Dieser Aufsatz behandelt die referenztheoretische Sinn- und Bedeutungstheorie Gottlob Freges. Diese hat Frege u.a. in seinem berühmten Aufsatz "Über Sinn und Bedeutung" entworfen.
Die Namentheorie hat sich als unhaltbar erwiesen. Wir suchen nun eine bessere referenzielle Semantik. Eine solche Theorie muss mindestens viererlei leisten:
1. Sie muss an der Grundidee der referenziellen Semantik festhalten, sprachliche Ausdrücke hätten deswegen Bedeutung, weil ihnen ein Objekt zugeordnet ist.
2. Sie muss den unterschiedlichen semantischen Funktionen unterschiedlicher Ausdrücke gerecht werden.
3. Sie muss dem Unterschied zwischen Wörtern und Sätzen Rechnung tragen.
4. Sie muss den semantischen Unterschied zwischen analytischen und synthetischen Sätzen erklären können.
Gottlob Frege (1848–1925) hatte ein wissenschaftliches Hauptziel: Er wollte erklären, was Mathematik ist. Seine Kernthese lautete, Mathematik sei keine fundamentale Disziplin, sondern sie lasse sich aus der Logik ableiten (Logizismus).
Im Zuge seiner Überlegungen dazu hat Frege nicht nur die moderne Logik geschaffen. Er hat auch, gleichsam nebenbei, die Grundlagen der modernen Sprachphilosophie gelegt.
Freges Ausführung sind nicht nur von historischem Interesse. Seine Einsichten und Ideen wirken bis heute nach, und viele Sprachphilosophen betrachten sich als ‚Neo‐Fregeaner’. Frege ist ein Sprachphilosoph, den man systematisch ernst nehmen muss.
Frege entwickelt eine ausgefeilte referenzielle Semantik. Allerdings betrachtet Frege diese nur als den einen Teil einer kompletten Bedeutungstheorie und verknüpft sie wesentlich mit seiner Theorie des Sinns. Ich werde Freges referenzielle Semantik trotzdem zunächst für sich genommen vorstellen. Freges Theorie des Sinns wird dann im zweiten Teil des Aufsatzes näher erörtert.
Ausgangspunkt: Freges Kontextprinzip:
· "Nach der Bedeutung der Wörter muss im Satzzusammenhange, nicht in ihrer Vereinzelung gefragt werden." (zweiter Grundsatz in den Grundlagen der Arithmetik, S. X)
· Welche semantischen Eigenschaften ein Wort hat, hängt von der semantischen Funktion ab, die es in Sätzen spielt.
Frege verwendet den Begriff der Bedeutung als technischen Begriff.
In Freges Terminologie ist die Bedeutung‐F eines Ausdrucks dasjenige Objekt, das ihm zugeordnet ist. Ich werde dieses Objekt auch als „semantischen Wert“ bezeichnen.
Zwar erklärt auch Frege die Bedeutung‐F von Eigennamen über ‚bezeichnen’ und ‚benennen’ und schreibt: „Die Bedeutung eines Eigennamens ist der Gegenstand, den er bezeichnet oder benennt“(NS 129).
Aber Frege erklärt Bedeutung‐F nicht generell über Benennen. Mit dem Kontextprinzip ergibt sich vielmehr:
· Welchen semantischen Wert (Bedeutung‐F) ein Wort hat, hängt von der semantischen Funktion ab, die es in Sätzen spielt.
Was zeichnet (Behauptungs‐)Sätze semantisch aus? Was haben „Der Morgenstern ist ein Planet“, „Die Sonne kreist um die Erde“ und „Die Zahl zehn ist ungerade“ gemeinsam?
Frege: Sätzen ist gemein, dass sie wahr oder falsch sind. Sie haben einen Wahrheitswert. Sie haben entweder den Wert das Wahre oder den Wert das Falsche.
„Wenn ein Satz überhaupt eine Bedeutung[*] hat, so ist diese entweder das Wahre oder das Falsche“(NS 211).
Satz: „Der Morgenstern ist ein Planet.“
semantischer Wert (Bedeutung-F): das Wahre
Satz: „Die Zahl 10 ist ungerade.“
semantischer Wert (Bedeutung-F): das Falsche
Der semantische Wert (die Bedeutung‐F) eines Satzes ist sein Wahrheitswert. (siehe oben).
Die semantische Funktion eines Wortes im Satz, und damit sein semantischer Wert, hängt davon ab, wie das Wort den semantischen Wert des Satzes beeinflusst. (Kontextprinzip)
Also: Der semantische Wert eines Wortes hängt davon ab, wie es die Wahrheitswerte der Sätze beeinflusst, in denen es vorkommt.
