Ein Bewusstseinsträger besitzt Zugriffsbewusstsein zu einem Bewusstseins-inhalt wie bspw. der Überzeugung, dass der tasmanische Beuteltiger ausgestorben ist, wenn:
(1) der Bewusstseinsinhalt verfügbar ist, um sprachliche
Äußerungen rational zu steuern. Der BT kann bspw. auf U zugreifen, um auf die Frage nach einem kürzlich ausgestorbenen Beuteltier mit "Beuteltiger" zu antworten.
(2) der Bewusstseinsinhalt verfügbar ist, um das Handeln rational zu steuern. Der BT kann bspw. auf U zugreifen, um auf die Aufforderung ein Beuteltiger zu
zeigen, eine Person in einen Zoo und nicht in ein Museum zu lotsen.
(3) der Bewusstseinsinhalt inferentiell promiskuitiv ist, was so viel heißt wie: sie ist verfügbar, um bei allen möglichen Überlegungen als Prämisse verwendet zu
werden.
Erfüllt ein Bewusstseinsinhalt - wie zum Beispiel meine Beuteltiger-Überzeugung - die Bedingungen (1) bis (3), so spricht man von Zugriffsbewusstsein.
Stellen wir nun meine Überzeugung, dass der Beuteltiger ausgestorben ist, zu der ich ein Zugriffsbewusstsein besitze, jenen Informationszuständen gegenüber, deren Vorhandensein der amerikanische Linguist Noam Chomsky behauptet. Nach Chomsky stützen wir uns dann, wenn wir grammatische Sätze des Deutschen verstehen oder äußern, auf eine Menge von Informationen über die deutsche Grammatik[1]. Zum Beispiel sei im Gehirn aller Sprecher des Deutschen die Information vergraben, dass Aussagesätze im Deutschen eine Subjekt-Prädikat-Struktur haben, dass nämlich in solchen Sätzen das Subjekt vor dem Prädikat steht. Betrachten wir den Aussagesatz "Alex ist dumm". In diesem Fall ist "Alex" das Subjekt und "ist dumm" das Prädikat, und "Alex" steht vor "ist dumm". (Im Prinzip könnte es auch umgekehrt sein: Es könnte eine Sprache geben, in der der Gedanke, dass Alex dumm ist, durch eine Äußerung wie diese mitgeteilt wird: "Ist dumm: Alex.")
Bisher haben wir gesehen, dass in den Köpfen der Sprecher des Deutschen die Information vergraben ist, dass Aussagesätze im Deutschen Subjekt-Prädikat-Form haben. Dabei darf man nicht übersehen, wie tief diese Information vergraben ist. Die meisten Sprecher des Deutschen werden dann, wenn sie eine Subjekt-Prädikat-Sprache nennen sollen, nicht mit "Deutsch" antworten. Und wenn man sie bei einem Quiz fragt, ob Deutsch eine Subjekt-Prädikat-Sprache ist, werden die meisten nicht auf den Ja-Knopf drücken. Außerdem werden sie die Information, dass Deutsch eine Subjekt-Prädikat-Sprache ist, nicht bei allen möglichen anderen Überlegungen anwenden (obwohl sie sie bei einer ganz speziellen Form des Denkens benutzen, nämlich dann, wenn sie deutsche Sätze verstehen oder produzieren). Kurz, die von Chomsky vorausgesetzten Informationszustände sind nicht zugriffsbewusst.
Die Möglichkeit eines Zugriffs ist eine graduelle Sache. Ein Vergleich soll dies erläutern: Auf das Geld auf meinem Konto kann ich recht leicht zugreifen. Ich kann das Geld, wann immer ich möchte, abheben. Allerdings ist die Menge an Bargeld, die ich innerhalb einer 24-Stunden-Frist am Bankautomaten abheben darf, bei meiner Bank begrenzt. Mein Geld ist demnach zwar einigermaßen zugänglich, aber es ist nicht vollständig zugänglich, denn auf große Summen kann ich am Bankautomaten nicht in kürzester Frist zugreifen. (Leider gibt es noch einen anderen Grund, warum ich am Bankautomaten nicht auf große Geldsummen zugreifen kann.)
