Die referenziellen Semantik geht davon aus, dass die sprachliche Bedeutung eines Ausdrucks in dem Objekt besteht, das ihm zugeordnet ist. Die Bedeutung von "die Sonne" ist beispielsweise der Stern im Zentrum unseres Sonnensystems.
Im §1 seiner Philosophischen Untersuchungen zitiert Ludwig Wittgenstein die folgende Stelle aus Augustinus (de Confessiones I.8):
„Nannten die Erwachsenen irgend einen Gegenstand und wandten sie sich dabei ihm zu, so nahm ich das wahr und ich begriff, dass der Gegenstand durch die Laute, die sie aussprachen, bezeichnet wurde, dass sie auf ihn hinweisen wollten. Dies aber entnahm ich aus ihren Gebärden, der natürlichen Sprache aller Völker (...) . So lernte ich nach und nach verstehen, welche Dinge die Wörter bezeichneten, die ich wieder und wieder, an ihren bestimmten Stellen in verschiedenen Sätzen, aussprechen hörte. Und ich brachte, als nun mein Mund sich an diese Zeichen gewöhnt hatte, durch sie meine Wünsche zum Ausdruck.“
Wittgenstein kommentiert Augustinus’ Ausführungen so (PU §1):
„In diesen Worten erhalten wir, so scheint es mir, ein bestimmtes Bild von dem Wesen der menschlichen Sprache. Nämlich dieses: Die Wörter der Sprache benennen Gegenstände – Sätze sind Verbindungen von solchen Benennungen. – Jedes Wort hat eine Bedeutung. Diese Bedeutung ist dem Wort zugeordnet. Sie ist der Gegenstand, für welchen das Wort steht.“
Dies ist die Namentheorie ("Fido"‐Fido Theorie) der Bedeutung. Es handelt sich bei ihr um eine sehr simple Form der referenziellen Semantik. Sie lässt sich wie folgt charakterisieren:
N1 Alle eigenständig bedeutungsvollen sprachlichen Ausdrücke sind Namen für Gegenstände. Synkategorematische Wörter wie „die“ oder „um“ sind Teile von Namen.
N2 Alle Ausdrücke haben dieselbe semantische Funktion: Sie benennen oder bezeichnen Gegenstände.
(1) Eigennamen, Kennzeichnungen und Indikatoren sind also Namen für Einzeldinge:
„New York“ bezeichnet die Stadt New York.
„die Mona Lisa“ bezeichnet das Gemälde Mona Lisa.
„der kleinste Planet im Sonnensystem“ bezeichnet den Merkur.
„hier“ bezeichnet den jeweiligen Ort.
(2) Prädikate sind Namen für Gesamtheiten oder Eigenschaften:
„rund“ bezeichnet alle runden Dinge
alternativ: „rund“ bezeichnet die Eigenschaft, rund zu sein
„leise“ bezeichnet alle leisen Dinge.
(3)
Sätze sind Namen für / benennen Tatsachen oder Sachverhalte:
„Der kleinste Planet im Sonnensystem ist rund“ bezeichnet die Tatsache, dass der Merkur rund ist.
„New York ist leise“ bezeichnet den Sachverhalt, dass New York leise ist.
Obwohl diese Theorie vielen von uns plausibel oder sogar trivial vorkommen mag, ist sie sicher falsch. Die Bedeutung eines Wortes erschöpft sich nicht in den Objekten, auf die es referiert. Diese Erkenntnis verdanken wir u.a. dem Aufsatz "On Denoting" von Bertrand Russel:
Es gibt Ausdrücke, die kein Referenzobjekt haben, diese nennen wir leere Bezeichner. "Pegasus", "Sherlock Holmes", "der gegenwärtige König von Frankreich", "die größte natürliche Zahl" und fiktiven Orte wie "Xanadu", "Vulkan" und "Tlön" sind leere Bezeichner. Nach der Referenztheorie der Bedeutung müssten alle leeren Bezeichner bedeutungslos sein, da ihnen kein Objekt zugeordnet werden kann. "Pegasus" oder "Tlön" sind (im Gegensatz zu " gh!erli*nqwtz" aber bedeutungsvoll) aber bedeutungsvoll, ein kompetenter Sprecher kann verstehen, was sie bezeichnen sollen. Also ist die Namentheorie falsch. Sie versagt schon bei einfachen Bezeichnern!
Man kann versuchen, die Namentheorie zu retten, indem man behauptet, dass "Pegasus", "Sherlock Holmes" etc. gar keine leeren Bezeichner sind. Sie bezeichnen nur keine tatsächlich existierenden Gegenstände. "Pegasus" und "Sherlock Holmes" bezeichnen aber mögliche Dinge – immerhin könnte es ein solches geflügeltes Pferd und einen solchen scharfsinnigen Detektiv ja geben.
Dieser Rettungsversuch muss jedoch scheitern. Denn für "der gegenwärtige König von Frankreich" ist das keine gute Lösung. Welcher der vielen möglichen Könige ist denn das Bezugsobjekt des Ausdrucks? Auch für "die größte natürliche Zahl" ist das keine gute Lösung. Da mathematische Wahrheiten notwendige Wahrheiten sind, gibt es nicht einmal eine mögliche größte natürliche Zahl.
