das Tensorprodukt der möglichen Spin-Zustände der beiden Teilsysteme. In diesem Gesamtzustand hat der Gesamtspin des Gesamtsystems den definiten nummerischen Wert null; aber keines der Teilsysteme hat einen definiten nummerischen Wert des Spins.
Daraus folgt, dass nach der Standard-Quantenmechanik fundamentale physikalische Systeme innerhalb einer Zustandsverschränkung einige ihrer charakteristischen Eigenschaften nur abhängig von anderen Systemen haben und die Standard-QM somit das Prinzip der Seperabilität verletzt.[3]
Das Messproblem besteht darin, dass obwohl ein einzelnes System gemäß der Schrödingergleichung für einige Eigenschaften keine definiten numerischen Werte hat, wir immer nur definite numerische Werte von solchen Systemen messen.
Das einfachste Beispiel ist wieder ein Singulett-Zustand. Wenn wir ein Elektron in einem Singulett-Zustand messen, messen wir immer einen definiten numerischen Wert des Spins in eine Raumrichtung. Nach der Standard-Quanten-mechanik kommt es bei der Messung zu einem Kollaps der Wellenfunktion, sodass jedem System instantan ein definiter numerischer Wert des Spins zukommt.
John Bell hat gezeigt, dass wenn die Quantenobjekte je für sich genommen in einem Zustand wären, in dem sie einen definiten numerischen Wert der betreffenden Eigenschaften haben und die Zustandsverschränkungen nur unsere Unkenntnis dieses Zustands ausdrücken würden, es bestimmte EPR-Korrelationen zwischen den Messwerten an den Systemen nicht geben dürfte. Die entsprechenden Korrelationen sind aber experimentell nachgewiesen.
Die von Bell abgeleitete Ungleichung kann so dargestellt werden:[4]
Ch (a, c) – Ch (b, a) – Ch (b, c) ≤ 1
Daraus folgt, dass nach der Standard-Quantenmechanik fundamentale physikalische Systeme, die raumartig zueinander liegen, einander beeinflussen können und die Standard-QM somit das Prinzip der Nahewirkung verletzt.
Die Teilchenphysik beschreibt fundamentale physikalische Systeme desselben Typs durch dieselben intrinsischen (und tlw. auch relationalen) Eigenschaften.
Das beste Beispiel ist wieder ein Elektron. Alle Elektronen haben eine elektrische Ladung von -1e, einen Spin von ½, eine Masse von ca. 9,109*10-31 kg, usw. usf.
Das Leibniz-Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren (PIU: principium identitatis indiscernibilium) besagt, dass falls für jede intrinsische Eigenschaft F gilt, dass Objekt x sie hat, gdw. y sie auch hat, dann sind x und y identisch.
Nach dem Leibniz-Prinzip sind also alle Elektronen im Universum identisch. Allerdings ist Identität die Relation, in der jedes Ding zu sich und nur zu sich steht. Aus dem Leibniz-Prinzip und der Teilchenphysik würde also folgen, dass es nur ein Elektron im Universum gibt. Dass dies offenbar nicht der Fall ist, ist ein Problem für das Leibniz-Prinzip und für die Ontologie der Quantenmechanik.
Wenn wir zwei Elektronen messen, dann können wir sie durch ihre relationalen Eigenschaften (ihre Lagebeziehungen zueinander) individuieren. Das klappt aber nicht mehr bei verschränkten Elektronen. Wenn Elektronen verschränkt sind, lassen sie sich nicht nur nicht mehr durch ihre intrinsischen Eigenschaften, sondern auch nicht mehr durch ihre relationalen Eigenschaften individuieren.
Daraus folgt, dass nach der Standard-QM fundamentale physikalische Systeme keine Eigenschaften bzw. Werte von Eigenschaften besitzen, durch die sich von anderen physikalischen Systemen desselben Typs unterscheiden und die Standard-Quantenmechanik somit das Prinzip der Individualität verletzt.
[1] Erstens ich spreche nicht von Lokalität, da der Begriff "Lokalität" auch im Sinne dessen gebraucht wird, was unten als Prinzip der Nahewirkung besprochen wird. Zweitens ich spreche auch nicht von "Lokalisierbarkeit" sondern stärker von "Lokalisiertheit", denn lokalisierbar zu sein, impliziert nicht, immer lokalisiert zu sein. Lokalisierbar ist ein System auch dann, wenn es beispielsweise durch eine Messung in einem Zustand gebracht werden kann, in dem es lokalisiert ist. Daraus folgt aber nicht, dass dieses System lokalisiert ist in dem Sinne, dass es immer – also auch unabhängig von Messungen – einen wohldefinierten Ort hat.
[2] Ich spreche von Systemen und nicht von Teilchen, da physikalische Systeme auch Welleneigenschaften besitzen. Siehe: Welle-Teilchen-Dualismus.
[3] Die Nicht-Seperabilität von Quantensystemen ist die Grundlage für die Debatte um Holismus in der Quantenmechanik. Siehe: Quantenholismus.
[4] John S. Bell: On the Einstein Podolsky Rosen Paradox (1964), S. 195 - 200.
"Gott würfelt nicht"
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