Der Rechtfertigungs-Internalismus besagt, dass wenn S die Überzeugung hat, dass p, dann hängt die Rechtfertigung dieser Überzeugung (allein) davon ab, ob S gute Gründe für sie anführen kann. Gute Gründe kann S aber nur anführen, wenn ihr diese Gründe bekannt sind. Kurz: Gerechtfertigt‐sein setzt Rechtfertigen‐können voraus.
Das heißt: Die Rechtfertigung einer Überzeugung kann nur von Faktoren abhängen, die dem epistemischen Subjekt allein intern durch Reflexion zugänglich sind.
Angenommen, ich achte sehr genau auf die Erfahrungen, die ich mache, ich überlege sehr genau, was durch diese Erfahrungen gestützt wird und was nicht, ich entdecke in meinen Überlegungen trotz mehrmaliger Überprüfung keinen Fehler und ich komme daher zu der Überzeugung, dass p.
Dann bin ich doch offenbar gerechtfertigt, p zu glauben.
Aber weiter angenommen, mein Zwillingsbruder lebt in einer Welt, in der er in seinen Wahrnehmungen ständig durch einen Cartesischen Dämon irregeführt wird: Nichts ist so, wie es ihm erscheint; alle seine Wahrnehmungsüberzeugungen sind falsch.
Wenn dieser Zwillingsbruder nun dieselben Erfahrungen macht wie ich und aufgrund von ebenso sorgfältigen und umsichtigen Überlegungen ebenfalls zu der Überzeugung kommt, dass p, müssen wir dann nicht sagen, dass er genauso gerechtfertigt ist, p zu glauben, wie ich?
Es ist unplausibel anzunehmen, dass es möglich ist, dass von zwei Personen, die in derselben epistemischen Situation aus denselben Gründen zu derselben Überzeugung kommen, die eine in dieser Überzeugung gerechtfertigt ist, die andere aber nicht. Die epistemische Situation einer Person besteht aber nur aus Umständen, die dieser Person durch Reflexion zugänglich sind. Rechtfertigung kann nur von Umständen abhängen, die der jeweiligen Person allein durch Reflexion zugänglich sind. Also ist der Rechtfertigungs-Internalismus wahr.
“(...) a belief’s being justified implies the probability of its truth (...) [S]urely this implication of the probability of truth is an essential part of what makes it desirable and important that our beliefs be justified. If this implication is lacking why should we care whether our beliefs are justified? After all, the basic aim of cognition is to believe what is true and to avoid believing what is false.”
- Alston, W. : Internalism and Externalism in Epistemology
Rechtfertigung muss also wahrheitsförderlich (truth‐conducive) sein. Das vorherige Argument koppelt Rechtfertigung aber von wahrscheinlicher Wahrheit ab. Es behauptet, dass man auch gerechtfertigt sein kann, p zu glauben, wenn die Umstände, die diese Überzeugung rechtfertigen, es nicht wahrscheinlich machen, dass p wahr ist. Das erscheint aber unplausibel.
Der Rechtfertigungs-Externalismus besagt, dass das entscheidende Merkmal von Rechtfertigung Wahrheitsförderung ist. D.h.: Die Umstände, von denen abhängt, ob S gerechtfertigt ist, p zu glauben, müssen die Bedingung erfüllen, dass p wahrscheinlich wahr ist, wenn diese Umstände vorliegen.
Ob diese Umstände S allein durch Reflexion zugänglich sind, ist unwichtig. S muss nicht einmal wissen, dass diese Umstände vorliegen, um in seiner Überzeugung gerechtfertigt zu sein.
Beispiel: Nehmen wir den Fall von Wahrnehmungsüberzeugungen. S sieht, dass ein rotes Buch auf dem Tisch liegt. Auf die Frage „Warum glaubst Du, dass ein rotes Buch auf dem Tisch liegt?“ kann S nur antworten: „Das sehe ich doch.“ Antworten auf weitere Nachfragen kann S aber nicht geben. Trotzdem scheint S gerechtfertigt zu glauben, dass ein rotes Buch auf dem Tisch liegt – einfach weil Wahrnehmung ein verlässlicher Prozess ist.