Ein zweiter Rettungsversuch könnte darin bestehen, Ausdrücke wie "die größte natürliche Zahl" als bloße Idee zu charakterisieren. Dann müsste der folgende Satz wahr sein: "Die größte natürliche Zahl ist gar keine Zahl" Immerhin ist unsere Idee der größten Zahl selbst eine Idee, und keine Zahl. Aber der Satz scheint offenkundig falsch zu sein.
Viele eigenständig bedeutungsvolle Ausdrücke unserer Sprache benennen nichts. Es gibt keine Objekte, die für sie als Referenzobjekte in Frage kämen.
Junktoren: „nicht“, „und“, „wenn ... dann“
Quantoren: „einige“, „alle“, „niemand“, „manche“
Operatoren: „möglicherweise“, „vielleicht“
Präpositionen: „drüber“, „drunter“, „durch“, „zwischen“
Adverbien: „schneller“, „ungewöhnlich“
Also: Viele unserer Wörter haben ganz andere semantische Funktionen als die, einen Gegenstand zu bezeichnen. Viele unserer Wörter sind gar keine Namen, die Namentheorie ist also falsch. Sie bezeichnen auch keine Gegenstände, trotzdem bedeuten sie etwas, weshalb auch die Referenztheorie der Bedeutung im Allgemein falsch sein muss.
Es erscheint schon falsch, Bezeichner und Prädikate beide als Namen zu betrachten und ihnen dieselbe semantische Funktion zuzuschreiben. Die semantische Funktion von Bezeichnern wie „der Merkur“, „Lola“ oder „die kleinste natürliche Zahl“ ist es, Gegenstände zu bezeichnen. Prädikate wie „rund“, „liegt zwischen“ oder „rennen“ haben eine andere semantische Funktion: Sie sagen etwas von Gegenständen aus. Wer diesen Unterschied nicht berücksichtigt, kann keine überzeugende Theorie von Sätzen vorlegen.
Laut der Namentheorie erschöpft sich die semantische Funktion aller Ausdrücke darin, auf Gegenstände zu referieren. Im Satz "der Merkur ist rund" funktionieren sowohl "Merkur" als auch "rund" als Bezeichner. Ihre Bedeutung erschöpft sich darin, Gegenstände zu bezeichnen.
Sätze müssten demnach unverbundene Aneinanderreihungen von Bezeichnern sein. Wir könnten den Satz "Merkur ist rund" also auch so schreiben: "ist Merkur rund" oder Merkur, die Eigenschaft, rund zu sein". Wer die Aneinanderreihung von Namen durcheinanderbringt, verändert oder zerstört die Aussage eines Satzes. Sätze sind also nicht nur eine unverbundene Aneinanderreihung von Bezeichnern. Die Namentheorie ist also falsch.
Ein weiteres fatales Argument, für das insbesondere Gottlob Frege bekannt wurde, basiert auf Identitätsaussagen. Die folgenden Aussagen sind Identitätsaussagen:
1a. Leon Trotzky war Lev Davidovich Bronstein.
1b. Leon Trotzky war Leon Trotzky.
2a. Batman ist Bruce Wayne.
2b. Batman ist Batman.
Die Identitätsaussagen 1a und 2a sind jeweils synthetisch und informativ: Nicht jeder Deutschsprachige weiß, dass der russische Revolutionär und Kommunist Leon Trotzky unter dem Pseudonym Lev Davidovich Bronstein operierte. Dahingegen handelt es sich bei 1b und 2b um analytische und triviale Aussagen. Jeder Sprecher der deutschen Sprache weiß, dass diese Aussagen wahr sein müssen, auch wenn er vollkommen ignorant der russischen Geschichte gegenüber ist. Die Wahrheit der jeweiligen Sätze a zu erkennen ist also etwas anderes als die Wahrheit der jeweiligen Sätze b zu erkennen. Aus diesem epistemischen Unterschied folgt ein semantischer Unterschied, denn die Sätze a zu verstehen, heißt auch etwas anderes als die Sätze b zu verstehen. Da beide Sätze 1 und 2 jedoch dasselbe Bezugsobjekt haben, erschöpft sich Bedeutung offensichtlich nicht in Bezugsobjekten. Die Namentheorie ist also falsch.
Die Namentheorie ist falsch. Das bedeutet aber nicht, dass jede Referenztheorie der Bedeutung falsch sein muss. Eine moderne referentielle Semantik muss also folgendes leisten:
1. Sie muss an der Grundidee der referenziellen Semantik festhalten, die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke bestehe in den Objekten, die ihnen zugeordnet sind.
2. Sie muss den unterschiedlichen semantischen Funktionen unterschiedlicher Ausdrücke gerecht werden.
3. Sie muss dem Unterschied zwischen Wörtern und Sätzen Rechnung tragen.
4. Sie muss den semantischen Unterschied zwischen analytischen und synthetischen Sätzen erklären können.
Wir finden eine solche referenzielle Semantik bei dem Vater der modernen Sprachphilosophie – Gottlob Frege (1848–1925). Siehe:
Stand: 2018