Die Digitale Revolution (auch: dritte industrielle Revolution, Mikroelektronische Revolution) ist ein durch Mikrochips und die Digitalisierung hervorgerufener Umbruch in der Menschheitsgeschichte, der seit Ende des 20. Jahrhunderts anhält und unsere Technik und infolgedessen unsere gesamte Lebensrealität mindestens so fundamental verändern wird wie die industrielle Revolution des 19.
Jhrs.
Während im 20. Jahrhundert die Informationstechnologie (IT) vor allem der Automatisierung und Optimierung diente, Privathaushalt und Arbeitsplatz modernisiert, Computernetze geschaffen und Softwareprodukte wie Office-Programme und Enterprise-Resource-Planning-Systeme eingeführt wurden, stehen seit Anfang des 21. Jahrhunderts disruptive Technologien und innovative Geschäftsmodelle sowie Autonomisierung, Flexibilisierung und Individualisierung in der Digitalisierung im Vordergrund. Diese hat eine neue Richtung genommen und mündet in die vierte industrielle Revolution, die wiederum mit dem Begriff der Industrie 4.0 (auch "Enterprise 4.0") verbunden wird.
Die Rede von der Industrie 4.0. ist keineswegs übertrieben. Was wir derzeit erleben ist nicht weniger als die vierte große technische Umwälzung unserer Zeit. Die erste war die Dampfmaschine, gefolgt von der Einführung des Fließbandes. Anschließend kam die Computerisierung, respektive Automatisierung und jetzt die gesamte Datenvernetzung. Die Veränderungen in unserer Gesellschaft werden ähnlich gravierend sein wie von 1830 zu 1870. Bevor die industrielle Revolution über uns hereinbrach, bestand unsere Bevölkerung zu drei Viertel aus Bauern. Und nur wenige Jahrzehnte später haben wir die lichtlosen Berliner Hinterhöfe, in denen die Arbeiterschaft leben musste. Danach folgten Jahrzehnte der sozialen Unruhen, Wirren und Kriege, bis am Ende unsere heutige Wohlstandsgesellschaft entstand. Auch solche Zustände könnten uns vorübergehend wieder ins Haus stehen.
Ein weiterer, wichtiger Begriff im Zusammenhang mit der digitalen Revolution ist der der „Zweiten Moderne“. In der ersten Moderne wurde die Muskelkraft (siehe auch Pferdestärke) durch die Dampfmaschine (siehe auch Watt) ersetzt. In der zweiten Moderne wird die Denkleistung des Menschen (siehe auch IQ) durch die Maschine (siehe auch KI) ersetzt. Ein Beispiel dafür sind Schachcomputer wie Deep Blue oder Hydra, die von keinem Menschen mehr sicher bezwungen werden können. Eine Kombination aus technischer Kraft und technischer Denkleistung ist der Roboter. Industrieroboter verdrängen mehr und mehr den Menschen aus der industriellen Produktion. Gleichzeitig entstehen komplett neue Industriezweige. So war das Mobiltelefon erst mit Computereinsatz (Schaltung von Verbindungen) realisierbar.
Der Anfang war die Entwicklung des Computers in den 1940er Jahren. Nur mit Hilfe des Computers wurde die Raumfahrt in den 1960er Jahren erst möglich. 1967 wurde der Taschenrechner entwickelt. Mit dem PC wurde der Computer in den 1970er Jahren für jedermann erschwinglich. In den 1980er Jahren kamen das Global Positioning System (GPS) sowie multimediale Neuerungen, wie die CD und der analoge Videorekorder, in den 1990er Jahren das Mobiltelefon, der Roboter, das Internet, die DVD, die Kernspintomographie bzw. bildgebende Verfahren, Computeranimation insbesondere für Simulationen und in der Filmkunst. 1996 konnte erstmals eine Maschine (Deep Blue) den amtierenden Schachweltmeister in einer Partie schlagen. Es folgten Digitalkamera, Videokamera, Digitalfernsehen, Digitalradio, Navigationssystem, RFID, Drohnen, selbstfahrende Autos. Alleine das Internet – die Vernetzung fast aller Computer – entwickelt sich mehr und mehr zum ersten Kommunikationsmedium und vereinnahmt oder ersetzt nach und nach traditionelle Medien wie Printmedien (siehe auch Zeitung), Telefon (siehe VoIP), Radio (siehe Webradio), Fernsehen (siehe IPTV), Fax und Brief (siehe E-Mail), und entwickelt ganz eigene, bis dahin unbekannte Formen wie Suchmaschinen, Versteigerungsbörsen, „Mitmach“-Enzyklopädien (siehe Wikis), Diskussionsforen usw. Mit dem Internet startet das Informationszeitalter. Im Jahr 2011 schlug die künstliche Intelligenz Watson in der Quizshow Jeopardy! die früheren Champions Ken Jennings und Brad Rutter, welche in der Show zuvor Rekordsummen gewonnen hatten.
Die digitale Revolution ist noch längst nicht abgeschlossen. Ein großes Potential wird u.a. noch bei der Entwicklung von Robotern gesehen. Als Beispiel rechnet Ian Pearson, Chef-Futurologe bei British Telecom, ab 2020 mit Maschinen mit Bewusstsein (siehe auch: Industrie 4.0). Ebenso werden auch bei der künstlichen Intelligenz noch große Fortschritte erwartet. Der Zeitpunkt, an dem künstliche Intelligenz die menschliche Intelligenz übertreffen wird und dann selbst den Fortschritt vorantreiben wird, wird Technologische Singularität genannt. Wie der Name schon sagt ein Ereignis, „nach [dem] das Leben der Menschen, so wie wir es kennen, nicht weitergehen kann“, so Stanislaw Ulam. Hans Moravec bezifferte die Rechenleistung des Gehirns auf 100 Teraflops, Raymond Kurzweil auf 10.000 Teraflops. Diese Rechenleistung haben Supercomputer bereits erreicht. Nach Gordon Moore verdoppelt sich die Rechenleistung alle 18 Monate (siehe auch: Mooresches Gesetz). Weitere Umbrüche zeichnen sich in der Mobilität ab, wobei die digitale Vernetzung öffentlicher Verkehrsmittel und das autonome Fahren im Mittelpunkt stehen.
Die Digitale Revolution basiert maßgeblich auf vier Komponenten:
die Erfindung des Mikrochips (Integrierter
Schaltkreis) und dessen stetiger Leistungssteigerung (Mooresches
Gesetz), der Einführung der flexiblen
Automatisierung in der Produktion und dem Aufbau
weltweiter
Kommunikations-Netze
wie dem Internet.
