Achtsamkeit

Achtsamkeit bezeichnet den klaren Bewusstseinszustand einer 
wertfreien und
bewussten Erfahrung von gegenwärtigen Phänomenen
.

Die gewaltige Wirksamkeit regelmäßiger Achtsamkeitspraxis (bspw. durch Meditationsübungen) ist keine esoterische Irrlehre sondern bereits durch zahlreiche Studien empirisch belegt wurden. Nach diesen Studien fördert Achtsamkeit nicht nur unsere Aufmerksamkeit, sie kann uns auch helfen Stress und Depressionen zu bewältigen und dabei mehr Akzeptanz, Selbstverständnis, Selbstbestimmtheit, Empathie, Geduld, Orientierung, Erfolg und Lebensfreude zu gewinnen.

Buddhistischer Mönch beim Meditieren, Bildquelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/9a/Phra_Ajan_Jerapunyo-Abbot_of_Watkungtaphao.jpg
Buddhistischer Mönch beim Meditieren, Bildquelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/9a/Phra_Ajan_Jerapunyo-Abbot_of_Watkungtaphao.jpg

1. Vorwort

Wissen Sie noch, wie ihr Kaffee heute Morgen geschmeckt hat? Oder waren Sie in Gedanken schon bei der Arbeit und bei all den Dingen, die Sie im Laufe des Tages erledigen wollen? Vielleicht haben Sie auch an den Streit gedacht, der gestern zwischen Ihnen und Ihrer Frau ausgebrochen ist. Wir alle kennen solche unachtsamen Situationen: Am Ende der Zeitungsseite stellen wir fest, dass kein Wort des Gelesenen wirklich bei uns angekommen ist und wir mit Gedanken eigentlich wo ganz anders waren. Und beim Einparken vor dem Bürogebäude bemerken wir, dass wir den Weg zur Arbeit gar nicht bewusst wahrgenommen haben. Oder wir ertappen uns beim Gespräch mit dem Nachbarn, dass wir ihm gar nicht richtig zugehört haben.

 

In unserer hektischen Zeit gehen uns achtsame Erlebnisse häufig verloren. Statt im Hier und Jetzt zu leben sind wir in Gedanken in der Vergangenheit, in der wir so vieles gerne anders gemacht hätten, oder in der Zukunft, in der wir so vieles anders machen wollen. Selten aber lassen wir die Gegenwart einfach mal passieren und beobachten sie nur. Die gute Nachricht: Die Fähigkeit zur bewussten Erfahrung des Augenblicks kann erlernt werden.

 

Fast die Hälfte unserer wachen Zeit, so sagt es die Studienlage, schweifen wir mit unseren Gedanken ungewollt ab. Und das schlägt sich nicht selten auch auf unsere Psyche nieder: Reue, Sorgen, Sehnsüchte, Versagens- und Zukunftsängste sind alles Bewusstseinszustände, die in uns durch die Fokussierung der Vergangenheit oder der Zukunft entstehen (etwa im Gegensatz zum physischen Schmerz, dessen Ursache oft in der Gegenwart liegt). Zudem mindert eine sprunghafte Aufmerksamkeit auch unser Leistungsvermögen. Wenn schnelles und entschiedenes Handeln gefragt ist, kann sie sogar gefährlich werden.

 

Ein probates Mittel gegen all diese negativen Erscheinungen: Achtsamkeit. Das bedeutet, den Moment oder einen ganz bestimmten Teil des Momentes zu erleben, ohne ihn mit einer Wertung zu versehen oder mit den Gedanken abzuschweifen. Verschiedene Formen von Achtsamkeitsmeditation gelten in fernöstlichen Kultu­ren schon seit langer Zeit als ein Weg, menschliches Leid zu überwinden. Ein gan­zes Arsenal von Übungen soll die Aufmerk­samkeit stärker auf konkrete Wahrneh­mungen des Hier und Jetzt lenken und so zu mehr Klarsicht und Ruhe verhelfen.

2. achtsamkeitsbasierte Stressreduktion

Mediziner und Psychologen entdeckten die Achtsamkeit als Form therapeutisches Mittel erst in den späten 1970er Jahren. Der Biologe Jan Kabat-Zinn entwickelte damals ein heute weit verbreitetes Behandlungsprogramm namens "achtsamkeitsbasierte Stressreduktion" (kurz: MBSR, von mindfulness-based stress reduction). In einem achtwöchigem Training werden hier schwerpunktmäßig zwei zentrale Aspekte der Achtsamkeit gefördert: (1) Die Fähigkeit, unsere Aufmerksamkeit willentlich auf einen Punkt zu richten, indem wir Ablenkungen ausblenden, sowie (2) die sogenannte Meta-Achtsamkeit, bei der man sich den eigenen momentanen Bewusstseinsinhalten gewahr wird. Das Zusammenspiel von Fokussierung auf der einen und Gewahrsein auf der anderen Seite soll verhindern, dass unser Geist ständig umherwandert und sich unserer Kontrolle entzieht.

