„In einer Welt, die überflutet wird von belanglosen Informationen, ist Klarheit Macht.“ 

- Yuval Noah Harari

Wilfrid Sellars: Der Mythos des Gegebenen

Der Repräsentationale Realismus ist die These, dass wir nur mittels Repräsentationen Zugang zu der physikalischen Welt haben. Repräsentationen fungieren als ein epistemisches Bindeglied zwischen unseren Überzeugungen und den Objekten in der Welt, auf die sich unsere Überzeugungen beziehen.

Der Direkte Realismus ist hingegen die These, dass wir einen direkten epistemischen Zugang zu der physikalischen Welt besitzen. Es gibt keine epistemischen Bindeglieder, die zwischen unseren Überzeugungen und den Objekten in der Welt, welche deren intentionale Objekte sind, treten.

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Betrachten wir ein Beispiel: Wenn man die wahre Wahrnehmungs-Überzeugung besitzt, dass vor einem ein Vogel ist, dann sind der Vogel, Licht,  Sinnesreizungen, neuronale Signale und Vorgänge im Gehirn, etc. kausale Bindeglieder zwischen dem Vogel und der Wahrnehmungs-Überzeugung.

Das ist soweit unkontrovers. Die entscheidende Kontroverse betrifft dann die Frage, wie sich die Wahrnehmungsüberzeugung auf den Vogel bezieht. Der Repräsentationale Realismus besagt, dass sich diese Überzeugung nur mittels einer Vogel-Repräsentation auf den Vogel bezieht. Dahingegen beinhaltet der Direkte Realismus, dass sich die Überzeugung direkt auf den Vogel bezieht.

Der Repräsentationale Realismus legt auch eine repräsentationale Semantik nahe, während der Direkte Realismus eine inferentielle Semantik nahelegt.

Der Haupteinwand gegen einen repräsentationalen Realismus und auch eine repräsentationale Semantik ist dieser hier: Auch wenn die Repräsentation als ein ursprüngliches epistemisches oder semantisches Merkmal angesehen wird, ist eine Erklärung von Repräsentation in anderen Begriffen denn semantischen erforderlich. Es gibt historisch zwei Hauptkandidaten für eine solche Erklärung:

1. Eine Ähnlichkeits-Beziehung zwischen der Repräsentation und dem Repräsentierten.

2. Eine kausale Beziehung zwischen der Repräsentation und dem Repräsentierten.

Der Versuch Repräsentationen in Begriffen von Ähnlichkeit zu erklären, gilt mittlerweile allgemein als gescheitert. Und der Versuch Repräsentationen in Begriffen von Kausalität zu erklären, ist mit drei Hauptproblemen konfrontiert:

(a) Was soll als eine angemessene kausale Beziehung zwischen der Repräsentation und dem Repräsentierten gelten?

(b) Wie kann eine kausale Beziehung so feinkörnig sein, dass sie eine Unterscheidung zwischen Extension und Intension erlaubt?
(c) Wie kann eine kausale Beziehung für das epistemische Merkmal der Repräsentation aufkommen und einen repräsentationalen Inhalt bestimmen?

Der Mythos des Gegebenen

Wilfried Sellars einflussreiche Kritik am Mythos des Gegebenen in seinem Aufsatz "Empiricism and the Philosophy of Mind(1956) setzt am Problem (c) an.

Sellars meint mit dem Gegebenen alles, was auf der einen Seite etwas Epistemisches und damit eine Art Wissen sein soll, ohne auf der anderen Seite Begriffe zu erfordern.[1] Dieses Wissen wird im Fundamentalismus als ein Fundament für und letzte Rechtfertigung von allem anderen Wissen angesehen.

Der Mythos des Gegebenen schließt dann die Idee ein, dass es ein Fundament unseres Wissens gibt, das selbst keiner Rechtfertigung bedarf; bei der es also niemals sinnvoll ist, nach Gründen zu fragen. John McDowell schreibt hierzu:

„Von einem Gegebenen auszugehen heißt anzunehmen, dass der Raum der Gründe, der Raum der Rechtfertigungen, sich weiter erstreckt als der Bereich des Begrifflichen.“
- John McDowell (1996): Mind and World. With a New Introduction. Cambridge (Massachusetts): Harvard University Press, S. 7.

Die Kritik von Sellars bezieht sich dann in erster Linie auf die Position, dass in einer Wahrnehmungs-Überzeugung Sinnesdaten im Sinne von etwas schlechthin Gegebenen auftreten. Sein Hauptkritik ist, dass die folgenden beiden Funktionen, die Sinnesdaten in diesem Fall zugeschrieben werden, unvereinbar sind:

Einerseits werden Sinnesdaten als etwas schlichtweg Gegebenes angesehen, ohne dass Begriffe (Konzepte) involviert sind. Wahrnehmungs-Überzeugungen sind das Resultat dessen, dass Begriffe auf Sinnesdaten angewendet werden.