Die rasant anwachsenden Datenmengen sind DIE Triebfeder der Digitalen Revolution. Jedes Jahr verdoppelt sich die Menge an Daten, die wir produzieren. Mit anderen Worten: Allein 2017 kommen so viele Daten hinzu wie in der gesamten Menschheitsgeschichte bis 2016 zusammen. Es wird angenommen, dass es der Menschheit im Jahr 2002 zum ersten Mal möglich war, mehr Informationen digital als im Analogformat zu speichern, was deshalb als der Beginn des „Digitalen Zeitalters“ gesehen werden kann. Die fast vollständige Digitalisierung der weltweit gespeicherten Informationsmenge vollzog sich in weniger als 10 Jahren, während des Jahrzehnts um die Millenniumswende. Es wird geschätzt, dass im Jahr 1993 lediglich 3 % der weltweiten Informationsspeicherkapazität digital war, während es 2007 bereits 94 % war. / Die weltweite Telekommunikationskapazität (bidirektionaler Informationsaustausch) war bereits 1986 zu 20 %, 1993 zu zwei Dritteln (68 %), und im Jahr 2000 zu 98 % digitalisiert. Die globale Broadcast und Rundfunk-kapazität hingegen (unidirektionale Informationsübermittlung), hinkt deutlich hinterher. Im Jahre 2007 waren erst 25 % digital./ Die Digitalisierung von Informations- und Kommunikationsprozessen hat zu einer Informationsexplosion geführt. Vor allem die weltweite Telekommunikations- und Informationsspeicherkapazitäten pro Kopf sind in den zwei Jahrzehnten zwischen 1986 und 2007 zwischen 23 % und 28 % pro Jahr gewachsen (zum Vergleich: die Weltwirtschaft wächst ungefähr 3 % bis 6 % pro Jahr).
Heute versenden wir pro Minute Hunderttausende Informationen über Google-Anfragen und Facebookposts. Sie verraten Google und Facebook, was wir denken und fühlen. In zehn Jahren wird es schätzungsweise 150 Milliarden vernetzte Messsensoren geben, 20-mal mehr als heute Menschen auf der Erde. Dann wird sich die Datenmenge alle zwölf Stunden verdoppeln. Viele Unternehmen versuchen jetzt, diese "Big Data" in Big Money zu verwandeln.
Bald sind alle Gegenstände um uns herum mit dem "Internet der Dinge" verbunden, selbst unsere Kleidung. Alles wird „Smart“. Bald haben wir nicht nur Smartphones, Smart-Watches und Smart-TV, sondern auch Smart-Textiles, Smart Homes, Smart Factories und Smart Cities. Erwarten uns am Ende dieses Prozesses Smart Nations und am Ende ein smarter Planet?
Natürlich weiß niemand so genau, wie weit und wohin uns die Digitale Revolution führen wird. Niemand von uns besitzt eine Glaskugel. Vielleicht wird tatsächlich alles nur halb so heiß gegessen, wie es gekocht wird, wer weiß?Zukunftsszenarien, die sich nicht wesentlich von unserer Gegenwart unterscheiden, sind aber weder spannend, noch muss man sich auf sie sonderlich vorbereiten. Deshalb zeichne ich hier mal ein sehr extremes Bild von den Umbrüchen, die die Digitale Revolution alles nach sich ziehen KÖNNTE. Denn es sind die extremen Szenarien von Morgen, über die wir uns Heute Gedanken machen müssen, um, wenn sie kommen, von ihrer Wucht nicht überrollt zu werden.
Sicher ist, dass wir in dann in einer grundlegend anderen Welt leben werden als jetzt. Experten sagen, dass diese so aussehen könnte, dass morgens unsere Tapete mit uns spricht, rund um die Uhr kleine Maschinen sämtliche Funktionen unseres Körpers überwachen, vom Blutdruck bis zum Hormonpegel, und uns dann sagen, was wir zum Frühstück, zu Mittag und zu Abend essen sollen – und was wir zu kaufen haben. Wir werden in einer Daten-Cloud leben, bis hinein in intimste Bereiche. Und wir werden uns schon bald in einer komplett virtuellen Komfortzone wiederfinden, einer Wohlfühlmatrix mit einer Datengouvernante an unserer Seite, die sich um alles kümmert und uns zu kleinen Kindern degradiert. Tatsächlich scheinen wir heute bereit zu sein, diesen Weg zu gehen, auch wenn er das Ende unserer schwer erkämpften Freiheit als autonome Individuen bedeuten würde. Ist die Digitale Revolution also wirklich das, wovor ihre Kritiker warnen, die „Erlösung von der Diktatur der Freiheit“?
Um ehrlich zu sein: Wir wissen es nicht. Selbst die absoluten Experten auf dem Gebiet sind sich uneins darüber, ob die Digitale Revolution der vorläufige Einzug ins Paradies, oder gar das Ende der Menschheit sein wird. Und wenn sich selbst die Experten zanken, müssen wir Normalsterblichen uns eingestehen, dass eine solche Technologiefolgenabschätzung unsere Kompetenz maßlos überschreiten würde.
Wahrscheinlich liegt die Wahrheit, wie so oft, irgendwo dazwischen. Seit dem Neolithikum hat beinahe jede neue technische Errungenschaft positive und negative Auswirkungen auf die Menschen gehabt. Es gibt kaum eine Technologie, die nur gut für die Menschen ist. Sogar mit einem Brotmesser kann man einem anderen Menschen den Hals aufschneiden. Ähnlich wird es auch mit der Digitalen Revolution sein: Wir können sie nicht in Gänze aufhalten, aber wir MÜSSEN uns Gedanken darüber machen, in welche Richtung wir sie lenken und gestalten wollen und welche Rahmenbedingungen wir dafür setzen müssen.
Zudem ist bei vielen Effekten nicht klar, ob sie positiv oder negativ ausfallen werden. Die viel beachtete Oxford Studie zur Zukunft der Arbeit und viele weitere Experten auf dem Gebiet besagen, dass aufgrund der Digitalen Revolution in 20 Jahren die Hälfte der jetzt beschäftigten Menschen keiner Lohnarbeit mehr nachgehen bzw. arbeitslos sein wird. 40 Prozent der Top-500-Unternehmen der Welt werden komplett verschwunden sein. Der renommierte US-Ökonom Jeremy Rifkin argumentiert sogar, dass langfristig der Produktionsfaktor (menschliche) Arbeit nahezu komplett wegfallen wird, da dann selbst die billigste und hochqualifizierteste menschliche Arbeitskraft teurer und unproduktiver sein wird als die hochentwickelten Maschinen.