 

Eine mögliche Anleitung zur MBSR: Nehmen Sie eine aufrechte, stabile Sitzhaltung ein und legen Sie die Hände locker auf die Oberschenkel. Schließen Sie dann Ihre Augen. Konzentrieren Sie sich auf Ihren Atem und folgen Sie gedanklich seinem Weg durch den Körper. Spüren Sie, wie sich Ihre Brust hebt und senkt, wenn Luft durch Nase oder Mund ein- und ausströmt. Wählen Sie eine Stelle Ihres Körpers aus, durch die Ihr Atem fließt, und richten Sie all Ihre Aufmerksamkeit darauf. Wenn Sie merken, dass Ihre Gedanken abschweifen – und das werden sie zwangsläufig tun –, lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit wieder zu Ihrer Atmung zurück. Nach fünf bis zehn Minuten wechseln Sie vom Fokussieren zum Beobachten. Stellen Sie sich Ihren Geist als einen weiten, offenen Himmel vor und Ihre Gedanken, Gefühle und Empfindungen als vorüberziehende Wolken. Spüren Sie, wie sich Ihr Körper mit der Atmung bewegt. Nehmen Sie Ihre Empfindungen wahr und achten Sie auf die wechselnde Beschaffenheit von Geräuschen, Gerüchen, dem Luftzug im Raum. Nach etwa fünf Minuten öffnen Sie die Augen wieder.

3. Studien zur Achtsamkeit

Zahlreiche Studien aus den letzten zehn Jahren belegen, dass sich mit MBSR und vergleichbaren Techniken verschiedene Krankheitsbilder wie Depressionen, Angstzustände und chronische Schmerzen erfolgreich behandeln lassen. Im Jahr 2011 konnten die Psychologen Esben Hougaard und Jacob Piet von der Universität Aarhus in ingesamt 6 Studien mit 593 depressiven Patienten zeigen, dass eine achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie ihr Rückfallrisiko verringern konnte. Diese spezielle Methode, entwickelt von einem Team der kanadischen University of Toron­to um den Psychologen Zindel Segal, folgt dem Modell der achtsamkeitsbasierten Stressreduktion. Vor allem negative Gedan­ken, die eine depressive Episode auslösen können, sollen dabei als flüchtig erkannt werden – was es den Betroffenen deutlich erleichtert, sich davon zu distanzieren.

Probanden bemerken nach einer solchen Therapie häufig, wie wechselhaft ihr Gefühlsleben eigentlich war, und die bislang domierenden negativen Gedanken verloren allmählich ihre Kraft. Piet und Hougaard zufolge zeigten Patienten, die vorher mindestens drei schwere de­pressive Episoden durchlaufen hatten, dank des Achtsamkeitstrainings eine deut­lich geringere Rückfallquote als diejenigen, die mit herkömmlichen Therapiemetho­den oder einem Placebo behandelt worden waren.

 

Aufmerksamkeitstherapien können auch bei andere psychischen Leiden wie Panikattacken und Phobien helfen. Nicht selten lindern sie sogar körperliche Beschwerden – vor allem chronische Schmerzen. Weil das Training den psychischen Stress vermindert, kann es den emotionalen An­teil der Pein reduzieren, welcher oftmals die größte Belastung darstellt.  So kam die MBSR anfangs vor allem bei der Behandlung chronischer Schmerzen zum Einsatz. 1985 nahmen Kabat-Zinn und sein Team 90 Patienten mit diesem Leiden in ihr Achtwochenprogramm auf und ma­ßen die Schmerzintensität, Stimmungs­werte sowie Ängste vor und nach der Teil­nahme. Die Forscher stellten eine deutli­che Abnahme der negativen Symptome fest. Bei den 21 Vergleichspatienten, die mit traditionellen Methoden wie Krankengym­nastik und Antidepressiva behandelt wor­den waren, stellte sich hingegen keine Lin­derung ein. Überraschenderweise hielt der Effekt der Achtsamkeitsübungen bis zu 15 Monate an; viele Patienten führten diese auch auf eigene Faust fort.

 

Neuere Untersuchungen deuten darauf hin, dass Achtsamkeitstraining ebenfalls Lehrern oder Medizinern mit berufsbedingtem Burnout helfen kann. Die Übun­gen verringern zwar nicht die Zahl der Stressfak­toren, sie ermöglichen es den Betroffenen aber, diese anders wahrzunehmen und etwa die Freude im Umgang mit Schülern oder Patienten wieder aufleben zu lassen.

