Die "Abbildtheorie der Bedeutung" wurde vom frühen Ludwig Wittgenstein in seinem ersten Hauptwerk Tractatus logico-philosophicus entwickelt. Sie besagt:
Ø Die Intension eines Namens ni ist der zugeordnete Gegenstand gi.
Ø Die Intension (Bedeutung) eines Elementarsatzes ist der mögliche Sachverhalt, der darin besteht, daß sich die Gegenstände g1, ..., gn in derselben Art und Weise Φ zueinander verhalten wie die Namen, durch die sie im Satz vertreten werden.
Die Eckpfeiler der Ontologie des Tractatus bilden diese beiden Grundbegriffe:
Gegenstände bilden die Substanz der Welt; aber sie machen, auch in ihrer Gesamtheit, die Welt nicht aus. Diese ist vielmehr die Menge aller Sachverhalte, das heißt die Menge der Verbindungen von Gegenständen. Denn:
2.01 Der Sachverhalt ist eine Verbindung von Gegenständen.
Es gibt also Gegenstände, und diese sind in (atomaren) Sachverhalten miteinander verbunden. Die Gesamtheit dieser Verbindungen ist die Welt:
2.04 Die Gesamtheit der bestehenden Sachverhalte ist die Welt.
Statt von Verbindungen von Gegenständen spricht Wittgenstein auch von Konfigurationen bzw. Verkettungen oder er sagt, daß sich die Gegenstände in Sachverhalten in bestimmter Art und Weise zueinander verhalten bzw. in bestimmter Art und Weise zusammenhängen.
Sachverhalte haben eine Struktur oder Form:
2.032 Die Art und Weise, wie die Gegenstände im Sachverhalt zusammenhängen, ist die Struktur des Sachverhaltes.
2.033 Die Form ist die Möglichkeit der Struktur.
Aber nicht jeder Gegenstand kann mit jedem anderen in einem Sachverhalt verbunden sein. Es sind nur bestimmte Verbindungen möglich. Welche, das ergibt sich aus der logischen Form oder dem logischen Typ der Gegenstände. Denn die logische Form eines Gegenstandes ist nichts anderes als die Gesamtheit der möglichen Vorkommnisse dieses Gegenstandes in Sachverhalten.
2.0141 Die Möglichkeit seines Vorkommens in Sachverhalten ist die Form des Gegenstandes.
Wenn wir die Form aller Gegenstände kennen, kennen wir deshalb auch schon alle möglichen Sachverhalte.
2.0124 Sind alle Gegenstände gegeben, so sind damit auch alle möglichen Sachverhalte gegeben.
Die Struktur eines Sachverhalts wird wesentlich durch die Formen der Gegenstände bestimmt, die in ihm verbunden sind. Ob sie durch diese Formen auch schon eindeutig determiniert ist, ist umstritten. Damit ist zur Ontologie des Tractatus eigentlich alles Wesentliche gesagt. Kommen wir also zur Bildtheorie.
Bilder – und letztlich haben nach Wittgenstein alle Repräsentationen, die wir uns von der Welt machen können, in diesem Sinne bildhaften Charakter – sind ihrem Wesen nach Modelle der Wirklichkeit. Als Modelle müssen sie dieselbe Struktur haben wie die möglichen Sachverhalte, die sie abbilden. Damit B das Bild eines (möglichen) Sachverhalts S sein kann, muß daher folgendes der Fall sein:
(1) B muß eine Reihe von Elementen enthalten, die den einzelnen Gegenständen von S entsprechen. (2.13f.)
(2) Die Elemente von B müssen genauso miteinander verbunden sein wie die Gegenstände in S.
Denn:
2.14 Das Bild besteht darin, daß sich seine Elemente in bestimmter Art und Weise zu einander verhalten.
Und:
2.15 Daß sich die Elemente des Bildes in bestimmter Art und Weise zu einander verhalten, stellt vor, daß sich die Sachen so zu einander verhalten.
Im Bild und im abgebildeten Sachverhalt muß also etwas identisch sein (2.161).
2.17 Was das Bild mit der Wirklichkeit gemein haben muß, um sie auf seine Art und Weise – richtig oder falsch – abbilden zu können, ist seine Form der Abbildung.
Und diese Form der Abbildung ist nichts anderes als die Möglichkeit, daß sich die Bildelemente so zueinanderverhalten, wie sie es tun (2.15b), bzw. daß sich die Dinge in S so zueinander verhalten wie die Bildelemente in B (2.151). Hieraus ergeben sich zwei wesentliche Konsequenzen:
(3) Bilder müssen selbst Sachverhalte (bzw. Tatsachen) sein. (2.141)
(4) Bilder müssen dieselbe logische Mannigfaltigkeit besitzen wie die möglichen Sachverhalte, die sie abbilden (4.04).