Bei mentalen Zuständen ist die Möglichkeit des Zugriffs ebenfalls graduell verschieden. Auf die von Chomsky ins Feld geführten Zustände kann man gar nicht zugreifen. Dagegen ist meine Überzeugung, dass der Beuteltiger ausgestorben ist, in hohem Maß zugänglich. Zwischen diese beiden Fällen liegt eine mannigfaltige Reihe von Zuständen, die weniger leicht zugänglich sind als meine Ansicht über den Beuteltiger, aber leichter zugänglich als die Zustände, die Chomsky am Herzen liegen. So kann es beispielsweise sein, dass jemand zwar außerstande ist, die Frage "Wie heißt die Hauptstadt von Portugal?" zu beantworten, aber dennoch die Frage "Ist Lissabon die Hauptstadt von Portugal?" beantworten kann. Stellt man ihm die erste dieser beiden Fragen, ist er aufgeschmissen, doch wenn man ihm die zweite stellt, antwortet er (zu Recht) mit "Ja".
Dieses Beispiel unterstreicht, dass wir zwischen Informationen, die man ins Gedächtnis rufen kann, und Informationen, die man lediglich als wahr erkennen kann, unterscheiden müssen. In einem Fall wie dem geschilderten kann man zwar auf die Information über die Hauptstadt von Portugal zugreifen, aber erst nachdem man ein Stichwort bekommen hat.
Nehmen wir an, dass Alex den Gedanken, dass Lissabon die Hauptstadt von Portugal ist, als wahr erkennen kann, dass er aber nicht dazu imstande ist, sich diesen Gedanken ins Gedächtnis zu rufen. Sollen wir nun sagen, Alex habe Zugriffsbewusstsein von dieser Information? Ned Block, der die Unterscheidung zwischen Zugriffs- und phänomenalem herausgearbeitet hat, würde diese Frage verneinen. Ihm zufolge hat man nur dann Zugriffsbewusstsein von einem mentalen Zustand, wenn dieser Zustand dazu ´tendiert´, die rationale Steuerung von Äußerungen und Handlungen und den Gebrauch in zahlreichen Schlüssen zu gestatten[2]. Alex Informationszustand bezüglich Lissabon hat bestimmt nicht die Tendenz, diese Dinge zu gestatten - man muss ihm ganz ausdrücklich ein Stichwort geben, ehe dieser Zustand zur rationalen Steuerung von Äußerungen und Handlungen beitragen oder zu einer ganzen Reihe von Folgerungen benutzt werden kann. Demzufolge hat Alex kein Zugriffsbewusstsein von seinem Lissabon betreffenden Informationszustand.
An dieser Stelle muss man betonen, dass der Begriff des Zugriffsbewusstseins grundverschieden ist vom Begriff des phänomenalen Bewusstseins. So können wir uns beispielsweise einen Roboter vorstellen, der von vielen Dingen Zugriffsbewusstsein hat, ohne sich dieser Dinge phänomenal bewusst zu sein. Es könnte etwa sein, dass dieser Roboter glaubt, er werde angegriffen, wobei diese Überzeugung seine sprachlichen Äußerungen und seine Handlungen rational steuert und verfügbar ist, um bei einer ganzen Reihe von Folgerungen als Prämisse zu dienen. Anders ausgedrückt: Es könnte sein, dass dieser Roboter ein Zugriffsbewusstsein davon hat, dass er angegriffen wird. Dennoch gibt es vielleicht nicht etwas, wie es ist, dieser Roboter zu sein - in phänomenaler Hinsicht ist er also womöglich unbewusst.
Den eben beschriebenen Roboter gibt es freilich nur in meiner Phantasie. Soweit wir wissen, gibt es keine Roboter, die bis zu einem höheren Grad Zugriffsbewusstsein haben. Folglich gibt es, soweit wir wissen, keine Roboter, die bis zu einem höheren Grad Zugriffsbewusstsein, aber kein phänomenales Bewusstsein haben. Die Pointe dieses Beispiels liegt darin, dass es über die Begriffe "Zugriffsbewusstsein" und "phänomenales Bewusstsein" Aufschluss gibt. Es handelt sich um verschiedene Begriffe, denn wir können uns ohne weiteres einen Roboter ausmalen, auf den der eine Begriff zutrifft und der andere nicht.