Wie wir gesehen haben, ist laut Frege der semantische Wert (Frege: „Bedeutung“) eines Eigennamens der Gegenstand, den er bezeichnet oder benennt. Das passt gut zur Idee, der semantische Wert eines Satzes sei sein Wahrheitswert. Denn welchen Wahrheitswert ein Satz hat, hängt davon ab, welche Gegenstände die in ihm vorkommenden Namen bezeichnen.
Erstens: Sätze, die leere Eigennamen enthalten, sind weder wahr noch falsch. Beispiel: „Eldorado liegt in Venezuela“, „Die größte natürliche Zahl ist durch 3 teilbar“
„Wir verlangen von jedem in einem Satze vorkommenden Eigennamen, dass er eine Bedeutung habe, wenn es uns um Wahrheit zu tun ist (...)“(NS 210)
Zweitens: Wenn wir in einem Satz einen Namen durch einen anderen Namen für denselben Gegenstand ersetzen, ändert sich der Wahrheitswert des Satzes nicht.
Beispiele:
· „Der Morgenstern ist ein Planet“
· „Die Venus ist ein Planet“
· „Marshall Bruce Mathers III ist ein Rapper aus Flint, Michigan”
· „Eminem ist ein Rapper aus Flint, Michigan“
Also: Der semantische Wert eines Satzes ist sein Wahrheitswert, und der semantische Wert eines Eigennamens ist der durch ihn bezeichnete Gegenstand.
„Wenn (...) die Bedeutung eines Satzes sein Wahrheitswert ist, so muss dieser unverändert bleiben, wenn ein Satzteil durch einen Ausdruck von derselben Bedeutung (...) ersetzt wird.“(SB 34)
Die Substitutionsregel für semantischen Wert (Bedeutung‐F): In jedem Satz lässt sich ein Ausdruck durch einen Ausdruck mit demselben semantischen Wert (derselben Bedeutung‐F) salva veritate ersetzen, d.h. ohne dass sich der Wahrheitswert des Satzes ändert. (Für jeden anderen semantisch komplexen Ausdruck und seinen semantischen Wert gilt dasselbe.)
Das Kompositionalitätsprinzip für semantischen Wert: Der semantische Wert (die Bedeutung‐F) eines Satzes ist bestimmt durch den semantischen Wert (die Bedeutung‐F) seiner Teile. (Für jeden anderen semantisch komplexen Ausdruck und seinen semantischen Wert gilt dasselbe.)
Was haben wir eigentlich erreicht?
· Wir haben die Perspektive von Wörter auf Sätze verändert.
· Wir haben den wichtigen Unterschied zwischen Wahrheit und Falschheit im Blick.
· Wir haben mit dem Kontextprinzip, dem Kompositionalitätsprinzip und der
· Substitutionsregel Mittel an der Hand, um die Funktion von Ausdrücken in Sätzen zu bestimmen.
Schön und gut. Aber sind wir tatsächlich über die Namentheorie hinausgekommen?
Nicht so richtig. Zu den Problemausdrücken der Namentheorie haben wir nämlich noch nichts zu sagen.
Sprachlicher Ausdruck |
Semantischer Wert (Bedeutung-F) |
Satz: „Der Morgenstern ist ein Planet“ |
Wahrheitswert: das Wahre |
Name: „Der Morgenstern“ |
Gegenstand: die Venus |
Prädikate: „ist rund“, „liegt zwischen“ |
??? |
Junktoren: „nicht“, „und“, „wenn … dann“ |
??? |
Quantoren: „alle“, „niemand“ |
??? |
In der Mathematik werden Funktionen durch Ausdrücke wie „x2+5”, „x > 17“ oder „x > y“ bezeichnet, in denen Variablen vorkommen.
Genauso wenig wie Gegenstände sind Funktionen etwas Sprachliches. Wir müssen zwischen den Ausdrücken für Funktionen – z.B. „x2+5“ oder „x > 17“ – und den Funktionen unterscheiden, für die sie stehen.
· Was zeichnet eine Funktion aus? Was unterscheidet die Funktion x2+5 von der Zahl 23 oder dem Mont Blanc? Wofür stehen Funktionsausdrücke wie „x2+5“ oder „x > 17“?
Frege: Eine Funktion ist eine Entität, die zusammen mit einem Argument einen Wert ergibt. Das zeichnet sie aus. Das ist ganz allgemein das Besondere an Funktionen.
Z.B. erzeugt die Funktion x2+5 für das Argument 4 den Wert 19 und für das Argument –2 den Wert 9.
Dagegen erzeugt die Funktion x‐2 + 27 für das Argument 4 den Wert 29 und für das Argument –2 den Wert 23.
