Kennzeichnungstheorie

Dieser Aufsatz behandelt Bertrand Russells referenzielle und idealsprachliche  Kennzeichnungstheorie. Diese hatte er in seinem berühmten Aufsatz "On Denoting" entworfen und u.a. großen Einfluss auf den Logischen Positivismus.

Bertrand Russell
Bertrand Russell

1. Theoretischer Hintergrund

Die referenzielle Semantik besagt, dass die sprachliche Bedeutung eines Ausdrucks in dem Objekt besteht, das ihm zugeordnet ist. Was ein Ausdruck bedeutet, erschöpft sich also darin, worauf er sich bezieht. Semantisch relevant sind deswegen alleine die Bezugsobjekte, also: Gegenstände, Begriffe, Wahrheitswerte und Komplexe aus diesen (Russel-Inhalte).

Nach der Fregeschen Seminatik ist die sprachliche Bedeutung eines Ausdrucks sein Sinn und die sprachliche Bedeutung eines Satzes der durch ihn ausgedrückte Gedanke. Die Bezugsobjekte sind zwar auch semantisch relevant, ergeben sich aber aus den eigentlich semantisch relevanten Sinn eines Ausdrucks.

Zwischen diesen beiden Bedeutungstheorien steht die Streitfrage, ob Sinne semantisch relevant sind oder ob wir mit Bezugsobjekten (und Komplexen aus diesen) auskommen. Gottlob Frege sprach sich mit dem Argument vom Erkenntniswert für die semantische Relevanz von Sinnen aus. Bertrand Russel erwiderte darauf, dass wir keine Sinne brauchen, um Freges Problem (und andere, ebenso ernste Probleme) zu lösen. Wir benötigen lediglich eine vernünftige semantische Analyse von Ausdrücken wie "der Abendstern". Und diese lässt sich mit den Mitteln der referenziellen Semantik geben.

2. Russells Theorie der Kennzeichnungen

2.1. Russells Grundideen

In On Denoting beschäftigt sich Russell mit einer bestimmten Klasse von Ausdrücken, die er denoting phrases nennt und so umreißt:

“By a “denoting phrase” I mean a phrase such as any one of the following: a man, some man, any man, every man, all men, the present King of England, the presenting King of France, the center of mass of the solar system at the first instant of the twentieth century, the revolution of the earth round the sun, the revolution of the sun round the earth. Thus a phrase is denoting solely in virtue of its form.”(OD 479)

Vordergründiges Ziel der Russellschen Überlegungen ist es, eine ‚interpretation’ (479) für denotierende Phrasen zu geben.

Auf Russells Liste finden sich zwei Arten denotierender Phrasen:

·        unbestimmt denotierende Phrasen – Ausdrücke der Form „ein F”, „irgendein F”, „jeder F“, „alle F“, z.B. „alle Menschen“ oder „ein Mensch“

·        bestimmt denotierende Phrasen – Ausdrücke der Form „der F“, z.B. „der Schwerpunkt des Sonnensystems“, „der Abendstern“ oder „die erste Sekunde des 22. Jahrhunderts“. Phrasen dieser Art nennt man definite descriptions oder Kennzeichnungen.

Russell gibt für diese unterschiedlichen Arten von Ausdrücken unterschiedliche Theorien. Uns interessiert nur seine Theorie der Kennzeichnungen. Für diese gibt Russell eine einflussreiche semantische Analyse.

Das diesbezügliche Vorgehen Russells wird von drei Thesen geleitet, die in der Folge von On Denoting sehr einflussreich geworden sind.

Russells erste These verschärft das Fregesche Kontextprinzip:

·        Kennzeichnungen haben nicht für sich genommen Bedeutung. Bedeutung haben allein die Sätze, in denen sie vorkommen.

“This is the principle of the theory of denoting I wish to advocate: that denoting phrases never have any meaning in themselves, but that every proposition in whose verbal expression they occur has a meaning.”(OD 480)

Daraus folgt, dass eine semantische Analyse von Kennzeichnungen zu geben bedeutet, die Sätze zu analysieren, in denen Kennzeichnungen vorkommen.

Wie aber analysiert man Sätze, die eine problematische Wendung enthalten? Man gibt andere Sätze an, die diese Wendung nicht mehr enthalten und angeben, was mit den Sätzen des erstens Typs ausgesagt wird.

Dies schlägt sich in Russells zweiter These nieder.