Natürlich bestreiten diese Thesen auch Viele und verweisen dabei auf ein ökonomisches Gesetz aus den 1950ern, das Solow-Modell, das besagt, dass jeder technische Fortschritt am Ende mehr Arbeitsplätze schafft, als er deren hinwegnimmt. Sehr oft und sehr lange hat dieses Gesetz auch wirklich gegolten – was aber zum Beispiel auch damit zusammenhing, dass ständig neue Märkte erschlossen werden konnten; das ist heute nicht mehr der Fall. Und dazu kommt ein fundamentaler Unterschied: Hinter der ganzen Digitalisierung steht die Idee, effektiver und günstiger zu produzieren, und dies geht zunehmend besser ohne den Menschen. Das ist etwas komplett anderes als das, was zur Zeit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert stattgefunden hat: Damals ging es noch um eine Umschichtung. Das heißt, aus Bauern wurden Fabrikarbeiter. Etwas Ähnliches passiert heute aber nicht – in welche Felder sollten Hausärzte oder Juristen denn plötzlich wechseln können?
Antwort: Zu keinem. Künstliche Intelligenzen wie Watson werden Hausärzte zunehmend überflüssig
machen und die Juristerei ist letztlich auch
nichts mehr als ein einziges großes positives Ordnungssystem, das eine intelligente Maschine ganz leicht durchrattern kann. Das gibt's sogar bereits, wieder in Form von
„Watson“, der semantischen Suchmaschine von
IBM. Das ist ein Computer, in den Sie jede normale juristische Frage eingeben können und daraufhin Ihre Expertise ausgedruckt bekommen. Natürlich wird es weiterhin Juristen geben, die sich mit
komplizierten Dingen befassen, die kreative Lösungen verlangen. Aber der Feld-Wald-und-Wiesen-Jurist, der wird wie etliche andere Dienstleister
verschwinden.
Auf
kurz oder lang wird sich der gesamte Dienstleistungssektor, der sich in den letzten 50 Jahren entwickelt hat, transformieren müssen, etwa drei Viertel der Arbeitsplätze werden
verschwinden. Das Handwerk wird zum Teil erhalten bleiben.
Ansonsten gibt es hoch qualifizierte Arbeitsplätze - davon aber nur recht wenige. Insgesamt wird sich in Europa eine Massenarbeitslosigkeit einstellen, wie wir sie sie uns noch gar
nicht vorstellen können. Wenige Leute Computern sagen, was sie zu tun haben, Computer werden vielen Leuten sagen, was sie zu tun haben und für viele Leute wird es überhaupt keine
Verwendung mehr geben.
In der Fertigungsindustrie wird die Arbeiterklasse von Kybernetik und 3D-Druckern verdrängt werden. Deutschland wird diese Entwicklung mit dem Ende der Automobilindustrie wie wir sie kennen besonders hart treffen. An dieser Industrie hängen alleine 2 Millionen Arbeitsplätze, plus unzählbare Arbeitsplätze in der Zulieferindustrie weltweit. Die Autos der Zukunft kauft kein Mensch mehr. Die Autos der Zukunft fahren autonom in den Städten, sehen ein bisschen so aus wie der Fiat-500, wiegen 200 Kilogramm, bestehen aus Zellstoff und Carbon und werden als eine Art selbstfahrende Taxis oder Kutsche online bestellt (Stichwort: autonomous Carsharing). Dann brauchen sie auch nur noch die Autos, die gerade rumfahren, d.h., es gibt keine parkenden Autos mehr. Wenn wir eine App drücken und ein selbstfahrendes Auto fährt vor, wird das Auto sukzessiv, aber beständig seinen Nimbus als Statussymbol verlieren. Die Nachfrage nach Autos verringert sich weltweit auf etwa ein Achtel. Wenn die deutschen Automobilhersteller den Trend zum autonomen Fahren weiterhin so verpennen, wird ihr Absatz folgegemäß im Vergleich zu jetzt auf über ein Achtel zurückgehen. Der Arbeiter in der Automobilindustrie wird also von zweiten Seiten bedrängt: Automatisierung und Digitalisierung auf der einen Seite, sinkende Nachfrageraten auf der anderen.
Doch diese Entwicklung ist bei weitem nicht nur negativ – ganz im Gegenteil! Denn sie bewirkt im selben Zug, dass es keine Staus mehr geben wird, keinen Autolärm, keine parkende Autos. Kinder werden wieder auf den Straßen spielen und die wenige, vorbeifahrende Autos Dank Sensortechnik in Sekundenschnelle abbremsen können. Nun gibt es einige Zweifler, die argumentieren, dass autonom fahrende Autos auch auf ethische Fragen hin programmiert werden müssen und das da noch viele rechtliche Fragen offenstehen. Stimmt. Es sind noch zahlreiche versicherungstechnische Fragen ungeklärt. Genauso stimmt es aber auch, dass keine Innovation in der Geschichte der Menschheit ausgeblieben ist, weil Versicherungen oder Politiker mit ihr noch ein gewisses Unübersichtlichkeitsproblem hatten.
Bald wird in den großen deutschen Innenstädten kein Mensch mehr selbstfahrend unterwegs sein dürfen. Menschengesteuerte Autos werden als unnötige Gefahrenquelle angesehen werden und ihre Versicherung wird sich kaum noch jemand leisten können. Dass zwei Systeme - autonome und nicht-autonome Autos - gleichzeitig funktionieren, das hat schon bei Kutschen und Autos nicht geklappt.
Diese Entwicklungen sind absehbar und werden schon lange prognostiziert. Vielleicht kommen sie ein wenig früher, vielleicht später, aber sie kommen! In der Politik finden sie jedoch nicht statt, weswegen diese uns um unsere Zukunft betrügt. Wir müssen JETZT anfangen die Folgen der DG zu antizipieren und bspw. unser Schulsystem umzustrukturieren, den Begriff von Arbeit neu zu definieren und über die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens nachdenken.
Die Schule von heute produziert leidenschaftslose Aufgabenerfüller. Zukünftig soll sie Menschen in Lebensgestaltung und sozialer Teilhabe unterrichten. Das Ziel wird es sein, Menschen hervorzubringen, die in Arbeitslosigkeit nicht in existentielle Sinnkrisen versinken und trinken, sondern ihr Leben selber gestalten und die Welt ein klein wenig verbessern können. Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens wird das kleinste Problem sein. Es wird ja gerade erst dadurch nötig, dass Maschinen unendlich viel günstiger als der Mensch arbeiten und zusätzlich keine Sozialabgaben oder Rentenbeiträge kosten werden. Die Gewinne werden dadurch in die Höhe schießen, diese Gewinne bzw. das Vermögen der Unternehmeninhaber gilt es zu besteuern und die Finanzierung eines BGE wird kein Problem mehr sein. Andernfalls würden uns die Binnenmärkte, soziale Sicherungssysteme einbrechen und – früher oder später – die gesamte Gesellschaft.