Funktionen und ihre Wertverläufe:
Erste Konsequenz: Funktionen haben Wertverläufe. D.h. für die Abfolge von Argumenten hat eine Funktion eine bestimmte Abfolge von Werten.
Funktion |
Argument |
Wert |
Argument/Wert |
x² + 5 |
1, 2, 3, … |
6, 9… |
<1,6>, <2,9> |
X + y + 5 |
1,1; 1,2; … |
7, 8… |
<<1,1>, 7>, <<1,2>, 8> |
Die Funktionen x2+5 und x×x +5 haben denselben Werteverlauf. Frege zufolge handelt es sich hier um dieselbe Funktion. Denn Funktionen sind genauso fein unterschieden wie Wertverläufe.
Funktionen und Gegenstände:
Zweite Konsequenz: Funktionen und Gegenstände sind fundamental unterschiedliche Entitäten.
Gegenstände sind für sich genommen vollständig. Für Funktionen gilt das nicht. Frege schreibt:
„[D]ie Funktion für sich allein ist unvollständig,
ergänzungsbedürftig oder ungesättigt zu nennen“(FB 6).
Erst mit einem Argument zusammen wird eine Funktion zu etwas Vollständigem, einem Wert, ergänzt.
Ausdrücke für Funktionen und Gegenstände:
Weil die Funktion selbst ergänzungsbedürftig ist, gehört zum sprachlichen Ausdruck einer Funktion immer mindestens eine Leerstelle.
· Ausdrücke für Funktionen: „x +5“, „( ) > 17“, „x > j“.
Gegenstandsbezeichner dagegen haben keine Leerstellen.
· Ausdrücke für Gegenstände: „Mont Blanc“, „die größte Stadt der Welt“, „die Zahl 27“.
Frege erklärt: "Gegenstand ist alles, was nicht Funktion ist, dessen Ausdruck also keine leere Stelle mit sich führt" (FB 18).
Nicht‐mathematische Funktionen:
Die Argumente und Werte mathematischer Funktionen sind zumeist Zahlen. Aber viele Funktionen haben ganz andere Dinge als Argumente und Werte.
„die Hauptstadt von x“
< Schweiz, Bern >
„das Sternzeichen von x”
< Michael Schuhmacher, Steinbock >
„x ist reich” , , ...
< Ingvar Kamprad, das Wahre >
Funktionen, Begriffe und Bedeutung‐F:
Funktionen, die als Werte ausschließlich Wahrheitswerte haben, nennt Frege Begriffe:
„[E]in Begriff ist eine Funktion, deren Wert immer ein Wahrheitswert ist.“ (FB 15).
Einen Begriff mit mehr als einem Argument nennt Frege eine Beziehung.
Bsp. für Begriffe‐F: x rennt, x ist reich.
Bsp. für Beziehungen: x ist größer als y, x ist der Vater von y.
Funktionen und Begriffe‐F sind genau das, was wir gesucht haben. Begriffe‐F sind nämlich ideale Kandidaten für die Bedeutungen von Prädikaten.
Begriffe‐F als semantische Werte von Prädikaten:
Erstens: Die Funktion des Prädikates in einem Satz ist die der Prädikation – es sagt etwas von etwas aus. Das spiegelt sich in Begriffen‐F wieder: „Der Begriff (...) ist prädikativ“ (BG193).
Zweitens: Wie bestimmt „( ) ist blau“ den Wahrheitswert von „Lapis Lazuli ist blau“ mit? Durch den Begriff‐F. Wir können „( ) ist blau“ salva veritate durch jeden Ausdruck ersetzen, der denselben Begriff* ausdrückt – z.B. durch „( ) hat die Farbe des Himmels“.
Genereller: Der semantische Wert (die Bedeutung‐F) des Satzes „Lapis Lazuli ist blau“ ist bestimmt durch die semantischen Werte seiner Teile – d.h. dadurch, dass „Lapis Lazuli“ als semantischen Wert den Stein hat und „( ) ist blau“ als semantischen Wert den entsprechenden Begriff‐F hat.
Drittens: Da Begriffe‐F wesentlich ergänzungsbedürftig sind, können wir erklären, warum Sätze mehr sind als Reihungen von Namen.
Warum drückt der Satz „Lapis Lazuli ist blau“ mehr aus als eine Reihung von benannten Dingen? Weil zu den Bedeutungen seiner Teile sowohl Gegenstände als auch Begriffe gehören und weil Begriffe wesentlich ergänzungsbedürftig sind.