 

Lassen sich vielleicht sogar die Folgen altersbedingter Einsamkeit mit Hilfe von Achtsamkeitsmeditation lindern? Psychologen um David Creswell von der Carnegie Mellon University nahmen 20 Frauen und Männer im Alter von 55 bis 85 Jahren in einen MBSR-Kurs mit, während 20 weitere Altersgenossen kein entsprechendes Training erfuhren. Wie Creswells Team herausfand, konnte die subjektiv empfundene Alterseinsamkeit tatsächlich durch MBSR-Behandlung gelindert werden. Das Gefühl der Einsamkeit hängt nicht unmittelbar mit der Menge der eigenen sozialen Kontakte ab. Programme etwa, die das soziale Engangement von Senioren fördern, mildern nicht zwangsläufig deren Eindruck, alleine und isoliert zu sein. Achtsamkeitsübungen wiederum kann dem Alleinsein das Bedrohliche nehmen.

 

Creswell konnte in seiner Studie sogar herausfinden, dass regelmäßige MBSR-Praxis das Immunsystem der Probanden verändert. So konnte bei den MBSR-praktizierenden Senioren eine reduzierte Menge entzündungsfördernder Proteine im Blut festgestellt werden, was darauf hindeutet, dass Achtsamkeitsübungen sogar das Risiko für entzündliche Erkrankungen wie Lupus der rheumatische Arthritis senken könnte. Weitere Studien besagen, dass Achtsamkeitsmeditation auch weitere körperliche Beschwerden wie Schuppenflechte, Neurodermitis, Fibromyalgie oder Reizdarmsyndrom lindern kann.

 

Möglicherweise kann sie sogar die Lebenserwartung eines Menschen erhöhen. Die Psychologin Elissa Epel fand mitsamt ihren Kollegen heraus, dass Menschen, die stärker dazu neigen abzuschweifen, kürzere Chromosomenenden (Telomere)  aufweisen als jene, die fester in der Gegenwart verwurzelt sind. Zellen mit kürzeren Telomeren sind weniger teilungsfähig, was ihre und die Lebensdauer des Menschen entscheidend vermindert. Epel und Kollegen konstatieren, dass: „eine gegenwartsorientierte Geisteshaltung möglicherweise ein gesundes biochemisches Milieu unterstützt, das die Zellen länger leben lässt“.

4. verbessertes Körperbewusstsein

An der Harvard University konnte Versuche Catherin Kerr mit weiteren Forschern zeigen,  dass Aufmerksamkeitspraxis auch unser eigenes Körperbewusstsein schärft. Vielleicht ist dies der Grund, weshalb MBSR den psychologischen Anteil an chronischem Schmerz verringert. Lernt ein Patient nämlich seine Aufmerksamkeit auf bestimmte Körperregionen zu lenken, so kann er Schwankungen seines Empfindens leichter wahrnehmen und die Vorstellung vom Schmerz als monolithisches Ganzes zerfällt irgendwann. Dadurch könnte er schließlich als weniger belastend erscheinen. Ähnliche Mechanismen spielen bei psychi­schen und sozialen Stressfaktoren vermut­lich ebenfalls eine Rolle. Hier kann die Fo­kussierung auf den Moment dazu führen, dass Anflüge von Traurigkeit oder Einsam­keit nicht so aufs Gemüt drücken.

 

Es spricht einiges dafür, dass Aufmerksamkeitstraining nicht nur über veränderte Aufmerksamkeit wirkt. Offenbar beeinflussen die Übungen noch ganz andere Netzwerke im Gehirn. So deuten einige Beispiele darauf hin, dass Achtsamkeit die geistige Perspektive auf das eigene Ich verschiebt, so dass man seine Gedanken, Gefühle und Empfindungen wie von außen zu beobachten scheint. Wie auch immer die genauen Mechanis­men aussehen mögen: Wem es gelingt, Achtsamkeitsübungen regelmäßig in sei­nen Alltag einzubinden, kann davon ähn­lich profitieren wie z.B. von körperlicher Bewe­gung. Als Mittel gegen Ablenkbarkeit, schlechte Stimmung und Stress können die gedanklichen Workouts jedermann zu einem gesünderen und erfüllteren Leben verhelfen.

Verweise

Stand: 2016

Kommentare: 2
  • #2

    WissensWert (Donnerstag, 13 Oktober 2016 01:32)

    lesenswert: http://kwakuananse.de/http:/kwakuananse.de/archives/achtsamkeit/

  • #1

    WissensWert (Mittwoch, 12 Oktober 2016 00:04)

    https://dfme-achtsamkeit.de/was-ist-achtsamkeit-wirkung/


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