Wenn wir diese Agenda jetzt anpacken und umsetzen können, so erleben wir mit der Digitalisierung die Wahrwerdung eines frühsozialistischen Traumes. Im 19. Jahrhundert kam der Traum auf, dass die Maschinen die Menschen eines Tages vor unwürdiger (z.B. Fließband-)Arbeit befreien würden. Marx und Engels hatten, als sie in der deutschen Ideologie 1847 das erste Mal das Wort "Kommunismus" definierten, eine ganz ähnliche Vorstellung: Kommunismus sei, so die Beiden, wenn ich "morgens Schafe hüten, mittags fischen und abends Bücher kritisieren kann; ohne doch je Schäfer, Fischer oder Kritiker werden zu müssen". Kommunismus bedeutete für Marx und Engels demzufolge das Ende der entfremdenden Arbeitswelt. Und ich stelle die These auf, dass wir, wenn wir es nur richtig anstellen, mit der Digitalen Revolution in eine Gesellschaft reinkommen könnten, in der das viel mehr möglich ist, als das bisher der Fall war.
All die marxistischen Utopien scheiterten doch immer daran, dass die Produktivkräfte theoretisch zwar Herr über die Produktionsmittel werden sollten, das Unternehmen in dem Moment, in dem sie das machten, aber nicht den Arbeitern gehörte, sondern dem Staat! Und der Staat erwies sich idR. dann als ziemlich schlecht agierender Kapitalist, da keine Wettbewerbsmärkte herrschten. Das ist ein wesentlicher Grund, weshalb der Realsozialismus gescheitert ist. In Zukunft aber, wenn jeder mit seinem Tablet individueller Gestalter der Werte sein kann, die er selber produziert, dann ist nun die Trennung zwischen Produktivkraft und Produktionsmittel aufgehoben. Die Digitale Revolution enthält folglich das Versprechen von der Befreiung von der entfremdenden Arbeit. Und dies halte ich für grandios!
Falls man diese Agenda nicht angeht, wird der Großteil der deutschen Bevölkerung, der heute noch der breiten Mittelschicht angehört, arbeitslos und auf Hartz 4-Niveau absinken. In Folge werden die Sozialsysteme zusammenbrechen und im kollektiven Bewusstsein werden sich Gefühle wie Sinn-, Macht-, und Ziellosigkeit breitmachen. In Deutschland wären tatsächlich wieder Bürgerkriege denkbar.
Die digitale Revolution wird sich nicht nur in der Wirtschaft niederschlagen, auch die Wissenschaft erfährt eine Revolution. Nach Ansicht von Pieter Drenth, Ex-Präsident der All European Academies, hat die digitale Revolution große wissenschaftliche Fortschritte auf verschiedensten Gebieten ermöglicht: Erfolge in der Genom-Entschlüsselung, Voraussagen der Klimaforschung, komplexe Modelle in Physik und Chemie, Nanotechnologie, neurophysiologische Grundlagen der Sprachentwicklung und der kognitiven Funktionen, ökonomische Simulationen sowie vergleichende Studien in Sprach- und Literaturwissenschaften. Der gesamte wissenschaftliche Betrieb profitiert(e) von der Entwicklung der Computertechnologie.
Am Ende des Tages ist die digitale Revolution also ein technisches, wirtschaftliches, wissenschaftliches Phänomen - und ganz Wesentlich natürlich auch eine gesamtgesellschaftliches Herausforderung, die dringend angepackt gehört und einer aktiven politischen Gestaltung bedarf! Warum zeigt man uns beispielsweise nicht, wie aufgrund der Möglichkeiten der Digitalisierung eine neue Form der Gesellschaft, Wirtschaft und Lebensführung entstehen und aussehen kann? Und warum beschäftigt sich in der Politik und Wirtschaft KEIN EINZIGER MENSCH mit der normativen Frage, wie WIR ALS GESELLSCHAFT die Digitale Revolution gestalten wollen? Hier herrscht dringender Nachholbedarf!
Die etablierten Parteien in Deutschland und Europa haben keine ernsthaften Konzepte für die wirklich brennenden Fragen (siehe z.B.: Klimaflüchtlinge). Schlimmer noch: Das Thema digitale Revolution findet in der großen Politik überhaupt erst nicht hinreichend statt.
Die „extremeren“ Parteien sind diesbezüglich auch keine Alternativen, sie unterbieten dieses Missstand sogar noch: Die Linken wollen de facto zurück in die 70er und bei der AFD wollen 95% in die 50er zurück, für 5% dürften es gerne auch noch ein paar Jährchen früher sein.. Die Zukunft aber wird komplett anders als alles aussehen, was wir bisher gekannt haben, in ihr werden die erprobten Konzepte von Heute oder gar Gestern deshalb auch nicht mehr verfangen. Was wir brauchen sind Mut und neue Konzepte für eine neue, digitale Welt.
Utopien zur Digitalen Revolution kommen bisher leider nur von privatwirtschaftlichen Unternehmen wie Google oder Zalando. Das ist ein Problem. Beispiel: Die Zalando-Brüder schwärmen auf Kongressen regelmäßigem vom Haus der Zukunft, das ohne Küche auskommen soll, weil man sich in wenigen Minuten jedwede Form von Nahrung minutenschnell per Drohne liefern lassen können wird. Sie halten das für eine positive Utopie, da sie und ihre Kollegen, die die Digitale Revolution gestalten(sic!), soziale Nerds sind. Sie verstehen nicht, dass der Supermarkt und insbesondere auch die Küche soziale Orte sind. Wenn Sie gehbehindert sein sollten, ist der Drohnenlieferservice sicher eine feine Sache, falls nicht, wird sie ihre soziale Isolation und Faulheit ggfs. aber nur bestärken.
Weltweit führt die digitale Revolution zu vielen
solchen tiefgreifenden
Mentalitiätsänderungen,- insbesondere bei der Kinder- und Jugendkultur. Nicht zuletzt verändert sie also auch uns
selbst. Das digitale Outsourcen von Fähigkeiten lässt uns diese verlernen: Das GPS verdrängt langfristig unseren Orientierungssinn, die Uhr unseren Zeitsinn, Gesundheitbänder unseren
Körpersinn, Facebook unsere soziale Kompetenzen und Google unser Gedächtnis („Digitale
Demenz“).
Es ist absehbar, dass Supercomputer menschliche Fähigkeiten bald in fast allen (sprich, nicht nur in ökonomischen) Bereichen übertreffen werden – irgendwann zwischen 2020 und 2100. Auf die Automatisierung der Produktion und die Erfindung selbstfahrender Fahrzeuge folgt jetzt die Automatisierung der kompletten Gesellschaft. Maschinen werden die besseren Machthaber, Spielgefährten und Liebhaber sein. All dies ruft alarmierte Stimmen auf den Plan. Technologievisionäre wie Elon Musk von Tesla Motors, Bill Gates von Microsoft und Apple-Mitbegründer Steve Wozniak warnen vor Superintelligenz als einer existentielle Bedrohung für die Menschheit, vielleicht bedrohlicher als Atombomben. Ist das Alarmismus?