Eine Analyse der Sätze, die Kennzeichnungen enthalten, muss für jeden Satz S dieser Art einen analysierenden Satz S* angeben. Dabei muss zweierlei gelten:

·        Der analysierende Satz S* enthält keine Kennzeichnungen. Auf diese Weise geben wir eine “reduction of all propositions in which denoting phrases occur to forms in which no such phrases occur”(OD 482)

·        Der analysierende Satz S* muss eindeutig klar machen, was mit einer Äußerung von S behauptet (asserted) ist.

Daraus folgt, dass unsere Analyse die semantische Rolle von Kennzeichnungen gerade dadurch erklärt, dass sie zeigt, wie man sie ohne semantischen Verlust eliminieren kann.

Traditionellerweise orientieren sich Analysen an der grammatikalischen Form der zu analysierenden Sätze. Ganz in diesem Sinne versteht Frege "Der Gipfel des Kilimanjaro ist unbewaldet" als einen SubjektPrädikat Satz.

Genau diese Anforderung weist Russell mit seiner dritten These zurück:

·        Bei einer semantischen Analyse müssen wir auf die grammatikalische Form der zu analysierenden Sätze keine Rücksicht nehmen. Wichtig ist allein die logische Form.

2.2. Russels Kennzeichnungstheorie

S „Der Gipfel des Kilimanjaro ist am 1.1.2009 unbewaldet.“

Was behauptet also jemand, der (S) äußert? Russell zufolge dreierlei:

S1 „Es gibt einen Gipfel des Kilimanjaro“ (Existenzbehauptung)

S2 „Es gibt nicht mehr als einen Gipfel des Kilimanjaro“ (Einzigkeitsbehauptung)

S3 „Das Objekt, von dem in (1) die Rede ist, ist am 1.1.2009 unbewaldet“ (Eigenschaftsbehauptung)

Nach Russel muss (S) also so analysiert werden:

S* „Es gibt einen Gipfel des Kilimanjaro & es gibt nicht mehr als einen Gipfel des Kilimanjaro & dieser ist am 1.1.2009 unbewaldet“

Formal:

S** $x (x ist ein Gipfel des Kilimanjaro & "y (y ist ein Gipfel des Kilimanjaro ® y = x) & x ist am 1.1.2009 unbewaldet)

Allgemein gilt Russell zufolge: Ein Satz der Form A lässt sich stets analysieren durch einen quantifizierten Satz der Form A*:

A „der F ist G“ [analysandum]

A* „$x (x ist F & "y (y ist F ® y = x) & x ist G)“ [analysans]

lies: „Es gibt ein Ding das F ist & es gibt nur ein Ding das F ist & dieses ist G“

Gründe dafür, dass S* bzw. A* eine überzeugende Analyse von S bzw. A ist:

·        Unsere Analyse benutzt die Mittel der referenziellen Semantik.

·        (S*) enthält keine Kennzeichnung mehr.

·        (S*) hat eine klare logische Form: es ist klar, unter welchen Bedingungen der Satz falsch und unter welchen er wahr ist.

·        (S*) ist genau dann wahr, wenn (S) wahr ist, und umgekehrt. D.h., (S*) gibt die Wahrheitsbedingungen des Satzes mit der Kennzeichnung wider.

2.3. Russells Rätsel

Russels Analyse löst die sogenannten Russel-Rätsel:

a. nichtexistente Gegenstände

Rätsel: Nach dem Satz des ausgeschlossenen Dritten muss entweder „A ist B” oder „A ist nicht B“ wahr sein. Folglich muss entweder „Der gegenwärtige König von Frankreich ist kahl“ oder „Der gegenwärtige König von Frankreich ist nicht kahl“ wahr sein. Aber wir finden den gegenwärtigen König von Frankreich weder unter den kahlen noch unter den nichtkahlen Dingen (da es keinen gegenwärtigen König von Frankreich gibt).

Russells Lösung: Unserer Theorie nach ist „Der gegenwärtige König von Frankreich ist kahl“ wie folgt zu analysieren:

K: „Es gibt einen König von Frankreich & es gibt nicht mehr als einen König von Frankreich & dieser ist kahl“

K1: „Es gibt einen König von Frankreich & es gibt nicht mehr als einen König von Frankreich & dieser ist NICHT kahl“ (‚nicht’ hat narrow scope)

K2: „NICHT: Es gibt einen König von Frankreich & es gibt nicht mehr als einen König von Frankreich & dieser ist kahl“ (‚nicht’ hat wide scope)

Die zweite Verneinung löst das Rätsel vom kahlen König.