Wozu dient phänomenales Bewusstsein? Welche Rolle spielt es in unserem geistigen Haushalt? Eine Reihe von Autoren hat geltend gemacht, die Funktion des phänomenalen Bewusstseins bestehe darin, bestimmte mentale Zustände zugriffsbewusst zu machen. Anders ausgedrückt, bestehe die Leistung des phänomenalen Bewusstseins darin, geistige Zustände "an die Oberfläche zu bringen", die rational zu steuern und bei völlig verschiedenartigen Folgerungen eingesetzt zu werden. Das faszinierende Phänomen des Blindsehens ist als Beleg dafür aufgefasst worden, dass Zugriffsbewusstsein die Funktion phänomenalen Bewusstsein ist.
Es kommt nicht selten vor, dass Opfer von Gehirnverletzungen die Fähigkeit verlieren, in einem Teil ihres Gesichtsfelds Dinge zu sehen. In diesem Zusammenhang spricht man von "kortikaler Blindheit", um anzudeuten, dass das Problem nicht durch die Augen des Patienten verursacht wird, sondern durch jenen Teil des Gehirns, der visuelle Daten verarbeitet. Einem sehr kleinen Prozentsatz kortikal blinder Patienten geschieht etwas höchst Seltsames. Obwohl sie in keinem gewöhnlichen Sinn dazu imstande sind, einem im blinden Teil ihres Gesichtsfeldes platzierten Gegenstand zu sehen, können sie unter bestimmten Umständen korrekt erraten, wie der Gegenstand beschaffen ist. Um ein Beispiel zu nennen: Im blinden Teil des Gesichtsfelds des Patienten platziert der Versuchsleiter ein Stück Papier, das deutlich mit vertikalen oder horizontalen Linien markiert ist. Sodann wird der Patient gefragt, in welche Richtung die Linien gehen. Wie nicht anders zu erwarten, antworten die Patienten, sie seien außerstande, die Linien zu sehen. Hält der Versuchsleiter die Patienten jedoch dazu an, eine Vermutung zu äußern, raten sie häufiger richtig als falsch.
Offenbar werden einige Informationen über den im blinden Teil des Gesichtsfelds platzierten Gegenstand im Gehirn des Patienten registriert. Allerdings hat der Patient, soweit wir das angeben können, kein phänomenales Bewusstsein von diesen Informationen. Es gibt also nicht etwas, wie es für den Patienten ist, die horizontalen oder vertikalen Linien zu sehen. Außerdem hat er offenbar kein Zugriffsbewusstsein von diesen Informationen. Das Experiment macht deutlich, dass diese Informationen nicht verfügbar sind, um sprachliche Äußerungen rational zu steuern, denn der Patient ist außerstande, von sich aus mitzuteilen, das Stück Papier zeige (beispielsweise) vertikale Linien. Erst dann, wenn sich der Patient nicht mehr bemüht, die Frage in der angemessenen Form zu beantworten, und schlicht herumrät, werden die Informationen verfügbar. Außerdem gibt es keinen Beleg dafür, dass die Informationen über die Ausrichtung der Linien verfügbar sind, um Handeln rational zu steuern oder um bei einer ganzen Reihe von Folgerungen als Prämisse zu dienen. Kurz, das Blindsehen legt den Gedanken nahe, dass es mentale Zustände geben kann, die weder zugriffsbewusst noch phänomenal sind.