Fest steht: Selbst die Art, wie wir unser privates Leben organisieren, wird sich fundamental ändern. Wir erleben einen der größten Umbrüche in der Geschichte der Menschheit. Wir stehen als Spezies Homo Sapiens an einem Scheideweg, bei dem sich die größten Chancen abzeichnen, aber auch existentielle Gefahren. Treffen wir jetzt die falschen Entscheidungen, könnte das unsere Spezies als solche bedrohen. Roboter könnten eines Tages Bewusstsein erlangen und unsere Spezies vernichten und unterjochen, etwa wegen all dem, was wir unserer Umwelt und den Tieren antun. Aber wenn sich die Maschinen dann tatsächlich als die besseren Menschen erweisen sollten, wäre das dann so schlimm? Vielleicht besteht der finale Sinn unserer kollektiven Existenz ja darin, intelligentere Maschinen hervorzubringen und daran dann zu sterben.
Heute gilt Singapur als Musterbeispiel einer datengesteuerten Gesellschaft. Was als Terrorismusabwehrprogramm anfing, beeinflusst nun auch die Wirtschafts- und Einwanderungspolitik, den Immobilienmarkt und die Lehrpläne für Schulen. China ist auf einem ähnlichen Weg. Kürzlich lud Baidu, das chinesische Pendant von Google, das Militär dazu ein, sich am China-Brain-Projekt zu beteiligen. Dabei lässt man so genannte Deep-Learning-Algorithmen über die Suchmaschinendaten laufen, die sie dann intelligent auswerten. Darüber hinaus ist aber offenbar auch eine Gesellschaftssteuerung geplant. Jeder chinesische Bürger soll laut aktuellen Berichten ein Punktekonto ("Citizen Score") bekommen, das darüber entscheiden soll, zu welchen Konditionen er einen Kredit bekommt und ob er einen bestimmten Beruf ausüben oder nach Europa reisen darf. In diese Gesinnungsüberwachung ginge zudem das Surfverhalten des Einzelnen im Internet ein – und das der sozialen Kontakte, die man unterhält.
Mit sich häufenden Beurteilungen der Kreditwürdigkeit und den Experimenten mancher Onlinehändler mit individualisierten Preisen wandeln auch wir im Westen auf ähnlichen Pfaden. Darüber hinaus wird immer deutlicher, dass wir alle im Fokus institutioneller Überwachung stehen, wie etwa das 2015 bekannt gewordene "Karma Police"-Programm des britischen Geheimdienstes zur flächendeckenden Durchleuchtung von Internetnutzern demonstriert. Wird Big Brother nun tatsächlich Realität? Und: Brauchen wir das womöglich sogar im strategischen Wettkampf der Nationen und ihrer global agierenden Unternehmen? Sicher ist: Die massenhafte Sammlung, Speicherung und Übertragung digitaler Daten erschafft einen Status quo der Überwachung, wie er in der Geschichte der Menschheit zuvor unbekannt war. Die durch die digitale Revolution eröffneten technischen Möglichkeiten, ihre potenziellen Gefahren für das Recht auf Privatsphäre und die Möglichkeit eines weitgehend gläsernen Bürgers waren noch weitgehend unbekannt, als die grundlegenden Menschenrechtsabkommen der Vereinten Nationen einschließlich des UN-Zivilpakts abgeschlossen wurden.
Dabei hat alles Einst scheinbar so harmlos angefangen: Schon seit einiger Zeit bieten uns Suchmaschinen und Empfehlungsplattformen personalisierte Vorschläge zu Produkten und Dienstleistungen an. Diese beruhen auf persönlichen und Metadaten, welche aus früheren Suchanfragen, Konsum- und Bewegungsverhalten sowie dem sozialen Umfeld gewonnen werden. Die Identität des Nutzers ist zwar offiziell geschützt, lässt sich für Kenner aber leicht ermitteln. Heute wissen Algorithmen, was wir tun, was wir denken und wie wir uns fühlen – vielleicht sogar besser als unsere Freunde und unsere Familie, ja als wir selbst. Oft sind die unterbreiteten Vorschläge so passgenau, dass sich die resultierenden Entscheidungen wie unsere eigenen anfühlen, obwohl sie fremde Entscheidungen sind. Tatsächlich werden wir auf diese Weise immer mehr ferngesteuert. Je mehr man über uns weiß, desto unwahrscheinlicher werden freie Willensentscheidungen mit offenem Ausgang.
Auch dabei wird es nicht bleiben. Einige Softwareplattformen bewegen sich in Richtung "Persuasive Computing". Mit ausgeklügelten Manipulationstechnologien werden sie uns in Zukunft zu ganzen Handlungsabläufen bringen können, sei es zur schrittweisen Abwicklung komplexer Arbeitsprozesse oder zur kostenlosen Generierung von Inhalten von Internetplattformen, mit denen Konzerne Milliarden verdienen. Die Entwicklung verläuft also von der Programmierung von Computern zur Programmierung von Menschen.
Diese Technologien finden auch in der Politik zunehmend Zuspruch. Unter dem Stichwort Nudging versucht man, Bürger im großen Maßstab zu gesünderem oder umweltfreundlicherem Verhalten "anzustupsen" – eine moderne Form des Paternalismus. Der neue, umsorgende Staat interessiert sich nicht nur dafür, was wir tun, sondern möchte auch sicherstellen, dass wir das Richtige tun. Das Zauberwort ist "Big Nudging", die Kombination von Big Data und Nudging. Es erscheint manchem wie ein digitales Zepter, mit dem man effizient durchregieren kann, ohne die Bürger in demokratische Verfahren einbeziehen zu müssen. Lassen sich auf diese Weise Partikularinteressen überwinden und der Lauf der Welt optimieren? Wenn ja, dann könnte man regieren wie ein weiser König, der mit einer Art digitalem Zauberstab die gewünschten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ergebnisse quasi herbeizaubert.
Doch ein Blick in die relevante wissenschaftliche Literatur zeigt, dass eine gezielte Kontrolle von Meinungen im Sinne ihrer "Optimierung" an der Komplexität des Problems scheitert. Die Meinungsbildungsdynamik ist voll von Überraschungen. Niemand weiß, wie der digitale Zauberstab, sprich die manipulative Nudging-Technik, richtig zu verwenden ist. Was richtig und was falsch ist, stellt sich oft erst hinterher heraus. So wollte man während der Schweinegrippeepidemie 2009 jeden zur Impfung bewegen. Inzwischen ist aber bekannt, dass ein bestimmter Prozentsatz der Geimpften von einer ungewöhnlichen Krankheit, der Narkolepsie, befallen wurde. Glücklicherweise haben sich nicht mehr Menschen impfen lassen!