Satz: „Lapis Lazuli ist blau“
semantische Wert der Teile: Lapis Lazuli, x ist blau
semantischer Wert des Satzes: das Wahre
Frege weist Prädikaten und Beziehungswörtern spezielle Funktionen, nämlich Begriffe* und Beziehungen*, als Bedeutungen* zu. Damit ergibt sich das folgende Bild (siehe seinen Brief an Husserl vom 24.5.1891):
· Erschöpfen sich die semantischen Eigenschaften eines Satzes tatsächlich in seinem Wahrheitswert?
· Was ist mit anderen Ausdrücken? Was ist mit Junktoren und Quantoren?
Nach der Grundidee der referenziellen Semantik erschöpft sich die sprachliche Bedeutung eines Ausdrucks in seinem Bezugsobjekt. Allerdings hat die Identifikation der Bedeutung eines Satzes mit dessen Wahrheitswert eine unangenehme Konsequenz – wie Frege selbst bemerkt:
„Wenn nun der Wahrheitswert eines Satzes dessen Bedeutung ist, so haben einerseits alle wahren Sätze dieselbe Bedeutung, andererseits alle falschen. Wir sehen daraus, daß in der Bedeutung des Satzes alles einzelne verwischt ist.“(SB 35)
In Über Sinn und Bedeutung vermeidet Frege diese Konsequenz, indem er die Grundidee der referenziellen Semantik aufgibt und Ausdrücken neben einem semantischen Wert (Bedeutung‐F) auch Sinn zuspricht.
Aber das Problem lässt sich auch im Rahmen einer referenziellen Semantik lösen; diesen Weg hatte Frege in der Begriffsschrift beschritten.
Idee: Die sprachliche Bedeutung eines Satzes hängt nicht allein an dessen Wahrheitswert, sondern auch an den semantischen Werten seiner Teile – d.h. worauf sich die in ihm vorkommenden Namen beziehen und welche Begriffe‐ F seine Prädikate bezeichnen.
Die sprachliche Bedeutung von „Der Abendstern ist ein Planet“ besteht damit aus:
· seinem Wahrheitswert.
· dem semantischen Wert (der Bedeutung‐F) von ‚der Abendstern’ und dem semantischen Wert von ‚( ) ist ein Planet’. Diese fassen wir im geordneten Paar aus Gegenstand und Begriff* zusammen: Dies nennen wir den Russell‐Inhalt des Satzes.
Russell‐Inhalte passen gut in eine referenzielle Semantik.
„Ingvar Kamprad ist reich und Ingvar Kamprad lebt in der Schweiz.“
Was ist der semantische Wert des Ausdrucks ‚und’? Dazu müssen wir wieder fragen, was ‚und’ zum Wahrheitswert des Satzes beiträgt.
Freges Idee: Der semantische Wert (Bedeutung‐F) von ‚und’ ist eine Funktion. Genauer ist sie ein Begriff‐F, der zwei Wahrheitswerte als Argumente nimmt und als Wert das Wahre hat, wenn beide Wahrheitswerte das Wahre sind.
Der Begriffsverlauf von ‚und’ ist also: <w, w>, w, <<w, f>, f> <<f, w>, f>, <<f, f>, f>
„Alle Menschen sind Säugetiere“
Freges Idee: „alle“ ist ein Begriff‐F zweiter Stufe. D.h. ‚alle’ ist ein Begriff‐F, der als Argumente Begriffe‐F hat und als Werte Wahrheitswerte liefert. (In unserem Beispiel tut er das zusammen mit dem Begriff „( ) ist ein Säugetier“.)
Der Begriffsverlauf von „Alle ( ) sind Säugetiere“ ist: , , , ... (In der Logik wird ‚alle’ durch ‚"’ wiedergegeben und unser Satz als "x(Fx ® Gx) analysiert.)
Sprachlicher Ausdruck |
Semantischer Wert (Bedeutung-F) |
Satz |
Wahrheitswert |
Name |
Gegenstand |
Prädikate |
Begriffe-F |
Junktoren |
Begriffe-F |
Quantoren |
Begriffe-F zweiter Stufe |
Was ist daran pfiffig? Wir erinnern uns an unsere vier Kriterien vom Anfang, denen eine gute referenzielle Semantik genügen muss. Freges referentielle Semantik genügt diesen Kriterien und leistet darüber hinaus einiges:
1. Freges referenzielle Semantik hält an der Grundidee fest, sprachliche Ausdrücke hätten deswegen Bedeutung, weil ihnen ein Objekt zugeordnet ist.
2. Freges referenzielle Semantik wird den unterschiedlichen semantischen Funktionen unterschiedlicher Ausdrücke gerecht. Frege kann erklären, wie sich Namen, Prädikate, Beziehungswörter, Junktoren, Quantoren etc. semantisch unterscheiden. Er kann auch erklären, wie sich ihre Bedeutungen in Sätzen gegenseitig ergänzen. Wesentlich hierbei ist seine Theorie von Funktionen und Begriffen‐F.
