Das limbische System umfasst eine Reihe von Hirnstrukturen, die um die lebenserhaltenden vegetativen Zentren des Hirnstamms (verlängertes Mark, Brücke und Mittelhirn) herum angeordnet sind und sich damit in einer zentralen Position des Gehirns zwischen Hirnstamm und dem für höhere kognitive Funktionen zuständigen Neocortex befinden. Der Name des „limbisches System“ ist darauf zurückzuführen, dass ein Teil seiner Strukturen das Corpus callosum (den mächtigen Nervenfaserbalken, der die beiden Hemisphären des Gehirns verbindet) umsäumen (das lateinische Wort „limbus“ bedeutet „Saum“, „Gürtel“). Je nach Autor werden dem limbischen System auch Kerngebiete des Hirnstamms und corticale Areale zugerechnet. Das limbische System umfasst – je nach Autor – unter anderem die folgenden Hirnstrukturen:
• in der Hirnrinde: den Hippocampus[1], den Gyrus parahippocampalis[2], den
Gyrus dentatus und den anterioren cingulären Cortex[3]; auch der insuläre Cortex[4], der olfaktorische Cortex (Riechrinde), der orbitofrontale Cortex[5] und der präfrontale Cortex werden dem
limbischen System zugerechnet;
• subcortical: die Mandelkerne (Amygdala)[6], die Septumkerne[7] im basalen Vorderhirn, das ventrale Striatum mit Nucleus accumbens;
• im Zwischenhirn: Thalamus[8], Hypothalamus[9] mit den Mamillarkörpern[10], Habenula, Nucleus praeopticus;
• im Mittelhirn: Kerne des zentralen Höhlengraus im Tegmentum sowie das ventrale tegmentale Areal[11],
• im Hirnstamm: Kerne der Formatio reticularis (Raphé-Kerne, Locus coeruleus[12], parabrachiale Kerne) und die Substantianigra.
Die limbischen Kerngebiete sind über zahlreiche Nervenbahnen untereinander und mit anderen Hirnarealen verbunden. Das limbische System hat ganz unterschiedliche Funktionen, unter anderem die unbewusste Entstehung und Regulation von körperlichen Bedürfnissen, die Bildung und Verarbeitung positiver und negativer Affekte und Gefühle. Affekte und Gefühle entstehen erst einmal unbewusst in den Zentren des limbischen Systems und werden nur bewusst, wenn der Hypothalamus, das zentrale Höhlengrau, die Amygdala und das mesolimbische System die Großhirnrinde ausreichend erregen. Aber auch ohne Bewusstsein finden im limbischen System Lernprozesse statt, die als emotionale Konditionierung bezeichnet werden. Das limbische System ist wie ein Filter, der relevante Informationen aussortiert, mit einer emotionalen Bewertung versieht, sie bündelt und zur Speicherung im episodischen Gedächtnis weiterleitet. Es ist der Flaschenhals für das biografisch-episodische Gedächtnis und hat auch die Funktion eines Zensors.