b. Negative Existenzaussagen

Rätsel: Der folgende Satz sei [ist] wahr: „Der gegenwärtige König von Frankreich existiert nicht“. Wenn wir „der gegenwärtige König von Frankreich“ mit Frege als einen Eigennamen auffassen, dann hat der Satz die Form „a ist F”. Ein Satz dieser Form ist aber nur dann wahr, wenn „a“ nicht leer ist – d.h. wenn es ein Objekt gibt, auf das sich der Name bezieht. Das steht im Widerspruch zu dem, was wir aussagen wollen. Immerhin wollen wir ja gerade behaupten, dass der gegenwärtige König von Frankreich nicht existiert. (Oder gibt es ihn doch irgendwo, aber er existiert nicht?)

Russells Lösung: Zum einen ist „der gegenwärtige König von Frankreich“ kein Eigenname, sondern eine Kennzeichnung. Zum anderen können wir die Verneinung vor den Satz ziehen. Was verneint wird ist ja die Existenzbehauptung.

K: „Der gegenwärtige König von Frankreich existiert nicht.“

K3: „NICHT: Es gibt einen König von Frankreich & es gibt nicht mehr als einen König von Frankreich.“

c. Freges Problem

Rätsel: Die Ausdrücke „der Abendstern“ und „der Morgenstern“ sind bezugsgleich. Wie lässt sich dann der informative Gehalt von „der Morgenstern = der Abendstern“ erklären, ohne auf einen fregeschen Sinn zurückzugreifen?

Russels Lösung: „der Abendstern“ und „der Morgenstern“ sind keine Eigennamen, sondern Kennzeichnungen. Also ist „Der Morgenstern = der Abendstern“ so zu verstehen:

M: „Es gibt einen hellsten Stern x am Morgenhimmel & es gibt nicht mehr als einen hellsten Stern am Morgenhimmel) & x = der Abendstern”

vollständig: „Es gibt einen hellsten Stern x am Morgenhimmel & es gibt nicht mehr als einen hellsten Stern am Morgenhimmel) & (es gibt einen hellsten Stern z am Abendhimmel & es gibt nicht mehr als einen hellsten Stern am Abendhimmel) & x = z”

So aufgefasst ist der Satz aber durchaus informativ.

d. Substitutionsproblem

Rätsel: Nach den Grundregeln der referenziellen Semantik können wir Bezeichner für denselben Gegenstand salva veritate füreinander einsetzen. Eine solche Substitution kann aber von wahren zu falschen Sätzen führen:

(1) George IV. wollte wissen, ob Scott der Autor von Waverly ist.

(2) Scott = der Autor von Waverly.

(3) George IV. wollte wissen, ob Scott Scott ist.

Russells Lösung: Die Substitution setzt voraus, dass „Scott ist der Autor von Waverly” die folgende logische Form „a = b“ hat. Tatsächlich hat dieser Satz eine viel komplexere logische Form, nämlich: „Es gibt einen Autor von Waverly & es gibt nicht mehr als einen Autor von Waverly & dieser ist Scott“.

In diesem Satz kommt aber gar kein Ausdruck vor, für den man den Namen „Scott“ einsetzen kann.

3. Rezeption

3.1. Was Russells Analyse leistet

Bietet Russells Kennzeichnungstheorie eine überzeugende semantische Analyse von Kennzeichnungen? Kann sie Freges Sinn wirklich überflüssig machen?

Frege begründet die Annahme von Sinn durch das Argument vom Erkenntniswert. Dies beruht auf der Einsicht, dass Sätze der Form „a = a“ anderen Erkenntniswert haben als Sätze der Form „a = b“.

Russell zeigt, dass „Der Morgenstern = der Morgenstern“ und „Der Morgenstern = der Abendstern“ gar keine Sätze dieser Form sind und sich daher das Problem für sie gar nicht stellt.

Aber damit ist das Problem nicht aus der Welt!

Frege formuliert sein Argument mit Bedacht mit Bezug auf Eigennamen. Und wir finden sehr wohl Satzpaare mit echten Eigennamen (d.h. keinen Kennzeichnungen), bei denen Freges Problem entsteht.