3. Freges referenzielle Semantik trägt dem Unterschied zwischen Wörtern und Sätzen Rechnung. Kontextprinzip, Substitutionsregel und Kompositionalitätsprinzip machen klar, wie Sätze und Wörter zwar voneinander verschieden, aber doch aufeinander bezogen sind.
4. Freges referenzielle Semantik kann den semantischen Unterschied zwischen Sätzen wie "der Morgenstern ist der Morgenstern" und "der Morgenstern ist der Abendstern" erklären. Dazu gleich mehr.
Nach der Referenztheorie der Bedeutung (nach Frege: "Fido"‐Fido Theorie) erschöpft sich die Bedeutung eines Ausdrucks oder Satzes in seinem Bezugsobjekt, d.h. im bezeichneten Gegenstand, in der bezeichneten Eigenschaft, oder im bezeichneten Sachverhalt.
Die Bedeutung des Eigennamens "Fido" ist der Hund Fido. Die Zuschreibung "ist blau" bezeichnet die Eigenschaft, blau zu sein. Und der Ausdruck "die Venus" hat dieselbe Bedeutung wie "der Abendstern", da beide denselben Planeten bezeichnen. Auch "Bremen liegt nördlich von München" und "München liegt südlich von Bremen" bezeichnet ein und denselben Sachverhalt (<Bremen, x R y, München>). Die "Fido"‐Fido Theorie führt Bedeutung also auf Bezug zurück.
Der Mathematiker und Philosoph Gottlob Frege (1848–1925) hatte ein wissenschaftliches Hauptziel: Er wollte erklären, was Mathematik ist. Seine Kernthese lautete, Mathematik sei keine fundamentale Disziplin, sondern sie lasse sich aus der Logik ableiten (Logizismus). Im Zuge seiner Überlegungen hat Frege nicht nur die moderne Logik geschaffen. Er hat auch gleichsam, nebenbei, die Grundlagen der modernen Sprachphilosophie gelegt.
Frege kritisierte die "Fido"‐Fido Theorie und behauptete, dass sich die Bedeutung von Ausdrücken und Sätzen nicht in ihrem Bezugsobjekt erschöpft. Ausdrücke haben neben ihrem Bezugsobjekt nämlich auch noch einen Sinn.
Für diese Haltung bringt er ein berühmtes Argument vor, das eine Voranmerkung verlangt: Er nennt das Bezugsobjekt eines Ausdrucks dessen "Bedeutung", was eine unglückliche Terminologie ist und sehr verwirrend sein kann. Wenn Frege also schreibt: "Mars und der rote Planet haben dieselbe Bedeutung", dann heißt das, "Mars" und der rote Planet haben dasselbe Bezugsobjekt".
(1) Bedeutung erschöpft sich in Bezugsobjekten. D.h. zwei Ausdrücke α und β sind dann und nur dann semantisch voneinander unterschieden, wenn sie unterschiedliche Bezugsobjekte haben.
(2) „der Morgenstern“ und „der Abendstern“ bezeichnen beide die Venus. Also sind diese beiden Sätze bedeutungsgleich:
(A) "Der Morgenstern = der Morgenstern"
(B) "Der Morgenstern = der Abendstern"
(A) und (B) sind genau gleich aufgebaut und enthalten zueinander bezugsgleiche bzw. bedeutungsgleiche Ausdrücke – nämlich die Namen "der Morgenstern", "der Abendstern" und das Beziehungswort "x = y". D.h. die Sätze bezeichnen genau denselben Sachverhalt <Venus, ... = ... , Venus>.
(3) Die Sätze (A) und (B) haben jedoch einen unterschiedlichen Erkenntniswert.
Jeder, der (A) versteht, weiß sofort, dass der Satz trivialerweise weil tautologisch wahr ist. (A) ist uninformativ, analytisch und a priori. Dagegen kann man (B) verstehen, ohne zu wissen, dass der Satz wahr ist. (B) formuliert eine empirische Behauptung, die durch empirische Untersuchung geprüft werden musste. (B) ist somit potenziell informativ, synthetisch und a posteriori.
(4) Wir können nicht behaupten, es gäbe keinen semantischen Unterschied zwischen (A) und (B) und zugleich behaupten, (A) zu verstehen sei etwas ganz anderes als (B) zu verstehen.
Aus (4) folgt:
(5) (2) ist falsch. Es gibt doch einen semantischen Unterschied zwischen
(A) und (B).
(6) (2) folgt aus (1).
Aus (5) und (6) folgt:
(7) (1) ist falsch. Bedeutung erschöpft sich nicht in Bezugsobjekten. Ausdrücke und Sätze haben neben ihrem Bezugsobjekt noch eine weitere semantische Eigenschaft – sie haben einen Sinn.