Nach Roth bewertet das limbische System das, was das Gehirn tut, nach den Grundkriterien von Lust und Unlust (und nach von diesen abgeleiteten Kriterien). Bewertung und Gedächtnis hängen dabei funktionell eng zusammen. Bei dieser Interaktion spielen Amygdala und Hippocampus eine zentrale Rolle. Das Wirken des limbischen Systems würden wir als begleitende Gefühle erleben, die uns vor bestimmten Handlungen warnen oder unsere Handlungsplanung in eine bestimmte Richtung lenken. Gefühle seien „konzentrierte“ Erfahrungen, ohne die vernünftiges Handeln unmöglich ist. Nach Roth beruht die Verhaltenssteuerung letztlich auf dem limbischen Bewertungs- und Gedächtnissystem, das die Basalganglien und das Kleinhirn aktiviert; diese setzen wiederum corticale Prozesse in Gang. Dann erst setze das Gefühl, etwas zu wollen, ein. Bewusste Handlungsplanungsprozesse, wie sie etwa im präfrontalen Cortex ablaufen, können durchaus die subcorticalen Prozesse beeinflussen, ohne deshalb automatisch zu Handlungen zu führen. Sie sind nur eine von vielen Determinanten unserer Handlungssteuerung. Erfahrungsgemäß können wir uns bewusst etwas fest vornehmen, ohne dass eine entsprechende Handlung folgt. Der unmittelbare Anstoß kommt eben nicht von unserem bewussten Vorsatz, sondern aus den „Abgründen“ des limbischen Systems.[14]
[1] Der Hippocampus an der Unter- und Innenseite der Schläfenlappen spielt eine zentrale Rolle bei der Bildung und Verarbeitung von Erinnerungen. Er fungiert als Organisator (nicht aber als eigentlicher Speicherort) des deklarativen Gedächtnisses und des Vorbewussten. Er kann zudem vegetative und emotionale Funktionen beeinflussen. Über die Fornix, ein Faserbündel das unterhalb des Balkens und oberhalb des Thalamus nach vorne und schließlich nach unten verläuft, ist der Hippocampus mit den Mamillarkörpern und dem basalen Vorderhirn verbunden. Über den mamillothalamischen Trakt geht es weiter zum anterioren Thalamus. Der Thalamus ist über den Pedunculus thalami superior mit dem Gyrus cinguli und über diesen mit dem Neocortex verbunden. Vom cingulären Cortex führen Bahnen über das Cingulum zurück zum Hippocampus. Damit ist der sogenannte papezsche Kreis geschlossen. Aufgaben des Hippocampus sind neben der Konsolidierung des Gedächtnis: Erkennung und Bewertung/Gewichtung von Objekten (zum Beispiel Gesichter sind höher gewichtet als Dreiecke), Bewertung emotionaler Ereignisse, Konsolidierung von Sinneseindrücken, Speicherung und Abruf von sensorischen Daten.
[2] Der Gyrus parahippocampalis dient vor allem dazu, dem Hippocampus Informationen aus anderen Teilen des limbischen Systems weiterzuleiten. Er ist ebenfalls an der Gedächtnisbildung beteiligt.
[3] Der cinguläre Gyrus hat eine Vermittlerfunktion zwischen cortical-kognitiven und limbisch-emotionalen Funktionen. Seine Rolle bei der Schmerzwahrnehmung zeigt sich unter anderem in seiner engen Verbindung zu anderen Schmerzzentren, den medialen Thalamuskernen und dem zentralen tegmentalen Höhlengrau. Nach Zerstörung des cingulären Cortex „vergessen“ Versuchstiere die zuvor gelernten schmerzbedingten Abwehr- und Vermeidungsreaktionen. Der Gyrus cinguli kann vegetative Funktionen beeinflussen und ist zudem für den psycho- und lokomotorischen Antrieb verantwortlich. Der vordere Bereich des Gyrus cinguli ist ein wichtiges Bindeglied zwischen dem Neocortex und den subcorticalen Kernen, welche zwar an der Entstehung von Bewusstsein beteiligt sind, selbst aber völlig unbewusst arbeiten.
[4] Der insuläre Cortex liegt eingesenkt zwischen Stirn-, Schläfen- und Scheitellappen und verarbeitet Körpergefühle, affektive Schmerzempfindungen, Eingeweidewahrnehmung und Geschmacksinformationen.
[5] Zuständig für soziales Bewusstsein.
[6] Die Amygdala (Mandelkern) dient vor allem der Speicherung von Gedächtnisinhalten, die den Menschen emotional sehr bewegt haben, und spielt eine zentrale Rolle für unbewusste negative Gefühle wie Furcht und Aggression. Sie ist an der unbewussten Steuerung des Sozialverhaltens und an der Regulierung der Gemütslage beteiligt. Die amygdalofugale Bahn führt von der Amygdala zum mediodorsalen Thalamus, von dort über den Pedunculus Thalamus anterior zum basalen Vorderhirn, und von dort über die Bandeletta diagonalis zurück zur Amygdala (basolateraler limbischer Kreis). Von der Amygdala gehen direkte Verbindungen und indirekte (über die Stria terminalis) zum Hypothalamus, außerdem Bahnen zum Septum und zum Bulbus olfactorius.