Beispiele:

„DJ Bobo = DJ Bobo“

„DJ Bobo = Peter René Baumann”

„Hesperus = Hesperus“

„Hesperus = Phosphorus“

Über Eigennamen hat Russell in On Denoting nichts zu sagen. Später vertritt er die Idee, dass Eigennamen nichts anderes sind als Abkürzungen für Kennzeichnungen:

„Common words, even proper names, are usually really descriptions. That is to say, the thought in the mind of a person using a proper name correctly can only be expressed explicitly if we replace the proper name by a description” (Knowledge by Acquaintance and Knowledge by Description, Proc. Aris. Soc. XI, 1910‐11, 114)

Ø  Ein Name wie „Nelson Mandela“ vertritt lediglich eine Kennzeichnung

   wie „der erste frei gewählte farbige Präsident Südafrikas“.

Demnach kürzt der Eigenname „DJ Bobo“ eine Kennzeichnung ab. Folglich erweist sich das ErkenntniswertProblem für:

„DJ Bobo = DJ Bobo“

„DJ Bobo = Peter René Baumann”

doch als ein Problem vom Typ „Abendstern“/„Morgenstern“ – und wie wir das lösen, hat uns Russell ja gezeigt.

Russel kann das Frege-Problem also tatsächlich lösen. Dennoch: Die These „Eigennamen sind eigentlich Kennzeichnungen“ ist problematisch!

Drei weitere Gründe, warum Russells Analyse überzeugend ist:

·        Die Kennzeichnung „die Katze“ und die nichtkennzeichnende Beschreibung „eine Katze“ scheinen semantisch gleich  bis auf die Einzigkeitsannahme. Russells Analyse trägt dem Rechnung.

·        Sätzen mit Kennzeichnungen und anderen Operatoren haben typischerweise verschiedene Lesart – je nach scope. Das kann aber nur der Fall sein, wenn Sätze mit Kennzeichnungen quantifizierte Sätze sind.

·        Anders als leere Eigennamen gibt es an leeren Kennzeichnungen etwas zu verstehen. Das fängt Russells Analyse ein.

3.2. Was Russells Analyse nicht leistet

a. Peter F. Strawson

Die bekannteste Kritik an Russels Kennzeichnungstheorie findet sich in Peter F. Strawsons "On Referring". Dieser Aufsatz ist aus Gründen, die gar nicht die Kennzeichnungstheorie, sondern die Theorie indexikalischer Ausdrücke betreffen, sehr bekannt. Hier hat Strawson eine ganze Reihe interessanter Ideen zu bieten. Das betonte auch Russell in seiner Replik "Mr. Strawson on Referring".

Strawson hat zwei echte Einwände gegen Russell und eine alternative Idee.

Peter F. Strawsons erster Einwand:

“[S]uppose some one were in fact to say to you with a perfectly serious air: “The king of France is wise”. Would you say “That’s untrue”? I think it’s quite certain that you wouldn’t. But suppose he went on to ask you whether what he just said was true or was false (...). I think you would be inclined to say (...) that the question of whether his statement was true or false simply didn’t arise, because there was no such person as the king of France.”(On Referring 330)

Der Einwand: Äußerungen von Sätzen mit leeren Kennzeichnungen sind nicht falsch. Sie sind weder wahr noch falsch.

Replik: Wie kann „Es ist nicht der Fall, dass der gegenwärtige König von Frankreich kahl ist“ wahr sein, wenn der eingebettete Satz weder wahr noch falsch ist?

Peter F. Strawsons zweiter Einwand:

„When a man uses such an expression [i.e. “the king of France”], he does not assert, nor does what he says entail, a uniquely existential proposition.”(On Referring, 331)

Der Einwand: Wer „Der König von Frankreich ist kahl“ behauptend äußert, behauptet gar nicht, dass es einen König von Frankreich gibt. Er macht gar keine Existenzbehauptung.

Replik: Unsere Intuitionen über Behauptungen tun nichts zur Sache. Wir müssen uns fragen, worauf der Sprecher festgelegt ist, so dass gilt: wenn etwas davon falsch ist, ist sein Satz falsch. Und wenn wir der Ansicht sind, dass der Satz falsch ist, dann gehört die Existenzbehauptung dazu.

Strawsons alternative Idee:

Laut Russell folgt der Satz (B) logisch aus dem Satz (A):

(A) „Der erste Mensch auf dem Mond war Amerikaner“

(B) „Es gibt einen Menschen, der auf dem Mond war“

Strawson bestreitet das. Ihm zu Folge ist (B) eine Präsupposition von (A).

·        S präsupponiert S* genau dann, wenn gilt: S ist nur dann wahr oder falsch, wenn S* wahr ist.

Damit gilt für Kennzeichnung dasselbe wie für Namen. Denn Aussagen mit Namen präsupponieren, dass diese ein Bezugsobjekt haben.