Frege formuliert dies so:
"Es liegt nun nahe, mit einem Zeichen (Namen, Wortverbindung,
Schriftzeichen) außer dem Bezeichneten, was die Bedeutung des Zeichens
heißen möge, noch das verbunden zu denken, was ich den Sinn des Zeichens
nennen möchte, worin die Art des Gegebenseins enthalten ist."
- Gottlob Frege: Über Sinn und Bedeutung, S. 26 (meine Hervorhebung)
(1) Der Sinn eines Namens ist eine Gegebenheitsweise – eine „Art des Gegebenseins des Bezeichneten“ (SB 26)
Freges Idee: Eigennamen wie "der Abendstern" und "der Morgenstern" präsentieren ihr Bezugsobjekt auf eine bestimmte Weise. Der erste Ausdruck präsentiert sein Bezugsobjekt als denjenigen Himmelskörper, der am Abendhimmel zu sehen ist. Der zweite Ausdruck präsentiert sein Bezugsobjekt als denjenigen Himmelskörper, der am Morgenhimmel zu sehen ist.
Eine solche Präsentation eines Gegenstandes erfasst nie alle seine Aspekte. Im Gegenteil, sie streicht einen (oder einige) heraus. Das meint Frege, wenn er betont, der Sinn eines Eigennamen beleuchte dessen Bedeutung* "immer nur einseitig" (SB 27).
(2) Einen Namen zu verstehen heißt, seinen Sinn zu erfassen.
„Der Sinn eines Eigennamens wird von jedem erfasst, der die Sprache oder das Ganze von
Bezeichnungen hinreichend kennt, der er angehört.“
- Gottlob Frege: Über Sinn und Bedeutung, S. 27
Freges Idee: Wer die Ausdrücke "der Abendstern" und "der Morgenstern" verstanden hat, weiß, wie sie ihre Bezugsobjekte präsentieren. Aber er weiß deswegen noch lange nicht, dass sie sich auf dasselbe Objekt beziehen.
Verstehen richtet sich also auf den Sinn, nicht auf die Bezugsobjekte (die Bedeutung) eines Ausdrucks.
(3) Zwei Namen können dieselbe Bedeutung, aber verschiedene Sinne haben.
„"24" und "4 X 4" haben zwar dieselbe Bedeutung; d.
h. sie sind Eigennamen derselben Zahl; aber sie haben nicht denselben Sinn; und daher haben "24 = 42" und "4 X 4 = 42" zwar dieselbe Bedeutung,
aber nicht denselben Sinn;“
- Gottlob Frege: Funktion und Begriff, S. 14
Weil der Sinn eines Ausdrucks sein Bezugsobjekt auf eine bestimmte Weise präsentiert und man dasselbe Objekt auf verschiedene Weisen präsentieren kann, können bedeutungsgleiche (bezugsgleiche) Ausdrücke sinnverschieden sein. Genau das ist bei "der Abendstern" und "der Morgenstern" der Fall. Aus demselben Grund hat "Der Morgenstern ist der Abendstern" und "4 x 4 = 16" auch einen anderen Erkenntniswert als "der Morgenstern ist der Morgenstern" und "16 = 16". Sinne sind feiner unterschieden als Bedeutung bzw. Bezugsobjekt!
(4) Freges Theorie des Sinns: Der Sinn eines Namens bestimmt dessen Bezugsobjekt.
„Die regelmäßige Verknüpfung zwischen dem Zeichen, dessen Sinn und dessen Bedeutung ist derart, dass dem Zeichen ein bestimmter Sinn und diesem
wieder eine bestimmte Bedeutung entspricht (...) .“
- Gottlob Frege: Über Sinn und Bedeutung, S. 27 (m.H.)
In jedem Fall gilt: wenn die Ausdrücke α und β denselben Sinn haben, dann müssen sie auch dasselbe Bezugsobjekt haben. Sinngleichheit garantiert Gleichheit der Bezugsobjekte aber nicht andersherum.
Viele Interpreten verstehen Frege auch stärker. Demnach ist es der Sinn eines Ausdrucks, der zuallererst dafür sorgt, dass der Ausdruck ein Bezugsobjekt hat und welches er hat. Der Sinn eines Ausdrucks α ist eine Bedingung, deren Erfüllung den Bezug von α bestimmt:
àα bezieht sich auf x gdw. x erfüllt den Sinn von α.
(5) Der Sinn eines Namens ist nichts Psychologisches, keine Vorstellung, sondern verschiedenen Sprechern zugänglich.