[7] Das Septum, das zusammen mit benachbarten Strukturen das Vorderhirn bildet, ist über Nervenbahnen mit dem Hippocampus und über das Vorderhirnbündel mit dem Hypothalamus und dem Hirnstamm (Tegmentum) verbunden. Vom Septum und dem Mandelkern gehen Bahnen zum dorsalen Thalamus und damit zum Neocortex. Die Septumkerne sind bei Lernprozessen beteiligt und steuern die Lernmotivation, Aufmerksamkeit und Gedächtnisbildung. Im basalen Vorderhirn wird unter Einschluss des Septums Acetylcholin produziert.
[8] Der Thalamus ist ein mächtiges eiförmiges Kerngebiet im Zwischenhirn. Sämtliche somatosensiblen und sensorischen Bahnen der Peripherie (mit Ausnahme der Riechbahnen) werden im Thalamus umgeschaltet und an den Cortex weitergeleitet. Der Thalamus ist mit den assoziativen Rindenfeldern über doppelläufige Verbindungen, die sogenannten thalamo-corticalen Neuronenkreise, verbunden. Damit ist er die große Schalt- und Kontrollstation für fast alle aus der Innenwelt und Umwelt kommenden Erregungen. Die sensorischen Inputs werden im Thalamus, der über vielfältige Verbindungen seiner Kerne untereinander und mit anderen Kernen des limbischen Systems verfügt, miteinander verglichen, verknüpft und zu elementaren Affekten und Gefühlen verarbeitet. Der Thalamus kann als das Tor zum Bewusstsein angesehen werden.
[9] Der Hypothalamus liegt unterhalb des Thalamus und bildet mit den beim Menschen paarig angelegten Mamillarkörpern und der Hypophyse die Grundplatte des Zwischenhirns. Der Hypothalamus kontrolliert unter anderem die Hypophyse, damit die Hormonlage und die biologischen Grundfunktionen des Körpers, wie Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme, Schlaf- und Wachzustand, Temperatur- und Kreislaufregulation, Sexual-, Angriffs- und Verteidigungsverhalten.
[10] Das Corpus mamillare ist vor allem im Rahmen des Papez-Neuronenkreises an der Gedächtnisbildung beteiligt. Es kann außerdem Sexualfunktionen beeinflussen.
[11] Das ventrale tegmentale Areal und die Substantia nigra im Mittelhirn sowie der Nucleus accubens, ein Teil des StriatoPallidums, bilden zusammen das mesolimbische Belohungs- und Motivationssystem und sind für positive Gefühle zuständig (unter anderem durch die Bildung von Endorphinen). Im ventralen tegmentalen Areal und in der Substantia nigra wird Dopamin produziert, das für die Bewegungsinitiierung und für die Motivation notwendig ist.
[12] Raphé-Kerne und Nucleus coeruleus sind zusammen mit der Formatio reticularis, dem Gyrus cinguli, dem basalen Vorderhirn und dem Thalamus an der Aufmerksamkeits- und Bewusstseinssteuerung beteiligt. Der Nucleus coeruleus produziert Serotonin.
[13] Vom Mandelkern gehen 1. Verbindungen direkt zum Hypothalamus und indirekt über die Stria terminalis, 2. Bahnen zum Septum, und 3. zum Bulbus olfactorius. Vom Hippocampus, der nach hinten und oben in den Fornix (unterhalb des Balkens verlaufend) übergeht, laufen Bahnen zum Septum, zum Hypothalamus und zu den Mamillarkörper. Von den Mamillarkörpern geht es weiter zum anterioren Thalamus, von dort zum Gyrus cinguli und zum Neocortex. Vom Septum verlaufen über das Vorderhirnbündel Bahnen zum Hypothalamus und zum Hirnstamm (Tegmentum). Vom Septum und vom Mandelkern gehen Bahnen zum dorsalen Thalamus und damit zum (überwiegend präfrontalen) Cortex. Quelle: Eccles S. 165.
[14] G. Roth, 1996: „Das Gehirn und seine Wirklichkeit. Kognitive Neurobiologie und ihre philosophischen Konsequenzen“, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 209-212, 309-310.
Limbisches System auf der Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Limbisches_System
Limbisches System bei DasGehirn: https://www.dasgehirn.info/entdecken/anatomie/das-limbische-system/
nach: Udo Boessmann - Bewusstsein, Unbewusstsein