Dieselbe Idee finden wir bereits bei Frege:

„Wenn man etwas behauptet, so ist immer die Voraussetzung selbstverständlich, dass die gebrauchten einfachen oder zusammengesetzten Eigennamen eine Bedeutung haben. Wenn man also behauptet, „Kepler starb im Elend“ so ist dabei vorausgesetzt, dass der Name „Kepler” etwas bezeichne; aber darum ist doch im Sinne des Satzes „Kepler starb im Elend” der Gedanke, dass der Name „Kepler” etwas bezeichne, nicht enthalten.“ (Frege, SB 40)

(A) „Kepler starb im Elend“
(B) Es gibt jemanden, den „Kepler“ bezeichnet.

b. Donnellans Unterscheidung

In Reference and Definite Descriptions stellt Keith Donnellan die folgende These auf: Kennzeichnungen lassen sich auf zwei Weisen verwenden attributiv  und referenziell.

Russells Analyse ist bestenfalls für attributive Kennzeichnungen richtig. Referenziell gebrauchte Kennzeichnungen bekommt Russell gar nicht in den Blick.

attributive Verwendung von „der Mörder von Smith“:

“You and I are walking home one night when we come across the body of poor Smith, horribly murdered. Aghast at this senseless killing of a man renowned for his kindness and generosity, I exclaim to you “Smith’s murderer must be insane!” (RDD 285) 

Attributiv verwendet bezeichnet „der Mörder von Smith“ genau die Person, welche auch immer es sein mag, für die gilt: sie (und sie allein) hat Smith ermordet.

referenzielle Verwendung von „der Mörder von Smith“:

“You and I are watching the trial of a man, Jones, who stands accused of murdering Smith. As we gaze across the court at the man in the dock, who is universally believed to be guilty of the crime, we see from his increasingly odd behaviour that he is clearly not in his right mind and I exclaim to you “Smith’s murderer must be insane!””(RDD 285)

Referenziell verwendet bezeichnet „der Mörder von Smith“ diejenige Person, über die der Sprecher eine Aussage macht / machen möchte – ganz gleichgültig, ob diese Person diejenige Person ist, für die gilt: sie (allein) hat Smith ermordet.

Repliken:

Erstens: Was wäre denn schlimm daran, wenn Russells Analyse nur für attributiv verwendete Kennzeichnungen richtig wäre?

Zweitens: Wir müssen zwischen der semantischen Beziehung des Bezeichnens und der pragmatischen Beziehung des Erkennbarüber jemandenredens unterscheiden.

Natürlich gelingt es uns häufig, mit einem Ausdruck erkennbar über jemanden zu reden obwohl derjenige gar nicht der semantische Referent des Ausdrucks ist.

Damit könnte Russell nach wie vor Recht haben, was die semantischen Eigenschaften von „der F“ anbelangt, und Donnellans referenzielle Verwendung wäre ein pragmatisches Phänomen.

c. Das Einzigkeitsproblem

Russells Analyse verlangt Einzigkeit – „Der F ist G “ ist nur dann wahr, wenn es ein und nur ein F gibt.

Das mag für besondere Kennzeichnungen wie „Der erste in einem Zoo geborene Eisbär“ richtig sein. Aber viele alltägliche Kennzeichnungen funktionieren nicht so.

Z.B.:

·        „Der Hörsaal hat weniger als 300 Plätze“

·        „Für den damaligen Bundeskanzler begann das Jahr 2000 vielversprechend“

·        „Der höchste Berg ist in Asien“

·        (Der Mons Lyctas auf dem Jupitermond Amalthea ist mehr als 1 ½ mal so hoch wie der Mount Everest.)

Lösungen:

·        Wir analysieren „Der F ist G“ als „$x (x ist F & "y (y ist F ® y = x) & x ist G)“. Aber quantifizierte Aussagen sind so gut wie nie wirklich streng zu verstehen. Bsp.: „Niemand wird durchfallen“, „Großartige Party; alle waren da!“ Also haben wir es mit einer generelle Eigenschaft quantifizierter Aussagen zu tun.

·        Die Sätze sind elliptisch und werden in der Kommunikation stillschweigend auf geeignete Weise komplettiert.

·        Welche domain relevant ist, hängt von der Gesprächssituation ab.

Stand: 2018

Kommentare: 0

Impressum | Datenschutz | Cookie-Richtlinie | Sitemap
Diese Website darf gerne zitiert werden, für die Weiterverwendung ganzer Texte bitte ich jedoch um kurze Rücksprache.