„Die Vorstellung unterscheidet sich dadurch wesentlich von dem Sinne
eines Zeichens, welcher gemeinsames Eigentum von vielen sein kann
und also nicht Teil oder Modus der Einzelseele ist;“
- Gottlob Frege: Über Sinn und Bedeutung, S. 29
Ein und derselbe Sinn eines Ausdrucks kann von vielen verschiedenen Sprechern erfasst werden. Das unterscheidet sie von Vorstellungen. Anders als Bezugsobjekte sind Sinne aber keine konkreten Gegenstände.
„Die Bedeutung eines Eigennamens ist der Gegenstand selbst,
den wir damit bezeichnen; die Vorstellung, welche wir dabei haben,
ist ganz subjektiv; dazwischen liegt der Sinn, der zwar nicht mehr subjektiv
wie die Vorstellung, aber doch auch nicht der Gegenstand selbst ist.”
- Gottlob Frege: Über Sinn und Bedeutung, S. 31
Die Gesamtbedeutung eines Namens umfasst somit zwei Aspekte – seinen Sinn und sein Bezugsobjekt (so er eins hat).
Diese Aspekte sind nicht unabhängig voneinander: Der Sinn eines Namens wird von kompetenten Sprechern verstanden. D.h. der Sinn eines Ausdrucks ist für die Beziehung Sprache‐Sprecher maßgeblich. Und der Sinn eines Namens legt dessen Bedeutung fest. D.h.: der Sinn eines Ausdrucks ist für die Beziehung Sprache‐Welt maßgeblich. Das gilt nicht nur für Namen, sondern für alle möglichen Ausdrücke.
Jetzt führt Frege einen weiteren Begriff ein, den wir in der Alltagssprache ganz anders gebrauchen:
(6) Der Sinn eines wahrheitsfähigen Satzes ist ein Gedanke.
„Ohne damit eine Definition geben zu wollen, nenne ich Gedanken
etwas, bei dem überhaupt Wahrheit in Frage kommen kann. Was
falsch ist, rechne ich ebenso zu den Gedanken wie das, was wahr ist.
Demnach kann ich sagen: der Gedanke ist der Sinn eines Satzes“
- Gottlob Frege: Der Gedanke. Eine logische Untersuchung, S. 33
Frege macht zwei wichtige Annahmen über Gedanken. Ganz im Sinne von (5) betont er, Gedanken seien nichts Psychologisches:
„Ich verstehe unter Gedanken nicht das subjektive Tun des Denkens, sondern dessen objektiven Inhalt, der fähig ist,
gemeinsames Eigentum von vielen zu sein.“
- Gottlob Frege: Über Sinn und Bedeutung, S. 32
Frege nimmt zudem an, dass Gedanken zeitlos wahr oder falsch sind.
Der Sinn eines Satzes oder komplexen Ausdrucks wird durch die Sinne seiner Teile bestimmt.
Das Kompositionalitätsprinzip für Sinn: Der Gedanke eines Satzes ist bestimmt durch die Sinne seiner Teile. (Für jeden anderen semantisch komplexen Ausdruck und seinen Sinn gilt dasselbe.)
Die Substitutionsregel für Sinn: In jedem Satz lässt sich ein Ausdruck durch einen sinngleichen ersetzen, ohne dass sich der ausgedrückte Gedanke ändert. (Für jeden anderen skA und seinen Sinn gilt dasselbe.)
(7) Auch Prädikate haben Sinne.
Frege sagt nicht viel über die Sinne von Prädikaten. Klar ist lediglich, dass Prädikate ihren Sinn zum Gedanken der Sätze beisteuern, in denen sie vorkommen.
Bedeutung: Sprachliche Bedeutung ist so etwas wie Fregescher Sinn. Denn der
Sinn ist der geteilten Inhalte eines Ausdrucks, den ein kompetenter Sprecher versteht und anderen Sprechern mitteilt. Es gibt auch klare Unterschiede zwischen sprachlicher Bedeutung und Sinn. Oftmals weicht der Fregesche Sinn eines Ausdrucks von seiner sprachlichen Bedeutung ab. Frege erklärt uns, worin die Inhalte unserer Sätze bestehen und wie Denken und Sprechen zusammenhängen. Aber er gibt keine Theorie sprachlicher Bedeutung!
Referenz: Der Bezug der Ausdrücke unserer Sprache kommt durch ihren Sinn zustande: Worauf sich ein Ausdruck α bezieht, hängt davon ab, welchen Sinn er hat. Z.B., dass „der Morgenstern“ die Venus bezeichnet, liegt am Sinn des Ausdrucks. (Gerade so, wie die ‚Fido’‐Fido Theorie Bedeutung auf Bezug zurückführen will, führt eine Fregesche Semantik Bezug auf Bedeutung/Sinn zurück!)
