„In einer Welt, die überflutet wird von belanglosen Informationen, ist Klarheit Macht.“ 

- Yuval Noah Harari

Drei große Unwahrheiten

„Hat Ihnen ein Arzt oder ein anderer Mediziner schon einmal gesagt, dass Sie an einer psychischen Erkrankung leiden?“

Frauen bejahen diese Frage häufiger als Männer, Linke häufiger als Konservative, junge Menschen häufiger als ältere, Weiße häufiger als Nichtweiße.

Junge linke weiße Frauen sind dementsprechend am stärksten betroffen, und zwar in einem erschreckenden Ausmaß. Bei einer MEHRHEIT (über 50 %) dieser Gruppe wurde schon einmal eine psychische Störung diagnostiziert.

Wie kam es dazu?

Viele junge Menschen haben innerhalb eines kurzen Zeitraums, um das Jahr 2013 herum, drei große Unwahrheiten verinnerlicht:

Sie begannen zu glauben, sie wären so empfindlich, dass sie durch Bücher oder Redner verletzt werden könnten und ihnen wurde beigebracht, Worte seien eine Form von Gewalt (Große Unwahrheit Nr. 1).

Sie kamen zu der Überzeugung, ihre Gefühle – insbesondere ihre Ängste – seien ein zuverlässiges Instrument zum Verständnis der Realität (Große Unwahrheit Nr. 2).

Sie bildeten sich ein, die Gesellschaft bestünde aus Opfern auf der einen und Unterdrückern auf der anderen Seite – guten und schlechten Menschen (Große Unwahrheit Nr. 3).

Linke machten sich diese Überzeugungen mehr zu eigen als Konservative. Junge linke Frauen verinnerlichten sie stärker als jede andere Gruppe, da sie soziale Medien besonders intensiv nutzten und in Online-Communities aktiv waren, die neue entmündigende Ideen entwickelten. Aufgrund dieser kognitiven Verzerrungen entwickelten sie häufiger Angststörungen und Depressionen als andere Gruppen.

In der Folge machten sich Universitäten und andere progressive Institutionen diese drei Unwahrheiten ebenfalls zu eigen und führten Programme oder Maßnahmen wie „Diversity Trainings“, Triggerwarnungen oder „Bias Response Teams“ ein, die Beschwerden über „Mikroaggressionen“ nachgehen sollen.

Greg Lukianoff beschreibt diese Programme als umgekehrte kognitive Verhaltenstherapie. Bei der kognitiven Verhaltenstherapie lernen Patienten, die eigenen Denkmuster zu analysieren und sog. kognitive Verzerrungen zu erkennen, beispielsweise Katastrophisieren, Schwarz-Weiß-Denken, Wahrsagen oder emotionales Denken. Diese Denkmuster sind sowohl Ursachen als auch Symptome von Depressionen. Die Überwindung dieser quälenden Verzerrungen heilt die Depression.

Ab dem Jahr 2013 beobachtete Lukianoff, wie Studenten an Universitäten gegen die freie Rede zu Felde zogen, die Bestrafung abweichender Meinungen forderten und dies genau mit den kognitiven Verzerrungen rechtfertigten, von denen man psychisch kranke Patienten in der Psychotherapie zu befreien versucht. Die Studenten sagten, ein unorthodoxer Redner auf dem Campus würde schutzbedürftigen Gruppen schweren Schaden zufügen (Katastrophisierung) oder führten ihre Gefühle als Argument dafür an, dass ein Text aus dem Lehrplan entfernt werden solle (emotionale Argumentation). Indem Universitäten diese kognitiven Verzerrungen unterstützen, anstatt Studenten die Fähigkeit zum kritischen Denken zu vermitteln (was im Grunde genommen den Kern der kognitiven Verhaltenstherapie ausmacht), machen sie Studenten psychisch krank und depressiv, so Lukianoffs Hypothese. Progressive Institutionen brachten jungen Progressiven bei, Katastrophisieren sei ein effektiver Weg, ihren Willen zu bekommen.

Jill Filipovic schrieb diesbezüglich: „Ich bin inzwischen überzeugt, dass die Mode, Aussagen als „verletzend“ oder „zutiefst problematisch“ zu bezeichnen oder sie sogar mit Gewalt gleichzusetzen, auf lange Sicht verheerende Konsequenzen haben wird, insbesondere für junge Menschen. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse über Resilienz und psychisches Wohlbefinden zeigen, dass es Menschen, die sich als ihres eigenen Glückes Schmied wahrnehmen, viel besser geht als Menschen, deren Grundhaltung aus Viktimisierung, Kränkung und dem Gefühl besteht, das Leben sei etwas, das ihnen einfach widerfährt, wie eine Nussschale im Ozean, die von Wellen hin und her geworfen wird.“

Filipovics Text über die Vorteile des Bewusstseins, seines eigenen Schicksals Schmied zu sein, nimmt Bezug auf ein Konzept der Psychologie, das schon seit langem erforscht wird: Kontrollüberzeugung (Locus of Control). Eine internale Kontrollüberzeugung liegt dann vor, wenn ein Individuum positive und negative Ereignisse als Konsequenzen des eigenen Verhaltens wahrnimmt, während eine externale Kontrollüberzeugung vorliegt, wenn Menschen glauben, ihr Schicksal würde durch Kräfte oder Akteure außerhalb ihrer eigenen Kontrolle bestimmt.

60 Jahre Forschung auf diesem Gebiet zeigen, dass Menschen mit internaler Kontrollüberzeugung glücklicher und erfolgreicher sind, während Menschen mit externer Kontrollüberzeugung passiver sind und zu Depressionen neigen.

Originalartikel von Jonathan Haidt (aus dem Englischen übersetzt).

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