Das heißt:
a) sie müssen ebenso viele Elemente enthalten, wie Gegenstände in den von ihnen abgebildeten möglichen Sachverhalten vorkommen; und
b) jedes Bildelement muß zum selben logischen Typ gehören wie der Gegenstand, den es vertritt.
Damit, denke ich, sind die Grundzüge der Bildtheorie des Tractatus jetzt klar:
(B1) Bilder sind selbst Sachverhalte, d.h. sie bestehen aus Bildelementen b1, ..., bn, die sich in einer bestimmten Art und Weise Φ zueinander verhalten. Jedes Bild hat also die Struktur Φ(b1, ..., bn).
(B2) Jedem Bildelement bi ist ein Gegenstand gi zugeordnet, und zwar so, daß bi und gi zum selbem logischen Typ gehören. Im Bild vertritt das Bildelement bi den Gegenstand gi.
(B3) Der Sinn des Bildes ist der mögliche Sachverhalt, der darin besteht, daß sich die Gegenstände g1, ..., gn in der Art und Weise Φ zueinander verhalten. D.h. der Sinn des Bildes ist der mögliche Sachverhalt Φ(g1, ..., gn).
(B4) Das Bild besagt, daß dieser Sachverhalt besteht, d.h. daß sich die Gegenstände g1, ..., gn nicht nur möglicherweise, sondern tatsächlich in der Art und Weise Φ zueinander verhalten.
Ein Satz ist nun so ein Bild der Wirklichkeit:
4.01 Der Satz ist ein Bild der Wirklichkeit.
Der Satz ist ein Modell der Wirklichkeit, so wie wir sie uns denken.
Dabei behauptet ein Elementarsatz das Bestehen eines Sachverhaltes:
4.21 Der einfachste Satz, der Elementarsatz, behauptet das Bestehen eines Sachverhaltes.
Für Elementarsätze – gelten die Grundsätze (B1) – (B4) daher in analoger Weise
(S1) Elementarsätze im syntaktischen Sinne (d.h. nur als Satzzeichen betrachtet) sind Sachverhalte; sie bestehen aus Namen n1, ..., nn, die sich in einer bestimmten Art und Weise Φ zueinander verhalten. Jeder Elementarsatz hat also die Struktur Φ(n1, ..., nn).
(S2) Das Satzzeichen eines Elementarsatzes bekommt seinen Sinn dadurch, daß jedem in ihm vorkommenden Namen ni ein Gegenstand gi zugeordnet wird.
(S3) Der Sinn eines Elementarsatzes ist der mögliche Sachverhalt, der darin besteht, daß sich die Gegenstände g1, ..., gn in derselben Art und Weise Φ zueinander verhalten wie die Namen, durch die sie im Satz vertreten werden. D.h. der Sinn des Elementarsatzes Φ(n1, ..., nn) ist der mögliche Sachverhalt Φ(g1, ..., gn).
(S4) Der Elementarsatz Φ(n1, ..., nn) sagt, daß der Sachverhalt Φ(g1, ..., gn) besteht, d.h. daß sich die Gegenstände g1, ..., gn nicht nur möglicherwiese, sondern tatsächlich in der Art und Weise Φ zueinander verhalten.
Für die Wahrheit von Elementarsätzen gilt daher ebenfalls in analoger Weise, was Wittgenstein über die Wahrheit von Bildern sagt:[2]
2.21 Das Bild stimmt mit der Wirklichkeit überein oder nicht; es ist richtig oder unrichtig, wahr oder falsch. …
2.221 Was das Bild darstellt, ist sein Sinn.
2.222 In der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung seines Sinnes mit der Wirklichkeit besteht seine Wahrheit oder Falschheit.
2.223 Um zu erkennen, ob das Bild wahr oder falsch ist, müssen wir es mit der Wirklichkeit vergleichen.
4.26 Die Angabe aller wahren Elementarsätze beschreibt die Welt vollständig.
Die von Wittgenstein vertretene Wahrheitstheorie lässt sich so interpretieren:
semantische Interpretation: Ein Elementarsatz Φ(n1, ..., nn) ist genau dann wahr, wenn er besagt, daß Φ(g1, ..., gn), und Φ(g1, ..., gn).
[1] Anders als der Beginn des Tractatus suggeriert, spielt der Begriff der Tatsache nur eine abgeleitete Rolle – zumindest wenn man die Bemerkungen ernst nimmt, die Wittgenstein in einem Brief an Russell vom 19.8.1919 aus Monte Cassino über die Begriffe Tatsache und Sachverhalt macht.
[2] Da Wittgenstein neben Elementarsätzen nur komplexe Sätze kennt und komplexe Sätze immer Wahrheitsfunktionen von Elementarsätzen sind, läßt sich die Wahrheit von komplexen Sätzen in einfacher Weise auf die Wahrheit von Elementarsätzen zurückführen.
Stand: 2020
ghovjnjv (Donnerstag, 08 September 2022 14:45)
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