Das Phänomen des Blindsehens hat einige Forscher dazu bewogen, geltend zu machen, dass das Zugriffsbewusstsein die Funktion des phänomenalen Bewusstseins sei. Der Patient habe doch das phänomenale Bewusstsein von Gegenständen verloren, die im blinden Teil seines Gesichtsfeldes platziert werden, und zusammen mit diesen sei auch das Zugriffsbewusstsein von diesen Gegenständen verschwunden. Aber obwohl es vielleicht wirklich der Fall ist, dass der Zugriff die Funktion des phänomenalen Bewusstseins ist, taugt das eben skizzierte Argument nicht viel. Man muss nämlich im Auge behalten, dass es sich im Fall von Blindsehen um eine Korrelation zwischen dem Verlust des phänomenalen Bewusstseins und dem Verlust des Zugriffsbewusstseins handelt. Diese Korrelation ließe sich erklären, wenn das phänomenale Bewusstsein die Ursache des phänomenalen Bewusstseins ist oder wenn beide Arten von Bewusstsein unabhängig voneinander durch einen dritten Faktor hervorgerufen werden, der zurzeit noch unbekannt ist. (Diese drei Möglichkeiten werden in der unteren Abbildung wiedergegeben.) Es geht also nicht an, auf der Grundlage einer bloßen Beschreibung des Blindsehens den Schluss zu ziehen, das Zugriffsbewusstsein sei die Funktion des phänomenalen Bewusstseins. Allenfalls dürfen wir behaupten, so könne es sich vielleicht verhalten.[3]
In Fällen von Blindsehen fehlen beide Formen des Bewusstseins - sowohl das phänomenale als auch das
Zugriffsbewusstsein. Es besteht also eine Korrelation zwischen dem Fehlen des phänomenalen Bewusstseins und dem Fehlen des Zugriffsbewusstseins. Außerdem scheint es sehr viele Fälle zu geben, in
denen sowohl phänomenales als auch Zugriffsbewusstsein gegeben sind. Es besteht in diesen Fällen also eine Korrelation zwischen dem Vorhandensein phänomenalen Bewusstseins und dem Vorhandensein
von Zugriffsbewusstsein. Verhält es sich aber immer so? Gibt es reale Fälle - im Gegensatz zu bloß imaginären Fällen -, in denen phänomenales Bewusstsein ohne Zugriffsbewusstsein beziehungsweise
Zugriffsbewusstsein ohne phänomenales Bewusstsein vorkommt? Nach Blocks Meinung gibt es wenigstens ein reales Beispiel für phänomenales Bewusstsein ohne
Zugriffsbewusstsein.
Das von Block angeführte Beispiel betrifft ein Erlebnis, das uns allen vertraut ist. Jemand ist völlig in ein Gespräch mit einem Freund vertieft, als er plötzlich um zwölf Uhr merkt, dass draußen schon seit geraumer Zeit ein lautes Geräusch ertönt. Wie es scheint, war ihm das Geräusch in gewissem Sinn schon vor zwölf Uhr bewusst. Allerdings ist es erst nach zwölf Uhr ganz bis zu ihm durchgedrungen. Er hatte, so Block, vor zwölf Uhr phänomenales Bewusstsein von dem Geräusch, aber kein Zugriffsbewusstsein. Nach zwölf Uhr war er sich des Geräuschs sowohl phänomenal als auch zugriffsbewusst.[4]
Blocks Auffassung derartiger Fälle ist allerdings nicht die einzige, die sich anbietet. Wir können uns auch andere Möglichkeiten zurechtlegen, um das Geschehen zu erklären. Doch sofern Block Recht hat, gibt es tatsächlich Fälle phänomenalen Bewusstseins ohne Zugriffsbewusstsein. Und wenn das richtig ist, kann die These, Zugriffsbewusstsein sei die Funktion phänomenalen Bewusstsein, nicht bedingungslos richtig sein - auf jeden Fall wird sie in gewissem Maße eingeschränkt werden müssen.
Zum Ende sollte darauf hingewiesen werden, dass gar nicht ganz klar ist, ob das phänomenale Bewusstsein beim Blindsehen tatsächlich ganz fehlt. Ja, eigentlich ist es sehr schwierig, sich überhaupt ein genaues Bild von dem zu machen, was in diesen Fällen geschieht. Am Grundgedanken dieses Aufsatzes - das Blindsehen liefere keinen zwingenden Beweis dafür, dass Zugriffsbewusstsein die Funktion des phänomenalen Bewusstseins ist - würde sich aber auch dann nichts ändern, wenn sich herausstellen sollte, das Blindsichtige bis zu einem gewissen Grad phänomenales Bewusstsein von Gegenständen im blinden Teil des Gesichtsfelds haben. Denn wenn es sich so verhalten sollte, würde die Annahme, Zugriffsbewusstsein sei die Funktion des phänomenalen Bewusstseins, gar nicht mehr einleuchten.
[1] Noam Chomsky: "Language and Mind", S. 26f.
[2] Ned Block: "On a confusion about a function of consciousness", S. 231.
[3] Ned Block: "On a confusion about a function of consciousness", S. 242.
[4] Ned Block: "On a confusion about a function of consciousness", S. 234.
Stand: 2017
ghovjnjv (Donnerstag, 08 September 2022 11:50)
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