Ebenso mag der Vorstoß, Krankenversicherte mit Fitnessarmbänder zu verstärkter Bewegung anregen zu wollen, die Anzahl der Herz-Kreislauf-Erkrankungen reduzieren. Dafür könnte es dann aber mehr Hüftoperationen geben. In einem komplexen System wie der menschlichen Gesellschaft hat das Drehen an einem Schräubchen oft tausende, unvorhersehbare Folgen. Eine Verbesserung in einem Bereich kann ungewollt zu einer überproportionalen Verschlechterung in einem anderen führen. So können sich großflächige Eingriffe und bedingungslose Digitalisierungsgläubigkeit leicht als schwer wiegende Fehler erweisen.
Unabhängig davon würde Big Nudging – wie jede mächtige Technologie – auch irgendwann missbraucht werden. Kriminelle, Terroristen und Extremisten würden sich den Zauberstaub irgendwann unter die Kontrolle bringen – möglicherweise sogar ohne dass es uns auffällt. Denn: Fast alle Unternehmen und Einrichtungen wurden schon gehackt, selbst Pentagon, Weißes Haus und Bundestag.
Hinzu kommt ein weiteres Problem, wenn ausreichende Transparenz und demokratische Kontrolle fehlen: die Aushöhlung des Systems von innen. Denn Suchalgorithmen und Empfehlungssysteme lassen sich beeinflussen. Unternehmen können bestimmte Wortkombinationen ersteigern, die in den Ergebnislisten bevorzugt angezeigt werden. Regierungen haben wahrscheinlich Zugriff auf eigene Steuerungsparameter. Bei Wahlen wäre es daher im Prinzip möglich, sich durch Nudging Stimmen von Unentschlossenen zu sichern (siehe den Artikel: Psychometrik) – eine nur schwer nachweisbare Manipulation. Wer auch immer diese Technologie kontrolliert, kann also Wahlen für sich entscheiden, sich sozusagen an die Macht „nudgen“.
Innerhalb weniger Jahre hat die rasante Vernetzung der Welt die Komplexität unserer Gesellschaft explosionsartig erhöht. Dies ermöglicht zwar jetzt, auf Grund von "Big Data" bessere Entscheidungen zu treffen, aber das althergebrachte Prinzip der Kontrolle von oben funktioniert immer weniger. Verteilte Steuerungsansätze werden immer wichtiger. Nur mittels kollektiver Intelligenz lassen sich noch angemessene Problemlösungen finden.
Verschärft wird dieses Problem durch die Tatsache, dass in Europa eine einzige Suchmaschine einen Marktanteil von rund 90 Prozent besitzt (Google). Sie könnte die Öffentlichkeit maßgeblich beeinflussen, womit Europa vom Silicon Valley aus quasi ferngesteuert würde. Auch wenn das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 6. Oktober 2015 nun den ungezügelten Export europäischer Daten einschränkt, ist das zu Grunde liegende Problem noch keineswegs gelöst, sondern erst einmal nur geografisch verschoben.
Mit welchen unerwünschten Nebenwirkungen ist zu rechnen? Damit Manipulation nicht auffällt, braucht es einen so genannten Resonanzeffekt, also Vorschläge, die ausreichend kompatibel zum jeweiligen Individuum sind. Damit werden lokale Trends durch Wiederholung allmählich verstärkt, bis hin zum "Echokammereffekt": Am Ende bekommt man nur noch seine eigenen Meinungen widergespiegelt. Das bewirkt eine gesellschaftliche Polarisierung, also die Entstehung separater Gruppen, die sich gegenseitig nicht mehr verstehen und vermehrt miteinander in Konflikt geraten. So kann personalisierte Information den gesellschaftlichen Zusammenhalt unabsichtlich zerstören. Das lässt sich derzeit etwa in der amerikanischen Politik beobachten, wo Demokraten und Republikaner zusehends auseinanderdriften, so dass politische Kompromisse kaum noch möglich sind. Die Folge ist eine Fragmentierung, vielleicht sogar eine Zersetzung der Gesellschaft.
Einen Meinungsumschwung auf gesamtgesellschaftlicher Ebene kann man wegen des Resonanzeffekts nur langsam und allmählich erzeugen. Die Auswirkungen treten mit zeitlicher Verzögerung ein, lassen sich dann aber auch nicht mehr einfach rückgängig machen. So können zum Beispiel Ressentiments gegen Minderheiten oder Migranten leicht außer Kontrolle geraten; zu viel Nationalgefühl kann Diskriminierung, Extremismus und Konflikte verursachen. Noch schwerer wiegt der Umstand, dass manipulative Methoden die Art und Weise verändern, wie wir unsere Entscheidungen treffen. Sie setzen nämlich die sonst bedeutsamen kulturellen und sozialen Signale außer Kraft – zumindest vorübergehend. Zusammengefasst könnte der großflächige Einsatz manipulativer Methoden also schwer wiegende gesellschaftliche Schäden verursachen, einschließlich der ohnehin schon verbreiteten Verrohung der Verhaltensweisen in der digitalen Welt. Wer soll dafür die Verantwortung tragen?
Hier werden rechtliche Fragen aufgeworfen, die man angesichts der Milliardenklage gegen Tabakkonzerne, Banken, IT- und Automobilunternehmen in den vergangenen Jahren nicht vernachlässigen sollte. Welche Gesetze werden von manipulativen Technologien tangiert? Zunächst muss klar sein, dass solche Instrumentarien unsere Entscheidungsfreiheit einschränken, würden sie perfekt funktionieren, wären wir digitale Sklaven, die dann nur noch fremde Entscheidungen ausführen. Natürlich funktionieren manipulative Techniken bisher nur zum Teil. Aber dieser Teil, respektive, unsere Freiheit, verschwindet langsam, aber sicher – langsam genug, dass der Widerstand der Bürger bisher noch gering ist.
Der Philosoph und Aufklärer Immanuel Kant stellte bereits fest, dass ein Staat, der das Glück seiner Bürger zu bestimmen versucht, despotisch ist. Nur wer die Kontrolle über sein Leben hat kann das Recht auf individuelle Selbstentfaltung wahrnehmen. Dies setzt jedoch informationelle Selbstbestimmung voraus. Es geht hier um nicht weniger als unsere wichtigsten verfassungsmäßig garantierten Rechte. Ohne deren Einhaltung kann eine Demokratie nicht funktionieren. Ihre Einschränkung unterminiert unsere Verfassung, unsere Gesellschaft und den Staat.
Weitere Gesetze werden berührt, weil Technologien wie Big Nudging offensichtlich ähnlich wie personalisierte Werbung funktionieren. Werbung muss als solche gekennzeichnet werden und sie darf nicht irreführend sein. Auch sind nicht alle psychologischen Tricks wie etwa unterschwellige Reize erlaubt. So ist es untersagt, ein Erfrischungsgetränk im Kinofilm für eine Zehntelsekunde einzublenden, weil die Werbung dann nicht bewusst wahrnehmbar ist, während sie unterbewusst vielleicht eine Wirkung entfaltet. Das heute gängige Sammeln und Verwerten persönlicher Daten lässt sich zudem nicht mit dem geltendem Datenschutzrecht in europäischen Ländern vereinen.