“Although this argument is couched in terms of a fantastic scenario, the underlying idea is simple and sober. Since it is conceivable that we have what are recognized as very strong grounds for a belief even though it is not formed reliably, reliability cannot be necessary for justification. (...) The best counter‐move for the reliabilist is to deny the ‘intuitions’ adduced by the critic. No doubt the demon world denizen has something going for them, epistemically, but, says the reliabilist, it is not justification, so long as there is nothing about the belief and the way it is formed or held that makes it likely to be true.”
- Alston, W. : Internalism and Externalism in Epistemology
“The intuitive difficulty with externalism (...) is this: according to the externalist view, a person may be highly irrational and irresponsible in accepting a belief, when judged in light of his own subjective conception of the situation, and may still turn out to be epistemically justified according [to the externalist view]. His belief may in fact be reliable, even though he has no reason for thinking it is reliable – or even has good reason to think that it is not reliable. But such a person seems nonetheless to be thoroughly irresponsible from an epistemic standpoint in accepting such a belief and hence not in fact justified.”
- BonJour, L.: The Structure of Empirical Knowledge.
Samantha glaubt, dass sie über die Gabe des Hellsehens verfügt, was auch stimmt; aber sie hat keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass sie diese Gabe besitzt, allerdings auch keine Anhaltspunkte dagegen. Eines Tages kommt sie (via Hellsehen) zu der Überzeugung, dass sich Obama in New York aufhält. Wenn man sie fragt, warum sie das glaube, antwortet sie: Ich hatte eine ‚Eingebung’. Auf die Frage, warum sie ihren ‚Eingebungen’ traut, hat sie keine Antwort. Ist Samantha in diesem Fall in ihrer Überzeugung gerechtfertigt?
Aber was ist, wenn gilt:
· Samantha hat eine ganze Reihe von Anhaltspunkten dafür, dass Obama nicht in New York, sondern in Washington ist: Nachrichtensendungen, Presseberichte, Fernsehbilder, etc.
· Samantha glaubt, dass sie über die Gabe des Hellsehens verfügt, was auch stimmt – zumindest unter bestimmten Umständen; aber sie hat keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass sie diese Gabe besitzt. Vielmehr verfügt sie über eine ganze Reihe von Anhaltspunkten dafür, dass niemand über die Gabe des Hellsehens verfügt.
Eine mögliche Reaktion des Externalisten: Verlässlichkeit ist nur dann hinreichend für Rechtfertigung, wenn sie nicht durch andere Umstände konterkariert wird.
Truetemp war die Person, der bei einem neurochirurgischen Eingriff ein kleines Gerät eingesetzt wurde, das auf der einen Seite ein sehr genaues Temperaturmessgerät ist, das auf der anderen Seite aber auch Überzeugungen erzeugt. Und zwar erzeugt dieses Gerät in Truetemp genau dann die Überzeugung, dass die Temperatur in Truetemps Umgebung x °C beträgt, wenn es diese Temperatur gemessen hat. Truetemps Überzeugungen bzgl. der Temperatur in seiner Umgebung sind also fast immer korrekt und offensichtlich werden sie auch durch einen verlässlichen Prozess erzeugt.
Wenn man aber weiter annimmt, dass auch Folgendes gilt: Truetemp weiß nichts von dem Gerät in seinem Kopf und wundert sich eher immer ein bisschen, woher wohl seine obsessiven Temperaturüberzeugungen kommen; und Truetemp überprüft seine Temperaturüberzeugungen nie mit einem Thermometer, weiß also nichts über deren Zuverlässigkeit, sondern akzeptiert sie einfach so aufs Geratewohl. Ist es dann angemessen zu sagen, dass Truetemp in seinen Temperaturüberzeugungen gerechtfertigt ist?
Selbst wenn S’ Überzeugung durch einen verlässlichen Prozess M zustande gekommen ist, scheint S in dieser Überzeugung nicht gerechtfertigt, wenn S:
· nicht weiß, dass M verlässlich bzw.
· sogar gute Gründe für die Annahme hat, dass M nicht verlässlich ist.
Das würde sogar für unsere Wahrnehmungsüberzeugungen gelten, wenn wir gute Gründe für die Annahme hätten, dass Wahrnehmung kein verlässlicher Prozess ist (obwohl sie de facto verlässlich ist).
Es ist also unklar, ob Rechtfertigung auch von externen Umständen abhängt. Auf jeden Fall ist es wohl unangemessen anzunehmen, dass Rechtfertigung allein von externen Umständen abhängt.
Christian Nimtz
Stand: 2018