Eine semantische Theorie wie die von Frege wird an ihrer Erklärungskraft gemessen. Was also kann Freges Semantik erklären?
Wie wir bereits gesehen haben, erklärt Freges Theorie:
Ausdrücken wie z.B. „der Morgenstern“ und „der Abendstern“ sind
Unterschiede des Sinns.
Also: Freges Theorie kann erklären, warum Sätze mit leeren Bezeichnern nicht bedeutungslos sind.
Warum ist "Eldorado liegt in Venezuela" überhaupt bedeutungsvoll – immerhin hat "Eldorado" kein Bezugsobjekt? Frege erklärt das so: „Eldorado“ zwar kein Bezugsobjekt, aber einen Sinn. Der Satz drückt einen Gedanken aus, den man verstehen kann. Aber wahr oder falsch ist er nicht.
„Warum wollen wir denn aber, dass jeder Eigenname nicht nur einen Sinn, sondern auch eine Bedeutung habe? Warum genügt uns der Gedanke nicht? Weil und soweit es uns auf seinen Wahrheitswert ankommt. Nicht immer ist dies der Fall.“
- Gottlob Frege: Über Sinn und Bedeutung, S. 33
(1) Auf der einen Seite erklärt Frege, der Sinn eines Eigennamens sei eine Gegebenheitsweise seines Bezugsobjektes – eine „Art des Gegebenseins des
Bezeichneten“ (Sinn und Bedeutung, S. 26). Auf der anderen Seite erklärt Frege, leere Eigennamen hätten zwar einen Sinn, aber kein Bezugsobjekt. Aber wie kann der Name „Eldorado“ als Sinn eine Präsentationsweise seines Bezugsobjekts haben, wenn er doch kein Bezugsobjekt hat?
Einwand (1) lautet also: Frege verspricht nur, das Problem leerer Bezeichner zu lösen. Tatsächlich löst er es gar nicht.
(2) Frege zeichnet Gedanken als die in Kommunikation übermittelten, öffentlich zugänglichen Inhalte aus. Aber häufig drücken Sprecher und Hörer verschiedene Gedanken mit einem Satz aus, z.B. wenn sie mit einem Namen wie „Klaus Klabunde“ verschiedene Sinne verbinden.
Einwand (2) lautet also: Fregesche Gedanken sind keine wirklich plausiblen Kandidaten für kommunizierte Inhalte. Ihre Übermittlung setzt viel zu viel Übereinstimmung voraus.
(3) Der Begriff des Sinns ist für Freges Semantik zentral. Aber was ist Sinn? Frege charakterisiert Sinne indirekt über ihre Funktion. Der Sinn eines Ausdrucks ist dasjenige, was alle die aufgeführten Funktionen hat und alle die erwähnten Erklärungen ermöglicht. Aber was für Dinge sind Sinne? Und warum sollten wir glauben, es gäbe genau eine Art von Ding, die alle die angeführten Funktionen hat?
Einwand (3) lautet also: Freges Theorie zeigt auf, was eine Theorie sprachlicher Bedeutung leisten muss. Aber da Frege uns keine überzeugende Antwort auf die Frage gibt, was Sinne sind, leistet seine eigene Theorie dies nicht.
Stand: 2018
WissensWert (Donnerstag, 31 Januar 2019 20:05)
https://www.youtube.com/watch?v=y9vfOpe-AKY
WissensWert (Donnerstag, 31 Januar 2019 20:04)
https://www.youtube.com/watch?v=o1Wd3d61qAQ
WissensWert (Dienstag, 06 November 2018 17:27)
http://www.gavagai.de/HHP31.htm
WissensWert (Samstag, 09 Juni 2018 20:11)
https://www.sapereaudepls.de/2018/06/12/willard-v-o-quine-zwei-dogmen-des-empirismus/
Laut Quine dürfen intensionale Begriffe wie "Bedeutung", "Analytizität" oder "Bedeutungsregel" in einer wissenschaftlichen Semantik nicht vorkommen. Extensionale Begriffe wie "Referenz", "Wahrheit" oder "logische Folge" sind dagegen wohlverstanden und wissenschaftlich akzeptabel. Oder anders gesagt: Subjektive psychologische Zustände und intuitive Urteile über Bedeutungen sind keine solide Grundlage für eine Semantik. Empirisch beobachtbares Verhalten ist dagegen als Grundlage einer wissenschaftlichen Semantik zulässig.
Die traditionelle Bedeutungstheorie – Freges Theorie des Sinns – beruht auf intensionalen Begriffen, subjektiv‐psychologischen Zuständen und intuitiven Urteilen. Deshalb ist sie eine grundfalsche und irrige Theorie.