Auch die Rechtmäßigkeit personalisierter Preise steht in Frage, denn es könnte sich dabei um einen Missbrauch von Insiderinformationen handeln. Hinzu kommen mögliche Verstöße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, das Diskriminierungsverbot und das Wettbewerbsrecht, da freier Marktzugang und Preistransparenz nicht mehr gewährleistet sind. Die Situation ist vergleichbar mit Unternehmen, die ihre Produkte in anderen Ländern billiger verkaufen, jedoch den Erwerb über diese Länder zu verhindern versuchen. In solchen Fällen gab es bisher empfindliche Strafzahlungen – wann wird Amazon für all das belangt?
Wohlgemerkt: Personalisierte Werbung ist nicht mit klassischer Werbung oder Rabattmarken vergleichbar, denn diese sind unspezifisch und dringen auch bei Weitem nicht so sehr in unsere Privatsphäre ein, um unsere psychologischen Schwächen auszunutzen und unsere kritische Urteilskraft auszuschalten. Außerdem gelten in der akademischen Welt selbst harmlose Entscheidungsexperimente als Versuche am Menschen und bedürfen der Beurteilung durch eine Ethikkommission, die der Öffentlichkeit Rechenschaft schuldet. Die betroffenen Personen müssen in jedem einzelnen Fall ihre informierte Zustimmung geben. Absolut unzureichend ist dagegen ein Klick zur Bestätigung, dass man einer 100-seitigen Nutzungsbedingung pauschal zustimmt, wie es bei vielen Informationsplattformen heutzutage der Fall ist.
Allem zu Trotz experimentieren manipulative Technologien wie Nudging mit Millionen von Menschen, ohne sie darüber in Kenntnis zu setzen, ohne Transparenz und ohne ethische Schranken. Selbst große soziale Netzwerke wie Facebook oder Onlinedating-Plattformen wie OK Cupid haben sich bereits öffentlich zu solchen sozialen Experimenten bekannt. Wenn man unverantwortliche Forschung an Mensch und Gesellschaft vermeiden möchte (man denke etwa an die Beteiligung von Psychologen an den Folterskandalen der jüngsten Vergangenheit), dann benötigen wir dringend hohe Standards, insbesondere wissenschaftliche Qualitätskriterien und einen ethischen Kodex analog zum hippokratischen Eid.
Nehmen wir an, es gäbe eine superintelligente Maschine, die quasi gottgleiches Wissen und übermenschliche Fähigkeiten hätte – würden wir ihren Anweisungen dann folgen? Das erscheint durchaus möglich, schließlich sind ihre Anweisungen viel kompetenter und weitsichtiger als menschliche. Ein Unternehmen, das dieser Maschine nicht Folge leistet, wäre also eventuell im Wettbewerbsnachteil. Aber dann hätten sich die Befürchtungen von Elon Musk, Bill Gates, Steve Wozniak, Stephen Hawking und anderen bewahrheitet: Computer hätten die Weltherrschaft übernommen. Es muss uns klar sein, dass auch eine Superintelligenz irren, lügen, egoistische Interessen verfolgen oder vielleicht auch selbst manipuliert werden kann.
Realiter das Denken aller Bürger durch einen Computercluster zu ersetzen, wäre absurd, denn das würde die Qualität der erreichbaren Lösungen dramatisch verschlechtern (Stichwort: Kollektive Intelligenz). Schon jetzt ist klar, dass sich die Probleme in der Welt trotz Datenflut und Verwendung personalisierter Informationssysteme nicht verringert haben – im Gegenteil! Der Weltfrieden ist brüchig. Die langfristige Veränderung des Klimas könnte zum größten Verlust von Arten seit dem Aussterben der Dinosaurier führen. Die Auswirkungen der Finanzkrise auf Wirtschaft und Gesellschaft sind sieben Jahre nach ihrem Beginn noch lange nicht bewältigt. Cyberkriminalität richtet einen jährlichen Schaden von drei Billionen Dollar an. Staaten und Terroristen rüsten zum Cyberkrieg. Etc.
In einer sich schnell verändernden Welt kann auch eine Superintelligenz nie perfekt entscheiden – die Datenmengen wachsen schneller als die Prozessierbarkeit, und die Übertragungsraten sind begrenzt. So werden lokales Wissen und Fakten außer Acht gelassen, die jedoch von Bedeutung sind, um gute Lösungen zu erzielen. Verteilte, lokale Steuerungsverfahren sind zentralen Ansätzen oft überlegen, vor allem in komplexen Systemen, deren Verhalten stark variabel, kaum voraussagbar und nicht in Echtzeit optimierbar ist. Das gilt schon für die Ampelsteuerung in Städten, aber noch viel mehr für die sozialen und ökonomischen Systeme unserer stark vernetzten, globalisierten Welt.
Weiterhin besteht die Gefahr, dass die Manipulation von Entscheidungen durch mächtige Algorithmen die Grundvoraussetzung der "kollektiven Intelligenz" untergräbt, die sich an die Herausforderungen unserer komplexen Welt flexibel anpassen kann. Damit kollektive Intelligenz funktioniert, müssen Informationssuche und Entscheidungsfindung der Einzelnen unabhängig erfolgen. Wenn unsere Urteile und Entscheidungen jedoch durch Algorithmen vorgeben werden, führt das im wahrsten Sinne des Wortes zur Volksverdummung. Vernunftbegabte Wesen werden zu Befehlsempfängern degradiert, die reflexhaft auf Stimuli reagieren. Das reduziert die Kreativität, weil man weniger "out of the box" denkt.
Man kann es auch so sagen: Personalisierte Information schafft um uns eine "Filter Bubble", eine Art digitales Gedankengefängnis. In letzter Konsequenz würde eine zentrale, technokratische Verhaltens- und Gesellschaftssteuerung durch ein superintelligentes Informationssystem eine neue Form der Diktatur bedeuten. Die von oben gesteuerte Gesellschaft, die unter dem Banner des "sanften Paternalismus" daherkommt, ist daher im Prinzip nichts anderes als ein totalitäres Regime mit rosarotem Anstrich.
Tatsächlich mündet „Big Nudging“ in der Gleichschaltung vieler individueller Handlungen und in der Manipulation von Sichtweisen und Entscheidungen. Es steht somit einer gezielten, staatlichen Entmündigung des Bürgers durch geplante Verhaltenssteuerung nahe. Es ist zu befürchten, dass die Auswirkungen langfristig fatal sein werden, insbesondere wenn man die oben erwähnte, z.T. kulturzerstörende Wirkung bedenkt.