Andererseits werden Sinnesdaten ein epistemischer Status zugesprochen. Wahrnehmungs-Überzeugungen bestehen darin, dass Begriffe (Konzepte) auf Sinnesdaten angewendet werden. In dem mentalen Zustand zu sein, ein Sinnesdatum zu haben, kann gemäß dieser Position dasselbe sein, wie in dem epistemischen Zustand zu sein, zu wissen, dass man ein Sinnesdatum hat.

Sellars zufolge begeht man dann, wenn man Sinnesdaten diese beiden Funktionen zuschreibt, einen Fehler, der darin besteht, dass man aus einem rein kausal induzierten Ereignis eine epistemische Beziehung abzuleiten versucht:

kausal induziertes Ereignis epistemische Beziehung.

Diese Fehler ist analog zum naturalistischen Fehlschluss in der Metaethik, der dann begangen wird, wenn man aus Seinsätzen Sollensätze abzuleiten versucht.

Kommen wir auf unser Beispiel zurück: Einerseits soll die Repräsentation (das Sinnesdatum) von einem Vogel etwas Gegebenes sein, ohne dass Begriffe involviert sind. Die Wahrnehmungs-Überzeugung, dass da ein Vogel ist, ist dann das Resultat dessen, dass der Begriff (das Konzept) des Vogels auf diese Repräsentation (dieses Sinnesdatum) angewandt wird. Andererseits wird der Repräsentation von einem Vogel ein epistemischer Status zugesprochen. Die Wahrnehmungs-Überzeugung, dass dort ein Vogel ist, besteht darin, den Begriff (das Konzept) von einem Vogel auf die Repräsentation (das Sinnesdatum) anzuwenden. Der Fehler besteht darin, dass aus einer rein kausal induzierten mentalen Ereignis keine epistemische Beziehung abgeleitet werden kann.

Dieser Einwand trifft einen repräsentationalen Realismus genauso wie eine repräsentationale Semantik, wenn von Folgendem ausgegangen wird: Es wird eine Erklärung von Repräsentation in kausalen Begriffen gegeben, die kausal induzierten Repräsentationen einen epistemischen Status zuschreibt.

Wilfrid Sellars vertritt daher einen direkten Realismus und eine inferentielle Semantik.[2] Wenn es überhaupt Sinnesdaten gibt, dann sind diese Sellars zufolge nur in einem kausalen Sinne für Wahrnehmungs-Überzeugungen relevant. Der Inhalt von Erfahrungen ist für Sellars bereits durch und durch begrifflich.

Sellars bezeichnet seine Position als "psychologischen Nominalismus".[3]

Robert Brandom hat die Überlegungen von Sellars aufgegriffen und die inferentielle Semantik auf eine normative Pragmatik zurückgeführt.[4]

Donald Davidson greift in dem Aufsatz "Was ist eigentlich ein Begriffsschema?" das Thema von Sellars auf, ohne diesen aber namentlich zu erwähnen.[5] Davidson attackiert den Dualismus zwischen Begriffsschemata und einem gegebenen Inhalt, der für Sellars eine Version des Mythos des Gegebenen ist.

Fußnoten

[1] Sellars (1963, §§ 1 - 7; S. 126 - 134). Vergleiche hierzu Brandom (1997, S. 122); BonJour (1985, Kapitel 4, insbesondere S. 69) und Tuomela (1988).

[2] Sellars (1963, §§ 16, 19, 31, 35 - 36). Vergleiche hierzu Brandom (1997, S. 139 - 144, 157 - 158).

[3] Sellars (1963, §§ 29; S. 160).

[4] Brandom (1994).

[5] Davidson (1973).

Literatur

BonJour, Laurence (1985). The Structure of Empirical Knowledge. Cambridge (Massachusetts): Harvard University Press.

Brandom, Robert B. (1994). Making it Explicit. Reasoning, Representing, and discursive Commitment. Cambridge (Massachusetts): Harvard University Press.

Brandom, Robert (1997). Study Guide. In: Robert Brandom und Richard Rorty (Hrsg.): Wilfried Sellars: Empiricism and the Philosophy of Mind. With and Introduction by Richard Rorty and a Study Guide by Robert Brandom. Cambridge (Massachusetts): Harvard University Press, S. 118 - 181.

Davidson, Donald (1973). On the Very Idea of a Conceptual Scheme. Proceedings and Addresses of the American Philosophical Association 47, S. 5 - 20. Wieder abgedruckt in: Donald Davidson (1984): Inquiries into Truth and Interpretation. Oxford: Oxford University Press, S. 183 - 198.

McDowell, John (1996). Mind and World. With a New Introduction. Cambridge (Massachusetts): Harvard University Press,

Sellars, Wilfrid (1956). Empiricism and the Philosophy of Mind. Minnesota Studies in the Philosophy of Science 1, S. 253 - 329.

Tuomela, Raimo (1988). The Myth of the Given and Realism. Erkenntnis 29(2), S. 181 - 200.

Siehe auch

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