Wir stehen am Scheideweg: Würden die immer mächtiger werdenden Algorithmen unsere Selbstbestimmung einschränken und von wenigen Entscheidungsträgern kontrolliert, würden wir in eine Art Feudalismus 2.0 zurückfallen, da wichtige gesellschaftliche Errungenschaften verloren gingen. Aber wir haben jetzt die Chance, mit den richtigen Weichenstellungen den Weg zu einer Demokratie 2.0 einzuschlagen, von der wir alle profitieren werden.
Moderne Demokratien tun trotz des harten globalen Wettbewerbs und der Verlockung des Big Nudging gut daran, ihre in Jahrhunderten erarbeiteten Errungenschaften nicht über Bord zu werfen. Gegenüber anderen politischen Regimes haben die westlichen Demokratien den Vorteil, dass sie mit Pluralismus und Diversität bereits umzugehen gelernt haben. Jetzt müssen sie nur noch stärker davon profitieren lernen.
In Zukunft werden jene Länder führend sein, die eine gute Balance von Wirtschaft, Staat und Bürgern erreichen. Dies erfordert vernetztes Denken und den Aufbau eines Informations-, Innovations-, Produkte- und Service-"Ökosystems". Hierfür ist es nicht nur wichtig, Partizipationsmöglichkeiten zu schaffen, sondern auch Vielfalt zu fördern. Denn es gibt keine Methode, um zu ermitteln, was die beste Zielfunktion ist: Soll man das Bruttosozialprodukt optimieren oder Nachhaltigkeit? Macht oder Frieden? Lebensdauer oder Zufriedenheit? Oft weiß man erst hinterher, was vorteilhaft gewesen wäre. Indem sie verschiedene Ziele zulässt, ist eine pluralistische Gesellschaft besser in der Lage, mit verschiedenen Vorstellungen und Herausforderungen zurechtzukommen.
Zentralisierte Top-down-Kontrolle ist eine Lösung der Vergangenheit, die sich nur für Systeme geringer Komplexität eignet. Deshalb sind föderale Systeme und Mehrheitsentscheidungen die Lösungen der Gegenwart. Mit der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung nimmt die gesellschaftliche Komplexität jedoch weiter zu. Die Lösung der Zukunft lautet daher kollektive Intelligenz: Citizen Science, Crowd Sourcing und Online-Diskussionsplattformen sind daher eminent wichtige neue Ansätze, um mehr Wissen, Ideen und Ressourcen nutzbar zu machen und so der anwachsenden Komplexität begegnen zu können.
Kollektive Intelligenz benötigt einen hohen Grad an Diversität. Diese wird jedoch durch heutige personalisierte Informationssysteme zu Gunsten der Verstärkung von Trends reduziert. Soziodiversität ist genauso wichtig wie Biodiversität. Auf ihr beruhen nicht nur kollektive Intelligenz und Innovation, sondern auch gesellschaftliche Resilienz – also die Fähigkeit, mit unerwarteten Schocks zurechtzukommen. Die Verringerung der Soziodiversität reduziert oft auch die Funktions- und Leistungsfähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft. Dies ist der Grund, warum totalitäre Regimes oft in Konflikte mit ihren Nachbarn geraten. Typische Langzeitfolgen sind politische Instabilitäten und Kriege, wie sie in unserer Geschichte immer wieder auftraten. Pluralität und Partizipation sind also nicht in erster Linie als Zugeständnisse an die Bürger zu sehen, sondern als maßgebliche Funktionsvoraussetzungen leistungsfähiger, komplexer, moderner Gesellschaften.
Stand: 2017
ghovjnjv (Donnerstag, 08 September 2022 10:52)
1
ubaTaeCJ (Donnerstag, 12 August 2021 10:40)
1
Rainer Kirmse , Altenburg (Dienstag, 18 Mai 2021 11:55)
HOMO DIGITALIS
Vom tiefen Westen zum fernen Osten,
Ein endloses Mailen und Posten.
Das Handy ist Körperteil geworden,
Gehegt und gepflegt allerorten.
Wir legen es kaum noch aus der Hand,
Eine Manie überzieht das Land.
Man geht gebeugt mit gesenktem Blick,
Schaut nicht nach vorn und nicht zurück.
Nachrichten checken, Tweets abschicken,
Mit Selfies die Freunde beglücken;
Man ist ständig beim Interagieren,
Google und Facebook triumphieren.
Man kann auf mancherlei verzichten,
Aufs digitale Glied mitnichten.
Das Smartphone demonstriert seine Macht,
Wir sind im Netz gefangen Tag und Nacht.
Rainer Kirmse , Altenburg
Herzliche Grüße aus der Skatstadt
Wissenswert (Sonntag, 17 Dezember 2017 04:07)
zu den populärsten Denkfehlern gehört der folgende: „the amount of data we produce doubles every year“, daher: „in 2016 we produced as much data as in entire history of mankind through 2015“, also verdoppelt sich das menschliche Wissen jedes Jahr, Ende nicht abzusehen, uns sollte vor lauter menschlicher Selbstbewunderung schwindlig werden.
Und:„everything will become intelligent, soon we will have not only smart phones, but also smart homes, smart factories and smart cities“ (Zitate aus Scientific American (2/2017: Will Democracy Survive Big Data...) und alle wollen sich in Cyborgs verwandeln und mit smarten software Systemen interagieren, statt mit beschränkten Mitmenschen.
Da hilft nur Nestroy: „Überhaupt hat es der Fortschritt an sich, dass er größer ausschaut als er ist“
Man ziehe von der aktuellen Datenproduktion alles ab, was zur Digitalisierung längst vorhandenen Wissens gehört (Bücher, Museums-Bestände etc), weiterhin alles, was für die Erweiterung menschlichen Wissens irrelevant ist (KatzenVideos, Selfies, Hollywoodfilme, Video-Spiele, etc), zudem die für Werbezwecke erfolgende Big Data Sammelwut von Facebook, Google & Co, aber auch alle Kommentare zu Kommentaren zu Kommentaren zu ..., deren Bedeutung sich auf den Tag ihres Erscheinens und auf diejenigen die sie lesen einschränken lässt (wie dieser hier), dann bleibt noch viel übrig, wichtige neue empirische Befunde, interessante wissenschaftliche Artikel, bedeutende neue Literatur, Musik, Kunst, Philosophie etc., aber der Mensch - mit Nestroy im Sinn - wird dann doch wieder bescheidener.
Die Vervielfältigung und digitale Dokumentation des Irrelevanten darf man nicht mit einer Explosion des Wissens und der Weisheit verwechseln. Die Digitalisierungs-Hysteriker sollten sich wieder beruhigen.
WissensWert (Donnerstag, 12 Oktober 2017 03:32)
https://www.facebook.com/michael.molli/posts/10155756695210960